Die Multis können sogar die Wissenschaft ins Postfaktische überführen, wenn ihnen die von den ForscherInnen in Studien ermittelten Resultate nicht passen. Mit welchen Mitteln BAYER und SYNGENTA dies bei einer Untersuchung zur Bienengefährlichkeit von Pestiziden versucht haben, enthüllte jetzt die Initiative BUGLIFE, die sich über das britische Informationsfreiheitsgesetz Zugang zu konzern-internen Dokumenten verschafft hatte.
Von Jan Pehrke
Pestizide aus der Gruppe der Neonicotinoide stehen seit Langem im Verdacht, einen wesentlichen Anteil am weltweiten Bienensterben zu haben. Im Jahr 2013 reagierte die Europäische Union dann endlich. Sie entzog BAYERs Saatgutbehandlungsmitteln GAUCHO (Wirkstoff: Imidacloprid) und PONCHO (Clothianidin) sowie der SYNGENTA-Substanz Thiamethoxam vorläufig die Zulassung. Die beiden Unternehmen liefen Sturm gegen die Entscheidung. Sie reichten Klage ein und gaben, um mehr Beweise für die Unschuld ihrer Produkte zur Hand zu haben, beim britischen „Center for Ecology and Hydrology“ (CEH) für drei Millionen Dollar eine Studie in Auftrag.
Die ForscherInnen wollten dabei allerdings nicht nur Honigbienen in den Blick nehmen, sondern auch Wildbienen. Das lehnten die Agro-Riesen allerdings aus Kosten-Gründen ab. Deshalb suchte sich das Institut dafür mit dem „National Environment Research Council“ (NERC) einen anderen Sponsor. Mit diesem erweiterten Rahmen machte sich das CEH dann ans Werk. Seine Untersuchungen erstreckten sich auf 33, insgesamt 2.000 Hektar große Ackerflächen in Deutschland, Großbritannien und Ungarn. Und obwohl sich BAYER und SYNGENTA die Forschungsreinrichtung im Vorfeld vermutlich ganz genau angeschaut haben, fielen die vom Center erhobenen Ergebnisse nicht so ganz im Sinne der Konzerne aus. In Ungarn verringerten sich die Bienen-Bestände nahe eines mit PONCHO behandelten Raps-Feldes um 24 Prozent, während Thiamethoxam keine Effekte auf die Insekten hatte. In Großbritannien stellten sich die Verhältnisse ähnlich dar. In Deutschland hingegen beobachteten die WissenschaftlerInnen kaum Auswirkungen. Sie führten dies darauf zurück, dass neben den mit den Agrochemikalien malträtierten Äckern noch viele Wildpflanzen blühten, die den Bienen als Ausweichquartier dienen konnten.
Der Grad der Schädigung der Populationen korrelierte dabei mit der Menge der Pestizid-Rückstände in den Bienenstöcken. Dort wies das CEH sogar noch das seit 2013 mit einem weitgehenden Ausbring-Verbot belegte Imidacloprid nach. Die Neonicotinoide können sich offenbar länger als gedacht in der Umwelt halten und so auch auf Wildblumen übergreifen, welche die Bienen zum Sammeln von Nektar und Pollen nutzen, schlossen die ForscherInnen.
Nach einem Freispruch erster Klasse schien das alles nicht auszusehen. Darum wollten BAYER und SYNGENTA die Studie ein wenig „aufhübschen“. Als Instrument hierzu hatten sie sich die erhobenen Daten auserkoren. In dutzenden Mails verlangten die Konzerne vom CEH die Herausgabe der Zahlen-Kolonnen zu den Wildbienen-Untersuchungen – die zu den Honigbienen-Experimenten hatten sie als alleinige Geldgeber schon. „Wir glauben, als Mitbesitzer (sic) haben wir Anspruch auf einen grenzenlosen, vollständigen und schnellen Zugang zu allen Daten und Informationen, einschließlich – aber nicht nur – zu den Daten, die Rohdaten genannt werden“, schrieb BAYER an das Institut. Und in einer weiteren Mail sprach ein Beschäftigter des Leverkusener Multis den WissenschaftlerInnen ins Gewissen: „Ich bin sicher, Sie verstehen, dass meine Kollegen immer noch perplex sind, dass ihnen als Mitbesitzer der Rohdaten immer noch der Zugang verwehrt wird, was unsere eigene Analyse vor der Publikation praktisch unmöglich macht.“
Als Laie erscheint einem dieses Ansinnen nicht ganz verständlich: Woher rührt dieses Interesse an den Daten, was gibt es an denen denn schon zu rütteln, stehen sie doch wie nichts anderes für die wissenschaftliche Objektivität? Aber für BAYER und SYNGENTA tun sie das mitnichten. Die beiden Global Player halten sich an die Vorsilbe „roh“ und betrachten Roh-Daten lediglich als Rohstoff, als Ausgangsmaterial, das noch viele Gestaltungsoptionen bereithält. Und einen Ansatzpunkt dafür hatte die CEH-Forscherin Rosemary Hails nach Ansicht des Leverkusener Multis selbst geliefert. „Während des Meetings, das Sie am 13. Oktober im CEH abhielten, diskutieren Sie mit meinen Kollegen Name im Dokument geschwärzt, Anm. SWB mögliche alternative statistische Ansätze und Methoden, um die in der Studie generierten Daten besser zu verstehen“, rief er der Wissenschaftlerin ins Gedächtnis. Auf solche „Verständnis-Hilfen“ wartete der Pillen-Produzent jetzt. Der Einfachheit halber schlug er dem CEH auch gleich selber eine Reihe „alternativer Methoden und Ansätze“ vor. Als Mittel der Wahl dazu dienten ihm die „Co-Variablen“. Diese erschienen BAYER hervorragend geeignet, um die Kausal-Beziehung zwischen den Pestiziden und dem Bienensterben zu lockern und das Augenmerk auf andere Faktoren zu lenken. „Wir vermissen einige wichtige Co-Variable“, hieß es deshalb in einer Mail. Als solche brachte der Konzern etwa „Wetter-Daten, die das Verhalten der Bienen beeinflusst haben könnten“ ins Spiel. Insbesondere von der Kraft der Sonne erwartete die Aktien-Gesellschaft einiges, weshalb sie für ein „sunshine only“-Modell plädierte. Auch agro-chemikalische Vorschädigungen der Bienen hätte sie gerne mit den neuen Zahlen verrechnet. Der Leverkusener Multi machte sich sogar selbst ans Forschungswerk. Er rekonstruierte mit einigem Zeitaufwand die Roh-Daten der Wildbienen-Testreihen und führte zusätzliche „statistische Analysen“ durch. Und diese Mühe lohnte sich seiner Ansicht nach. Von „interessanten Funden“ kündete er dem CEH. Dieses hatte in seinem Bericht zwar schon viele Veränderungen vorgenommen, wie BAYER lobte, aber leider kein Feedback zu den Fernstudien aus Leverkusen gegeben, „was überraschend ist“.
