Presse Information vom 21. Februar 2012
Coordination gegen BAYER-Gefahren
Duogynon-Opfer reichen Haftungsklage gegen BAYER ein
Tausende Geschädigte / historische Dokumente entdeckt: Schering kannte Risiken / Entdeckerin der Fehlbildungen unterstützt Kampagne
Andre Sommer hat am Landgericht Berlin eine Haftungsklage gegen die Firma BAYER eingereicht. Sommer gehört zur Gruppe der Geschädigten, die durch den Einsatz hormonaler Schwangerschaftstests in den 70er Jahren schwere Fehlbildungen erlitten.
„Es geht uns primär nicht um Geld, sondern um die Wahrheit. Welche Erkenntnisse hatte Schering wann? Warum wurde nicht frühzeitiger gehandelt? Warum werden auch jetzt noch Informationen zurückgehalten?“, so Andre Sommer, und weiter: „Das Landgericht Berlin hat ein Mediationsverfahren vorgeschlagen, womit wir einverstanden sind. Es wäre schade, wenn sich BAYER weiter allen Gesprächen verweigern und jegliche Aufklärung blockieren würde.„ Sommer fordert eine Einsichtnahme in alle Unterlagen der Firma, die seit 2006 zum Leverkusener BAYER-Konzern gehört, zu Duogynon.
Der Einsatz des Schwangerschaftstests führte in den 60er und 70er Jahren zu Tausenden von Herzfehlern, fehlenden Gliedmaßen, Gaumenspalten und Nierenschäden. Neu aufgetauchte Dokumente belegen, dass dem Unternehmen die Risiken des Präparats frühzeitig bekannt waren. Bis heute steht eine Entschädigung der Betroffenen jedoch aus.
Dr. Isabel Gal, deren Untersuchungen den Skandal Ende der 60er Jahre ins Rollen brachten, hat nun in einem Schreiben an die Betroffenen Unterstützung zugesagt. Wörtlich schreibt Dr. Gal: „Ich bin bis heute der Meinung, dass hohe Hormon-Gaben den Embryo in seiner Entwicklung schädigen können. Viele Studien bestätigen meine Ergebnisse, darunter zwei der britischen Aufsichtsbehörden. Ich möchte den Betroffenen meine Unterstützung in jeder möglichen Weise anbieten.“ Dr. Gal hatte 1967 in der Zeitschrift Nature eine Studie veröffentlicht, wonach Mütter missgebildeter Kinder zu einem überdurchschnittlich hohen Prozentsatz hormonelle Schwangerschaftstests eingenommen hatten. Gal erinnert auch daran, dass der damalige Forschungsleiter von Schering, Dr. Michael Briggs, seinen Posten später wegen gefälschter Studien verlor.
Selbst Mitarbeiter von Schering hatten frühzeitig vor den Risiken von Duogynon gewarnt. So schrieb ein für Schering arbeitender Wissenschaftler im November 1967 an die Firmenleitung: „Die offenkundige Korrelation zwischen der Zunahme geborener Missbildungen und dem Verkauf des Schwangerschaftstests erscheint ziemlich alarmierend.“ 1969 forderte die britische Behörde Committee on Safety of Drugs von Schering die Herausgabe der Labordaten bezüglich Duogynon. Nach Auswertung der Unterlagen wurde auf den Schachteln eine Warnung angebracht, wonach das Präparat wegen des Risikos von Fehlbildungen nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden dürfe. Schering strich daraufhin in Großbritannien die Indikation Schwangerschaftstest, nicht jedoch in Deutschland. Bis heute beharrt BAYER darauf, dass die Behinderungen nicht von Duogynon herrühren.
Durch eine Recherche in Unterlagen der britischen Regierung, die nach Ablauf der Sperrfrist nun für die Öffentlichkeit zugänglich sind, fanden sich aktuell weitere Informationen:
=> ein Brief von Schering aus dem Jahr 1969 an die britische Behörde Committee on Safety of Drugs, in dem die vorläufigen Ergebnisse einer Studie verschiedener Schwangerschaftstests übermittelt werden. Bei Primodos wird ein hoher Anteil von Fehlgeburten genannt.
=> ein Brief aus dem Jahr 1967 des Leiters des staatlichen Committee on Safety of Drugs an Dr. Isabel Gal. Darin schreibt Dr. Inman bzgl. Duogynon: “I do not think they are sufficiently useful (…) to justify even the slightest risk of teratogenicity (Fehlbildungsrate)“.
=> ein Brief der französischen Firma Roussell von 1969. Darin wird eine Studie zu 9.822 Schwangerschaften beschrieben, die für hormonale Schwangerschafts-Tests eine „erhöhte Rate von Fehlgeburten“ ergab. Im selben Brief schreibt Roussell, dass die Firma ihr Präparat Amenorone – anders als Schering – freiwillig vom Markt genommen hat.
Wiederholt hatten Duogynon-Geschädigte auf Einladung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) hin in der BAYER-Hauptversammlung eine Entschuldigung des Konzerns gefordert. Der BAYER-Vorstand hatte dies vor rund 4000 Aktionären jedoch abgelehnt. Hierzu Philipp Mimkes vom Vorstand der CBG: „BAYER trägt keine Schuld für die Schädigung tausender Kinder. Doch durch die Übernahme von Schering hat der Konzern die Verantwortung für den Skandal um hormonelle Schwangerschaftstests mit übernommen.“ Mimkes erinnert daran, dass Schering den betroffenen Eltern in den 70er Jahren ein Vergleichsangebot unterbreitete – unter der Bedingung, dass diese ihre öffentliche Kritik unterließen.
Schering ist seit vielen Jahren Weltmarktführer für Kontrazeptiva. Duogynon enthielt die selben Hormone, die heute in geringerer Konzentration als Antibaby-Pille verkauft werden. Kritiker vermuten, dass die Warnungen vor hormonellen Schwangerschaftstests seinerzeit in den Wind geschlagen wurden, um negative Publicity für Kontrazeptiva zu vermeiden.
weitere Informationen:
=> das Schreiben von Dr. Isabel Gal
=> alle Materialien zur Kampagne
=> die Seite der Betroffenen: http://www.duogynonopfer.de