Der Klima-Killer aus Leverkusen
CO2 made by BAYER
Immer deutlicher macht sich der Klimawandel bemerkbar. Aber für BAYER gilt weiterhin Business as usual. Der Konzern reduziert seinen Kohlendioxid-Ausstoß kaum und setzt stattdessen auf Kompensationsgeschäfte durch Investitionen in Wiederaufforstungsprojekte. Auch hält er an seinen energie-fressenden Dreckschleudern fest.
Von Jan Pehrke
Waren es in den letzten Jahren die Dürre-Perioden, die vom Klimawandel kündeten, so nahm heuer das Hochwasser mit seinen katastrophalen Folgen diese Rolle ein (siehe S. 26 ff.). Und die dem Weltklimarat (IPCC) angehörende Wissenschaftlerin Astrid Kiendler-Scharr konnte die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse in Relation zum Ausmaß der Aufheizung sogar schon genauer vorhersagen. „Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad haben global etwa elf Prozent der Landfläche ein höheres Risiko, von Flüssen überschwemmt zu werden. Bei zwei Grad sind es schon 21 Prozent der Landfläche“, sagte sie in einem Interview mit spektrum.de.
Im August veröffentlichte der IPCC dann seinen neuesten Report, der noch einmal eindeutige Nachweise für ein gehäuftes Auftreten solcher und anderer Wetter-Phänomene lieferte. „Seit dem fünften Sachstandsbericht gibt es stärkere Belege für Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschläge, Dürren und tropische Wirbelstürme“, heißt es in dem Dokument. Darum mahnten die ForscherInnen, den Treibhausgas-Ausstoß „sofort, schnell und im großen Stil“ zu verringern.
Danach sieht es aber zurzeit nicht aus. Nach Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende werden sich die bundesdeutschen Emissionen im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 um rund 47 Millionen auf 786 Millionen Tonnen erhöhen – der größte Anstieg seit 1990. Die selbstgesteckten Klima-Ziele rücken damit in weite Ferne, wie jüngst auch das Umweltbundesamt bestätigt hat. Die chemische Industrie hat an diesen Emissionen einen Anteil von rund acht Prozent, allein BAYER stieß im Geschäftjahr 2020 3,58 Millionen Tonnen an Treibhaus-Gasen aus, denn beim selbsterzeugten Strom setzt der Konzern zum überwiegenden Teil auf fossile Energieträger. Von den im letzten Jahr produzierten 17.836 Terrajoule entfielen 10.911 Terrajoule auf Erdgas und 566 Terrajoule auf Kohle, wobei der Kohle-Anteil gegenüber 2019 immerhin von 13,5 Prozent auf rund drei Prozent sank. Von den 18.022 Terrajoule zugekauften Stroms entstammten nur sechs Prozent aus erneuerbaren Energie-Quellen. Den Rest des Bedarfs deckten Gas, Kohle oder Kernkraft.
Klima-Sünder BAYER
„Besonders energieintensiv ist unsere Rohstoffgewinnung einschließlich Aufbereitung und Weiterverarbeitung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten von Crop Science – daher entfällt der größte Anteil unserer Treibhausgas-Emissionen auf diese Division“, erklärt der Konzern in seinem neuesten Nachhaltigkeitsbericht. Dass Glyphosat dabei die Hauptrolle spielt, verschweigt er wohlweislich. Neben allem anderen ist das Herbizid nämlich auch noch ein veritabler Klima-Killer. Um das Glyphosat-Vorprodukt Phosphor aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu gewinnen, muss der Ofen am US-amerikanischen BAYER-Standort Soda Springs auf eine Betriebstemperatur von 1.500 °C kommen und braucht dafür entsprechend viel Energie.
Seit Langem schon fordert die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Umrüstung der dortigen Fertigung. Dazu zeigt sich der Global Player aber ebenso wenig bereit wie zur Sanierung oder Ersetzung anderer Dreckschleudern. Und mit einer solchen Haltung steht er im Unternehmer-Lager beileibe nicht allein da. „Die Industrien schieben Neuinvestitionen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt auf“, konstatiert die im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erstellte Studie „Wie kann Nordrhein-Westfalen auf den 1,5-Grad-Pfad kommen“. Die Untersuchung, die Agora Energiewende und die Unternehmensberatung ROLAND BERGER in Tateinheit mit BAYER, BASF, BP, SIEMENS und anderen Firmen erstellt haben, drückt es ein wenig vornehmer aus und spricht von „Investitionsattentismus“.
Staatsknete für den Umbau
Bei den aktuellen Diskussionen gerät diese Großbaustelle des Klimawandels kaum in den Blick. Jene beschränken sich größtenteils auf Kohle, Gas und die anderen Energieträger, mit denen BAYER & Co. ihre Produktionsstätten befeuern. Eigentlich sollte hier der – immer wieder als marktwirtschaftliches Instrument für mehr Klimaschutz – gefeierte Emissionshandel mit CO2-Verschmutzungsrechten für Abhilfe sorgen, indem er Anreize für das Errichten saubererer Anlagen schafft. Davon kann jedoch nicht die Rede sein. Die Agora-Expertise nennt auch den – marktwirtschaftlichen – Grund: „Der CO2-Preis liegt (…) sowohl im europäischen als auch nationalen Emissionshandel auf absehbare Zeit unter den Vermeidungskosten vieler CO2-armer Schlüsseltechnologien in der Industrie“. Für die Multis kommt es also billiger, die CO2-Zertifikate zu kaufen, als in klima-freundlichere Fabriken zu investieren.
