Die Charta für Menschenrechte und Industrielle Gefahren
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG / www.CBGnetwork.org) hat in den Jahren nach der Chemie-Katastrophe 1984 in Bhopal/Indien an der Entwicklung der Charta “Menschenrechte und industrielle Gefahren“ mitgearbeitet. Insbesondere hat CBG-Gründungsmitglied Axel Köhler-Schnura an den abschließenden Beratungen der Charta 1994 in London teilgenommen und dort das Fall-Beispiel „BAYER-Konzern“ vorgetragen.
Entwurf des internationalen Permanent Peoples´ Tribunal (PPT) für eine Charta „Menschenrechte und industrielle Gefahren“
Zum Entwurf
Aus Anlass des 10. Jahrestags der Bhopal-Katastrophe wurde vom 30. November bis 2. Dezember 1994 in London ein Tribunal aus fünf internationalen Richtern abgehalten. Das Permanent Peoples’ Tribunal (PPT) für Menschenrechte und Industrielle Gefahren hörte Aussagen und Empfehlungen von Spezialist*innen, Opferverbänden, Interessensgruppen und Einzelpersonen bezüglich der Auswirkungen von riskanten Produktionen auf Arbeiter*innen, Allgemeinheit und Umwelt sowie fehlender Wiedergutmachung für die Opfer. Dies war das vierte und letzte Tribunal des PPT bezüglich industrieller Gefahren und Menschenrechte, das zur Entwicklung der Charta für Menschenrechte und Industrielle Gefahren beisteuerte.
Die Welt hat hinreichende Erfahrung mit industriellen und Umweltgefahren erlangt. Die Lektionen müssen aus diesen Erfahrungen gelernt werden, so dass die Menschen, die gestorben sind oder leiden mussten, dies nicht umsonst getan haben. Das ist das Urteil des Permanenten Völkertribunals, welches im Oktober 1992 in Bhopal abgehalten wurde.
Gegründet wegen verheerender industrieller Katastrophen, wie Seveso, Italien (1976), Bhopal, Indien (1984) und Tschernobyl, Ukraine (1986), nahm das PPT seine Arbeit auf (1991-1994), um sich dem Mangel an rechtlichem und medizinischem Schutz der betroffenen Arbeiter*innen und Bewohner*innen zu widmen sowie den örtlichen industriellen Risiken für die Umwelt.
Themen wie Katastrophenschutz, Verantwortung der Werksbetreiber*innen, internationales Recht und viele andere Problembereiche der industriellen Produktion wurden angesprochen. Das PPT wurde am zehnten Jahrestag des Unglücks von Bhopal zusammengestellt als Anregung für eine Charta für Menschenrechte und Industrielle Gefahren.
Fast fünf Jahre dauerte das Entwerfen der Charta, die auf einer Reihe von öffentlichen Anhörungen des Tribunals in New Haven, USA (1991), Bangkok, Thailand (1991), Bhopal, Indien (1992) und London, UK (1994) basiert.
Menschen vieler unterschiedlicher Länder legten Beweise vor. Das Tribunal hörte Aussagen von Überlebenden, die industriellen Gefährdungen ausgesetzt waren, von betroffenen Ortsgruppen und Arbeiter*innen. Zur gleichen Zeit stellten Ärzt*innen, Anwält*innen, Wissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und andere Expert*innen Informationen zu Ursprung und Auswirkungen industrieller Gefahren zur Verfügung.
Trotz ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungen erzählten alle Menschen, die aussagten, eine gemeinsame Geschichte. Industrielle Gefahren breiten sich auf globaler Ebene aus und sie stellen eine ernste Bedrohung für Leib und Leben dar. Außerdem reagieren die vorhandenen wirtschaftlichen, rechtlichen und medizinischen Organisationen nicht adäquat auf diese Besonderheit der Globalisierung. Vereine zur Unterstützung der Opfer äußerten eine gemeinsame Forderung nach einer Instanz, die sie vor Tod, Schaden und anhaltender Unsicherheit schützt. Expert*innenaussagen hoben Beispiele für bewährte Methoden hervor, beschrieben aber auch die Hauptmerkmale einer internationalen Ordnung, in der Gefahren ohne effektive Kontrollen gefördert, gehandelt und geschützt werden.
Das Tribunal hielt seine vierte und letzte Sitzung in London vom 28. November bis zum 2. Dezember. Die Richter*innen hörten drei Tage lang Experte*innenaussagen. Die Anklage wurde von Rechtsanwalt Graham Reid vertreten, die Verteidigung von Rechtsanwalt Andreas O’Shea. Die Beweisführung wurde von sechs Richter*innen gehört:
Francois Rigaux, Jura-Professor, Katholische Universität von Louvain, Belgien, Vorsitzender des PPT
Dr. Rosalie Bertell, Vorsitzende des Instituts für Angelegenheiten öffentlicher Gesundheit, Kanada
Salak Siveraska, Santi Pracha Dhamma Institut, Thailand
Richter Subhan, ehemaliger Richter, Bangladesch, Oberster Gerichtshof
Tina Wallace, Development Administration Group, Universität von Birmingham
Dr. Timothy Weiskel, Direktor, Harvard Seminar in ökologische Werte
Den Richter*innen wurde assistiert von:
Dr. Gianni Tognoni, Epidemiologe am Mario Negri Forschungsinstitut Milan, Generalsekretär des PPT
Joe Verhoeven, Professor für internationales Recht, Katholische Universität von Louvain, Belgien
Am 2. Dezember verkündeten die Richter*innen ihre Ergebnisse und das Urteil bei einer Pressekonferenz im Unterhaus, die von Harry Cohen (Mitglied des Parlaments) und John Hendy (Kronanwalt) veranstaltet wurde.
