CO2-Handel am Ende
Und ewig qualmen BAYERs Schlote
„Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“ – als neoliberale Version des Klimaschutzes startete der Handel mit Kohlendioxid-Verschmutzungsrechten im Jahr 2005 und avancierte laut Faz schnell zum „Lieblingskind der Ökonomen“. Das sollte er auch bis heute bleiben, während sich ÖkologInnen nie recht mit ihm anfreunden konnten. Eine Lenkungswirkung in Form von Investitionen in sauberere Technologien zeigte er nämlich nicht, denn nur pro forma hatte der Ausstoß von CO2 jetzt einen Preis. Und so blasen BAYER & Co. weiter unverdrossen Unmengen des klimaschädigenden Gases in die Luft. Entsprechend negativ fällt die Bilanz nach acht Jahren grüner Marktwirtschaft aus. „Das System liegt im Wachkoma“ resümiert Die Zeit.
Von Jan Pehrke
Es dauerte sehr lange, bis der Klimaschutz auf die politische Agenda gelangte. 1992 war es endlich so weit. Die Vereinten Nationen beschlossen in New York eine Klima-Rahmenkonvention. Fünf Jahre später folgten der Absichtserklärung konkrete Schritte. Im Kyoto-Protokoll einigten sich über 200 Staaten auf verbindliche Vorgaben zur Reduktion der klimaschädigenden Kohlendioxid-Emissionen. Die Bundesrepublik als einer der größten CO2-Emittenten verpflichtete sich, den Ausstoß des Gases bis 2012 um 21 Prozent senken, für die gesamte EU galt ein Richtwert von acht Prozent, jeweils bezogen auf den Basiswert von 1990.
Doch wie sollten die Länder das umsetzen? Zu schmerzhaften Eingriffen in die Geschäftspolitik der großen Konzerne konnte die Europäische Union sich nicht durchringen. Sie entschied sich vielmehr für eine marktwirtschaftliche Lösung und entwickelte den Emissionshandel. Nach dessen Bestimmungen dürfen die Multis nur bis zu einem bestimmten Oberwert Kohlendioxid ausstoßen, für darüber hinausgehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. So wurde dann aus dem für die Erderwärmung sorgenden CO2-Gas eine ganz normale Ware mit einem bestimmten Preis, über dessen abschreckende Wirkung die StrategInnen hofften, die Unternehmen zu Investitionen in umweltschonendere Technologien zu bewegen. „Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will“, jubilierte die Faz und erklärte den Ansatz zum „Lieblingskind der Ökonomen“.
Aber obwohl der neue Spross ein waschechter Homo oeconomicus war, vermochten BAYER & Co. keine zärtlichen Gefühle für ihn zu entwickeln. Wie bei jeder anderen umweltpolitischen Maßnahme auch, riefen sie routiniert ihre Weltuntergangsszenarien ab. „Ich befürchte, dass Umweltminister Trittin auf dem besten Wege ist, aus Deutschland eine weitgehend industrie-freie Zone zu machen“, wetterte BAYERs damaliger Vorstands- und heutiger Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning und kündigte an zu prüfen, „ob weitere Aktivitäten hierzulande unter diesen Bedingungen wirtschaftlich noch zu vertreten sind”. Und überhaupt: Der Leverkusener Multi betrachtete den Zusammenhang zwischen Kohlendioxid-Ausstoß und Klimawandel als „noch nicht bewiesen“. Bei bloßen Worten blieb es indes nicht. Die Chemie-Unternehmen starteten eine Anzeigen-Kampagne und schrieben einen Offenen Brief an den damals amtierten Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Das alles verfehlte seine Wirkung nicht. „Ich werde nichts mittragen, was wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet”, versicherte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und wusste sich dabei mit dem „Genossen der Bosse“ einig. Nach Kräften nahmen sie dem Emissionshandel