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[Conrad Schuhler] Vortrag Conrad Schuhler

CBG Redaktion

Vortrag Conrad Schuhler, Institut für Sozialökologische Wirtschaftsforschung (isw) am 12.11.05

Bremsklötze Raus – Maximalprofite für das Kapital

(Die Folien zum Vortrag)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Bremsklötze raus“ heisst es in unserem Titel, und im Spiegel-Magazin dieser Woche hat Werner Wenning, der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG und zugleich Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), wieder einmal erläutert, welche Klötze weg müssen. Im Rahmen des Restrukturierungsprogrammes müssten in Deutschland weitere Arbeitsplätze bei Bayer abgebaut werden. Man könne, und dies ist der Schlüsselsatz, in Deutschland keine Strukturen erhalten, die nicht wettbewerbsfähig sind. Um zu global wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu gelangen, müssten die Unternehmenssteuern gesenkt werden. Die Sozialsysteme müssten dringend überholt, d.h. herunter gefahren werden. Und die Ökologie müsste als Kostenfaktor abgebaut werden. All das – zu hohe Unternehmenssteuern, zu hohe Sozialleistungen, zu teurer Umweltschutz – gefährde „unsere Wettbewerbsfähigkeit“.

Herr Wenning hat damit die Hauptlosungen der neoliberalen Propaganda bekräftigt, wozu meistens noch tritt der Hinweis, dass die Arbeitszeiten zu starr seien, das ganze Arbeitsmarktsystem mit seinem Kündigungsschutz und seinen Flächentarifen sei zu verkrustet, damit könne man im globalen Wettbewerb nicht bestehen. Drastischer Sozialabbau sei sozusagen die beste Sozial- und Wirtschaftspolitik, denn nur so könne man sich fit machen für den globalen Wettbewerb, in dem man ansonsten erbarmungslos untergehen würde.

Dieses ganze Gedröhne, meine Damen und Herren, ist schiere Propaganda, ist die Unwahrheit.

An Bayer selbst lässt sich dies mit einer einzigen Zahl demonstrieren. In dieser Woche, da Herr Wenning die miserablen Wettbewerbsbedingungen für sein Unternehmen beklagte, legte der Konzern auch seinen Bericht für das dritte Quartal 2005 vor. Danach hat Bayer sein Ergebnis (seinen Gewinn) gegenüber 2004 um 800 % gesteigert. Das ist so, als ob Sie, wenn Sie bisher 3.000 Euro im Monat verdient haben, nun 24.000 Euro pro Monat erhalten, und gleichzeitig feststellen, ihre Einkommensbedingungen seien unerträglich schlecht.

Die Wahrheit einer international ganz hervorragenden Wettbewerbsposition gilt für die deutsche Wirtschaft insgesamt.
Denn Deutschland ist Exportweltmeister. Kein Land der Erde, nicht mal die USA, deren Wirtschaft mehr als viermal größer ist als die Deutschlands, exportiert mehr Waren als wir. Dies zeigt die überragende globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Denn der Einwand, den Herr Sinn vom Ifo-Institut und andere neoliberale Propagandisten vorbringen, Deutschland sei eine sogenannte „Basarökonomie“, die die Weltwirtschaft mit Waren bediene, „die wir in unserem europäischen Hinterland produzieren lassen“ und bei uns nur noch zusammensetzen und sie dann als „Made in Germany“ vertreiben, ist falsch.

Alle diese ausländischen Vorprodukte gehen in die Importstatistik ein. Selbst wenn alle Importe Teile von Waren wären, die später exportiert werden, was natürlich bei weitem nicht der Fall ist, doch selbst in diesem Fall, würde ein Exportüberschuss bedeuten, dass hier originäre deutsche Wertschöpfung stattfindet, die sich am Weltmarkt der anderer Länder als überlegen erweist. Und nun sind wir eben nicht nur Exportweltmeister, sondern sind auch weltweit führend in den Ausfuhrüberschüssen. Wir haben im letzten Jahr den Exportüberschuss um 27% auf 117 Milliarden Euro gesteigert. Das sind über 5% des gesamten Bruttoinlandsprodukts, die wir im Lande erwirtschaften, aber nicht verbrauchen. Wie Kurt Tucholsky schon vor 80 Jahren feststellte: „Eine wichtige Rolle im Handel spielt der Export. Export ist, wenn die anderen kaufen sollen, was wir nicht kaufen können.“

