Der AfD-Politiker Roland Hartwig, der am 25. November 2023 an dem Geheimtreffen von Partei-Mitgliedern mit RechtsextremistInnen teilnahm, bekleidete jahrzehntelang hohe Posten beim BAYER-Konzern.
Von Jan Pehrke
Der AfDler Roland Hartwig, der Ende November letzten Jahres in der Potsdamer Villa Adlon mit dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner und anderen Rechten über Deportationspläne diskutierte, nahm über viele Jahre hinweg Spitzen-Positionen beim BAYER-Konzern ein. Aus seiner Gesinnung machte Hartwig in Potsdam kein Geheimnis. So bescheinigte er Sellner bei der Zusammenkunft, sein Buch zum Thema „Remigration“ „gerade mit großer Freude“ gelesen zu haben.
Der Jurist, der über „Vorteilsgewährung und Bestechung als Wirtschaftsstraftaten“ promovierte, trat 1984 in die Rechtsabteilung des Leverkusener Multis ein. 1997 übernahm er dann die Leitung des Patent-Bereichs. Zwei Jahre später stieg Hartwig zum obersten Juristen des Global Players auf mit nach eigener Aussage „weltweiter Verantwortung für die Bereiche Recht, Patente/Lizenzen, Versicherungen, Compliance (ab 2004) und Datenschutz“. Überdies bekleidete er Aufsichtsratsposten bei verschiedenen Tochter-Gesellschaften. 2016, drei Jahre nach seinem Eintritt in die damals gerade gegründete AfD, schied er bei BAYER altersbedingt aus. Auch der gesamten Branche stand Roland Hartwig in seinem Berufsleben zu Diensten. So saß er einst dem Rechtsausschuss des „Verbandes der Chemischen Industrie“ vor.
Noch heute betrachtet der im Jahr 1954 geborene Roland Hartwig es als seine größte Leistung, „[e]inen internationalen Groß-Konzern juristisch durch alle Untiefen geführt zu haben“. Diese „Untiefen“ betrafen vor allem Verfahren, die Geschädigte von BAYER-Erzeugnissen anstrengten, Kartell-Klagen wegen Preis-Absprachen und die Verhandlungen um die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen.
Bei den Produkthaftungsangelegenheiten galt es dabei für die Rechtsabteilung, die finanziellen Belastungen für den Multi möglichst gering zu halten. Besonders gut gelang Hartwig & Co. das im Fall des Cholesterinsenkers Lipobay, den BAYER nach über 100 Todesfällen vom Markt nehmen musste. Dazu nahmen sich die Konzern-JuristInnen alle KlägerInnen einzeln vor, verlangten exakte Nachweise für Lipobay als Ursache der Gesundheitsstörungen und entkräfteten die vorgelegten Belege dann mit einer Armada von eigenen GutachterInnen.
Zur Güte bot das Unternehmen anschließend Kleckerbeträge um die 3.000 Euro an. „Fleddern“ hieß diese Strategie, die half, fünf Sammelklagen abzuwenden und mehr als 9.000 Betroffene leer ausgehen zu lassen. Als „deutsche Lösung“ stieß das auch bei anderen Firmen auf Interesse. Die Wirtschaftswoche äußerte sich anerkennend. „Auch nach Ansicht von Branchen-Kollegen befriedete Hartwig die Klagen professionell und gut“, schrieb die Zeitschrift 2019 und wünschte sich mehr Leute wie ihn im Bundestag. „[E]iner der wenigen früheren Top-Manager im Parlament“, lobte das Blatt.
Vor US-Gerichten verfingen die juristischen Strategien des Chef-Syndikus‘ allerdings seltener. Wegen Medikamenten-Nebenwirkungen und Kartell-Absprachen musste der Pharma-Riese schon vor der Glyphosat-Ära Milliarden-Strafen zahlen. Allein die unerwünschten Arznei-Effekte der Verhütungsmittel aus der YASMIN-Produktreihe kosteten ihn insgesamt 2,1 Milliarden Dollar.