Die Charta
Das Permanent Peoples’ Tribunal für Menschenrechte und industrielle Gefahren,
das in New Haven, Bangkok, Bhopal und London für vier Sitzungen seit 1991 zusammengekommen ist, um Aussagen zu erhalten und uns zu Themen des Rechts auf Leben, berufliche Gesundheit und Sicherheit, Umweltschutz, Risikomanagement und Schadensreduzierung im weiteren globalen Sinne der gefährlichen Produktion zu beratschlagen;
das entworfen hat über die Zeit von vier Jahren eine Rechtscharta zur Wiedergabe der Ansichten und Belange der Personen, die wegen industrieller Gefahren verletzt und verzweifelt sind, und haben am zweiten Tag des Dezembers 1994 einen Charta-Entwurf herausgegeben für Kommentare und Diskussionen unter den einzelnen Personen und Nicht-Regierungs-Organisationen, einschließlich Gewerkschaften;
das berücksichtigt hat die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, den Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die Wiener Erklärung und ihr Aktionsprogramm, die Pekinger Weltfrauenkonferenz, den Aktionsplan des Weltgipfels zu sozialer Entwicklung und andere relevante internationale Menschenrechtsinstrumente;
das geleitet wurde von der Rio-Erklärung für Umwelt und Entwicklung, Agenda 21, der Entwurfserklärung für die Grundlagen des Menschenrechts und der Umwelt, der Entwurfserklärung für die Rechte von indigenen Völkern und anderen relevanten Mitteln zur Verhütung von industriellen und ökologischen Gefahren;
das geleitet wurde von Abkommen und Empfehlungen internationaler Gewerkschaften, einschließlich des Abkommens zur Freiheit des Zusammenschlusses und Schutz des Rechts, sich zu organisieren, vom Abkommen zum Organisationsrecht und auf Tarifverhandlungen und vom Abkommen bezüglich der Verhütung größerer industrieller Unfälle;
das erheblich besorgt ist über die umfassende Verbreitung von gefährlichen Produkten und Prozessen, die zu industriellen Anwendungen führen, die menschliche, soziale und ökologische Zerstörung verursachen, die insbesondere Lebensraum, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur indigener Völker bedrohen;
das zutiefst besorgt ist über die Häufigkeit von kleinen, aber schädlichen gefährlichen Vorfällen, sowie über das Ausmaß und die Art von größeren industriellen Unglücken, einschließlich der Geschehnisse in Seveso, Tschernobyl, Bhopal, Basel und anderswo;
das besorgt ist über die erfolglosen nationalen und internationalen Systeme zu Gefahrenschutz, Katastrophenhilfe, medizinischer und staatlicher Unterstützung und staatlicher Übernahme von Verant-wortung, die in ihrer jetzigen Form sowohl darin versagt haben, berufliche und ökologische Gefahren adäquat zu verhindern als auch darin, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die verantwortlich sind für Tote und Verletzte weltweit;
das zur Kenntnis nimmt, dass dringender Handlungsbedarf besteht, künftige Verschlechterungen bezüglich des menschlichen und tierischen Lebensraums und der Umwelt zu verhindern, und das Leid, verursacht durch industrielle Gefahren, angemessen zu beseitigen;
das zur Kenntnis nimmt, dass die persönliche Erfahrung und wiederholten Forderungen von Arbeiter*innen und Bewohner*innen, die von industriellen Gefahren betroffen sind, die bestmögliche Basis für die Formulierung von Rechten bietet;
das sich bewusst ist der inhärenten Begrenzungen von nationalem und internationalem Recht sowie der wichtige Rolle der gemeinschaftlichen Organisationen und Bewegungen in der Prävention und Linderung industrieller Gefahren;
das überzeugt ist, dass neue nationale und internationale Systeme zur Prävention, Linderung und rechtlichen Haftung formuliert und festgelegt werden müssen;
erklärt das Folgende:
Teil I
Allgemeingültige Rechte
Artikel 1
Keine Diskriminierung
1. Jeder Mensch hat Anspruch auf alle Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung dargelegt werden, ohne jede Unterscheidung bezüglich Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, Nationalität, politischer Meinung oder Zugehörigkeit zu einer politischen oder ethnischen Gruppe oder sozialen Klasse bzw. Kaste, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Besitz und Einkommen, Geburt oder jeglichem anderen Status.
2. Angesichts der besonderen Abwertung, mit der Frauen als bezahlte oder unbezahlte Arbeitskräfte konfrontiert sind, sollte darauf geachtet werden, ob die unten genannten Rechte Frauen besonders betreffen.
3. Angesichts ihrer besonderen Verwundbarkeit und Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt soll Kindern, die industriellen Gefahren ausgesetzt sind, besonderer Schutz gewährt werden.
4. In Hinblick auf den Zusammenhang zwischen niedriger Entlohnung und risikoreichem Arbeitsumfeld und auf die überproportionalen Auswirkungen industrieller Risiken auf rassische und ethnische Minderheiten sollte diesen Gruppen besonderer Schutz gewährt werden.
Artikel 2
Bezug zu anderen Rechten
Die Rechte in dieser Charta und andere Menschenrechte, einschließlich zivilrechtlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, sind universell, interdependent und unteilbar. Insbe-sondere die Freiheit von gesundheitlichen Risiken einschließlich dem Recht, gesundheitsgefährdende Beschäftigungen zu verweigern, gründet auf der vollständigen Umsetzung sozialer und wirtschaftlicher Rechte, einschließlich des Rechts auf Bildung, Gesundheit und einen angemessenen Lebensstandard.
Artikel 3
Recht auf Zurechenbarkeit
Jeder Mensch hat das Recht, Einzelpersonen, Unternehmen oder Regierungsbehörden haftbar zu machen für Handlungen, die zu Gesundheitsgefahren führen. Insbesondere sollen Dachgesellschaften, einschließlich transnationaler Gesellschaften, für die Handlungen ihrer Tochterunternehmen haftbar gemacht werden.
Artikel 4
Organisationsfreiheit
1. Alle Mitglieder und Arbeiter eines Gemeinwesens haben das Recht, sich mit anderen Gemeinwesen und Arbeitern zusammenzuschließen, um ein Arbeitsumfeld anzustreben, das frei von gesundheitlichen Risiken ist.
2. Das Recht auf Organisation schließt insbesondere ein:
(a) die Freiheit der Meinungsäußerung, des Zusammenschlusses und der friedlichen Versammlung;
(b) das Recht, lokale, nationale und internationale Organisationen ins Leben zu rufen;
(c ) das Recht auf Agitation, politische Einflussnahme, Schulungen und Informationsaustausch;
(d) das Recht, Gewerkschaften zu gründen;
(e) das Recht auf Streik oder andere Formen des Arbeitskampfes.