Was also ist wirklich das Problem der Globalisierung? Für uns in Deutschland und gerade auch bei Bayer, einem der führenden Global Players? Wir werden sehen, dass es überhaupt nicht um die Verbesserung des Standorts Deutschland geht – der ist weltweit führend – sondern um die weitere Verbesserung der Profitlage der Unternehmen und um die Rechtfertigung für weiteren Sozialabbau. Um das genauer zu verstehen, möchte ich mit Ihnen gemeinsam einige Grundsätze der neoliberalen Globalisierung, wie sie sich auch in der Unternehmensstrategie der Bayer AG ausdrücken, durchgehen.

Folie 2 (Voraussetzungen der Globalisierung)

Es gibt drei grundlegende Voraussetzungen der Globalisierung. Erstens müssen im „Mutterland“ Kapitalüberschüsse erzielt werden, die die Kapitaleigner lieber exportieren als sie im eigenen Land einzusetzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Kapitalisten eines Landes auch die Möglichkeit hätten, ihre Gewinne, ihre Überschüsse an die eigenen Beschäftigten auszuzahlen, womit sie die kaufkräftige Nachfrage im eigenen Land so erhöhen würden, dass das im Inland erstellte Produkt auch von den Menschen dort gekauft werden könnte. Dann gäbe es keine Kapitalüberschüsse, die man exportieren könnte oder aus der Perspektive der Unternehmen, exportieren müsste. Wie man weiß, haben die Kapitalisten sich für den anderen Weg entschieden, nämlich möglichst hohe Überschüsse im Inland zu erzielen und zu versuchen, diese im Ausland weiter zu erhöhen. Dies tun sie in sich verschärfendem Tempo seit rund 150 Jahren, seitdem sich das Monopol, der den Markt dominierende Großkonzern, durchgesetzt hat.

Um dies aber in der modernen Form tun zu können, musste eine weitere Bedingung erfüllt sein, nämlich die Entwicklung einer Informations- und Transporttechnologie, die Rohstoffe, Teilfabrikate usw schnell um den Globus bringen und gleichzeitig Informationen über den Waren- und Produktionsfluss in Ist-Zeit überall auf der Welt zur Verfügung stellen. So konnte die „globale Fabrik“ entstehen, die Aufteilung der Produktion eines Unternehmens in sogenannte „globale Wertschöpfungsketten“, wo man mit den einzelnen Produktionssegmenten jeweils in das Land geht, das die größten Kostenvorteile anbietet. So konnten auch, wie im Fall Bayer, von einer Befehlszentrale aus global agierende Konzerne entstehen, die die Märkte zahlreicher Länder mit dort angesiedelten Produktions- und Vertriebs- und Handelsunternehmen abschöpfen können.

In diesen Ländern aber musste drittens dafür gesorgt sein, dass das hereinströmende Kapital sich dort ungehindert bewegen konnte. Dies versteht man unter „Deregulierung“ der ausländischen Absatz- und Arbeitsmärkte, was so viel bedeutet wie das Niederreißen nationaler Schranken und Schutzmechanismen gegen Auslandskapital.

Schauen wir uns die drei Voraussetzungen kurz, aber etwas näher an. Unsere erste Frage: Wie kommt es zu den Kapitalüberschüssen in Deutschland?

Folie 4 (Entwicklung der Lohnquote)

Unsere erste und wichtigste Antwort: Die Kapitalüberschüsse in Deutschland werden immer größer, weil die Löhne und Gehälter immer geringer werden. Die Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen, ist von 1980 bis heute kontinuierlich von über 74% auf 65% gesunken ist. Dies ist nicht nur ein relatives Zurückfallen der Beschäftigteneinkommen, sondern auch ein absolutes. Von 1991 bis 2004 haben die Beschäftigten einen realen Kaufkraftverlust von 3,6% hinnehmen müssen.

Folie 5 (Gewinnentwicklung Kapitalgesellschaften)

Dementsprechend sind die Gewinne der Kapitalgesellschaften gestiegen. Während die Beschäftigten also einen Verlust von 3,6% erlitten, haben AGs und GmbHs im selben Zeitraum einen Gewinnsprung von netto 113% gemacht.

