Keine Unterstützung für DUOGYNON-Geschädigte
Der Schwangerschaftstest DUOGYNON der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat von 1950 bis in die 1970er Jahre hinein verherrende Wirkungen entfaltet. Entschädigungsforderungen wiesen SCHERING sowie der Leverkusener Multi als Rechtsnachfolger jedoch stets ab. Auch die Politik tut nichts – außer Gutachten in Auftrag zu geben, welche die damalige Aufsichtsbehörde von jeglicher Mitschuld freispricht.
Von Andre Sommer (NETZWERK DUOGYNON)
BAYER handelt im Fall „DUOGYNON“ verantwortungslos. Dieser hormon-basierte Schwangerschafts-Test, den die seit 2006 zum Konzern gehörende Firma SCHERING 1950 auf den Markt brachte, steht seit über 50 Jahren im Verdacht, Tausende von Missbildungen verursacht zu haben. Dennoch verweigert das Unternehmen jegliche Mithilfe bei der Aufklärung. BAYER versteckt sich hinter der Verjährung und verhindert so eine gerichtliche Aufarbeitung in Deutschland. Auf Gesprächsangebote der Geschädigten – bis heute haben sich 661 Betroffene beim NETZWERK DUOGYNON gemeldet – reagierte das Unternehmen nicht, auch die vom Landgericht Berlin vorgeschlagene Mediation lehnte es ab.
Öffentlich einsehbare Unterlagen im Landesarchiv Berlin zeigen deutlich das Ausmaß der Verschleierung. Zum Beispiel finden sich in den Unterlagen zahlreiche Schreiben besorgter ÄrztInnen, die schwere Fehlbildungen ihrer PatientInnen beschreiben. Bereits 1969 hatten firmen-interne Tierversuche deutliche Auffälligkeiten und Fehlbildungen gezeigt. SCHERING unternahm jedoch nichts und verkaufte das Produkt gewissenlos weiter. Im Ausland wurde das Medikament meist früher vom Markt genommen. Parallelen zum CONTERGAN-Skandal drängen sich auf. Nicht umsonst trafen sich SCHERING-ManagerInnen damals wiederholt mit VertreterInnen des CONTERGAN-Herstellers GRÜNENTHAL, um mit deren Input eine Abwehr-Strategie gegen Ansprüche von Geschädigten zu erarbeiten.
Seit Jahrzehnten kämpfen diese um ihre Rechte und haben dabei nicht nur BAYER im Blick, sondern auch die staatlichen Behörden, die SCHERING damals gewähren ließen. Auf Druck der Betroffenen-Verbände befasste sich im Jahr 2021 der Petitionsausschuss des Bundestages mit der Angelegenheit. Dieser schlug vor, eine Untersuchung über die Vorgänge im Bundesgesundheitsamt (BGA) in Auftrag zu geben, „deren Ergebnisse für die Entscheidung über die Einrichtung eines Entschädigungsfonds zugrundegelegt werden“. Dem folgte der zu der Zeit amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Mit der Bestallung des Historikers Dr. Niklas Lenhard-Schramm als Gutachter nahm er das Ergebnis allerdings schon so gut wie vorweg. Lenhard-Schramm empfahl sich Spahn nicht nur durch Entlastungsstudien zu CONTERGAN und zu Medikamentenversuchen an Kindern in Bethel, er hatte sich auch schon im Vorfeld zu DUOGYNON geäußert und erklärt, ein Verbot wäre damals rechtlich nicht möglich gewesen. Dabei stand der Weg für eine solche Rechtsauslegung nach dem CONTAGAN-Skandal offen. Der sogenannte CONTERGAN-Beschluss sah nämlich vor, dass bei Verdachtsfällen prioritär Maßnahmen zu ergreifen sind, die dem Schutz der PatientInnen dienen, statt etwa solche wie die Durchführung neuer Untersuchungen. Einzig ein Arzneimittelverbot war hier also angemessen, da die beiden anderen VerbraucherInnenschutz-Maßnahmen – Information und Rezeptpflicht – bereits herbeigeführt waren.