Artikel 5
Recht auf angemessene Gesundheitsfürsorge
1. Jeder Mensch hat das Recht auf angemessene Gesundheitsfürsorge.
2. Dieses Recht schließt insbesondere ein:
a) das Recht von Einzelpersonen und Gruppen, bei der Planung und Implementierung von
Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge mitzuwirken;
b) das Recht von Einzelpersonen und Familien auf gleichen Zugang zu der Art Gesundheitsfürsorge, die dem Gemeinwesen möglich ist;
c) das Recht auf Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten, einschließlich dem angemessenen Zugang zu Krankenhäusern, Wohnbereichskliniken und Spezialkliniken; außerdem dem Zugang zu praktischen Ärzten und Ausübenden anderer medizinischer Berufe, die im dem entsprechenden Gemeinwesen tätig sind;
d) das Recht auf unabhängige Information bzgl. der Relevanz und Zuverlässigkeit der Dienstleistungen und Behandlungen der medizinischen Einrichtungen, unter Berücksichtigung der Methoden der Allopathie, Homöopathie, der Ernährungslehre, der Physiotherapie, der Psychotherapie und indigener Behandlungsverfahren;
e) das Recht auf Gesundheitssysteme, die die unterschiedlichen Auswirkungen von Gesundheits-gefahren auf Frauen, Männer und Kinder anerkennen und berücksichtigen;
f) das Recht auf Gesundheitserziehung.
Artikel 6
Recht auf Verweigerung
1. Alle Gemeinwesen haben das Recht, die Einführung, Ausweitung oder Fortführung risikobehafteter Tätigkeiten in ihrer Lebensumwelt zu verweigern.
2. Alle Arbeitskräfte haben das Recht auf Arbeitsverweigerung in einem risikobehafteten Arbeitsumfeld, ohne Gegenmaßnahmen von Seiten des Arbeitgebers befürchten zu müssen.
3. Das Recht auf Zurückweisung unangemessener rechtlicher, medizinischer oder wissenschaftlicher Beratung bleibt unbenommen.
Artikel 7
Dauerhafte staatliche Souveränität über die Lebensumwelt
1. Jeder Staat behält das Recht auf dauerhafte Souveränität über die Lebensumwelten innerhalb seiner nationalen Rechtsprechung. Kein Staat soll dieses Recht in einer Weise ausüben, die geeignet ist, die Gesundheit oder Lebenswelt seiner Bewohner zu gefährden oder die Umwelt anderer Staaten oder Gebiete außerhalb der Grenzen nationaler Rechtsprechung zu schädigen.
2 Jeder Staat hat das Recht und die Verpflichtung, seine Amtsgewalt regelhaft auszuüben in Bezug auf gefährliche und potentiell risikobehaftete Unternehmen, in Übereinstimmung mit den Interessen und dem Wohlergehen der Bevölkerung und der Umwelt.
3. Für alle Staaten gilt
a) Keinem Staat darf externe finanzielle Hilfe verweigert werden auf Grund seiner Weigerung, risikobehaftete Produkte zu importieren oder derartige Produktionsprozesse einzurichten;
b) Kein Staat darf gezwungen werden, ausländische Investitionen bevorzugt zu behandeln;
c) Kein Staat darf externen militärischen, diplomatischen, sozialen oder ökonomischen Drohungen oder Zwangsmitteln ausgesetzt werden, die geeignet sind, Regelwerke oder Richtlinien bezüglich gesundheitsgefährdender Produktionsweisen in ihrer Wirkung zu beeinträchtigen.
4. Transnationale Konzerne und multinationale Unternehmen dürfen sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Gastgeberlandes einmischen.
Teil II
Gemeinwesen
Artikel 8
Recht auf Lebensumwelt frei von Gesundheitsrisiken
1. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Lebensumwelt, die frei von Gesundheitsrisiken ist. Dieses Recht ist insbesondere anwendbar, wenn Risiken entstehen durch:
a) Herstellung, Verkauf, Transport, Verteilung, Gebrauch und Entsorgung gesundheitsgefährdender Materialien;
b) jegliche militärische oder waffentechnische Anwendung, ungeachtet nationaler Sicherheitserwä-gungen.
2. Jeder Mensch hat das Recht, in gutem Glauben Klage zu erheben gegen den Besitzer oder Betreiber eines Wirtschaftsunternehmens hinsichtlich von Aktivitäten, von denen der Kläger annimmt, dass sie die Lebensumwelt schädigen.
3. Jeder Mensch, der in einer Umgebung lebt, die unausweichlich mit Risiken behaftet ist, soll das Recht auf Sicherheitssysteme haben, die geeignet sind, ihn vor solchen Risiken so weit wie möglich zu schützen. Die Besitzer oder Betreiber des betreffenden risikobehafteten Unternehmens dürfen die Einrichtung des wirkungsvollsten verfügbaren Schutzsystems nicht auf Grund von Kosten oder sonstigem Aufwand verweigern.
Artikel 9
Recht auf Umweltinformation
1. Jeder Mensch hat das Recht, auf angemessene Weise unterrichtet zu werden hinsichtlich geplanter Maßnahmen zur Einrichtung, Ausweitung oder Modifizierung einer potentiell gefährlichen Industrieanlage, die die öffentliche Gesundheit oder die Lebensumwelt gefährden könnten. Zur vollen Verwirklichung dieses Rechtes sollen folgende Schritte eingeleitet werden:
a) Alle Staaten sollen gewährleisten, dass Gemeinwesen, Einzelpersonen und Nicht-Regierungsorganisationen das Zugriffsrecht auf vollständige Informationen bzgl. der Planungen haben. Dieses Recht soll deutlich vor der offiziellen Genehmigung wirksam werden und soll nicht mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Geheimhaltung beschnitten werden;
b) Alle Staaten sollen gewährleisten, dass vor der offiziellen Genehmigung eines riskanten Vorhabens eine unabhängige und gründliche Bewertung der Auswirkungen auf die Umwelt und die öffentliche Gesundheit unter Beteiligung des betroffenen Gemeinwesens durchgeführt wird.
