Zum richtigen Zeitpunkt, mitten in einer Phase, da BAYER und die anderen großen Konzerne den weltweiten Agro-Markt neu unter sich aufteilen, veröffentlicht der australische Agrarexperte Andre Leu seine breit aufgestellte Arbeit über den Stellenwert der Pestizide in unserem täglichen Leben: „Poisoning Our Children“ – so der englische Titel.
Von Dr. Gottfried Arnold, Kinderarzt
In dem Buch von Andre Leu nehmen die vielfältigen Gesundheitsgefahren, die von Pestiziden für alle Menschen – besonders aber für die Kleinsten und Kinder im Mutterleib ausgehen – einen angemessen umfangreichen Raum ein. Die enorme Menge an Fakten, die der Autor akribisch zusammengetragen hat und hier vorstellt, gibt eine hervorragende Einführung in die weitläufigen Folgen der globalen Verteilung der Agro-Chemikalien, die nicht nur in Deutschland „Pflanzenschutzmittel“, sondern z. B. auch in Indien verharmlosend „Pflanzenheilmittel“ genannt werden.
Leu erweist sich als guter Kenner der in großem Umfang rasch anwachsenden Literatur und greift dabei auch immer wieder auf Standardwerke namhafter WissenschaftlerInnen zurück, wie z. B. auf „Reducing Environmental Cancer Risk – What We Can Do Now“, den Jahresbericht der Krebs-ExpertInnen von 2008/9, dessen Adressat der US-amerikanische Präsident war.
In dem fesselnd geschriebenen Buch führt der Australier aus, welche gesundheitlichen Auswirkungen die Pestizid-Anwendung in Tierversuchen zeigt, sowohl in der Schwangerschaft als auch im späteren Leben. Von Fehlbildungen und Stoffwechselerkrankungen wie Übergewicht und Zuckerkrankheit über Leber- und Nieren-Schädigigungen bis hin zum Ausbruch von Krebs reichen die Risiken und Nebenwirkungen. Die in der Schwangerschaft gezeigten Effekte auf den sich entwickelnden Organismus sind die weitaus schlimmsten, weil sie unumkehrbar sind, so Leu.
Er erklärt ebenfalls, wie die Übertragung schädlicher Chemikalien-Wirkungen auf nachfolgende Generationen (epigenetische und transgenerationale Effekte) zustande kommt und klagt an, dass weder Hersteller noch Zulassungsbehörden diesem bedeutungsvollen Phänomen Rechnung tragen. Anschließend zieht er eine Verbindung zwischen den Ackergiften und der ungeklärten Zunahme vieler dieser Krankheiten beim Menschen und belegt das u. a. mit vielen angefügten Diagrammen über die Zunahme eben dieser Erkrankungen in den letzten 30 – 40 Jahren, die eine deutliche Parallele zu der zunehmenden Anwendung z. B. von Glyphosat aufweist.
Schonunglos beobachtet er dabei, wie die Zulassungsbehörden in aller Welt (Australien, USA, EU) wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren und so ihren Auftrag, einen Schutz vor den allgegenwärtigen und oft hormon-schädlichen Pestiziden zu bieten, verfehlen. Dabei erfährt mensch auch, wie die Grenzwert-Ermittlung von noch erlaubten Pestizid-Rückständen in Lebensmitteln zustande kommt: Ausgehend von der Menge, die man zur Beseitigung eines Unkrautes benötigt, wird die Rückstandsmenge in einer Feldfrucht bestimmt. Dann schätzt die Behörde, wie viel von dieser Feldfrucht pro Tag gegessen wird. Liegt das Produkt der Multiplikation unter der erlaubten Tagesdosis, ist das die Rückstandshöchstmenge. Nach Rückständen der am häufigsten angewendeten Substanz, dem Glyphosat, werde in den USA jedoch nicht systematisch gesucht, kritisiert der Biobauer.
Den verbreiteten Irrglauben (Mythos 2), sehr kleine Mengen von Pestiziden könnten doch vernachlässigt werden, widerlegt er in klaren und verständlichen Worten. Die fehlende Beachtung der vielen Kombinationswirkungen der Pestizide mit anderen Mitteln oder chemischen Stoffen geißelt er ebenso als unwissenschaftlich wie das Vorgehen von Herstellern und Behörden, nur die „Wirkstoffe“ und nicht die z. T. sogar noch giftigeren „Hilfsstoffe“ zu untersuchen und zu bewerten.
Besonders fesselnd und entlarvend sind bei der Auseinandersetzung mit den Aufsichtsbehörden die aktuellen Auswertungen der sog. „Monsanto-Papiere“, die im Zusammenhang mit der Klage eines nach der Anwendung von Glyphosat an Krebs erkrankten Landwirtes in den USA bekannt geworden sind. Auch hier finden interessierte LeserInnen Literaturhinweise bzw. die Angabe der Internetseite der klageführenden AnwältInnen.
So bedrückend die Situation auch ist, es gelingt dem Autor, wie einleitend bereits angekündigt, einen Ausblick und einen Ausweg aufzuzeigen. Dabei vergleicht Leu als Agrarexperte und langjähriger Präsident der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen IFOAM uneingeschränkt kritisch und differenziert die konventionelle und biologisch orientierte Landwirtschaft. Überzeugend räumt er mit dem Irrglauben (Mythos 5) bzw. der Pestizid-Lüge auf, ohne Ackergifte würde die Menschheit verhungern. Die klaren Vorteile von Bio-Lebensmitteln belegt er z. B. mit einer großen norwegischen Untersuchung, bei der Mütter, die sich in der Schwangerschaft mit überwiegend biologischen Lebensmitteln ernährten, signifikant seltener Jungen mit Penis-Fehlbildungen (Fehlmündung der Harnröhrenöffnung) oder Hodenhochstand zur Welt brachten. Als Agrarexperte ist er auch in der Lage, den Erfolg von Bio-Landwirtschaft bei Kleinbauern und -bäuerinnen in Entwicklungsländern darzustellen. Nachhaltigkeit, bessere Bodenfruchtbarkeit und -widerstandsfähigkeit gegen extreme Wetter-Ereignisse bilden einen globalen Vorteil, resümiert er.
Leu legt ein umfassendes und spannend geschriebenes Buch über Pestizide vor, welche die Biodiversität und die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen und schließt mit Vorschlägen, wie wir uns und unsere Kinder schützen können: Ein gelungenes Werk mit vielen Literaturangaben und bedenkenswerten Diagrammen, dem man gerne weite Verbreitung wünscht. ⎜
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) lehnt Tierversuche ab. Ihrer Ansicht nach braucht es sie nicht, um die Gefährlichkeit eines Stoffes zu prüfen. Darum setzt sich die Coordination bereits seit Langem dafür ein, dass bei BAYER und anderswo mehr Alternativ-Verfahren zum Einsatz kommen.