Editorial von STICHWORT BAYER 1/2008
Liebe Leserinnen und Leser,
der TÜV hat in seinem Gutachten zur Kohlenmonoxid-Pipeline von BAYER ganze Arbeit geleistet. Er hat die Sicherheitslage gleich für Jahrhunderte im Voraus analysiert und über einen Zeitraum von Äonen Entwarnung gegeben. Der Verein prophezeit lediglich einen Rohrleitungsunfall in 5000 Jahren und drei Lecks pro Kilometer in einer Million Jahren. An den CO-Röhren, die am bayerischen Chiemsee entlang verlaufen, nagte der Zahn der Zeit allerdings bedeutend früher. Er fraß binnen 50 Jahren von der 6mm dicken Wandung 4mm ab, weshalb diese porös wurde und Gas austrat. 2002 erfolgte deshalb die vorübergehende Stilllegung und ein Austausch der Rohre.
Bei solchen kleineren Lecks nimmt das Kohlenmonoxid die Temperatur des durchströmten Bodens an. Ist dieser kühler als die darüber geschichtete Luft, besitzt das CO eine größere Dichte als diese und breitet sich somit an der Oberfläche aus, wo es sich gründlich mit der Luft vermischt und selbst noch in tausendfacher Verdünnung tödlich wirkt. Beim einfachsten Fall eines Vollrohrbruches der Giftleitung hingegen hebt sich die 1,4 m dicke Erdschicht über der Leitung unter dem gewaltigen Druck von 6 bis 40 Bar. Es reißt in kürzester Zeit ein Krater auf, aus welchem mit einem Höllenlärm das CO gen Himmel strömt. Wird das Gas entzündet, entsteht eine gewaltige Explosion mit Feuerball. Solch ein großes Leck in der Leitung sollte von den Prüfsystemen Dormagen und Uerdingen innerhalb von Minuten erkannt werden und von dort die Leitung durch Ventile in etwa 10 km lange Abschnitte abgeschottet werden. Diese Reaktionszeit reicht jedoch nicht aus, um das Ausströmen von bis zu 10.000 m3 CO im Bereich der Berststelle zu verhindern.
Trotz dieser Gefahren steht die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE rückhaltlos hinter dem Projekt. GewerkschaftssekretärInnen reden von der Gefährdung des Industrie-Standortes, um Werbung für die Pipeline zu machen, obwohl mit der Inbetriebnahme der Leitung am Standort Uerdingen die alte Kohlevergasung für die CO-Erzeugung geschlossen wird, d. h. die dortigen Arbeitsplätze verloren gehen. Diese Jobs blieben teilweise erhalten, wenn statt der CO-Pipeline für 50.000.000 eine 70.000.000 teure, moderne Reformeranlage von der Firma BAYER oder LINDE oder PRAXAIR in Uerdingen gebaut würde. Die dafür notwendige Fläche ist – dank vieler Stilllegungen – in ausreichendem Maße vorhanden, ebenso sind die Rohstoffe Methan und Kohlenstoffdioxid für die Erzeugung von CO vor Ort verfügbar. Es ist für mich unverständlich, warum dieser Weg der Vermeidung einer überflüssigen Gefährdung von den Verantwortlichen bei BAYER nicht beschritten wird. Der einzig in Frage kommende Grund dürfte sein, dass LINDE und PRAXAIR ihre in Dormagen erzeugten CO-Überkapazitäten auf praktische Weise loswerden wollten, wofür die Landesregierung dann per Pipeline-Gesetz eilfertig den Weg frei machte. Deshalb sollen nun die Grundstücke und Häuser unzähliger Privatpersonen durch den Bau der Giftgas-Leitung entwertet werden. Und um Giftgas handelt es sich, nicht „bloß“ um giftiges Gas, wie ein BAYER-Sprecher in der TV-Sendung Monitor richtigstellen wollte. Als ich das hörte, stockte mir der Atem: Wissen diese MitarbeiterInnen des Leverkusener Multis etwa nichts mehr von den Massenmorden mit dem von den IG FARBEN gelieferten Kohlenmonoxid im Dritten Reich?
Durch den leichtfertigen Umgang mit dem Thema und die Ignoranz gegenüber den Ängsten der Menschen wirkt BAYER selbst standort-gefährend. Ein erfolgreicher Industriestandort ist nämlich nicht nur durch Innovation und Weiterentwicklung der Unternehmen, sondern auch durch die Akzeptanz in der Bevölkerung bestimmt. Diese Akzeptanz setzt BAYER auf Spiel. Da bleibt nur zu hoffen, dass der Konzern auf dem Gerichtswege zur Vernunft zu bringen ist. Die Urteile des Oberlandesgerichts Münster, welche die vorzeitige Inbetriebnahme untersagten, weil sie sich der Argumentation der Pipeline-GegnerInnen anschlossen und das dem Allgemeinwohl dienende des Vorhabens nicht erkennen mochten, stimmen da ganz optimistisch.
Dr. Walther Enßlin gehört der Bürgerinitiative BAU-STOPP DER BAYER-PIPELINE und der Coordination gegen BAYER-Gefahren an