Was machten sie mit ihren Gewinnen? Sie haben ihre Gewinne keineswegs investiert, um, wie es immer heißt, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

Folie 6 (Unternehmer-Investitionen)

Denn während sich die Gewinne mehr als verdoppelt haben (plus 113%), sind die Investitionen im selben Zeitraum um 1,5% zurück gegangen. Der alte Spruch der Unternehmerseite „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen“ gehört ins Reich der Fabel. Die Unternehmer re-investieren ihre Gewinne nicht in ihre deutschen Unternehmen.

Folie 7 (Privates Geldvermögen)

Sie schatzen vielmehr, wie wir hier sehen, ihr Vermögen auf. Das Geldvermögen der Privaten hat sich von 1991 bis 2004 mehr als verdoppelt, auf 4,1 Billionen Euro, was das Doppelte des Bruttoinlandsprodukts der BRD ist. Das ist das Vierzigfache der jährlichen Neu-Investitionen in unserem Land. Was machen die Reichen mit ihren Billionen, die sie in Deutschland nicht investieren?

Sie machen das, was die Reichen der anderen Länder auch tun: Sie schicken das Geld rund um den Globus, um die Anlage mit der höchsten Rendite ausfindig zu machen. Weltweit kreisen 60 Billionen Euro privates Geldvermögen – das ist mehr als das Doppelte des Welt-Sozialprodukts – um sich dort niederzulassen, wo der höchste Profit herausspringt. Wir werden noch sehen, dass dies der springende Punkt der Globalisierung des Finanzmarktes ist. Riesige Geldsummen wollen die global maximale Verzinsung ihres Vermögens.

Dieser Finanz-Globalisierung entspricht die realwirtschaftliche Globalisierung der Konzerne. Sie lokalisieren die einzelnen Teile ihrer Produktionsketten dort, wo ihre Kosten am geringsten, ihre Profite also am höchsten sind. Die 100 größten Transnationalen Konzerne der Welt generieren heute die Mehrzahl ihrer Aktien, ihrer Umsätze und ihrer Beschäftigung im Ausland und dieser Auslandsanteil wächst weiter Jahr für Jahr. Die selbe Entwicklung, immer mehr Umsatz und Beschäftigung und Aktionäre im Ausland, kennzeichnet auch die deutschen Top 100 und insbesondere auch die Bayer AG.

Wie weit dieser Transnationalisierungsprozess schon gediehen ist, zeigt eine Zahl sehr eindrucksvoll: 1/3 aller Weltexporte bzw. –importe ist sog. „intrafirm trade“, also Handel innerhalb ein und des selben Konzerns. Dies illustriert, wie weit die Entwicklung zur „globalen Fabrik“ schon fortgeschritten ist.

Der enorm gewachsene Kapitalexport wäre nicht zustande gekommen, hätte die internationale Politik nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen. In der WTO, der Welthandelsorganisation, sind 148 Staaten Mitglieder, und die entwickelten Industriestaaten setzen dort weltweite Regimes zum ungehinderten und sogar favorisierten Kapitalexport der reichen Länder durch.

Folie 10 (WTO)

Im GATS (General Agreement on Trade in Services – Vereinbarung über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen) werden alle Länder verpflichtet, ihren Dienstleistungssektor für ausländisches Kapital zu öffnen. Im TRIMS (Agreement on Trade-Related Investment Measures – Vereinbarung über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen) wird den Mitgliedsstaaten verboten, einheimische Produkte gegenüber ausländischen zu bevorzugen. Im TRIPS schließlich (Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property – Vereinbarung über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums) werden Patente und Copyrights der Transnationalen Konzerne gegenüber den Wettbewerbern vor Ort geschützt.

Doch nicht nur in internationalen Organisationen wie der WTO setzen die Transnationalen Konzerne ihren Willen durch, dies geschieht auch bilateral zwischen den einzelnen Staaten.