alles, was einen ökologischen Fortschritt hätte bedeuten können. So durften die Anlagen von BAYER & Co. draußen bleiben. „Deutschland spricht sich entschieden dagegen aus, weitere Branchen, wie zum Beispiel die Chemie-Industrie, in den Teilnehmer-Kreis mit einzubeziehen”, bekannte Schröder im Jahr 2003 auf der Mitgliederversammlung des Europäischen Chemie-Verbandes CEFIC. Auch die Grenze des Erlaubten setzte die Bundesregierung für die erste Handelsperiode 2005-2007 immer höher, bis sie von 488 Millionen CO2 auf 503 Millionen Tonnen stieg – und die Differenz von Soll- und Ist-Zustand nur noch 2 Millionen Tonnen betrug. Zudem zeigte sie sich bei der Zuteilung der Verschmutzungsrechte großzügig und gab den überwiegenden Teil umsonst ab. Sogar das Einbeziehen umweltschonender „Vorleistungen“ in die Rechnung erreichten Schröder & Co. Da war ihnen der Dank der Branche gewiss. „Die jetzige Regierung hat uns sehr unterstützt”, hielt der „Verband der Chemischen Industrie“ fest, während die Umweltsachverständigen der Bundesregierung die Lenkungswirkung „in dramatischem Umfang abgeschwächt“ sahen und die endgültige Ausgestaltung des Emissionshandels als „ökologisch und ökonomisch unvertretbar“ bezeichneten.
Und das war sie in der Tat. Der Leverkusener Multi beispielsweise muss nur mit seinen Kraft- und Heizwerken auf den Emissionsmarkt, seine großen Produktionsanlagen bleiben verschont. Deshalb braucht die Aktionsgesellschaft bloß für rund 30 Prozent ihres Kohlendioxid-Ausstoßes Verschmutzungsrechte. Und die bekommt sie auch ohne größere Schwierigkeiten. „BAYER konnte in der ersten Handelsperiode (2005 – 2007) mit den zugeteilten Emissionsberechtigungen die eigenen Kraftwerke betreiben, ohne in nennenswertem Umfang Zertifikate zukaufen zu müssen“, konstatiert der Nachhaltigkeitsbericht von 2010. Auch in der zweiten Handelsperiode änderte sich daran nicht viel. Der Konzern schaffte es sogar, die Lizenzen zum Klima-Killen regelrecht zu horten und „Überschüsse zu erwirtschaften“. So erhielt er 2011 Zuweisungen für 2,5 Millionen Tonnen CO2, verbrauchte aber „nur“ welche für 2,37 Millionen Tonnen. Von 2005 bis 2011 sammelten sich nach Recherchen der Initiative SANDBAG auf diese Weise Zertifikate für über eine Million Tonnen Kohlendioxid an, die nun noch für weitere Investitionen in die schmutzige Zukunft des Global Players bereitstehen. Entsprechend negativ für die Umwelt fällt die BAYER-Bilanz nach acht Jahren ökologischer Marktwirtschaft aus: Strebten 2005 7,76 Millionen Tonnen CO2 gen Himmel, so waren es 2012 bereits 8,36 Millionen Tonnen.
Auch bundesweit stiegen die Emissionen an. 2012 legten sie gegenüber dem Vorjahr um 2,4 Millionen Tonnen auf 452,4 Millionen Tonnen zu und lagen damit nur knapp über dem für die zweite Handelsperiode festgelegtem Limit von 451,8 Millionen Tonnen. Die anderen bundesdeutschen Unternehmen zogen sich nämlich ähnlich billig aus der Affäre wie der Pharma-Riese. Die viel zu großzügige Zertifikat-Ausgabe auf der Basis eines unambitionierten Reduktionszieles und eines zu optimistisch angesetzten Wirtschaftswachstums sowie das Zulassen eines Ablass-Handels mittels im globalen Süden geförderter Klimaschutz-Projekte haben die Verschmutzungsrechte für die Multis zur Ramschware werden lassen. Über die Grenze von 30 Euro kamen sie nie hinaus. Zwischenzeitlich kostete die Tonne Kohlendioxid bloß noch 2,50 Euro, und das Überangebot an Verschmutzungsrechten wuchs und wuchs. Mittlerweile beläuft es sich auf über zwei Milliarden Tonnen.