Fehlende Kompetenz in juristischen Fragen zeichnet auch die Studie selbst aus. So hätte sie dem damals unterbesetzten und schlecht aufgestellten Bundesgesundheitsamt durchaus ein „Organisationsverschulden“ attestieren können. Und SCHERINGS Unterlassung, die Öffentlichkeit in ausreichendem Maße über die vorgenommene Einschränkung der Indikationsgebiete für DUOGYNON zu informieren, erfüllt den Tatbestand der Verletzung der Instruktionspflicht. Lenhard-Schramm aber erweckt durch die Abbildung der Packungsaufdrucke „Nicht bei Schwangeren oder Schwangerschaftsverdacht verwenden“, die erst sehr spät erfolgten, den Eindruck einer korrekten Durchführung.
Besondere Mängel offenbart das Gutachten bei der Darlegung der von SCHERING unternommenen und dem BGA vorgelegten Tierversuche. Hier missachtet der Gutachter toxikologische Prinzipien, indem er besonders harmlose Ergebnisse herausstellt und toxische Wirkungen meist erst bei starker Überdosierung bis zum 2.500-Fachen der Humandosis konstatiert. Eine ganze Versuchsreihe, die bereits bei einstelligen Vielfachen der Humandosis (vom 2-Fachen bis zum 10-Fachen) eine hohe Toxizität zeigte, verschweigt der Historiker einfach.
Ähnlich geht er bei der Bewertung des Handelns im Bundesgesundheitsamt vor. So tut er alles, um das BGA zu entlasten. Dabei gab es dort beispielsweise einen Mitarbeiter, der sich und das Amt als „Advokat der Firma SCHERING“ bezeichnete – und auch so handelte. So schmuggelte er entlastende Unterlagen in die Behörde und hielt den Konzern immer über die Vorgänge im Amt auf dem Laufenden. Der Beschäftigte gab dem Unternehmen sogar Tipps für Entlastungsstudien und den Umgang mit der aufkeimenden Kritik am Verhalten des Konzerns in Sachen „DUOGYNON“. Lenhard-Schramm aber relativiert solche eindeutigen Belege für ein Behörden-Versagen, was ganz im Sinn des Auftraggeber ist. Bei einem anderen Ergebnis hätte er nämlich in der Pflicht gestanden, eine Stiftung für die DUOGYNON-Geschädigen ins Leben zu rufen, wie es bei CONTERGAN und dem von BAYER mitverursachten Bluter-Skandal um HIV-verseuchte Blutpräparate geschehen ist.
Diese Studie kann nicht zur Aufklärung des Falles beitragen. Das belegt auch ein vom NETZWERK DUOGYNON in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zuging. Es muss eine klare rechtliche Einordnung des Falles geben, so dass die Frage der Amtshaftung geklärt wird. Hier müsste dann die deutsche Regierung auf die Einrede der Verjährung verzichten, so dass es möglich ist, den Fall vor Gericht zu lösen.
Aktuell beschäftigt dieser auch viele Abgeordnete im Bundestag. So kam es bereits zu einem fraktionsübergreifenden Treffen. Überdies hat die Berliner Charité ein Forschungsprojekt zu hormonellen Schwangerschaftstests gestartet. WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt arbeiten daran mit.
In England fand derweil zu den Schwangerschaftstests, die SCHERING dort unter dem Namen PRIMODOS vertrieb, eine Anhörung vor einem Gericht statt. Es ging um eine Wiederaufnahme des Primodos-Verfahrens, welche die RichterInnen vorerst abgelehnt haben. Derzeit werden weitere rechtliche Schritte beraten. Darüber hinaus ist die Veröffentlichung von Untersuchungen angekündigt, welche weitere Belege für die Schädlichkeit von Duogynon liefern könnten.
Für die Geschädigten steht fest: Späte-stens nach dem Contergan-Urteil hätten das BGA und auch SCHERING anders handeln müssen. Und hier ist auch BAYER in der Pflicht: Es ist nicht zu verstehen, warum ein Weltkonzern wie der Leverkusener Multi keine Verantwortung für die Fehler von SCHERING übernimmt, sich bei den Familien entschuldigt, schnell Ausgleichszahlungen auf den Weg bringt und Maßnahmen zur Aufklärung des Falles einleitet. Stattdessen mauert er bis heute und wimmelt die Betroffenen ab. Ein solches Handeln ist unmoralisch.
Ausführliche Informationen zu dem Fall finden sich auf der Homepage der Betroffenen unter:
www.duogynonopfer.de