BAYER & der Ukraine-Krieg
Egal, wie lange er noch dauern wird, eines steht jetzt schon fest: Der Ukraine-Krieg markiert eine Zäsur. Er führt zu großen Aufrüstungsprogrammen, Nahrungsmittel-Engpässen, einer klima-katastrophalen Energie-Versorgung und zu einer weiteren Fragmentierung der Weltwirtschaft. Der BAYER-Konzern erkennt zwar den „Primat der Politik“ an, versucht aber mit Verweis auf seine angeblich lebenswichtigen Produkte „Business as usual“ zu betreiben. Und für einige Erzeugnisse wie etwa seine Gen-Pflanzen will er sogar noch etwas mehr rausholen.
Von Jan Pehrke
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Schockwellen ausgelöst. Von einer „Zeitenwende“ spricht Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber diese Zeitenwende hat weniger Russlands völkerrechtswidriger Einmarsch in das Nachbarland eingeläutet als vielmehr die Reaktion darauf. Ein 100 Milliarden schweres Aufrüstungspaket hat die Bundesregierung beschlossen. Vorsichtshalber werden die Maßnamen mit den Umschichtungseffekten, die sie zwangsläufig nach sich ziehen, erst 2027 haushaltswirksam. Überdies entsorgte die Ampelkoalition die Leitschnur, keine Rüstungsgüter in Kriegsgebiete zu liefern, auf dem Müllhaufen der Geschichte. So fanden unter anderem 1.000 bundesdeutsche Panzerabwehr-Waffen und über 1.000 Raketen den Weg in die Ukraine. Daneben beteiligen sich SPD, Grüne und FDP an einem unerklärten Handelskrieg mit Sanktionen, über die Außenministerin Annalena Baerbock sagt: „Das wird Russland ruinieren.“ Sie sind also kein Einsatz, um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen. Eher scheint ein regime change beabsichtigt, was die Kämpfe und damit auch das Leid verlängert. Das „Ende der Illusionen“ (FAZ) zeichnet für diesen Umschwung verantwortlich, ganz so, als sei die NATO immer die Avantgarde der Friedensbewegung gewesen, die jetzt zähneknirschend ihre Pflugscharen zu Schwertern umschmieden müsse, als wäre „Wandel durch Handel“ je mehr gewesen als ein Instrument zur Gewinnung neuer Absatzmärkte und als wäre Krieg nicht immer eines: das Ergebnis eines Versagens der Politik.
An diesem Versagen hatte der Westen so einigen Anteil. Er hatte in der Region über Jahrzehnte hinweg seinen Einfluss vergrößert und mit den NATO-Osterweiterungen die Sicherheitsinteressen Russlands missachtet. Um die Ukraine gab es zwischen der EU und Russland ein ewiges Gezerre, das die Spaltung im Land vertiefte. Lange war dabei „Soft Power“ das probate Mittel, bis Russland die Krim annektierte. Nicht zu Unrecht verwies der Staat dabei auf den „Vorbild-Charakter“ des Agierens der USA und ihrer Verbündeten in Sachen „Kosovo“. Seit dieser Landnahme gärte es in der Ukraine. Aber Raum für Verhandlungslösungen tat sich trotzdem noch auf, nur wurden die Möglichkeiten, welche beispielsweise die Minsker Abkommen boten, nicht genutzt.
Den Einmarsch rechtfertigt das alles nicht. Für eine militärische Aggression auf so breiter Front, die der Ukraine chauvinistisch das Existenz-Recht abspricht und überdies massenhaft zivile Opfer in Kauf nimmt, gibt es keine Entschuldigung. Neben Tausenden von Toten und Millionen von Flüchtlingen als augenfälligsten Folgen richtet der Krieg auch einen immensen wirtschaftlichen Schaden an. Vor allem in Deutschland und anderen EU-Staaten sowie in Ländern des Globalen Südens zeigen sich die Auswirkungen. Bis zu Hunger- und Energie-Krisen reichen die Effekte. Als peripherer Staat in die kapitalistische Welt-Ökonomie angegliedert, kommt Russland nämlich die Rolle zu, die Industrie-Staaten mit Rohstoffen für die Energie- und Nahrungsmittel-Produktion zu versorgen. Was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse angeht, hat auch die Ukraine eine bedeutende, aber nicht sehr einträgliche Funktion zu erfüllen, denn das Land gilt mit seinen fruchtbaren Böden als Kornkammer Europas und exportiert viel Weizen, Mais, Sonnenblumen- und Rapsöl. Jetzt steht es allerdings schlecht um diese Lieferketten für Gas, Getreide & Co., und dementsprechend steigen die Preise.