2. Jeder Mensch hat das Recht, in seiner eigenen Sprache und in einer für ihn verständlichen Weise über potentielle Gefahren oder Risiken informiert zu werden, die mit einem Produkt oder Produktionsprozess verknüpft sind, mit denen sie in Kontakt kommen könnten.
3. Jeder Mensch hat das Recht auf Informationen über die Sicherheitsprotokolle jeglicher wirtschaftlicher Unternehmungen, deren Herstellungsweise oder industrielle Fertigung seine Lebensumwelt beeinträchtigen könnten, einschließlich der Zahl und Art der Unglücksfälle, die sich ereignet haben, des Ausmaßes der durch solche Unfälle verursachten Verletzungen und jeglicher potentieller gesundheitlicher Langzeitschäden.
4. Jeder Mensch hat das Recht auf Informationen über Arten und Mengen gefährlicher Substanzen, die auf einem Firmengelände gelagert und verwendet werden, die vom Gelände aus in Umlauf gebracht werden oder in Endprodukten enthalten sind. Dieses Informationsrecht schließt insbesondere ein das Recht auf angemessenen Zugang zu Verzeichnissen toxischer Emissionen. Alle Personen, die in der Nähe potentiell gefährlicher Einrichtungen wohnen, haben das Recht, das Firmengelände zu inspizieren und potentiell gefährliche Substanzen und Produktionsprozesse physisch zu verifizieren.
5. Jeder Bewohner eines Umfeldes, in dem er mit Materialien und Produktionsprozessen in Kontakt kommen kann, die bekanntermaßen hochriskant sind und die von den betrieblichen Tätigkeiten eines Wirtschaftsunternehmens ausgehen, hat das Recht auf regelmäßige Untersuchungen durch einen vom Besitzer oder Betreiber dieses Unternehmens bezahlten medizinischen Fachmann.
Artikel 10
Recht auf Mitwirkung des Gemeinwesens
1. Jeder Mensch hat das Recht auf Mitwirkung bei Planungs- und Entscheidungsprozessen, die seine Lebensumwelt beeinflussen.
2. Jeder Mensch hat das Recht auf Mitwirkung bei Planungs- und Entscheidungsprozessen, die folgende Eigenschaften haben sollen:
a) öffentlich und frei zugänglich;
b) zugänglich für jedermann in Hinblick auf Zeit und Ort;
c ) im Voraus weitreichend bekanntgemacht;
d) ohne Einschränkungen durch Anforderungen an Lese-/Schreibfähigkeit, spezielle Sprachkenntnisse oder Art der Beiträge.
3. Jeder Mensch hat das Recht, seine Besorgnisse und Einwände in Bezug zu Risiken zu äußern, die mit der Einrichtung, Modifizierung oder Ausweitung eines Wirtschaftsunternehmens in Verbindung gebracht werden.
4. Jeder Mensch hat das Recht auf Mitwirkung bei der Gestaltung und Ausführung laufender Studien, die die Beschaffenheit von Risiken für die Lebensumwelt ermitteln sollen, die durch ein Wirtschafts-unternehmen entstehen.
Artikel 11
Recht auf Umwelt-Monitoring
1. Jeder Mensch hat das Recht auf regelmäßige und wirksame Beobachtung seiner Gesundheit und seines Umfeldes zur Erfassung möglicher Kurzzeit- und Langzeitschäden durch gefährdende oder potentiell gefährdende Produktionsprozesse.
2. Jeder Mensch hat das Recht, bzgl. der Häufigkeit, der Art und der Ziele von Umwelt-Monitoring zu Rate gezogen zu werden. Das Recht, nicht-professionelle Monitoring-Strategien wie zum Beispiel Laien-Epidemiologie zu organisieren, soll geschützt werden. Die Rechte von Frauen, deren Erfahrung in der Gesundheitsfürsorge möglicherweise sonst unentdeckte Risiken aufdecken kann, werden besonders bekräftigt.
3. Jeder Mensch, der in gutem Glauben überzeugt ist, dass das Umfeld seines Gemeinwesens durch die Aktivitäten irgendeines Wirtschaftsunternehmens gefährdet ist, hat das Recht auf eine unver-zügliche und gründliche Untersuchung, durchzuführen von einem unabhängigen Träger und ohne Kosten für die Auftrag gebende Person.
Artikel 12
Recht auf öffentliche Fortbildung
1. Jeder Mensch hat das Recht auf wirksame Verbreitung von Informationen in Hinblick auf Gesundheitsgefahren in seinem Gemeinwesen. Dieses Recht umfasst auch Unterweisungen auf der Basis bestmöglicher Informationen und Standards unter Nutzung nationaler und internationaler Quellen.
2. Staaten sollen wirksame Maßnahmen ergreifen für:
a) klare und systematische Kennzeichnung gefährlicher Substanzen;
b) angemessene Fortbildung auf lokaler Ebene, einschließlich der Unterweisung von Kindern, über gesundheitsgefährdende Substanzen und Produktionsweisen;
c) die Schulung von Polizei, Medizinern und anderen Dienstleistern bzgl. gesundheitsgefährdender Produkte und Produktionsweisen.
Artikel 13
Recht auf lokale Maßnahmen der Notfallvorsorge
1. Jeder Mensch hat das Recht auf angemessene Maßnahmen der Notfallvorsorge, einschließlich der Bereitstellung von Warnsystemen bei drohenden Gefahren und Systemen für unverzügliche Hilfsmaßnahmen.
2. Alle Staaten sollen Maßnahmen ergreifen zur Ausstattung von Gemeinwesen mit angemessenen Notfalldiensten, einschließlich der Bereitstellung von geeigneten Strukturen bei der Polizei, der Feuerwehr, in medizinischen und paramedizinischen Diensten sowie im Katastrophen-Management.
Artikel 14
Recht auf Durchsetzung von Umweltgesetzen
1. Jeder Mensch hat das Recht, sein Lebensumfeld angemessen und in regelmäßigen Abständen von einem ausgebildeten Umweltinspektor prüfen zu lassen, der die Einhaltung der Gesetze streng überwacht und bei Verstößen Strafverfolgungsmaßnahmen einleitet.
2. Jeder Mensch hat das Recht auf Gesetzgebung zum Umweltmanagement auf der Basis des Vorsorgeprinzips, so dass bei drohenden ernsten und/oder irreversiblen Schäden fehlende wissenschaftliche Nachweisbarkeit nicht als Begründung anerkannt wird, um kostenwirksame Maßnahmen zur Verhütung von Gesundheitsgefahren und Umweltschäden zu verzögern.
