Vom BAYER-Werk zum Chemiepark zum …?
Standort ohne Stand
Wo einst nur das BAYER-Werk seinen Sitz hatte, da befinden sich heute Niederlassungen von 38 Unternehmen. Und immer noch ist Platz im „Chemiepark Leverkusen“ – zuviel Platz. Die Anwerbe-Politik des Konzerns verläuft nämlich nicht allzu erfolgreich, da sich die gesamte Chemie-Branche ähnlich wie der Multi „gesundschrumpft“. „Was tun“, fragte sich das Unternehmen deshalb und erhoffte sich Anregungen von einem Architektur-Wettbewerb.
Von Jan Pehrke
Wenn es einen Ort gibt, der anschaulich macht, wie stark sich BAYER in den letzten Jahren verändert hat, dann ist es das Werksgelände am Leverkusener Stammsitz selbst. Einst nahmen die Anlagen, Hallen und Lager des Multis dort eine Fläche von 340 Hektar ein. Seit einiger Zeit jedoch herrscht Schwund. Der Konzern trennte sich im Zuge der „Konzentration auf das Kern-Geschäft“ von seiner Chemie-Sparte und anderen Teilbereichen, neuere Fertigungsstätten kamen mit weniger Raum aus und die „Just-in-Time“-Produktion reduzierte den Bedarf an Lagerhallen. Während der Konzern größere Investitionen vornehmlich in Asien vornahm, schrumpfte die Belegschaft am Standort kontinuierlich. Von den zu Zeiten der Vollbeschäftigung vorhandenen 45.000 Arbeitsplätzen bestehen nach stufenweiser Reduzierung heute noch rund 31.000: hiervon sind 14.000 BAYER-Mitarbeiter, 5.000 LANXESS-Mitarbeiter, 5.000 Mitarbeiter weiterer Chemieparkpartner und 7.000 Mitarbeiter von Montagefirmen und Fremdbüros.
So entstand ein zunehmendes Missverhältnis zwischen der dürftigen Auslastung und den nach wie vor hohen Kosten für die Infrastruktur. Deshalb kam der Pharma-Riese auf die Idee, das Areal in einen „Chemiepark“ umzuwidmen und offensiv um die Ansiedlung anderer Industriebetriebe aus dem Chemie-Bereich zu werben. „Synergie-Effekte“ hieß dabei das Zauberwort. Für Unternehmen, die sich wie der Leverkusener Multi auf „ihr Kerngeschäft konzentrieren“ wollten, versprach der Chemiepark das „Rundum-Sorglos“-Paket mit Werkschutz, handwerklichen Diensten, Entsorgung, Transport-Logistik und anderen Service-Leistungen.
38 Firmen ließen sich davon bisher anlocken. Das reicht aber noch lange nicht: Grundstücke in einer Größenordnung von insgesamt 20 Hektar warten noch auf Investoren – und dürften es noch eine Weile tun, denn Expansionschancen sieht die Chemie-Branche nur noch in Fernost. Darum zeigt sich der Leverkusener Multi bei der Auswahl seiner Mieter auch wenig wählerisch. Unter anderem unterschrieben die RHEINISCHE PENSIONSKASSE, die MERCEDES-Großkundenbetreuung, die Fachhochschule für Ökonomie und Management und sogar ein Floristikstudio Verträge.
Ein ziemlicher Wildwuchs hat sich so im Chemiepark breit gemacht. Dabei hatte sich Carl Duisberg, von 1912 bis 1925 Generaldirektor des Konzerns, bei seinen schon bis ins Jahr 1895 zurückreichenden Planungen das Ganze so schön ausgedacht. Alles ging seinen geordneten chemischen Gang, einer Blockstruktur mit Haupt- und Nebenwegen folgend. Erst kamen rheinwärts die großen Anlagen der anorganischen Chemie, dann folgten die für organische Zwischenprodukte und schließlich diejenigen für die Enderzeugnisse wie Farben oder Pharmazeutika. Sogar an Vorratsflächen für das als grenzenlos imaginierte Wachstum von BAYER hatte Duisberg gedacht.
