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Doping

CBG Redaktion

Berliner Zeitung, 18.12.2006

Einigung mit Jenapharm

Die Firma will Dopingopfer entschädigen und spenden

LEIPZIG. Auch gute Nachrichten klingen bisweilen seltsam: „Gerade habe ich eine ehemalige Kugelstoßerin mit einem Tumor aufgespürt“, sagt Werner Franke am Telefon. Der anabolikaabhängige Tumor ist operiert, das wusste Franke, aber nicht, dass die frühere DDR-Athletin ins Schwäbische verzogen ist. Bekanntlich bringt der Heidelberger Molekularbiologe mit kriminalistischem Gespür seit vier Jahrzehnten Dopingtäter aus West und Ost in Bedrängnis. An diesem Wochenende aber fahndet er nach Athleten, denen das Bundesverwaltungsamt gravierende Gesundheitsschäden durch das ostdeutsche Zwangsdoping bescheinigte. Fast 190 Sportler hatte die Politik 2002 über das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz entschädigt. Viele fehlten auf der Liste des Sports, der vergangene Woche 167 Athleten Schmerzensgeld zusagte und damit diesen ostdeutschen Erbteil anerkannte.

Die Kugelstoßerin und andere „gründlichst medizinisch geprüfte Fälle“ will Franke nun mit dem Verein Dopingopferhilfe (DOH) einbezogen wissen. Denn übers Wochenende muss eine neue Liste fertig sein. Schon heute, so hoffen die Anwälte der Geschädigten, könnte die erst vor Tagen überraschend angekündigte Vereinbarung mit der Jenapharm GmbH unterschriftsreif sein. Der Thüringer Arzneimittelhersteller will dem Vernehmen nach 9 250 Euro pro Athlet zahlen. Das wäre exakt jener Betrag, den der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) gibt. Aber anders als der DOSB legt Jenapharm Wert auf Transparenz. Geld sollen zunächst alle vom Bundesverwaltungsamt anerkannten Athleten bekommen.

Leid lindern
Jenapharm produzierte einst die berüchtigten Blauen, das Anabolikum Oral-Turinabol, und andere Hormonsubstanzen, oft nicht einmal für Menschen zugelassen, und lieferte sie an die DDR-Medaillenschmieden. Jahrelang verweigerte das Unternehmen finanzielle Wiedergutmachung. Noch im Oktober signalisierten Anwälte die Abwehr aller Entschädigungsklagen. Noch im November versuchte der von Jenapharm bezahlte Auftragsforscher Lutz Niethammer Reinwaschung, indem er Verantwortung der Firma ins Nirwana „sozialistischer Kollektivstrukturen“ diffundieren ließ. Nun holt das Unternehmen Verantwortung gewissermaßen zurück, ausdrücklich keine juristische.
Aber nach eigenem Bekunden will Jenapharm „einen sozialen Beitrag leisten, um das Leid der Betroffenen zu lindern“. Der unerwartete Kurswechsel könnte vom Agreement mit dem DOSB inspiriert sein. Vielleicht hat er auch damit zu tun, dass ein Gericht der einstigen Weltklasseschwimmerin Karen König für den Rechtsstreit mit Jenapharm Prozesskostenhilfe zusprach. König reichte gerade die erste Klage ein. Die letzte wäre es nicht gewesen, und für Jenapharm wäre ein lang währender Gang durch alle Instanzen, mit Aussagen hormongeschädigter Frauen, kaum geschäftsfördernd. Nach der Übernahme durch Bayer richtet das Unternehmen sein Profil neu aus – ausschließlich auf Medikamente für Frauen.

Furcht vor dem Zorn
Letztlich aber ist zweitrangig, was den Meinungswandel bewirkte. Denn das Unternehmen hat nun die Folgen der Sportchemie erstaunlich sorgfältig bedacht: Über die Einmalzahlung hinaus erwägt Jenapharm eine Großspende. Die angeregte Stiftung des Sports ersetzt das zwar nicht, aber das Geld soll für psychologische und medizinische Betreuung von schwerst geschädigten Opfern verwendet werden. Zudem wäre denen geholfen, deren Schäden erst jetzt auftreten, und denen unter den 600 Betroffenen, die bisher juristischen Streit scheuten. Werner Franke kennt sie fast alle. „Das hat noch immer mit Scham zu tun und Furcht vor dem Zorn alter Sportkameraden.“ Diese Athleten können mit Angaben über ihre Sportbiografie und medizinischen Gutachten auch künftig Schmerzensgeld beantragen. Grit Hartmann