Artikel 15
Rechte indigener Völker
1. Indigene Völker haben das Recht, ihr Habitat, ihre Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur vor industriellen Risiken und umweltzerstörenden Praktiken durch Wirtschaftsunternehmen zu schützen.
2. Indigene Völker haben das Recht auf Kontrolle über ihr Land und das Ressourcen-Management ihres Landes, einschließlich des Rechts auf Abschätzung potentieller Auswirkungen auf die Umwelt und des Rechts, die Ansiedlung umweltgefährdender oder umweltzerstörender Industrien auf ihrem Land zu verweigern.
Teil III
Rechte der Arbeiter und Arbeiterinnen
Artikel 16
Spezielle Arbeitnehmerrechte
Über ihre Rechte als Mitglieder eines Gemeinwesens hinaus haben Arbeiterinnen und Arbeiter spezifische Rechte, die auf ihr Arbeitsumfeld anwendbar sind.
Artikel 17
Recht auf gefahrenfreies Arbeitsumfeld
1. Arbeiter haben das Recht auf eine Arbeitsumgebung, die frei von vorhersehbaren Gefahren ist, welche mittel- oder unmittelbar von einem Wirtschaftsunternehmen ausgehen, besonders von der Fertigung oder anderen industriellen Abläufen.
2. Jeder Arbeiter ist berechtigt, in gutem Glauben beim Unternehmer oder bei außenstehenden Parteien Klage zu führen über Bedingungen oder Praktiken am Arbeitsplatz, die er für schädlich oder gefährlich hält, ohne deswegen fürchten zu müssen, dass der Arbeitgeber ihn mit Strafmaßnahmen oder anderen diskriminierenden Maßnahmen belegt.
3. Eine Arbeitsumgebung, aus der unmöglich alle Gefahren verbannt werden können, berechtigt zum Anspruch auf Hilfestellung; alle Schutz- und Sicherheitsvorrichtungen samt entsprechender Ausstattung müssen kostenlos und voll wirksam zur Verfügung stehen, auch persönliche Schutzausrüstung, die nötig ist, um Gefahren so weit wie möglich auszuschalten. Arbeitgeber dürfen sich nicht weigern, aus Kostengründen oder wegen des Aufwandes die wirksamste Ausrüstung zur Verfügung zu stellen.
4. Arbeiter haben das Recht auf sichere Arbeitssysteme, und alle Arbeitgeber sind verpflichtet, solche Systeme zu planen, zur Verfügung zu stellen, in Stand zu halten und regelmäßig auf den neuesten Stand zu bringen.
5. Arbeiter sollen keiner gefährlichen Chemikalie ausgesetzt sein, die durch eine weniger gefährliche Substanz ersetzt werden kann.
6. Regierungen und Arbeitgeber sind verantwortlich für die Einrichtung von Arbeitsumfeldern, die frei von Gesundheitsgefahren sind. Die Untätigkeit einer der beiden Seiten soll keine angemessene Rechtfertigung für die Pflichtverletzung der anderen Seite sein.
Artikel 18
Recht auf Gesundheits- und Sicherheitsinformationen
1. Alle Arbeiter haben das Recht auf angemessene Unterrichtung, wenn Veränderungen in ihrem Arbeitsumfeld geplant sind, die möglicherweise eine Bedrohung von Sicherheit und Gesundheit darstellen.
2. Arbeiter haben das Recht, in ihrer eigenen Sprache und auf eine Weise, die sie verstehen können, über jegliche bekannte Gesundheitsgefährdung unterrichtet zu werden, die mit irgendwelchen Stoffen oder Arbeitsabläufen verbunden ist, mit denen sie während der Zeit ihrer Beschäftigung zu tun haben.
3. Alle Arbeiter haben das Recht auf Kenntnis des Sicherheitsberichts, der über ihr Arbeitsumfeld angefertigt wurde, einschließlich der Art und Zahl der eingetretenen Unfälle, dem Ausmaß der Folgeschäden und jeglicher bekannter Langzeitgefahren für ihre Gesundheit, die von Ausgangs- und Werkstoffen sowie Arbeitsabläufen ausgehen, die der Arbeitgeber eingeführt hat. Arbeiter haben das Recht, regelmäßig über Sicherheitsberichte jedes Unternehmens informiert zu werden, das mit dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, durch gemeinsame Eigentümerschaft verbunden ist.
4. Arbeiter, die in einem Umfeld beschäftigt sind, wo sie mit bekanntermaßen sehr gefährlichen Stoffen sowie unfallträchtigen Arbeitsabläufen in Berührung kommen, haben ein Recht auf ärztliche Untersuchungen durch einen unabhängigen Fachmann, den der Arbeitgeber zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses stellt. Der Erstuntersuchung sollen in regelmäßigen Abständen weitere folgen, die von der konservativsten Abschätzung der Risiken ausgehen, aber nicht mehr als ein Jahr auseinanderliegen sollen; das ärztliche Ergebnis soll dem Arbeiter mitgeteilt werden.
Artikel 19
Recht auf Mitbestimmung
1. Alle Arbeiter haben das Recht auf wirksame Mitbestimmung bei Entscheidungen des Managements, die die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten betreffen.
2. Alle Arbeiter haben das Recht, Sicherheitsvertreter zu wählen. Diese Vertreter haben das Recht auf Mitwirkung in gemeinsamen Ausschüssen, paritätisch zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeiterschaft und des Managements, die regelmäßig tagen und sich mit Gesundheits- und Sicherheitsfragen befassen.
3. Alle Arbeiter haben das Recht, bei der Gestaltung und Ausführung laufender Gesundheits- und Sicherheitsstudien mitzuwirken, um die Beschaffenheit jeglicher Risiken für Gesundheit und Sicherheit zu ermitteln.
4. Alle Arbeiter haben das Recht, lokale Zentren für Risikoabschätzung und einschlägige Informationsnetzwerke einzurichten und/oder sich ihnen anzuschließen. Regierungen und Arbeitgeber sind verpflichtet, solche Organisationen und Programme zu unterstützen.