Folie 11 (Änderungen in den Investitionsbestimmungen…)

Eine wachsende Zahl von Ländern hat immer mehr Gesetzesänderungen durchführt, die ADI – das sind ausländische Direktinvestitionen, also der Kapitalexport der reichen Länder – begünstigen. 1991 haben 35 Länder insgesamt 80 neue Investitionsbestimmungen erlassen, die günstig waren für Ausländische Direktinvestitionen. 2001 waren es 71 Länder mit 194 entsprechenden günstigen Bestimmungen. Die Welt ist zum Platz des fast ungehinderten Geschäftemachens für die Global Players geworden.

Folie 13 (Die Globalisierung ist kein …)

Dies alles ist keineswegs ein technologischer Sachzwang. Die Globalisierung, wie wir sie heute erleben, ist ein politisches Fabrikat. Sie wird politisch durchgesetzt. Schon dass die Konzerne im „Mutterland“ Kapitalüberschüsse in dieser Höhe erzielen, ist ein politisches Faktum. Einmal hängt es ab vom tarifpolitischen Kräfteverhältnis, zum anderen von den Steuern. Unternehmen haben in Deutschland anteilig Netto relativ mehr als Brutto, Arbeitnehmer relativ weniger. Dann wird der Export von Kapitalüberschüssen nicht nur geduldet, er wird steuerlich gefördert. Schließlich ist das Durchsetzen weltweiter Regimes à la WTO eine politische Angelegenheit, denn nur Staaten sind Mitglied der WTO.

So wie diese Art von Globalisierung politisch durchgesetzt wird, so könnte man sie auch politisch korrigieren. Doch warum sollte man sie korrigieren? Was ist eigentlich so schlecht an der neoliberalen Globalisierung?

Folie 14 (Das Entscheidende …)

Das Entscheidende an der neoliberalen Globalisierung ist über das kräftige Anwachsen der Waren- und Kapitalströme hinaus die Herausbildung globaler Parameter für die wirtschaftliche Tätigkeit in allen Ländern und auch für Unternehmen, die selbst nicht international tätig sind, denn auch diese müssen sich auf ihren Märkten den von Global Players gesetzten Preis- und Qualitätsbedingungen stellen. Das von den großen Konzernen angewandte sog. Best Practice- und Global Benchmarkung-Verfahren meint, dass jede Firma versuchen muss, ihre Arbeitsabläufe und Kostenstrukturen entsprechend dem weltweit besten Wettbewerber anzugleichen und diesen zu übertreffen. Aus diesem Wettbewerb um die besten Werte entsprang als Hauptinstrument der Unternehmenssteuerung das sogenannte EVA.

EVA, aus dem Amerikanischen: Economic Value Added – der vom Unternehmen zu den Kosten und Abschreibungen hinzugefügte Mehrwert – meint im Klartext, dass das Unternehmen ein höheres Ergebnis erzielen will, als die Kapitalgeber – eigenes oder Fremdkapital – mit ihrem Geld irgendwo sonst auf der Welt erzielen könnten. EVA soll also höher sein als die Rendite, die Kapitalisten mit ihrem Geld an den Börsen und Finanzplätzen der Welt von den Cayman Islands bis nach Hongkong erzielen könnten. EVA ist übrigens auch offiziell der unternehmerische Steuerungsfaktor der Bayer AG, wo man ihn CVA nennt, was irgendwie ehrlicher klingt, denn CVA steht für Cash Value Added, aber Prinzip und die entscheidenden Details sind die selben wie bei EVA.

Unsere zentrale Steuerungsgröße, heißt es im letzten Bayer-Geschäftsbericht, ist der Unterschieds-Brutto-Cashflow, im englischen Cash Value Added. Dieser Unterschieds-Brutto-Cashflow gibt an, inwieweit sowohl die Eigen- und Fremdkapitalkosten als auch die Amortisation der Anlagen verdient werden konnten. Beides, die Festlegung des Verzinsungsanspruchs von Eigen- und Fremdkapital wie auch die Amortisation der Anlagen, also die Abschreibungen, liegen weithin im Ermessen des Unternehmens. Als Kapitalkostensatz –d.i. der Zins auf Eigen- und Fremdkapital – hat die Bayer AG 2004 7 % festgelegt. Wie kommt die Bayer AG auf diesen Satz? Im Geschäftsbericht heißt es einfach: „Die Eigenkapitalkosten entsprechen den Renditeerwartungen unsere Aktionäre und werden aus Kapitalmarktinformationen abgeleitet.“ Dies ist das eindeutige Bekenntnis der Bayer AG zum Shareholder Value-Prinzip, wonach die grundlegende Steuerung des Unternehmens vom Interesse der Aktionäre an möglichst hohem Kurs und möglichst hoher Dividende – „den Renditeerwartungen“ – bestimmt wird. Einem solchen Verständnis gelten die Beschäftigten nicht mehr als stake holder, als an der Wertsteigerung des Unternehmens angemessen zu beteiligende Gruppe, wie dies noch zu Zeiten der „Sozialpartnerschaft“ die offizielle Losung war, sondern bloß noch als Personalaufwand, der wie der Materialaufwand zu minimieren ist.

