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Die Katastrophen-Bilanz

Marius Stelzmann

Zwei Jahre nach der Chem„park“-Explosion

Am 27. Juli 2021 flog im Entsorgungszentrum des Leverkusener Chem„parks“ das Tanklager in die Luft. Sieben Menschen starben, 31 Personen trugen zum Teil schwere Verletzungen davon. Einhelliger Tenor damals: Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit so etwas nie wieder geschehen kann. Und wie steht es heute um diesen Vorsatz? Die Bilanz fällt verheerend aus.

Von Jan Pehrke

Es war das größte Chemie-Unglück in der Geschichte Nordrhein-Westfalens: Die Explosion im Leverkusener Chem„park“ der CURRENTA kostete sieben Menschen das Leben und fügte 31 Personen zum Teil schwere Verletzungen zu. Im Tanklager des Entsorgungszentrums hatte sich die Katastrophe ereignet. Ihren Ausgangspunkt nahm alles in einem der Tanks. Dort heizte sich eine über der Selbsterwärmungstemperatur gelagerte Agro-Chemikalie der dänischen Firma AGRICULTURAL SOLUTIONS A/S auf, was zu einer immensen Hitze-Entwicklung und einem entsprechenden Druck-Anstieg führte. Irgendwann überstieg das den Auslegungsdruck des Behältnisses – es ging hoch. Nachfolgend vermischten sich dann die austretenden Stoffe mit der Luft und lösten einen Brand aus, der auch auf die Nachbar-Tanks übergriff.

Noch in 40 Kilometer Entfernung von der Unglücksstelle schlugen die Messgeräte des nordrhein-westfälischen Geologischen Dienstes aus, eine solche Kraft hatten die Druckwellen. Die Rauchwolke zog über das ganze Bergische Land bis nach Dortmund hin. „Ich dachte, ein Flugzeug wäre auf unserem Hausdach gelandet“, so beschrieb eine Anwohnerin ihre erste Reaktion.

Die Schlussfolgerungen erschienen klar. „Als Betriebsräte erwarten wir, dass die Ursachen detailliert aufgeklärt werden. Wir müssen verstehen, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Denn eines ist klar: So etwas darf nie wieder passieren“, hielt Detlef Rennings, der CURRENTA-Betriebsratsvorsitzende unmissverständlich fest. „Natürlich werden wir uns dafür einsetzen, dass aus den Erkenntnissen konkrete Maßnahmen abgeleitet werden und dass wir als Unternehmen und Belegschaft daraus lernen“, kündigte er an.  Und Norwich Rüße, der damalige umweltpolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, mahnte Handlungsbedarf an: „Klar ist bereits jetzt: Dieser erneute Störfall in einem Chemie-Betrieb muss Anlass sein, störfallanfällige Chemie-Anlagen weiter in puncto ‚Sicherheit’ zu optimieren.“

DIE COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAH-REN (CBG) erhob ähnliche Forderungen. Der BAYER-Konzern hatte zwar im Jahr 2019 seine 60-prozentige Beteiligung an der CURRENTA verkauft, stand aber nach Ansicht der Coordination immer noch in der Verantwortung. Der Leverkusener Multi war es nämlich, der einst nicht nur das gesamte Entsorgungszentrum mit dem Tanklager und den Verbrennungsöfen errichtet hatte, sondern auch die ganze Chem„park“-Struktur inklusive seiner (Un-)Sicherheitsarchitektur schuf, die sich am 27. Juli 2021 nicht zum ersten Mal als sehr störanfällig erwies. Überdies ist der Global Player Großkunde bei der CURRENTA. Nur LANXESS liefert noch mehr Produktionsrückstände ein.

Die CBG verfolgte deshalb alles, was sich seit diesem fatalen Datum auf dem Gelände tat, sehr genau und musste mitansehen, wie alles sehr schnell wieder seinen kapitalistischen Gang nahm. Die CURRENTA versucht alles, um sich auf leisen Sohlen dem Business as usual zu nähern. Flankenschutz erhält sie dabei von dem Gutachter Dr. Christian Jochum, den die Bezirksregierung ihr an die Seite gestellt hat. Der Chemiker lässt sich bei seiner Arbeit nämlich von den ökonomischen Argumenten der CURRENTA sowie deren Geschäftspartnern wie BAYER leiten, die ihre Abfälle loswerden müssen und in Nordrhein-Westfalen schon einen „Entsorgungsnotstand“ ausriefen. Folgerichtig treibt ihn vornehmlich die Frage um, „unter welchen Bedingungen es verantwortet werden kann, die Anlage schrittweise wieder in Betrieb zu nehmen“.