Artikel 20
Recht auf Gesundheits- und Sicherheits-Monitoring
1. Alle Arbeiter haben das Recht, in einem Arbeitsumfeld tätig zu sein, das regelmäßig und wirksam auf Risiken für Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter geprüft wird, die in dem Bereich beschäftigt sind.
2. Ungeachtet der Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitsumfelder zu untersuchen, soll den Arbeitern das Recht bleiben, unabhängige oder von Arbeitern durchgeführte Prüfungen zu erwirken. Dieses Recht schließt das Recht auf regelmäßiges Monitoring ein, um möglichen Langzeitgefahren vorzubeugen, die aus dem Kontakt mit Substanzen, Materialien oder Produktionsprozessen im Arbeitsumfeld resultieren können.
3. Jeder Arbeiter, der in gutem Glauben annimmt, dass seine Gesundheit oder Sicherheit gefährdet ist oder sein wird durch den Kontakt mit Substanzen, Materialien oder Produktionsprozessen im Arbeitsumfeld, hat das Recht auf eine unverzügliche und gründliche Untersuchung durch den Arbeitgeber, eine unabhängige Agentur oder auf anderem Wege, ohne dass dem Arbeiter Kosten entstehen.
Artikel 21
Recht auf Unterweisung und praktische Schulung
1. Arbeiter, die mit gefährlichen oder risikobehafteten Ausgangs- und Werkstoffen und in unfallträchtigen Abläufen arbeiten, haben ein Recht auf begleitende Unterweisung über den angemessenen Gebrauch der gefährlichen Ausgangs- und Werkstoffe. Das Recht auf Unterweisung und praktische Schulung auf der Basis bestmöglicher Information aus nationalen und internationalen Quellen wird bekräftigt.
2. Arbeiter und Aufsichtsführende haben das Recht, über den richtigen Gebrauch gefährlicher Stoffe Bescheid zu wissen, die fachgerechte Ausführung aller Arbeitsprozesse zu beherrschen, mit den nötigen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Lebensumfeld vertraut zu sein, und die Maßnahmen zu kennen, die bei einem Unfall zu ergreifen sind.
Artikel 22
Recht auf Maßnahmen der Notfallvorsorge am Arbeitsplatz
1. Alle Arbeiter haben das Recht auf Maßnahmen der Notfallvorsorge, die den Bedingungen und Verfahren in ihrem Arbeitsumfeld angemessen sind. Die Maßnahmen sollen Warnsysteme für bevorstehende Gefahren und Systeme unverzüglicher Hilfsmaßnahmen einschließen, außerdem realistische Übungen der Abläufe und häufige Simulationen am Schreibtisch vorsehen.
2. Verfahren der Notfallvorsorge sollen die besonderen Bedürfnisse einzelner Arbeiter berücksichtigen, einschließlich der Bedürfnisse von Personen mit Seh-, Hör- oder Mobilitätsbehinderungen.
3. Alle Arbeiter haben das Recht auf angemessene Notfalldienste, einschließlich der Polizei, der Feuerwehr, der medizinischen und paramedizinischen Dienste sowie dem Katastrophen-Management.
Artikel 23
Recht auf Geltendmachung von Gesundheits- und Sicherheitsgesetzen
1. Alle Arbeiter haben das Recht, ihr Arbeitsumfeld angemessen und in regelmäßigen Abständen von einem ausgebildeten Gesundheits- und Sicherheitsinspektor prüfen zu lassen, der die Einhaltung der Gesetze streng überwacht und bei ernsthaften Verstößen Strafverfolgungsmaßnahmen einleitet.
2. Alle Arbeiter haben das Recht auf angemessene Gesetzgebung zur Planungskontrolle auf der Basis des Vorsorgeprinzips, so dass bei drohenden ernsten und/oder irreversiblen Schäden fehlende wissenschaftliche Nachweisbarkeit nicht als Begründung anerkannt wird, um kostenwirksame Maßnahmen zur Verhütung von Gesundheitsgefahren und Umweltschäden zu verzögern.
Teil IV
Allgemeine Ansprüche auf Unterstützung
Artikel 24
Recht auf Unterstützung und Entschädigung
1. Alle verletzten oder sonst irgendwie von gefährdenden Produktionsprozessen nachteilig betroffenen Personen haben das Recht auf schnelle, umfassende und wirksame Hilfe. Dieses Recht ist anwendbar auf alle von Gefahren oder potentiellen Gefahren betroffenen Personen, einschließlich der Personen, die zur Zeit der Schädigung oder dem Kontakt noch nicht geboren waren, und Personen, die direkt oder indirekt körperlich oder materiell geschädigt oder ökonomisch oder sozial benachteiligt wurden.
2. Dieses Recht umfasst das Recht auf faire und angemessene Entschädigung zur Deckung aller Kosten, die in Verbindung stehen mit gefährlichen oder potentiell gefährlichen Produktionsprozessen, einschließlich der Kosten für:
a) Medikamente, Tests, Therapien, Krankenhausaufenthalte und andere medizinische Behandlungen;
b) Reisen und andere Nebenkosten;
c ) Einkommensverluste, Überbrückungsdarlehen und andere finanzielle Einbußen;
d) Arbeitslosigkeit durch die Schließung eines Werks;
e) zusätzliche unbezahlte Arbeit einschließlich der Pflege durch die Familie und das Gemeinwesen;
f) Bezahlung von Hilfsgütern und/oder Hilfsmaßnahmen und Ausgleich für entgangene Lebenschancen, direkt oder indirekt verursacht durch gefährdende Prozesse oder Produkte;
g) Wiederherstellung der Umwelt.
3. Alle von Gesundheitsgefahren betroffenen Personen haben das Recht auf wirksame und innovative politische Maßnahmen zur Reduzierung der Gefahren und zur Entschädigung. Um dieses Recht zu verwirklichen, sollen folgende Maßnahmen von Staaten und Wirtschaftsunternehmen ergriffen werden:
a) Schließung von Produktionsstätten;
b) Verminderung oder Vermeidung der Umweltbelastung;
c) Garantie durch die Beschuldigten, Vermögenswerte für Entschädigungsmaßnahmen unangetastet zu lassen;
d) Zwangsliquidierung der Vermögenswerte eines Unternehmens, wenn die Verpflichtungen den messbaren Vermögenswerten entsprechen oder diese übertreffen;
e) Platzierung der Vermögenswerte des Unternehmens in Annuitätenfonds, die von geschädigten Personen oder deren Repräsentanten kontrolliert werden;
f) faire und angemessene Entschädigung für die Kosten der medizinischen Beurteilung von Symptomen;
g) andere Abhilfemaßnahmen, die zum Nutzen der betroffenen Personen nötig erscheinen.