Von einem positiven Ergebnis, von einer nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswertes, redet die Bayer AG also erst dann, wenn nach dem Verdienen der Abschreibungen, also der totalen Anlagen-Reproduktion, zusätzlich eine Kapitalverzinsung von 7 % übertroffen wird. Und dies war 2004 tatsächlich der Fall. Die gewaltige Hürde aus Anlagenreproduktion und 7%-igem Kapitalkostensatz lag bei 3.122 Mio Euro. Und sie wurde um 88 Millionen Euro übertroffen.

Andere Prozentzahlen machen den ungeheuren Sprung noch plastischer: Die Konzernrendite (das ist der CashFlowReturn on Investments) stieg von 8,1% auf 9,9%. Das EBIT, Ergebnis vor Zinsen und Steuern, sprang um 53,1 % nach oben, auf 2.244 Millionen Euro. 2005 werden alle diese Zahlen nach den vorliegenden Quartalsberichten noch weit übertroffen.

Was wir an dieser Stelle verstehen müssen, ist der grundlegende Wandel, der durch die neoliberale Globalisierung mit ihren globalen Parametern stattgefunden hat. Früher hat ein Kapitalist einen Arbeiter eingestellt, wenn dessen Arbeitsleistung mehr Wert brachte, als der Arbeiter selbst kostete und dieser Wert über dem nationalen Geldzins lag. Dies ist längst vorbei. Der Diskontsatz in Deutschland liegt derzeit bei 2 %, die Geldzinsen, die Banken zahlen, liegen kaum höher. Bayer aber verlangt eine Verzinsung von 7% nach Abzug aller Reproduktionskosten, was einem Geldrücklauf von 10 % auf die getätigten Investitionen entspricht. Wenn dieser Maximalzins durch die Arbeitsleistung der Beschäftigten nicht erreicht wird, dann werden Arbeitsplätze abgebaut bzw. werden die Arbeitsbedingungen verschärft und die Löhne und Gehälter gedrückt. Der global ermittelte Kapitalkostensatz sorgt also zwangsläufig für die Einengung des Arbeitsmarktes und entfacht Druck auf Entgrenzung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

In den Bayer-Daten lassen sich diese negativen Folgen für die Beschäftigten in der ganzen Bandbreite erkennen. Die Zahl der Beschäftigten verminderte sich von 2003 auf 2004 um 2%, der Personalaufwand ging noch weit höher, nämlich um 7,6% zurück. Dagegen stieg der Umsatz pro Mitarbeiter um 6,4 %. Jeder Mitarbeiter brachte 2004 16.000 Euro mehr Umsatz in die Kassen des Bayer-Konzerns. So war mehr als genug Geld da für die enormen Einkommensaufbesserungen an der Konzernspitze: Die Vorstandsbezüge stiegen um 47%, die des Aufsichtsrates um 56%. Das Top-Management gehört neben den Kapitalgebern zu den großen Siegern dieser Art von globaler Wirtschaft. Die Belegschaften sind die Verlierer. Insbesondere in der „home base“ des Global Player, denn in Deutschland vor allem findet der Abbau von Arbeitsplätzen und Beschäftigteneinkommen und die Verdichtung der Arbeit statt.

Folie 16 (Konsequenzen der …)

Schauen wir uns die Konsequenzen der „neoliberalen“ Globalisierung für Deutschland im Zusammenhang an.