Das Center verweigerte sich auch den Vorschlägen, mehr Co-Variable einzubeziehen: „Unserer Meinung nach sind Sonnenschein und Vorschädigungen beliebige Faktoren.“ Es blieb bei seinem Ansatz und verbat sich jegliche Einmischungsversuche. „Ich würde gerne wissen, was wir ihrer Meinung nach hätten tun sollen. Wenn Du negative Resultate bei den Schlüssel-Parametern findest – die Anzahl der Bienen in den Bienenstöcken, die Anzahl der Bienen, die den Winter überlebt – wie sollten wir das ihrer Meinung nach präsentieren? Wie sollten wir das in einer unvoreingenommenen Weise interpretieren“, fragt der Forscher Ben Woodcock. Richtiggehend erbost zeigt er sich über das Verhalten von BAYER und SYNGENTA: „Mich schockt, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken statistisch fehlerhafte (…) Studien veröffentlichen können, die keine Effekte ausweisen und dann jede Studie, die negative Effekte dokumentiert, als statistisch fehlerhaft und nicht repräsentativ in Stücke reißen.“ Seiner Meinung nach waren die beiden Konzerne nur darauf fixiert, das Ergebnis zu erhalten, das sie auch erhalten wollten. Wirklich gewundert hat den Wissenschaftler das nicht. „Ehrlich gesagt war ich nicht überrascht davon, dass sie nicht glücklich waren“, so Woodcock. Und er wusste auch, warum: „Hier sind massive wirtschaftliche Interessen im Spiel.“
Diesen getrotzt zu haben, verlangt Respekt. Und das umso mehr, als der Email-Verkehr offenbart, was für einen Druck die Agrar-Riesen ausgeübt haben. Zugleich dokumentiert der Schriftwechsel, wie wenig Rechte die WissenschaftlerInnen bei der Auftragsforschung eigentlich besitzen. So steht es dem jeweiligen Auftraggeber zu, auf die erhobenen Daten Besitzansprüche anzumelden und damit anzustellen, was er will – Möglichkeiten bzw. Co-Variable dazu gibt es offenbar mehr als genug. Auch haben die Konzerne das Recht, auf eine „abgestimmte Kommunikationsstrategie“ zu dringen, um die Resultate besser zu verkaufen. Nur der Standhaftigkeit der CEH-ForscherInnen sowie ihrem Glück, mit dem „National Environment Research Council“ noch einen Co-Sponsor gefunden zu haben, ist es zu verdanken, dass die Strategie von BAYER und SYNGENTA diesmal nicht aufging – und obendrein dank BUGLIFE auch noch an die Öffentlichkeit geriet. Wie viel Fake Science die Konzerne mit diesen Methoden aber bereits produzieren haben, mag mensch sich gar nicht vorstellen.
Und die Räder standen nicht lange still. Nach der Schlappe mit dem „Center for Ecology and Hydrology“ wandten sich die beiden Agro-Riesen an die kanadische „University of Guelph“. Von der bekommen sie dank großzügiger Pflege ihrer wissenschaftlichen Landschaft – BAYER etwa spendete üppig, stiftete einen Lehrstuhl und gab den Aufbau eines 750.000 Dollar schweren Insekten-Gesundheitszentrums in Auftrag – nämlich immer, was sie wollen. Auch dieses Mal enttäuschte die Universität, die dem Leverkusener Multi auf ihrem Forschungsgelände sogar ein eigenes Büro eingerichtet hat, ihre Auftraggeber nicht. Zwei ihrer Forscher analysierten 170 Neonicotinoid-Studien und gaben umgehend Entwarnung: „Die Anwendung von Neonicotinoiden gemäß den Prinzipien guter landwirtschaftlicher Praxis setzt Honigbienen keinem Risiko aus.“
HERVORHEBUNGEN:
Nach einem Freispruch erster Klasse schien das alles nicht auszusehen. Darum wollten BAYER und SYNGENTA die Studie ein wenig „aufhübschen“
„Mich schockt, wie sie ohne mit der Wimper zu zucken statistisch fehlerhafte (…) Studien veröffentlichen können, die keine Effekte ausweisen und dann jede Studie, die negative Effekte dokumentiert, als statistisch fehlerhaft und nicht repräsentativ in Stücke reißen.“