„Es bedarf daher staatlicher Anreize und Förderungen“, lautet die Schlussforderung der Agora-Publikation, die dann auch gleich „Klimaneutralität 2050 – Was die Industrie jetzt von der Politik braucht“ betitelt ist. „Die Politik muss (…) gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, welche die Entwicklung, die Einrichtung und den Betrieb neuer Anlagen und Schlüsseltechnologien zum Geschäftsmodell werden lassen – auch für den Export“, verlangt sie. Ihr Mittel der Wahl dazu: Klimaschutz-Verträge, sogenannte „Contracts for Difference“. Diesen weisen die AutorInnen die Aufgabe zu, die betrieblichen Mehrkosten zu decken, bis die Emissionshandelspreise irgendwann einmal so hoch sind, dass rein marktwirtschaftliche Überlegungen die Bau-Projekte vorantreiben. Die Studie der NRW-Grünen tritt ebenfalls für ein solches Modell ein, das sich dann auch im Wahlkampf-Programm der Partei wiederfand. Ein 900 Millionen schweres Pilot-Projekt dazu hat das Bundeswirtschaftsministerium schon auf den Weg gebracht. Und der „Verband der chemischen Industrie“ hat sich bereits Gedanken über die Finanzierung gemacht: „Diese Haushaltsmittel könnten durch Einsparungen in anderen Bereichen aufgebracht werden.“ „Hier will BAYER nur wieder Geld kassieren. Und dabei munter weiter das Klima ruinieren“, lautete der Kommentar der CBG zu den „Contracts for Difference“ in ihrer Presseerklärung zum Klimastreik vom 24. September.
Grüner Ablasshandel
Daneben haben die Konzerne noch eine andere Strategie entwickelt, dem Klimawandel zu begegnen: „Kompensation statt Reduktion“ heißt die Devise. So will der Leverkusener Multi sein Ziel der Klimaneutralität bis 2030 nur zu 42 Prozent durch mehr Strom aus erneuerbaren Energie-Quellen, zu 58 Prozent aber durch Ausgleichsmaßnahmen erreichen. „Im Berichtsjahr haben wir bereits 200.000 t CO2 kompensiert, indem wir bspw. in Uruguay, Brasilien und China Projekte zur Wiederaufforstung und zum Waldschutz finanziert haben“, vermeldet der Agro-Riese in seinem Nachhaltigkeitsbericht. Der Spiegel bezeichnet diese Praxis als grünen Ablasshandel. Die Wissenschaft hält ebenfalls nicht viel von Konzernen als Hobby-GärtnerInnen, denn es läuft auf ein Nullsummenspiel hinaus, an einem konkreten Standort begangene Klimasünden anderswo auf der Welt wiedergutzumachen – bestenfalls. „Neun von zehn Wiederaufforstungsprojekten scheitern“, sagt etwa der Ökologe Thomas Crowther von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Zudem verlegen die Kompensationsgeschäfte die möglichen positiven Klima-Effekte weit in die Zukunft. „Priorität muss die Senkung der CO2-Emissionen haben“, lautet deshalb das Fazit Crowthers.
Es kommt sogar noch schlimmer. Der Leverkusener Multi versucht allen Ernstes, sein Problemkind „Glyphosat“ ungeachtet seines übergroßen CO2-Fußabdrucks als Klima-Retter zu verkaufen, weil es den LandwirtInnen das Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspare. Allerdings streiten die Agrar-ForscherInnen noch darüber, ob eine solche landwirtschaftliche Praxis wirklich das im Boden gebundene Kohlendioxid wieder entfesselt, und der Gewährsmann der Aktien-Gesellschaft in dieser Frage, Professor P. Michael Schmitz, musste unlängst seinen wissenschaftlichen Offenbarungseid leisten. Schmitz hat sich die Arbeit an solchen Sätzen wie „Mit einer angepassten Glyphosat-Strategie in der Fruchtfolge können ohne Ertragsreduzierung die Maschinen- und Arbeitskosten sowie der CO2-Ausstoß gesenkt werden“, nämlich von der jetzigen BAYER-Tochter MONSANTO bezahlen lassen. Trotzdem behauptet der grüne Chef-Lobbyist des Gentech-Giganten, Matthias Berninger, unverdrossen weiter: „Glyphosat ist gut fürs Klima“. Und der Konzern hat sogar ein Programm aufgelegt, das FarmerInnen mit Geld-Prämien dazu verleiten will, den Pflug in der Scheune zu lassen und stattdessen zu Glyphosat zu greifen.
All diese fadenscheinigen Manöver des Unternehmens, sich seine Klima-Bilanz grünzurechnen, waren für die Coordination Grund genug, sich auch im September 2021 wieder am Klimastreik zu beteiligen – und aus gegebenem Anlass natürlich am BAYER-Stammsitz Leverkusen. ⎜