Neues Lifestyle-Präparat
BAYERs Fett-weg-Spritze
Auf der Suche nach neuen Pharma-Märkten ist der Leverkusener Multi nun auf die „ästhetische Medizin“ gestoßen und entwickelt eine Spritze zur Auflösung von Fettzellen. Damit will er einer großen Pein der Menschheit, dem Doppelkinn, zu Leibe rücken und nimmt dafür auch Risiken und Nebenwirkungen in Kauf.
Von Gerd Glaeske (Professor am „Zentrum für Sozialpolitik“ der Universität Bremen)
Die Forschungspipelines müssen schon sehr leer sein, wenn sich ein Weltunternehmen wie der Pharmahersteller BAYER auf unnötige Produkte konzentriert. Seit einigen Monaten laufen Forschungsanstrengungen von INTENDIS, einer Tochter von BAYER HEALTHCARE, in Zusammenarbeit mit der kalifornischen Firma KYTHERA BIOPHARMACEUTICALS auf Hochtouren, um eine Spritze zur regionalen Fettauflösung auf den Markt zu bringen. Dabei geht es vor allem um das Fett unterhalb des Kinns – Doppelkinn wird es typischerweise genannt. Die Substanz ATX-101 soll die kosmetische Chirurgie an dieser Körperstelle überflüssig machen und das am Doppelkinn vorhandene Fett auflösen.
INTENDIS lässt verlauten, dass es sich bei ATX-101 um ein vielversprechendes Produkt handele, mit dem man in dem stärker wachsenden Markt der ästhetischen Medizin Fuß fassen wolle. Man erinnere sich: Das ist die Medizin, die – abgesehen von einer in vielen Fällen sinnvollen wiederaufbauenden Chirurgie nach Unfällen oder Operationen – vor allem Fettabsaugung, das Aufspritzen von Lippen oder Busen- und Penisvergrößerung anbietet. Es ist ein Feld, das von vielen Problemen, Zwischenfällen und sogar Todesfällen begleitet wird. Der „Fall Cora“ – die Pornodarstellerin Carolin Wosnitza starb mit 23 Jahren nach Komplikationen bei ihrer sechsten Brust-OP – hat erst kürzlich tagelang für Schlagzeilen gesorgt.
ATX-101 hat medikamentöse Vorläufer mit den Wirkstoffen Phosphatidylcholin (PC) und Deoxycholat (DC). PC ist bei uns als – nur zweifelhaft wirksames – Mittel zur Senkung zu hoher Fettspiegel im Blut bekannt, LIPOSTABIL heißt das Arzneimittel. Injiziert soll es Fett-Embolien verhindern, kommt aber auch als „Fett-weg-Spritze“ zum Einsatz.
Noch im Frühjahr 2010 hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor der „Lunch- time Lipo“, der Fettbehandlung zwischendurch in der Mittagspause, gewarnt. Das Mittel war nämlich nie zu diesem Zweck zugelassen worden. Dennoch wurde es ohne Vorbehalte bis 2009 verwendet, als MedizinerInnen in Frankreich erstmals unerwünschte Wirkungen beobachteten: Das Fettgewebe hatte sich infiziert. Die Anwendung des Mittels in dieser Indikation wurde daher allgemein verboten, erfolgt in Deutschland aber immer noch im Off-Label-Use, also ohne Zulassung für diese Anwendung.
In dem Mittel ATX-101 ist an die Stelle von PC nun DC getreten. Es soll die Fettzellen in kleinen Fettpolstern wie beim Doppelkinn zerstören. Da der Organismus nach der Pubertät (mit sehr seltenen Ausnahmen) keine neuen Fettzellen mehr bildet, können in den behandelten Zonen keine neuen Fettpolster mehr entstehen. Wo aber bleibt das aufgelöste Fett? Kommt es zu Verhärtungen durch das Zusammenklumpen von Fettzellen? Wer will sicher ausschließen, dass ein solches Mittel nicht auch in großen Fett-Arealen genutzt wird, wie zum Beispiel am Bauch? „Umherwanderndes“ Fett könnte Gefäßverschlüsse und Schlaganfälle provozieren. Es könnte auch zu langfristigen Schäden an den behandelten Haut-Arealen kommen. Nichtsdestotrotz beeilen sich die beteiligten ForscherInnen, ATX-101 als Fortschritt in der ästhetischen Medizin und als erste Injektion für die minimal-invasive Entfernung von Fettablagerungen zu loben.
Die Pharmaforschung scheint in der Krise zu sein, wenn sich eine Firma wie BAYER auf das Feld der ästhetischen Medizin begibt. Mit der „Fett-weg-Spritze“ ist sie auf jeden Fall im Kramladen der ästhetischen Bedürfnisse unserer Zeit angekommen!
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Mabuse – Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe