Start der „Dream Production“ in Dormagen
CO2-Recycling keine Lösung für Umweltprobleme
Am 17. Juni 2016 eröffnete die BAYER-Tochterfirma COVESTRO im Werk Dormagen ihre sogenannte „Dream Production“. In der Anlage wird Polyurethan hergestellt, welches unter anderem in Matratzen und Autopolstern verwendet wird. Da in der Herstellung das Treibhausgas Kohlendioxid zum Einsatz kommt, nennt BAYER das Verfahren einen „ganzheitlichen Ansatz zur Nachhaltigkeit“. Umweltschützer bezeichnen das Projekt hingegen als Greenwashing ohne ökologischen Nutzen.
von Philipp Mimkes
Im Monatstakt erschienen jüngst Jubel-Meldungen zur „Dream Production“ der BAYER-Tochter COVESTRO. So berichtete der Spiegel unter der Überschrift „Vom Klimakiller zum Rohstoff“, die Deutsche Welle verspricht „Plastik und Treibstoff aus CO2“. Dem ansonsten eher nüchternen Handelsblatt wurde gar lyrisch zumute: zu Bildern einer leicht bekleideten, schlafenden Frau titelte das Blatt „Die weiche Seite eines Klimakillers“.
Aufhänger für die Berichte ist die neue Produktionsanlage für Polyurethan im BAYER-Werk Dormagen. In der Anlage werden rund 20 % des Vorprodukts Polyol nicht mehr aus Erdöl gewonnen, sondern aus dem Treibhausgas CO2. Die Fabrik wurde Mitte Juni mit einem Festakt eröffnet.
Nicht nur die Medien sind begeistert, auch die Politik jubelt in den höchsten Tönen: So bezeichnet das NRW-Wissenschaftsministerium das Projekt als „Vorreiter für den Klimaschutz“ und als „Unterstützer bei der Energiewende“. Forschungsministerin Johanna Wanka traut der Technologie „einen wichtigen Beitrag zur Energiewende“ zu. Und Lothar Mennicken, zuständiger Referent im Bundesforschungsministerium, trägt bei Konferenzen gar einen Button mit der Aufschrift „I love CO2“.
Greenwashing
Für den Medien-Hype gibt es eine einfache Erklärung: BAYER hatte 2012 die Agentur KETCHUM PLEON mit einer Marketing-Kampagne für die Dream Production beauftragt. In einer Präsentation der PR Agentur heißt es unverblümt, dass die Anlage „gegenüber der Politik, Geschäftspartnern, Mitarbeitern und Öffentlichkeit als Musterbeispiel für ein nachhaltiges Projekt kommuniziert werden“ solle. Die Agentur organisierte Veranstaltungen, lud JournalistInnen zur Besichtigung ein und verfasste sogar eigene Artikel für Publikums- und Fachzeitschriften. Mit dem Ergebnis zeigte sich KETCHUM PLEON höchst zufrieden. In einer Auswertung heißt es: „Über das Projekt wurde in nahezu allen großen deutschen Zeitungen, Magazinen, Fernseh- und Radiosendungen auffallend berichtet“. Mehr als zehn Millionen Personen seien erreicht worden.
Unabhängige Experten hingegen sehen in dem Verfahren keinen ökologischen Fortschritt. In der Kritik steht insbesondere der extreme Energie-Aufwand zur Aktivierung von Kohlendioxid. Die Versprechungen von BAYER seien daher ein „Öko-Schwindel“. So urteilt der Chemiker Dr. Hermann Fischer, Präsidiumsmitglied vom Naturschutzbund (NABU) und Gründer der Auro AG für ökologische Farbstoffe: „Man kann sich kaum eine katastrophalere Strategie ausdenken, als ausgerechnet das auf dem niedrigsten Energielevel ruhende Molekül CO2 zum Aufbau energiereicher Verbindungen nutzen zu wollen. Die Physik kann man nicht überlisten – der riesige energetische Abstand zwischen CO2 und komplexen Kohlenstoff-Verbindungen ist eben nur mit ebenso hohem Energieaufwand zu überwinden.“
Dass man ausgerechnet das reaktionsträge Kohlendioxid als Synthesegrundlage propagiert, hat laut Fischer mit Greenwashing zu tun: „Es macht sich einfach gut, mit einem Verfahren zu prahlen, welches das „böse“ CO2 in nützliche Verbindungen umwandelt. Die PR-Strategen der Industrie haben daher Kohlendioxid zum neuen Lieblings-Spielzeug erwählt. Man baut darauf, dass die Öffentlichkeit den Irrsinn hinter dieser Aktion nicht hinterfragt.“ Fischer fordert stattdessen den Einsatz pflanzlicher Rohstoffe, für deren Verwendung weit weniger Energie benötigt wird.