Und BAYER?
Mit all dem hat auch der BAYER-Konzern umzugehen. In der Ukraine ist vor allem seine Landwirtschaftssparte CROP-SCIENCE aktiv. So hat der Global Player 2018 im westukrainischen Pochuiky für 200 Millionen Dollar eine neue Aufbereitungsanlage für Mais-Saatgut fertig-gestellt. Rund 2.500 Bauern und Bäuer*innen beliefert er seither von dort aus. „Diese Investition zeigt BAYERs starkes Engagement in der Ukraine. Mit einer über 25-jährigen Erfolgsgeschichte in der Ukraine spielen wir eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Agrar-Sektors im Land“, sagte der Cropscience-Manager Dr. Dirk Backhaus bei der Inbetriebnahme. Der Umfang der Geschäfte in dem osteuropäischen Staat hält sich allerdings in Grenzen, zum Gesamt-Umsatz des Unternehmens tragen die Niederlassungen mit ihren 700 Beschäftigten weniger als ein Prozent bei.
Da ist der Anteil, den die 1.800 Belegschaftsangehörigen in Russland erwirtschaften, schon höher. Er beläuft sich auf rund zwei Prozent. Und noch im Juni 2021 schwärmte BAYERs Russland-Chef Niels Hessmann von den guten Bedingungen, welche die Aktien-Gesellschaft vor Ort zur Generierung ihrer Profite vorfindet. „Die Ausweitung der staatlichen Programme, um eine bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, zeigt deutlich Wirkung“, so Hessmann. Bei den aus dem Ausland importierten Arzneimitteln nimmt „Made in Germany“ die Spitzenstellung ein. Der Leverkusener Multi freute sich besonders über den Absatz seines Gerinnungshemmers XARELTO. „In der Region Europa/Nahost/Afrika ist der Umsatz der Division Pharmaceuticals vor allem aufgrund einer erhöhten Nachfrage nach XARELTO in Russland auf 4.500 Mio. € gestiegen“, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht. Im Agrar-Bereich lief es ebenfalls rund. „Aber auch in der Landwirtschaft, in der Russland durch seine Importsubstitutionspolitik und durch Effizienz-Steigerungen immer produktiver wird, entwickelt sich das Land zu einem richtigen Export-Champion, der viele Länder aus der ganzen Welt beliefert“, sagte Hessmann in der Geschäftsklima-Umfrage der „Deutsch-Russischen Außenhandelskammer“. Im Jahr 2020 gab der Leverkusener Multi Pläne bekannt, in dem Land ein eigenes Pestizid-Werk zu errichten, für das der Spatenstich allerdings noch nicht erfolgt ist. Bisher kooperiert er bei der Fertigung mit dem einheimischen Anbieter AGROCHEMIKAT und stellt mit ihm zusammen 15 agro-chemikalische Produkte her. Zudem muss der Konzern ein Forschungszentrum aufbauen und ganz allgemein einen Wissenstransfer leisten – das waren die Auflagen der Behörden bei der Genehmigung der MONSANTO-Übernahme. Auch damit wollte der Staat die Eigenversorgung im Rahmen seiner Importsubstitutionspolitik stärken, zu denen ihn die internationalen Sanktionen nach der Annexion der Krim zwangen.
