Rede Bayer Hauptversammlung 27.4.2012 von Claudia Baitinger (BUND)
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Dr. Dekkers
Es sind rund 5 Wochen vergangen, dass Sie sich vor Journalisten der wirtschaftspopulistischen – sorry: wirtschaftspublizistischen – Vereinigung in Düsseldorf über „aufgeklärte Wohlstandsbürger“ beschwerten, die „beschlossene Projekte infrage stellen und stoppen“ – damit meinten Sie unter anderem den Bau des Kohlekraftwerkes der Fa. EON in Datteln.
Nun wohne ich ausgerechnet im Kreis Recklinghausen und bin auf Grund unserer Mitwirkung im Genehmigungsverfahren gut informiert über die Geschichte dieses Schwarzbaus. Ich nehme Ihnen nicht übel, wenn Sie als Niederländer das inzwischen deutschlandweit berühmte Planungsdesaster nicht von Anfang an verfolgt haben, ich nehme Ihnen aber sehr übel, wenn Sie mit falsch dargestellten Tatsachen in meiner Meinung nach demagogischer Weise vor die Fachpresse treten, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, sich bei etwas gutem Willen über den wahren Sachstand zu informieren, z.B. auf der Internetseite des BUND Landesverbandes NRW.
Ich bin mir aber sicher, dass Sie genau wissen, wie diese Planungsruine zustande gekommen ist: dass nämlich die Genehmigungsbehörden nach über 10 J. immer noch heillos überfordert sind mit dem „bissfesten“, d.h. planungssicheren Vollzug der unter Kohl in Gang gesetzten sogenannten Beschleunigungsgesetze wie das Sternverfahren und die Möglichkeiten von Teilerrichtungsgenehmigungen und vorzeitigem Beginn.
Diese unter dem Slogan „Wirtschaftsstandort Deutschland“ geschaffenen bürgerfeindlichen und angesichts der Ausdünnung der Umweltbehörden im Vollzug defizitären Gesetze – neben einem gehörigen Maß an Arroganz der Macht, wie wir sie eben von politisch verflochtenen Großunternehmen kennen – haben dem Kohlekraftwerk Datteln „das Genick gebrochen“ – ob endgültig oder nur vorübergehend wird sich am 12.6. vor dem OVG in Münster voraussichtlich zeigen.
Sie sollten den „aufgeklärten BürgerInnen“ und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland dankbar sein, dass sie durch alle Instanzen für Rechts- und damit Planungssicherheit sorgen, und das kommt sowohl betroffenen BürgerInnen als auch Unternehmen zu Gute. Davon könnte auch Bayer letztlich profitieren – und zwar kostenlos!
Die Fragen nach Recht und Rechtssicherheit sind auch in einem Genehmigungsverfahren zu stellen, das von der ehemaligen Bayer – Tochterfirma H. C. Starck in Laufenburg im Auftrag von Bayer zu Beginn diesen Jahres in Gang gesetzt wurde: Es geht dabei um die endgültige immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer seit sage und schreibe 6 Jahren sich im Versuchsbetrieb befindlichen Produktionsanlage von Carbo-Nano-Tubes. Obwohl vom Gesetz her solch ein langer Versuchsbetrieb ohne das vorgeschriebene öffentliche Genehmigungsverfahren nicht vorgesehen ist, hat es die Fa. Starck unserer Auffassung nach erfolgreich verstanden, die Genehmigungsbehörde über diesen ungewöhnlich langen Zeitraum hinzuhalten. Mit welcher Genehmigung wurde beispielsweise zwischen Ende Januar und Mai letzten Jahres die Anlage in Laufenburg betrieben? Trotz unserer Behördenanfrage nach Umweltinformationsgesetz haben wir bislang noch keine Erklärung für diesen Zeitraum bekommen.
Bereits vor 2 Jahren habe ich hier an dieser Stelle darauf hingewiesen, welche Bedenken und Befürchtungen wir als Umweltverband generell mit den Eigenschaften der CNTs und im Besonderen mit der Herstellung von Carbo Nano Tubes und mit der sich auch im Versuchsstadium ohne öffentliches Genehmigungsverfahren befindlichen Anlage in Leverkusen haben. Ich habe darauf verwiesen, dass mit den derzeit gültigen Umwelt- und Arbeitsschutzgesetzen, die in „Vor – Nano – Zeiten“ entstanden, ein solches Genehmigungsverfahren nicht wirklich beherrschbar ist.
Ist es Zufall, dass sich die Dinge in Leverkusen und Laufenburg gleichen? Was hat die Fa. Bayer zu verbergen, was meint sie der Öffentlichkeit nicht mitteilen zu können, wenn doch die Herstellung und das Produkt selbst so unbedenklich sind, wie immer wieder von ihr behauptet?
Bislang gibt es für Freisetzungen von Nano – Materialien im Wasser-, Bodenschutz und Abfallrecht noch keinerlei angemessene Regelungen. Ohne mich wiederholen zu wollen und nochmals im Einzelnen auf die nicht adäquaten rechtlichen Rahmenbedingungen für nanoskalige Stoffe und ihre zweifelsohne cytotoxischen Eigenschaften mahnend hinzuweisen, aktualisiere ich diesen Vortrag von damals und stelle Ihnen die Frage: Was ist von einer sich seriös gebenden Firma zu halten, die im Erörterungstermin, nachdem wir aufgrund der den Antragsunterlagen beigefügten Sicherheitsdatenblättern heftige Kritik am toxischen Inventar der Anlage und der unvollständigen Kenntnis der dort produzierten Stoffe übten, plötzlich neue überarbeitete Dokumente aus dem Hut zauberte, die noch nicht einmal zu der Zeit der Genehmigungsbehörde bekannt waren?
Wenn sich nunmehr die dringlich herbeigesehnte Genehmigung in Laufenburg verzögert, weil das Freiburger Regierungspräsidium dem Braten offenbar nicht so richtig traut und sich noch ein Arbeitsschutzgutachten von unabhängiger Seite anfertigen lässt, wie der örtlichen Presse zu entnehmen ist, so hat die Verzögerung nichts mit dem Widerstand „aufgeklärter Wohlstandsbürger“ zu tun, sondern schlicht mit einem unentschuldbaren Versäumnis des Antragstellers, der Fa. Bayer. Solche Vorkommnisse sorgen für den Verlust an Akzeptanz, aber nicht, wenn Umweltverbände für die Einhaltung von Recht und Gesetz kämpfen.
Sie sehen, sehr geehrter Herr Dekkers, wie schnell Sie von der Wahrheit eingeholt werden.