Aufgrund dieser Entwicklung kam es am 18. Januar 2013 an der Leipziger Strombörse zu einem „Schwarzen Freitag“ für die Umwelt. Der Bund musste mangels Interessenten die Versteigerung von über vier Millionen Zertifikaten absagen. Spätestens da war klar: Das als Symbol für die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie gefeierte Instrument taugt in dieser Form nicht dazu, den Klimawandel aufzuhalten. Es bietet keinerlei Anreiz, in umweltschonendere Technologie zu investieren. Stattdessen feiert mit der Kohle der schmutzigste aller Energieträger ein Comeback und steigt der Energie-Verbrauch der Industrie – er liegt heute klar über dem Wert von 1995. Darüber hinaus tragen die Verschmutzungsrechte-Auktionen nicht im gewünschten Ausmaß zur Finanzierung der Energiewende bei. Die dem „Energie- und Klimafonds“ der Bundesregierung zufließenden Einnahmen reichen nämlich nicht, um Projekte zum Klimaschutz wie z. B. Wärmedämmung- und Energieeffizienz-Maßnahmen ausreichend mit Geld zu versorgen. Da Schwarz-Gelb mit einem Tonnenpreis von 17 Euro kalkuliert hatte, fehlen im Budget 400 Millionen Euro, weshalb nun ein Fünftel der Programme auf der Kippe steht.
„Das System liegt im Wachkoma“ resümierte Die Zeit. Einige Länder starteten Wiederbelebungsversuche und beschlossen Mindestpreise für die Zertifikate. Die Bundesregierung aber wollte es Großbritannien, Kanada, Australien und dem US-Bundesstaat Kalifornien nicht gleichtun. Die Untergrenzen wären „mit dem Grundansatz der Mengen-Steuerung nicht ohne weiteres vereinbar“, erklärten Merkel & Co. Für die Europäische Union jedoch bestand ebenfalls Handelsbedarf. Die Klimaschutz-Kommissarin Connie Hedegaard erarbeitete eine Vorlage, die beabsichtigte, dem Handel kurzzeitig 900 Millionen Tonnen Verschmutzungsrechte zu entziehen, um das Angebot an Lizenzen zum CO2-Ausstoß zu verknappen.
Die Reaktion der Konzerne darauf ließ nicht lange auf sich warten. Die Industrie recycelte ihr Weltuntergangsszenario, das sie zur Kampagne gegen die Einführung des Emissionshandels entwickelt hatte und nutzte es nun als propagandistisches Mittel zum Erhalt des Status quo. „Das Emissionshandelssystem funktioniert“, dekretierte Ulrich Grillo, der Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“ (BDI) und warf der EU-Kommission vor, die Wettbewerbsfähigkeit der Multis nicht wie in ihrem industriepolitischen Konzept vorgesehen zu stärken. „Dort genießen energie- und klimapolitische Ziele offenbar höhere, wenn nicht höchste Priorität – notfalls unter Inkaufnahme einer weiteren Erosion der industriellen Basis“, giftete er in Richtung Brüssel. Und der Leverkusener Multi brachte derweil seine jährlich mit 1,85 Millionen Euro alimentierten LobbyistInnen vor Ort in Stellung. Diese schritten gleich zur „fürsorglichen Belagerung“ der EU-ParlamentarierInnen und suchten die Abgeordneten in Gesprächen dazu zu bewegen, der „verzögerten Auktionierung von Emissionserlaubnissen“ nicht zuzustimmen. „Corporate Europe“, „Business Europe“ und andere Vereinigungen taten dann ein Übriges, um die politische Landschaft in der belgischen Hauptstadt zu pflegen.