Wegen der guten Gewinn-Aussichten wollte BAYER dann in Russland auch „Business as usual“ betreiben. Andere Erwägungen, wie etwa die Ablehnung des Wirtschaftskriegzieles, das Land zu ruinieren, spielten dabei keine Rolle. Der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann hatte sich auf der Bilanzpressekonferenz am 1. März zwar prinzipiell zum „Primat der Politik“ bekannt, aber zugleich erklärt: „Sofern es keine weiteren Einschränkungen gibt, werden wir an dem Geschäft festhalten.“
Keine zwei Wochen später sah das schon ganz anders aus. „BAYER stoppt nicht-essenzielle Geschäfte in Russland und Belarus“ meldete das Handelsblatt. Der Konzern gab dem öffentlichen Druck nach und erklärte, alle Werbe-Maßnahmen einzustellen und Investitionsprojekte vorerst nicht weiter zu verfolgen. Es bleibt jedoch noch genug übrig. „Der Zivilbevölkerung wesentliche Gesundheits- und Landwirtschaftsprodukte vorzuenthalten – wie zur Behandlung von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gesundheitsprodukte für Schwangere und Kinder sowie Saatgut für den Anbau von Nahrungsmitteln – würde die Zahl an Menschenleben, die dieser Krieg fordert, nur vervielfachen“, verlautete aus der Unternehmenszentrale.
In diesem Jahr hat der Leverkusener Multi den Bauern und Bäuerinnen schon die Betriebsmittel geliefert. Für die Anbau-Saison 2023 stellte er einen Verkauf allerdings in Frage. Der Konzern macht ihn davon abhängig, „ob Russland seine durch nichts zu rechtfertigenden Angriffe auf die Ukraine beendet und zu einem Weg der internationalen Diplomatie und des Friedens zurückkehrt“. Diese Einschränkungen brachten den Konzern allerdings nicht von den Schwarzen Listen mit denjenigen Firmen herunter, die weiterhin Handelsbeziehungen mit Russland unterhalten. Und auch der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyj stellte BAYER in seiner Rede vor dem US-amerikanischen Kongress dafür zusammen mit der BASF, NESTLÉ, SANOFI und weiteren Global Playern an den Pranger.
Systemrelevanz
Der Leverkusener Multi aber beansprucht für sich und seine Erzeugnisse System-Relevanz, obwohl gerade seine Pharma-Produktpalette nun wirklich keine unbedingt benötigten Medikamente bereithält. Er möchte nämlich Ausnahmeregeln für sich in Anspruch nehmen und seine Transaktionen weiter über das internationale Zahlungssystem SWIFT abwickeln können, aus dem die Europäische Union etliche russische Banken ausgeschlossen hat.
Sich derart zu positionieren, ist auch in Bezug auf das wichtig, was Werner Baumann in einem Interview als die „Sekundär- und Tertiär-Effekte“ des Ukraine-Krieges bezeichnet hat: dessen Auswirkungen auf die Stromversorgung der energie-intensiven Chemie-Industrie. Die Kampf-Handlungen sorgten für ein massives Anziehen der Preise, da Russland für Deutschland der wichtigste Lieferant ist. 55 Prozent des Gases, 50 Prozent der Steinkohle und 35 Prozent des Öls kommen von dort – bzw. kamen vor dem Krieg. Nun droht eine Verknappung. Am 24. März forderte der „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW) die Bundesregierung auf, eine Frühwarnstufe auszurufen. Gespräche über eine Notfall-Planung führte der BDEW mit dem „Bundesverband der Industrie“ und der Bundesnetzagentur bereits. Und hier forderte Baumann in einem Interview mit dem Podcast The Pioneer Briefing eine besondere Berücksichtigung BAYERs ein. Der Konzern will mit von der Partie sein, „wenn es darum geht, sehr kritische Produktion im Verhältnis zu weniger kritischen Produktionen zu privilegieren“. N-TV gegenüber verwies der Unternehmenschef zur Begründung dieses Anspruchs nicht nur auf seine Arznei-Fertigung, sondern betonte darüber hinaus die Schlüsselstellung der ganzen Branche. Aus der Chemie heraus würden alle anderen Industrien bedient, so Baumann: „Wenn vorne an der Kette etwas herausfällt, können gesamte Folge-Industrien nicht mehr produzieren.“ Auf die Frage „In welchen Ländern wäre die Energie-Versorgung sicherer?“ antwortete er: „Ich würde mal sagen: in fast allen.“
Darum entfaltet der Leverkusener Multi auch eigene Aktivitäten. Laut Baumann „sind unsere Einkäufer dabei, Energie-Quellen für unsere Energie-Bezüge zu sichern“. Auch bei der Mission von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar war BAYER dabei. Ein Kappen der Energie-Zufuhr aus Russland lehnte der Ober-BAYER der Neuen Zürcher Zeitung gegenüber ebenso vehement ab wie BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der bekundet hatte: „Es ergibt wenig Sinn, sich selbst mehr zu bestrafen als den Aggressor.“ Baumann ließ sich dazu in dem schweizer Blatt mit den Worten vernehmen: „Ich habe große Sympathie für Leute mit dieser Maximal-Position, weil sie aus tiefster Überzeugung sagen, hier passiere ein himmelschreiendes Unrecht (…) Die Lage ist aber viel komplexer. Wenn es Energie-Engpässe in Deutschland gäbe, würde wie beschrieben ein großer Teil der Wirtschaft stillstehen. Die Größenordnung der sich daraus ergebenden volkswirtschaftlichen Verwerfungen ist vielen Menschen nicht bewusst.“ Dementsprechend zufrieden zeigte er sich mit der Politik der Bundesregierung, die sich strikt gegen einen Boykott wendet und deshalb auf europäischer und internationaler Ebene viel einstecken muss. Sie mache „einen hervorragenden Job“, lobte Baumann. Darum gehörte er mit zu den Unterzeichnern eines Briefes von Chemie-Manager*innen, die sich bei Habeck für die „differenzierte Argumentation“ in der Sache bedankten.