4. Um die Ansprüche gegenwärtig oder in Zukunft betroffener Personen zu befriedigen, sollen angemessene Fonds eingerichtet werden.
Artikel 25
Recht auf unverzügliche einstweilige Unterstützung
1. Alle von gesundheitsgefährdenden Wirtschaftstätigkeiten nachteilig Betroffenen haben das Recht auf unverzügliche und angemessene einstweilige Unterstützung zur Linderung ihrer Verletzungen und Leiden für den Zeitraum, in dem die endgültige Haftung und Entschädigung noch nicht festgelegt sind. Staaten sollen sicherstellen, dass alle gefährdenden oder potentiell gefährdenden Unternehmen durch eine Versicherung oder auf andere Art finanzielle Vorsorge treffen in einer Höhe, die den potentiellen Kosten für einstweilige Unterstützungszahlungen entspricht.
2. Für den Fall, dass ein Wirtschaftsunternehmen diese Vorsorge vernachlässigt, soll die Unterstützung durch den Staat geleistet werden. In dieser Weise gewährte einstweilige Unterstützung wird nicht aufgerechnet gegen gerichtlich festgelegte abschließende Entschädigungszahlungen.
Artikel 26
Recht auf medizinische Information
Alle Menschen, auch noch ungeborene Menschen, die unmittelbar oder nachträglich durch gesund-heitsgefährdende Handlungen geschädigt werden, haben das Recht, relevante Dokumente derartige Schädigungen betreffend zu erhalten, einschließlich medizinischer Aufzeichnungen, Testergebnissen und anderer Informationen.
Dieses Recht darf geltend gemacht werden zum frühestmöglichen Zeitpunkt und darf nicht durch Verzögerungen oder Zuwiderhandlungen durch die Regierung oder die Industrie behindert werden. Solche Offenlegungen dürfen nicht in einer Weise erfolgen, die das Recht der betreffenden Person auf Zugang zu einer Dienstleistung, einer Versicherung, einem Arbeitsverhältnis oder jeglicher sozialer Chancen präjudiziert.
Artikel 27
Recht auf professionelle Dienstleistungen
1. Alle Personen, die durch gesundheitsgefährdende Tätigkeiten geschädigt werden, haben das Recht auf Zugang zu wirksamen professionellen Dienstleistungen, einschließlich den Dienstleistungen von Anwälten, Journalisten, wissenschaftlichen Experten und medizinischen Fachkräften.
2. Bei strittigen Fragen wissenschaftlicher oder medizinischer Natur haben alle betroffenen Personen oder ihre Repräsentanten das Recht auf unabhängige Beratung, frei von Befürchtungen und Begünstigung. Das Recht, unabhängige, auch mehrfache Beratung anzustreben, wird bekräftigt.
3. Fachkräfte und Experten sollen folgende Verhaltensweisen unterlassen:
a) Beratung auf der Basis inadäquater Information oder Expertise;
b) Behinderung der Bemühungen von Arbeitern oder Gemeinwesen um Information, auch durch eigene Recherche oder das Sammeln von Daten mit Hilfe von Laien-Epidemiologie oder andere Methoden;
c) gemeinsames Handeln gegen die Interessen von Arbeitern und Gemeinwesen.
4. Alle Fachkräfte, die im Besitz von Informationen sind bzgl. der Gesundheit einer geschädigten oder von Gesundheitsgefährdungen betroffenen Person, sollen vorrangig der Sorge um das Wohlergehen dieser Person verpflichtet sein. Diese Pflicht soll jederzeit Vorrang haben vor jeglicher Loyalität zu Dritten, einschließlich einer Regierung, einer Berufsorganisation oder einem Wirtschaftsunternehmen.
Artikel 28
Recht auf wirksame juristische Vertretung
1. Alle durch gesundheitsgefährdende Handlungen nachteilig betroffenen Personen haben das Recht, unabhängige Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen.
2. Alle Staaten sollen kostenlose Rechtsvertreter und juristischen Beistand durch einen unabhängigen juristischen Experten zur Verfügung stellen, wenn die Interessen der Justiz das erfordern.
3. Bei der Entscheidungsfindung über jegliche Klage dürfen die betroffenen Personen ihre Ansprüche untermauern:
a) unter der Federführung einer Arbeiterorganisation oder einer Organisation des Gemeinwesens, oder
b) durch Sammelklagen, in denen die Rechte aller betroffenen Personen in einem Verfahren entschieden werden.
4. Alle Personen, die Klage vor Gericht erheben oder zu erheben versuchen, haben das Recht auf Einsicht in alle relevanten Akten ihres juristischen Vertreters.
Artikel 29
Wahl des Gerichtsstandes
1. Jede durch gesundheitsgefährdende Handlungen geschädigte Person hat das Recht, ihre Klage gegen mutmaßliche Schädiger, einschließlich Einzelpersonen, Regierungen, Unternehmen oder anderer Organisationen, bei einem Gericht seiner Wahl vorzubringen. Kein Staat soll solche Personen auf der Basis von Staatsangehörigkeit oder Wohnort benachteiligen.
2. Alle Staaten sollen sicherstellen, dass im spezifischen Fall juristischer Ansprüche, die aus den Auswirkungen gesundheitsgefährdender Handlungen entstehen, Rechtsvorschriften, einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen und Rechtsgrundsätze, die ansonsten die Verfolgung dieser Ansprüche erschweren würden, die Klage betroffener Personen auf volle und wirksame Entschädigung nicht verhindern sollen.