Seine Nachfolger bleiben nun auf den Vorräten sitzen. Aber zu allem Unglück läuft nicht nur das Akquisitionsgeschäft schlecht. Auch die Stammmieter beklagen sich zunehmend. „Wegen Preis-Entwicklung, unflexibler Preismodelle und unzureichender Kosten-Transparenz ist die Unzufriedenheit vieler Nutzer, speziell in den großen Industrieparks, oftmals groß“, schreibt Gunter Festel in dem parallel zum Architektur-Wettbewerb erschienenen Buch „Transformation“. Und Festel muss es wissen, stand er doch in BAYER-Diensten, bevor er sich mit einer Beratungs- und Investmentfirma selbstständig machte.
Der Unternehmensberater empfiehlt den Betreibern als Reaktion auf die verblühenden Parklandschaften das Übliche: Ausgliederungen, Effizienz-Steigerungen, eine verstärkte Service-Orientierung und andere „Strukturanpassungen“. BAYER hat sich diese Ratschläge, die Festel schon seit Jahren in Fachzeitschriften erteilt, zu Eigen gemacht. Seit Ende 2005 setzte der Leverkusener Multi die Beschäftigten der innerhalb der Holding für die Chemieparks zuständigen Sparte BAYER INDUSTRY SERVICES (BIS) unter Druck. Die Belegschaftsangehörigen wehrten sich massiv gegen die Rationalisierungsmaßnahmen, konnten am Ende aber nur das Schlimmste, die Zerschlagung der BIS, verhindern. Im Rahmen der im Frühjahr beschlossenen „Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung“ mussten sie die Ausgliederung der „Technischen Dienste“ in eine Tochtergesellschaft und harsche Lohneinbußen hinnehmen. Dem BIS-Boss Klaus Schäfer reicht das immer noch nicht. „Die Technischen Dienste und der Werkschutz liegen in den Kosten noch zu hoch“, sagte er in einem Interview.
Aber die im Chemiepark ansässigen Unternehmen kritisieren nicht nur die hohen Kosten. Sie fühlen sich auch sonst auf dem Areal nicht recht wohl, was kein Wunder ist, denn für Floristik-Studios und Pensionskassen hatte Carl Duisberg es nicht überplant. Diese Dienstleister, die BAYER in Ermangelung von Kunden aus dem produzierenden Gewerbe als Mieter gewonnen hat, vermissen in der ehemaligen „Festung BAYER“, von der Außenwelt durch die hohen Werksmauern abgeschlossen und umgeben von industriellen Zweckbauten, die Aufenthaltsqualität.
Dem Leverkusener Multi ist das nicht verborgen geblieben. Die BankerInnen, FloristInnen & Co. hätten als Dienstleister „andere Bedürfnisse“ stellte BAYER-Chef Werner Wenning fest und räumte ein, der Chemiepark müsste „attraktiv für eine andere Art von Mitarbeitern“ werden. Die beiden Chemiepark-Manager Ernst Grigat und Wolfgang Vogel erachteten hierzu einen „Büro-Campus“ sowie eine „Dienstleistungsmeile“ als probate Mittel, aber der Global Player wollte zusätzlich Rat von ExpertInnen und veranstaltete einen Architektur-Wettbewerb. Die ungefähre Richtung gab er in der Ausschreibung vor. Eine „vorsichtige Öffnung und osmotische Durchdringung von Stadt und Chemiepark“ sollten die StudentInnen mit ihren Plänen bewerkstelligen und dem sich auf dem Gelände vollziehenden Strukturwandel eine architektonische Form geben.
Viel weiter ist der Konzern nach dem Ende der Veranstaltung allerdings nicht. Dass die beiden Preisträger Guilleaume Tripoteau und Gael Hémon in ihrem Entwurf „Cubiquitol 27mg“ ausgerechnet die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN als einen Teil der Lösung betrachten, hätte der Pharma-Riese sich nicht einmal in seinen düstersten Alpträumen ausgemalt.