Von diesen Erfahrungen berichtete Hartwig dann später auf einer AfD-Veranstaltung unter dem Titel „Deutsche Unternehmen im Fadenkreuz der US-Justiz“. Der Ankündigungstext, den der Vortragende selbst formuliert haben dürfte, macht in den Vereinigten Staaten eine Rechtsindustrie aus, der die Gesetze des Landes in einzigartiger Weise ermöglichen würden, Druck auf die Konzerne aufzubauen und der deutschen Volkswirtschaft „in erheblichem Umfang“ Substanz zu entziehen. „Das bislang eklatanteste Beispiel waren die um die Jahrtausendwende in den USA gegen zahlreiche deutsche Unternehmen erhobenen Zwangsarbeiter-Klagen“, konstatiert Hartwig. Er muss es wissen: Der BAYER-Konzern stand hier nämlich besonders im Fokus, weil für die von ihm mitgegründete IG FARBEN in der NS-Zeit mehr als 50.000 SklavenarbeiterInnen Frondienste leisten mussten.
Nach seinem Ausscheiden beim Leverkusener Multi arbeitete Roland Hartwig als Rechtsanwalt und widmete sich verstärkt seiner politischen Karriere. Von 2017 bis 2021 hatte er ein Bundestagsmandat inne, 2020 kandidierte er in Leverkusen für das Oberbürgermeisteramt. Zuletzt fungierte der Jurist als persönlicher Referent der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und galt dem Recherche-Netzwerk Correctiv zufolge als so etwas wie der „inoffizielle Generalsekretär“ der Partei.
Berührungsängste mit VertreterInnen der Neuen Rechten hatte der AfDler bereits vor dem November 2023 nicht. So hielt er im Juni 2019 eine Rede beim „Staatspolitischen Kongress“, einer Veranstaltung des von Götz Kubitscheck und Karlheinz Weißmann gegründeten „Instituts für Staatspolitik“, das der Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft. Zeitschriften- und Buchverleger Kubitscheck war es dann auch, der sich für Hartwig verwandte, als Alice Weidel dem öffentlichen Druck nachgab und sich im Nachklang des Potsdamer Treffens von ihrem persönlichen Referenten trennte. „Mit Hartwigs Entlassung hat die Partei die Tür geöffnet für Forderungen von außen und für den daraus entstehenden Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck“, kritisierte der Rechtsintellektuelle. Sein Resümee: „Weidels Entscheidung ist Altparteien-Verhalten und hat dem Gegner Munition geliefert.“
Bei BAYER befand sich Hartwig immer in guter Gesellschaft. So gründete etwa Dr. Hans-Ulrich Höfs, wenigstens bis zum Jahr 2012 beim Konzern in der Forschung tätig, 1989 in Krefeld „Die Republikaner“. Später baute der Chemiker die Gruppen „Krefelder Gesprächskreis – Deutsche Politik“ und das „Krefelder Forum Freies Deutschland“ auf, die beide enge Kontakte zu RechtsextremistInnen wie Horst Mahler und Herbert Schweiger unterhielten. Seine rechte Gesinnung brachte den Wissenschaftler einst sogar vor Gericht. Nach der öffentlichen Aufforderung der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG), Höfs zu entlassen, reagierte das Unternehmen lediglich mit einer Abmahnung.
„Faschismus ist ein politisches Konzept der Konzerne. Das wird nicht nur, aber eben immer wieder bei BAYER deutlich. In Person des BAYER-Chefs und Hitler-Förderers Carl Duisberg in den 1920er und 1930er Jahren bis zum BAYER-Chefjuristen Roland Hartwig heute“, hielt Axel Köhler-Schnura, CBG-Gründer und -Ehrenvorstand in der Presseerklärung der Coordination zum Fall „Hartwig“ fest. Als skandalös bezeichnete sie es in der Veröffentlichung, dass ein Multi, der dem Hitler-Faschismus mit Geld und persönlicher Unterstützung den Weg bereitet hat und dessen Führungskräfte 1948 als Nazi-VerbrecherInnen verurteilt wurden, bis in die unmittelbare Gegenwart hinein ungebrochen braunen Kräften eine sichere Heimstätte, ein gutes finanzielles Auskommen und sichere Karrieren bis in die Unternehmensspitze hinein gewährt.