1) Der Binnenmarkt wird ausgehöhlt.
2) Die Arbeits- und Sozialstandards verschieben sich in Richtung Niveau der Billiglohn-Länder.
3) Arbeitsplätze werden in Billiglohn-Länder verlagert.
4) Der Staat bedenkt die Unternehmen mit Steuer- und sonstigen Vorteilen und fährt seine öffentlichen Leistungen herunter, er wird zum „nationalen Wettbewerbsstaat“, der in erster Linie Politik macht für die immer bessere Wettbewerbslage der Konzerne auf dem globalen Markt.

Folie 17 (Inlandsnachfrage / Exporte)

Dass der Binnenmarkt ausgehöhlt wird, dass die gesamte stagnierende Konjunktur überhaupt nur noch vom Export gehalten wird, belegen die Zahlen der letzten 10 Jahre. Nehmen wir 1995 als 100, dann hat sich die Inlandsnachfrage in Deutschland nur um 7 % erhöht; im EWU- bzw. EU-Raum aber um 17 und in den USA um 40 %.

Bei den Exporten hingegen sehen wir den strahlenden Weltmeister Deutschland, 75 % mehr als 1995, ein doppelt so hoher Anstieg wie bei den USA, weit auch vor den Japanern und der EU insgesamt.

Das Geheimnis dieser Diskrepanz erschließt sich aus den Worten eines Kollegen, der einen Musterbetrieb der kapitalistischen Globalisierung aus nächster Nähe verfolgt. Es handelt sich um Uwe Hück, Gesamtbetriebsrat von Porsche.

Folie 18 („Die Globalisierung …“)

Sein Fazit: „Die Globalisierung hat eins gebracht: dass die Arbeitgeber sich nach den Gehältern der Amerikaner richten und die Arbeitnehmer sich nach denen der Chinesen.“

Der Kollege Hück hat recht. Die DAX-Vorstände haben sich in den letzten Jahren ihre Bezüge um jeweils klar über 10% erhöht. Im letzten Jahr an der Spitze der Bayer-Vorstand mit besagten 48%. Demgegenüber waren, wie wir vorhin gesehen haben, die Löhne und Gehälter der abhängig Beschäftigten, rückläufig oder stagnierten.

Folie 19 (Lohnstückkosten)

Rückgang bzw. Stagnation der Beschäftigtenentgelte fand statt bei laufender kräftiger Erhöhung der Produktivität. Dieser Zusammenhang wird ausgedrückt in den Lohnstückkosten, die angeben, wie viel Lohn der Beschäftigte anteilig vom hergestellten Produkt erhält. Gesamtwirtschaftlich wird die Größe bestimmt durch das Verhältnis des Bruttoeinkommens aus unselbständiger Arbeit in Relation zum realen BIP. Und hier zeigt sich, dass der Anteil des Einkommens aus unselbständiger Arbeit im Verhältnis zu anderen Industriestaaten (mit der Ausnahme Japans, das in den letzten 10 Jahren die schlimmste Depression seit dem Kriegsende durchlief) immer geringer wird. Die Lohnstückkosten in Deutschland haben
sich in Deutschland von 1995 bis 2003 um ganze 3% erhöht, in Frankreich hingegen um 12%, in Italien um 20%, in Großbritannien um 27%. In den USA, dem lange führenden Güterexporteur, stiegen sie um 15%. Hierin steckt das Geheimnis der immer stärkeren globalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft: Die deutschen Unternehmen kassieren von der Wertschöpfung der deutschen Beschäftigten im internationalen Vergleich einen immer höheren Anteil für sich, Marxisten würden sagen, sie erzielen einen immer höheren Mehrwert. Dies bedeutet andererseits, dass die deutschen ArbeitnehmerInnen unter den Industriestaaten die größten Verlierer der neoliberalen Wende und der mit ihr einhergehenden Globalisierung sind.

Dies gilt nicht nur Sachen Löhne und Gehälter, sondern auch in der Frage der Arbeitsplätze. Ob Bayer, Siemens, Metro, die Autokonzerne – die deutschen Global Players bauen im Inland systematisch Arbeitsplätze ab, während sie den Auslandsanteil ihrer Beschäftigung ebenso systematisch erhöhen. Im ersten Jahrzehnt der neoliberalen Turbo-Globalisierung – von 1986 bis 1996 – haben die 100 größten deutschen Unternehmen weltweit ihre Beschäftigung um 10,3 % ausgedehnt. Aber, und hier kommt das große Aber: Im Inland haben sie in diesem Zeitraum 5,8 % der Arbeitsplätze abgebaut, im Ausland hingegen haben sie die Beschäftigung um 59,8 % erhöht.

