29. Mai 2013; Südkurier
Keine Zukunft für Zukunftstechnologie
Laufenburg – Bayer Material Sciences beendet Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Kohlenstoff-Nanoröhrchen. Die winzigen Baytubes werden seit 2006 bei H. C. Starck in Laufenburg produziert.
Voraussichtlich diesen Sommer kommt das Aus für eine „Zukunftstechnologie“ in Laufenburg. Erst vor knapp einem halben Jahr hatte das Regierungspräsidium Freiburg nach einem aufwendigen Verfahren H. C. Starck die Ausweitung der Carbon-Nanotube- (CNT-) Produktion genehmigt. Nun kündigt Bayer Material Sciences, in deren Auftrag H. C. Starck die winzigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen fertigt, das Ende all seiner Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in diesem Bereich an.
Seit 2006 stellt H. C. Starck in seinem Werk Enag für Bayer Kohlenstoff-Nanoröhrchen her. Die dafür verwendete Anlage gehört Bayer, das Produkt wurde als Baytubes vertrieben. Abnehmer sind Firmen, Institute und Universitäten weltweit. Die Nanotubes aus Laufenburg finden im Automobilbau, bei der Energiegewinnung und –speicherung oder bei der Herstellung von Sportartikeln Verwendung. Weil Kohlenstoff-Röhrchen herausragende Materialeigenschaften nachgesagt werden, zeigte sich zum Beispiel auch die Bundesregierung davon überzeugt, dass ihre Herstellung eine Zukunftstechnologie des 21. Jahrhunderts sei. Mit einer erlaubten Produktionskapazität von zuletzt 75 Tonnen im Jahr ist Laufenburg eine der weltweit größten Produktionsstätten.
Völlig überraschend verkündigte Bayer Material Science am 8. Mai das Ende seiner Nano-Projekte. Die möglichen Anwendungsbereiche für die winzigen Kohlenstoff-Röhrchen erschienen von technischer Seite vielversprechend, erklärte das Unternehmen gegenüber unserer Zeitung. Jedoch: „Bahnbrechende Anwendungen für den Massenmarkt und mithin eine umfangreiche Kommerzialisierung sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht.“ Deshalb habe sich das Unternehmen entschlossen, bis zum Sommer all seine Aktivitäten in diesem Bereich abzuschließen. „Das betrifft auch die Herstellung der Baytubes.“
H. C. Starck wurde von dieser Mitteilung seiner ehemaligen Muttergesellschaft vollkommen kalt erwischt. „Wir wurden von Bayer bislang mündlich über diese Entscheidung informiert. In den nächsten Wochen prüfen wir mögliche Optionen zur zukünftigen Nutzung der CNT-Anlage in Laufenburg, in der derzeit drei Mitarbeiter beschäftigt sind“, reagiert Starck. Erst im November 2012 hatte es ein aufwendiges mehrmonatiges behördliches Genehmigungsverfahren zur Ausweitung der Baytube-Produktion und zur Genehmigung einer regulären Betriebserlaubnis erfolgreich zu Ende gebracht. 60 Einzelpersonen und Umweltverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) hatten Einspruch erhoben. Die Herstellung von Nanotubes sei eine noch nicht beherrschbare ,,Risikotechnologie“, bestimmte Nanotubes wiesen asbestähnliche Eigenschaften auf und seien gesundheitsschädlich, so ihre – vom Regierungspräsidium wie auch von Bayer und Starck als nicht stichhaltig zurückgewiesenen – Haupteinwände in dem Verfahren.
Nun könnte ausgerechnet Bayer mit einer unternehmerischen Entscheidung für die Erfüllung der Forderung der Nanotubes-Gegner sorgen. Zwar betont Bayer: „Zusammen mit unseren Entwicklungs- und Geschäftspartnern bemühen wir uns intensiv darum, die bestmögliche Verwendung für unser CNT-Portfolio und besonders das erworbene Spezialwissen sowie die Patente zu finden. Wir sondieren am Markt, inwieweit Interesse an diesem Portfolio besteht.“ Dass H. C. Starck die Nanotubes-Anlage erwerben und die Produktion fortsetzen könnte, gilt unter Insidern aber als unwahrscheinlich, gehörten die Kohlenstoffröhrchen doch nie zum Kerngeschäfte des Spezialchemie-Unternehmens. Von Markus Vonberg