21.02.2007 , Neuss Grevenbroicher Zeitung
Giftmüll: Misstrauen ist Hauptproblem
Dormagen Mehr als 90 Fragen von Bürgern hatte der Sprecher der Dormagener Agenda 21, Manfred Puchelt, in seinem Büro zum geplanten Giftmüll-Import aus Australien gesammelt und den Verantwortlichen von Bayer am Tag der offenen Tür in der Rückstandsverbrennungsanlage vor zweieinhalb Wochen übergeben. „Die schriftliche Beantwortung der Fragen hat deshalb länger gedauert, weil wir auf jeden Einwand ausführlich eingehen wollten“, erklärte Chemiepark-Leiter Dr. Walter Leidinger gestern bei der „Rückübergabe“ des Katalogs mit den Antworten.
Die Fragen umfassen ein breites Spektrum – von konkreten Messwerten und den Bedingungen der Verbrennung in Dormagen über die Transportbedingungen für den weltweit geächteten Stoff Hexachlorbenzol und die ethische Verantwortung eines Wirtschaftsunternehmens wie Bayer bis hin zu sehr emotionalen Themen wie dem Gesundheitsrisiko für Kinder oder sogar privaten Fragen an Leidinger persönlich. „Wir haben alle Fragen beantwortet und sind weiter um den Dialog mit den Menschen in Dormagen bemüht“, so Leidinger.
Dieser wurde bei der Übergabe gestern dann auch engagiert von beiden Seiten fortgesetzt. „Sie reagieren mit Fakten und Messwerten auf Emotionen – das sind zwei verschiedene Ebenen“, meinte Manfred Puchelt. Denn trotz der ausführlichen Antworten bleibe ein ungutes Gefühl. Die Vergangenheit der chemischen Industrie zeige, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Stoffe und Grenzwerte als unbedenklich eingestuft worden seien, von denen heute bekannt sei, dass sie schwere Krankheiten verursachen könnten.
„Wie können Sie sicher sein, dass Ihr Wissensstand heute der richtige ist und nicht in einigen Jahren korrigiert werden muss“, fragte Puchelt. In zehn Jahren werde es noch bessere Verfahren geben als heute, gab ihm Joachim Beyer, Leiter der Verbrennungsanlagen bei Bayer, Recht. Entscheidend sei jedoch, dass sich das Bewusstsein geändert habe. „Wir gehen heute ganz anders mit diesem Thema um“, so Beyer. Und die heutigen Grenzwerte seien mitnichten politische Werte, die sich nur an dem aktuell technisch Machbaren orientierten. Sie hätten in erster Linie den Menschen und seine Gesundheit im Blick.
In den Kindergärten werde der Giftmüll-Import von vielen Eltern kritisch gesehen, erklärte Tanja Frank von der Agenda 21. „Dass Bayer den eigenen Restmüll verbrennt, um den Standort zu sichern, akzeptieren die Dormagener“, sagte sie. „Aber niemand versteht, warum wir mit Gift vom anderen Ende der Welt aus einem Industrieland belastet werden, das selbst für die Entsorgung sorgen könnte.“ Die Belastung durch Bayer sei immer weiter gestiegen, meinte Horst Fox. Beyer widersprach. Es werde zwar mehr produziert und mehr verbrannt, aber mit erheblich geringeren Emissionen als noch vor Jahren. „Was bei uns aus dem Kamin kommt, ist gesünder als alles, was aus dem Auspuff eines Autos in die Luft geblasen wird“, betonte Beyer.
Das Hauptproblem bleibe, dass viele Bürger für die Argumente von Bayer nicht mehr zugänglich seien, weil sie sie einfach nicht glaubten, meinte Puchelt. „Das Vertrauen ist nicht mehr da“, sagte er. „Die große Bayer-Familie gibt es nicht mehr.“ Längst sei bei vielen Bürgern der Eindruck entstanden, es gehe nur noch ums Geschäft – Gesundheit und Risiken spielten eine untergeordnete Rolle. „Das wäre fatal, denn ohne das Vertrauen der Bürger, können wir hier am Standort nicht arbeiten“, reagierte Leidinger.
VON PETRA SCHIFFER