Die Bayer AG will nach den Erklärungen des Vorstandsvorsitzenden dort das Geschäft ausweiten, wo die Märkte wachsen, und dies sei im Ausland, und zwar im außereuropäischen Ausland. Die offenbare Absicht des Konzerns ist es, mit Investitionen und Beschäftigung dort anzutreten, wo die Umsätze gemacht werden. Dies wird für den Standort Deutschland weit reichende Folgen haben. Der Inlandsanteil an Beschäftigten liegt bei 42 %; der Inlandsanteil am Umsatz nur bei 27 %. Würde man die Beschäftigung an den Umsatz anpassen, stünden in Deutschland über 30.000 Arbeitsplätze zur Disposition. Auch wenn Deutschland ein überproportionaler Schwerpunkt von Forschung und Entwicklung bleiben sollte – was keineswegs als sicher unterstellt werden kann – ist nach dieser Logik vom Management ein umfassender Angriff auf die Arbeitsplätze hierzulande zu erwarten.

Wie wäre dem von Seiten der Beschäftigten zu begegnen? Es liegt auf der Hand, dass betriebliche Bündnisse zur Standortsicherung, wie sie schon dreimal bei Bayer eingegangen wurden, den Sozial- und Arbeitsplatzabbau im Betrieb nicht etwa zum Stillstand bringen, sondern dass sie diesen Prozess nur strukturieren und in Teilen sogar beschleunigen. Denn indem ich Lohneinbußen akzeptiere, verringere ich weiter den deutschen Markt, woraufhin Bayer sich noch mehr auf den Auslandsmarkt konzentriert. Dies ist ein gewichtiges Argument, denn so wie Bayer gehen ja alle großen Konzerne vor, nämlich dass sie unter Hinweis auf den globalen Wettbewerb den Personalaufwand senken und damit die kaufkräftige Nachfrage im Inland empfindlich reduzieren.

Ein zweites Argument gegen die Moratoriumsbündnisse: Die Einwilligung in an den Unternehmenserfolg gekoppelte Vergütungskonzepte bedeutet die Identifizierung mit der neoliberalen EVA- bzw. CVA-Strategie, denn nach diesem Faktor wird der Unternehmenserfolg ja gemessen. Anstatt diese arbeitnehmerfeindliche Strategie zu bekämpfen, macht man sich zu einem Teil von ihr. Die Folge solcher betrieblicher Bündnisse ist, dass man sich in immer kürzeren Abständen zu neuen Zugeständnissen bereit erklärt und immer neue Arbeitsplatzverluste in Kauf nimmt auf das Versprechen hin, es würden nicht noch mehr. Am Ende des jeweiligen Moratoriums steht dann aber schon die nächste Drohung, v.a. auch mit betriebsbedingten Kündigungen, und wieder willigt man ein in ein Co-Management beim Sozial- und Arbeitsplatzabbau.

Diese realistische Schilderung macht klar, dass den Belegschaften nur geholfen ist, wenn sie sich grundsätzlich dieser neoliberalen Logik in den Weg stellen. Es bleibt kein anderer sinnvoller Weg, als im Betrieb um jeden Millimeter sozialen Bodens zu kämpfen, für erreichte Lohnstandards und möglichst hohe Lohntarife, für jeden einzelnen Arbeitsplatz. Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaft müssen weg vom Co-Management beim Abbau und hin zum konsequenten Abwehrkampf. Die andere Seite hat die Sozialpartnerschaft offiziell aufgekündigt, die Antwort muss lauten Konfliktbereitschaft und Mobilisierung der eigenen Kräfte.