Und die Saat ging zunächst auf. Im April 2013 lehnte das EU-Parlament den Hedegaard-Vorschlag mit knapper Mehrheit ab. Danach sprach sich allerdings der Umweltausschuss dafür aus, und im Juli schließlich stimmten die Abgeordneten einer aufgeweichten Vorlage dann doch noch zu. Die endgültige Entscheidung über das so genannte Backloading trifft allerdings erst der Ministerrat im Herbst. Die Bundesregierung gab sich in der Frage bislang gespalten. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) optierte für die Verknappung, Wirtschaftsminister Philipp Rösler lehnte diese ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich lange bedeckt, ehe sie eine eigene Position formulierte. „Die ganzen Annahmen, die dem CO2-Handel zugrunde liegen, stimmen nicht mehr“, konstatierte die Politikerin. Dass CDU und FDP, sollten sie die Wahl wieder gewinnen, künftig in Sachen „Verschmutzungsrechte“ etwas annehmen werden, was BAYER & Co. nicht genehm ist, steht allerdings nicht zu erwarten. Noch im Mai 2013 betonte Merkel nämlich, eine kurzfristige Verschärfung des Emissionshandels sei „gegen die geballte deutsche Wirtschaft“ nicht durchsetzbar. Und das christdemokratische Wahlprogramm gibt sich in dieser Frage ähnlich ehrerbietig. „Bestehende Schwächen am jetzigen Handelssystem wollen wir beheben und wirksame Anreize setzen, damit klimaschädliche Treibhaus-Gase vermieden werden können. Zugleich werden wir den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft angemessen berücksichtigen“, kündigen die Christdemokraten an.
Auch in Zukunft wird sich der Emissionshandel also kaum zu einem wirksamen Mittel gegen den Klimawandel entwickeln. BAYER erwartet für die dritte Handelsperiode von 2013 bis 2020 zwar Kosten-Steigerungen, weil es die CO2-Lizenzen nicht mehr umsonst gibt, aber die Bundesregierung hat vorgesorgt und in den Haushalt für 2014 schon einmal 350 Millionen Euro für mögliche Ausgleichszahlungen eingestellt, falls sich die Strom-Rechnung der Konzerne merklich erhöhen sollte.
Nach Meinung des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Philip Mirowski war es dann auch nie Sinn der Übung, BAYER & Co. durch eine schwarze Umweltpädagogik zu braven Kohlendioxid-Drosslern zu erziehen. Für ihn kommen die mageren Emissionseinspar-Ergebnisse alles andere als überraschend. „Meinen Sie nicht, dass sie das wissen? Die sind doch nicht blöd! Obwohl sie das ganze System erfunden haben, erwarten sie, dass es nicht funktioniert. Sie kaufen sich lediglich Zeit und gaukeln den Leuten vor, dass etwas gegen die Klima-Erwärmung getan wird“, sagte er in einem Faz-Interview.
KritikerInnen fordern wegen der ausgebliebenen Effekte schon länger, den Emissionshandel abzuschaffen und zu wirksameren Mitteln zu greifen. Einige von ihnen schlagen beispielsweise vor, die Kohlendioxid-Emissionen analog zur Abgas-Steuer direkt mit Abgaben zu belegen, um die Konzerne auf diese Weise energiewendiger zu machen. Die Partei „Die Linke“ brachte im Januar 2013 sogar schon ein „Kohleausstiegsgesetz nach dem Scheitern des EU-Emissionshandels“ in den Bundestag ein. Aber für solche Projekte sieht es nicht gut aus. Die Politik dürfte in Tateinheit mit der Industrie weiter auf ökonomische Instrumente zur Erreichung ökologischer Ziele setzen und die Erderwärmung damit weiter vorantreiben.