Und mit Antworten war er schnell bei der Hand. Jochum segnete das Anlaufen von immer mehr Verbrennungslinien ab. Die Zustimmung der Bezirksregierung dazu blieb stets reine Formsache. Im Moment liegt dieser der Antrag über die letzte der vier noch nicht wieder laufenden Verbrennungslinie zur Prüfung vor. Auch gab der Gutachter die Verbrennung von immer mehr Stoffen frei. Von 31 auf 46 und schließlich auf 80 stieg die Zahl. Zur letztmaligen Erhöhung schrieb er zur Begründung, diese sei nötig, um die Drehrohröfen besser auszulasten „und dem Entsorgungsauftrag nachzukommen“. Dabei nutzt das Unternehmen die Chemikalien nur zur Feuerung und könnte dafür einfach Heizöl verwenden, aber das ist eben teurer. So greift die CURRENTA dann zur billigeren Variante und nimmt dabei sogar ein höheres Risiko in Kauf. Einige der Erzeugnisse haben es nämlich durchaus in sich. So ist eine Substanz darunter, welche die gleiche chemische Eigenschaft hat wie diejenige, die am 27. Juli 2021 die Kettenreaktion ausgelöst hat: Ab einem bestimmten Grad der Erhitzung ist Gefahr in Verzug. Bei 107 Grad liegt Jochum zufolge die „Grenztemperatur der sicheren Handhabung“, weshalb die „Überwachungsstufe 1“ gilt.

Ob es dieser Stoff ist, für den die CURRENTA eine Ausnahme von der nach der Explosion eingeführten Regel erreichen will, alle eingehenden Lieferungen vor der Verbrennung selbst noch einmal genau in Augenschein zu nehmen, war nicht zu klären. Ungeachtet dessen reagierten die AnwohnerInnen alarmiert auf die Absicht, die Prüfung in diesem Fall dem Erzeuger des Sondermülls zu überlassen.

Gelernt haben die ManagerInnen anscheinend nichts aus der Katastrophe. Sie verfolgen nur das Ziel, möglichst schnell wieder eine 100-prozentige Auslastung der Öfen zu erreichen. Störfälle können dabei schwerlich ausbleiben. So kam es am 5. Januar im Materialbunker des Entsorgungszentrums zu einem „unkritischen“ (O-Ton Bezirksregierung) Brandereignis. Am 20. Juni meldete die CURRENTA einen „Kleinbrand“ auf einer Böschung vor den Brennöfen, und in der Nacht zum 2. Juli schreckte ein Knall die AnwohnerInnen auf.

Überdies zwang eine anonyme Anzeige wegen Mängeln bei den Schutzmaßnahmen die Bezirksregierung zum Handeln. Sie führte eine unangemeldete Inspektion durch und machte „Abweichungen bei der Gefahrenabwehr-Organisation“ aus. „Diese Abweichungen betreffen die ständige Besetzung der Sicherheitszentralen an den einzelnen Standorten“, so die Behörde. Doch damit nicht genug:  Am 14. Juli trat auf dem Chem„park“-Gelände auch noch eine Chemikalie aus, weil sich an einer Rohrbrücke eine Leckage gebildet hatte.

Informationen über diese Vorfälle flossen nur spärlich. Und über die Art der Stoffe, für welche die CURRENTA jetzt wieder eine Lizenz zur Verbrennung hat, schweigt die Firmen-Leitung sich ganz aus – Betriebsgeheimnis.  Mit der vielbeschworenen Transparenz-Initiative des Unternehmens ist es ganz offensichtlich nicht weit her. Es hat „auf ausdrücklichen Wunsch der Bezirksregierung Köln und des Umweltministeriums NRW“ zur Verbesserung der Kommunikation lediglich einen „Begleitkreis“ für interessierte BürgerInnen und Verbände ins Leben gerufen. Entscheidungsgewalt hat das Gremium freilich keine, es darf die Prozesse – wie der Name schon sagt – lediglich begleiten.

Die Bilanz der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fiel deshalb eindeutig aus: „Die Zeichen stehen auf ‚Business as usual’. Die CURRENTA tut alles dafür, um aus der Entsorgung wieder ein lukratives Geschäftsfeld machen zu können, und die Bezirksregierung unterstützt dieses Anliegen tatkräftig, obwohl das Profit-Streben die eigentliche Ursache für die Explosion vom 27. Juli 2021 darstellt. Bei einem geringeren Sondermüll-Aufkommen hätte es der Tanks, die an dem Tag hochgingen, gar nicht bedurft. Sie dienen nämlich nur als Zwischenlager für die Produktionsrückstände, welche die CURRENTA aus aller Herren Länder akquiriert hat.“

Am 2. Jahrestag der Katastrophe trug die CBG diese Kritik auch nach Leverkusen. Sie baute vor dem Rathaus der Stadt eine mobile Ausstellung zu der Explosion vom 27. Juli 2021 auf, die Studierende der Universität Wuppertal konzipiert hatten und hielt eine Kundgebung ab. Auf dieser sprachen außer dem CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann und dem CBG-Aktivisten Gottfried Arnold noch VertreterInnen der Partei „Die Linke“, der „Klimaliste Leverkusen“ und von PARENTS FOR FUTURE. Benedikt Rees von der Klimaliste rief dabei noch einmal in Erinnerung, dass im Entsorgungszentrum wieder alle Zeichen auf Normalbetrieb stehen, obwohl die Ursache der Explosion noch immer nicht eindeutig feststeht. „Das zeigt uns, wer wirklich hier in der Stadt den Ton angibt“, resümierte er. Dem konnten sich an diesem Tag alle anschließen. ⎜ 

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