Doch muss dieser Kampf über die Betriebsebene hinaus reichen. Die Rahmenbedingungen für das Verhältnis von Kapital und Arbeit werden in der politischen Arena gesetzt. Ob der Flächentarifvertrag verbindlich ist, oder ob betriebliche Öffnungen prägend sind oder werden. Ob Kapitalexport subventioniert oder durch Kapital-verkehrskontrollen reguliert wird. Welche Gesetze den Arbeitsmarkt, die Sozial- und Steuersysteme regeln. In der politischen Arena ist das Regime des Neoliberalismus durchgesetzt und wird jeden Tag neu gefestigt und ausgeweitet. Wenn die arbeitnehmer- und insgesamt menschenfeindliche Logik dieses Regimes gemildert und schließlich gebrochen werden soll, dann müssen die Belegschaften und die Betriebsräte und die Gewerkschaften endlich mit aller Kraft ihr politisches Mandat ausfüllen. Sonst kommen sie vollends unter den Schlitten eines Kapitals kommen, das, wie es selbst erklärt, wegen globaler Vorgaben keine Rücksicht mehr auf den früheren Sozialpartner nehmen kann.

Die sich herausbildende neue Bundesregierung, die Große Koalition, erweist sich schon in den Konturen ihres Regierungsprogramms als Erfüllungsgehilfe des globalen Kapitals, als Katastrophe für die Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner. Mit der Mehrwertsteuererhöhung, der Kürzung des Arbeitslosengelds und dem Einfrieren der Renten haben gerade die Bedürftigen angesichts einer Inflation von gut 2 % noch weniger in der Tasche. Dies wird die Massenkaufkraft weiter dezimieren und die Konjunktur nach unten drücken. Das Herunterfahren der öffentlichen Ausgaben wird die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge noch weiter verschlechtern. Die Lockerung des Kündigungsschutzes wird den Arbeitsplatzabbau beschleunigen und zu einer weiteren Prekarisierung der Arbeit führen; die Öffnung der Tarifverträge für betriebliche Einzelabmachungen wird die Löhne sinken lassen und den Flächentarif bedeutungslos machen.

Wir brauchen mithin eine grundsätzliche Wende im politischen Bereich. Und da stehen wir heute besser als vor dem 18. September, vor der Bundestagswahl Mit dem Erfolg der Linkspartei ist erstmals seit langem eine Partei in den Bundestag eingezogen, die ein klares, prinzipielles Nein zum Neoliberalismus erklärt. Das gibt Hoffnung, dass im Zusammenspiel der sozialen und politischen Bewegungen und ihrem parlamentarischen Arm – denn dazu muss die Linkspartei werden, oder sie wird den fatalen Weg der SPD und der Grünen gehen – mehr Menschen die offenkundige Wahrheit einsehen, dass die Machtstruktur dieser Gesellschaft ihre Interessen und ihre menschlichen Ansprüche verrät. Im Mittelpunkt der Forderungen sollten stehen
– die Verteilung der zur Verfügung stehenden Arbeit auf alle Arbeitsfähigen (und –willigen), d.h. eine gravierende Verkürzung der Arbeitszeit;
– eine soziale Grundsicherung, die allen Menschen eine armutsfeste Basis für ein anständiges Leben bietet, wo sie voll am sozialen und kulturellen Leben teilhaben können;
– die kollektive Sicherung aller Aspekte der sozialen Daseinsvorsorge von der Erziehung und Bildung über die Gesundheit bis hin zum Alter;
– die Mitsprache und Mitentscheidung aller in allen grundlegenden Fragen des gesellschaftlichen und politischen Lebens.

Mit diesen Forderungen, schon mit Kernfrage der Neuverteilung der Arbeit, werden wir sehr schnell an die Grenzen der Reformfähigkeit des heutigen kapitalistischen Systems stoßen. Es wird sich herausstellen, dass dieses System in seinen Grundzügen transformiert werden muss, dass es mit den alten Strukturen von wirtschaftlicher und politischer Macht ein Ende haben muss. Auch wer sich „nur“ für soziale Reformen einsetzen will, wird bald erkennen, wird im und am Widerstand der wirtschaftlichen und politischen Eliten des global operierenden Kapitals erkennen, dass dieses System sich keinen Reformspielraum gestatten will. Wir müssen ihn erkämpfen – und die Bedingungen dafür sind heute besser als in sie in den letzten 15 Jahren neoliberaler Hegemonie je waren.