Klimaeffekt marginal
Auch Prof. Jürgen Rochlitz, Chemiker und langjähriges Mitglied der Deutschen Störfallkommission, ist skeptisch: „Die Nutzung von CO2 in der Kunststoff-Produktion spielt angesichts der um Zehnerpotenzen größeren Mengen energetischer Verbrennungsprozesse eine zu vernachlässigende Rolle. Dies zeigt schon ein Blick auf die Zahlen: BAYER will 5.000 Tonnen Polyol auf CO2-Basis herstellen und hierbei 1.000 Tonnen Kohlendioxid einsetzen. Das ist nicht einmal ein Tausendstel des jährlichen CO2-Ausstoßes von BAYER.“
In dieselbe Kerbe schlägt Manuel Fernández vom Bund für Umwelt und Naturschutz: „Der Einsatz von Kohlendioxid bei der Produktion von Polyurethan stellt aus Sicht des BUND keinen echten Fortschritt in Sachen Klimaschutz dar. Wenn BAYER im Zusammenhang mit diesem neuen Verfahren von einem „ganzheitlichen Ansatz zur Nachhaltigkeit“ spricht, muss sich die Konzernleitung nicht über den Vorwurf wundern, Öko-PR zu betreiben. Der Nutzen eines solchen Verfahrens ist schon angesichts des benötigten Energieaufwands fragwürdig.“ Fernández fordert stattdessen eine drastische Reduzierung der Kunststoffproduktion sowie des Einsatzes fossiler Brennstoffe.
öffentliche Förderung
Der Chemie-Industrie ist es in den letzten Jahren gelungen, das Recycling von Kohlendioxid als Musterbeispiel für eine „grüne Chemie“ zu etablieren. Dutzende Projekte wurden mit öffentlicher Unterstützung gestartet. So kooperierte BAYER bei der Entwicklung der Dream Production mit der Technischen Hochschule Aachen und der Technischen Universität Berlin und erhielt hierfür Zuschüsse in Höhe von 4,5 Mio Euro.
Eine Broschüre des Bundesforschungsministeriums (BMBF) mit dem Titel „Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Chemie-Industrie? CO2 macht´s möglich“ zeigt ein Werbefoto von BAYER direkt auf dem Cover. Thomas Rachel, Staatssekretär im BMBF, reiste am 17. Juni eigens zur Eröffnung der Anlage an.
Insgesamt bewilligte das Ministerium im Rahmen seiner „Hightech Strategie 2020“ rund einhundert Millionen Euro für Verfahren auf Basis von Kohlendioxid. Es steht zu befürchten, dass durch die massive Förderung des CO2-Recyclings wichtige Weichen falsch gestellt werden. Denn wirklich nachhaltige Verfahren auf Basis pflanzlicher Rohstoffe erhalten keine vergleichbare Unterstützung. Dabei könnten Kunststoffe aus Algen, Holzresten oder Stroh – Biomasse, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsproduktion steht – ganz ohne fossile Rohstoffe auskommen.
Chemie-Wende verschlafen
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) forderte in einem Schreiben an das BMBF eine Beendigung der Kooperation mit BAYER: „Die schönfärberisch benannte Dream Production ist allenfalls minimal besser als der Status Quo, aber in keiner Weise nachhaltig. Staatliche Fördergelder sollten jedoch nicht die Chemie-Industrie subventionieren, sondern einen wirklichen ökologischen Fortschritt unterstützen“, heißt es in dem Schreiben. Die CBG fordert stattdessen Programme für eine drastische Reduzierung des Kunststoffverbrauchs sowie wirksame Schritte zur Vermeidung von Plastikmüll.
BAYER hat die Umstellung auf regenerative Rohstoffe und biologisch abbaubare Endprodukte bislang verschlafen. Im Geschäftsbericht des Unternehmens heißt es lapidar: „Der Einsatz nachwachsender Rohstoffe spielt bei Bayer noch eine untergeordnete Rolle.“ Zudem stammt gerade mal ein Prozent der vom Konzern erzeugten Energie aus regenerativen Quellen. Die Aktivierung des reaktionsträgen Kohlendioxids würde aber allenfalls dann Sinn machen, wenn hierfür regenerativ erzeugte und überschüssige Energie verwendet wird.
Die Etablierung des CO2-Recyclings hat denn auch weniger etwas mit ökologischen Gründen zu tun. Vielmehr dürfte sie ein Versuch der Industrie sein, auch in Zeiten schwindender Ressourcen großtechnische Anlagen mit Kapazitäten von mehreren hunderttausend Jahrestonnen zu betreiben. Die Alternative hierzu – kleine, dezentrale Verfahren auf Basis von Biomasse – könnten zwar dem ländlichen Raum neue Perspektiven eröffnen. Ebenso wie bei der Energie-Wende, von der tausende kleine Erzeuger profitieren, stehen die großen Chemie-Firmen bei einer solchen Transformation jedoch nicht auf der Gewinner-Seite. Wie auch bei der Einführung regenerativer Energien, die von der Industrie jahrzehntelang verzögert wurde, ist daher auch mit ausdauerndem Widerstand gegen die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft in der Chemie-Produktion zu rechnen.