Selbstverständlich befürwortete der Konzern, dessen jährliche Stromrechnung sich auf ca. 500 Millionen Euro beläuft, auch das russisch-deutsche Pipeline-Projekt „Nord Stream 2“. Im Dezember 2019 hatte sich der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ bei einem Meeting mit Wladimir Putin, an dem Baumann teilnahm, nochmals für das Vorhaben ausgesprochen. Und gegen die 2014 nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen sprachen sich die Bosse bei der Zusammenkunft, welche die Bild-Zeitung „ein Treffen der Schande“ nannte, ebenfalls aus, „denn die Milliarden, die dadurch verloren gehen, könnten in die Wiederherstellung der Wirtschaft und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents investiert werden“.
Ein massiver Rollback
Der Preisanstieg im Energie-Bereich durch den Krieg verhilft der Kohle zu einem unverhofften Comeback, und die Strom-Riesen gerieren sich dabei auch noch als Helfer in der Not. Bei RWE hört sich das dann so an: „Um die Versorgung zu sichern, bietet der Konzern der Bundesregierung an, seine Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen.“ Die von der Ampelkoalition „idealerweise“ geplante Vorverlegung des Kohleausstiegs auf 2030 dürfte damit passé sein – „Kollateralschaden Klimapolitik“ resümierte die Rheinische Post treffend. Die Auswirkungen der militärischen Auseinandersetzung auf die Nahrungsmittel-Produktion ziehen ebenfalls einen Politik-Wechsel nach sich. Die EU gab aus Gründen des Artenschutzes stillgelegte Flächen wieder für die landwirtschaftliche Nutzung frei. Zudem hat sie wichtige Vorhaben zur Agrar-Wende wie etwa die Reduzierung des Pestizid-Verbrauchs um 50 Prozent bis 2030 vorerst aufs Eis gelegt.
Und BAYER ergreift die passende Gelegenheit, um die Gentechnik als Problemlöser ins Spiel zu bringen. Werner Baumann nennt das Kind in seinem „Gemeinsam gegen den Hunger“ überschriebenen FAZ-Beitrag jedoch nicht beim Namen – „eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft“ heißt es dort stattdessen, die es „frei von Ideologien und Emotionen, fakten-basiert und entschlossen“ anzugehen gelte. Andernorts spricht er von einer „modernen Landwirtschaft“ und tritt für „innovative Lösungen“ ein.
Der „Verband der Chemischen Industrie“ kennt derweil gar keinen Halt mehr und will im Zuge der Ausnahmesituation gleich alles abräumen, was ihn schon immer störte: die EEG-Umlage, die angeblich zu hohen Energiesteuern, den Kohleausstieg, die Brüsseler Chemikalien-Strategie und das Lieferketten-Gesetz. Es droht also momentan ein gigantischer Rollback auf diversen Politikfeldern, und zwar unabhängig von der Länge und dem Ausgang des Krieges. Besonders dramatisch stellt sich das im Hinblick auf den Klimaschutz dar. Da hier die Frist für eine Lösung abläuft, besteht die Gefahr, die letzte Chance zu vergeben, die noch existiert. ⎜