Artikel 30
Recht auf Dokumentation der Voruntersuchung
Alle durch gesundheitsgefährdende Handlungen geschädigten Personen und ihre Vertreter haben das Recht, relevante Dokumente, Akten oder andere Informationen zu suchen und ausgehändigt zu bekommen, um sie dem Gericht oder anderen, unabhängigen Tribunalen oder Foren vorzulegen mit dem Ziel, während des Verfahrens die Haftung von Einzelpersonen, Unternehmen, Organisationen oder Regierungen zu begründen.
Artikel 31
Recht auf faires Verfahren
Alle durch gesundheitsgefährdende Handlungen geschädigten Personen sollen das Recht haben, innerhalb einer angemessenen Zeitspanne von einem unabhängigen, gesetzmäßigen Tribunal angehört zu werden. In diesem Recht enthalten ist das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, einschließlich:
a) des Rechts, aus Sammelklagen auszutreten;
b) des Rechts auf frühzeitige Unterrichtung, bevor ein außergerichtlicher Vergleich in einer Zivilklage abgeschlossen ist;
c) des Rechts, eine Klage einzubringen, auch nach Überschreiten einer Fristsetzung durch administrative, gesetzgeberische, juristische oder andere Maßnahmen;
Artikel 32
Recht auf Freiheit von Täuschung und Verzögerung
Alle durch gesundheitsgefährdende Handlungen geschädigten Personen sollen das Recht haben, vor Täuschung durch Unternehmen, Regierungen oder andere Körperschaften beschützt zu werden. Weiterhin hat jede Form beabsichtigter Verzögerung oder Behinderung des juristischen Verfahren zu unterbleiben, einschließlich:
a) der Bankrotterklärung;
b) des Missbrauchs der Prozessordnung zur Verzögerung der Entscheidungsfindung;
c) der Fälschung von Beweismitteln.
Artikel 33
Recht auf Durchsetzung von Urteilen oder Vergleichen
Alle durch gesundheitsgefährdende Handlungen geschädigten Personen und ihre Vertreter sollen das Recht haben, Urteile oder Vergleichsergebnisse gegen die Vermögenswerte der haftbaren Partei oder der Partei im Vergleichsverfahren in jedem anderen Land durchzusetzen; es soll die Pflicht jedes Staates sein, innerhalb seines Gesetzesrahmens umfassende Rechtsinstrumente zur Verfügung zu stellen, um jeden betroffenen Bürger zu unterstützen.
Artikel 34
Recht auf Umkehr der Beweislast
1. Im Falle eines Prima-facie-Beweises, dass Tod oder Verletzung von einer Gefährdung durch einen industriellen Produktionsprozess verursacht wurde, muss das gefährdende Unternehmen beweisen, dass es nicht fahrlässig gehandelt hat.
2. Keine von gefährdender Tätigkeit widrig betroffene Person soll übermäßigen Anforderungen an die Dokumentation oder strengen Beweisstandards unterworfen werden, um zu begründen, dass die gefährdende Tätigkeit ihre Erkrankung oder ihre Symptome verursacht hat. Die Verknüpfung zwischen Gefährdung und Erkrankung soll angenommen werden, wenn die betroffenen Personen nachweisen:
a) dass sie unter Symptomen leiden, die für gewöhnlich assoziiert werden mit schädlichen Substanzen oder einem ihrer Bestandteile, die in die Umwelt gelangt sind;
(b) und
(i) dass sie sich entweder während des Zeitraums der Kontamination im Bereich dieser Kontami-nation aufgehalten haben;
(ii) oder dass sie zu einer Personengruppe gehören, die für gewöhnlich als sekundär Betroffene angesehen wird, einschließlich Säuglingen, Kindern, Lebensgefährten oder anderen engen Partnern.
Artikel 35
Recht auf strafrechtliche Haftung von Gesellschaften oder Staaten
1. Alle Personen, die durch industrielle Gefahren Verletzungen oder den Tod erlitten haben, haben das Recht auf vollständige strafrechtliche Untersuchung der Handlungsweise des Wirtschaftsunternehmens, damit befasster Regierungsbeamter und aller betroffenen Einzelpersonen oder Organisationen. Die Untersuchung soll unverzüglich und rigoros durchgeführt werden und soll eine Einschätzung enthalten, ob Straftaten, einschließlich Mord oder Totschlag, begangen wurden. Falls hinreichende Beweismittel gefunden werden, soll eine prompte und energische Strafverfolgung eingeleitet werden.
2. Falls die strafrechtliche Haftung eines Unternehmens oder einer Einzelperson erwiesen ist, sollen Geldbußen oder Gefängnisstrafen in einem Ausmaß verhängt werden, das geeignet ist, exemplarisch und abschreckend zu wirken.
Artikel 36
Recht auf sichere Auslieferung
Wenn eine Person, die einer Straftat im Zusammenhang mit gesundheitsgefährdenden Handlungen beschuldigt wird, in einem Land außerhalb der Gerichtsbarkeit des Verfahrens wohnt oder sich aufhält, wird hiermit das Recht bekräftigt, die Auslieferung des Beschuldigten an das Land des Gerichtsstandortes zu verlangen und zu gewährleisten.
Teil V
Inkraftsetzung
Artikel 37
Korrespondierende Pflichten
Alle Personen, haben die Pflicht, individuell oder im Zusammenschluss mit anderen die in dieser Charta niedergelegten Rechte zu schützen. Arbeitgeber und Regierungsangehörige stehen unter strenger Verpflichtung, für die umsichtige Anwendung der Rechte Sorge zu tragen. Gewerkschaften, gemeinnützige Gesellschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen stehen in besonderer Verantwortung für die Verwirklichung der Regelungen dieser Charta.
Artikel 38
Staatliche Verantwortlichkeiten
Alle Staaten sollen das Recht von Arbeitern und Gemeinwesen respektieren, frei von industriellen Gesundheitsgefährdungen zu leben. Im Einklang damit sollen sie gesetzgeberische, administrative und andere Maßnahmen durchführen, die zur Implementation der in dieser Charta enthaltenen Rechte nötig sind.
Artikel 39
Nicht-staatliches Handeln
Das Fehlen staatlicher Maßnahmen zur Durchsetzung und zum Schutz der in dieser Charta nieder-gelegten Rechte tilgt nicht die Verpflichtung von Arbeitgebern, Gewerkschaften, Nicht-Regierungs-Organisationen und Einzelpersonen, diese Rechte geltend zu machen und zu schützen.