(K)ein Kreuz für Bütefisch
von Willi Winkler
Wer sich größere Verdienste um die Gemeinschaft erworben hat, dem wird irgendwann das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die Ehrung kann beschleunigt werden, wenn der Auszuzeichnende in der Öffentlichkeit steht und eine angesehene Position bekleidet. Noch schneller geht es, wenn er über einflussreiche Freunde verfügt, die zum Beispiel darauf drängen, Herrn Dr.-Ing. Heinrich Bütefisch aus Anlass seines 70. Geburtstags das Große Bundesverdienstkreuz zu verleihen. „Dem Weitblick und dem rücksichtslosen Einsatz des Vorgeschlagenen ist es wesentlich zu verdanken, dass nach 1945 die schlimmsten Schäden von der Wirtschaft des rheinisch-westfälischen Industriegebietes, namentlich der Zertrümmerung ihres industriellen Potentials, ferngehalten wurden. Aufgrund seiner Initiative gelang es, die chemische Industrie auf eine neue wirtschaftliche Basis zu stellen.“ Herr Bütefisch, muss man wissen, war stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Ruhrchemie und hatte sich um das seinerzeit vielberedete Wirtschaftswunder verdient gemacht. Der Bundespräsident willfahrte dem Drängen und schmückte den Jubilar Anfang März 1964 mit dem angeforderten Orden.
In jenem März 1964 trat beim Frankfurter Auschwitzprozess der Gutachter Jürgen Kuczynski auf und erläuterte, wie die I.G. Farben das Lager Auschwitz als Ressource für billige Arbeitskräfte genutzt hatte. „Vernichtung durch Arbeit“ lautete das Programm, von der Partei gefordert, von den Beteiligten exekutiert. Einer, der dabei besonders rücksichtslos vorging, war Heinrich Bütefisch, Vorstandsmitglied der I.G. Farben. Er verhandelte mit der SS-Führung über den Häftlingseinsatz bei der I.G. Farben und konnte die chemische Industrie dadurch auf eine ganz neue Basis stellen. Dass er nebenbei den Rang eines Obersturmbannführers bei der SS innehatte und dem „Freundeskreis Himmler“ angehörte, wird ihm bei seiner Aufbauarbeit in Auschwitz nicht geschadet haben. 1948 verurteilte ihn ein alliiertes Militärgericht in Nürnberg wegen seiner Verdienste um die deutsche chemische Industrie zu sechs Jahren Gefängnis.
Davon wussten 1964 allerdings weder Staatsanwaltschaft noch Verfassungsschutzamt, die man vorsichtshalber zum Kandidaten Bütefisch befragt hatte. Vielleicht wollte auch niemand mehr wissen, dass das bereits erwähnte Wirtschaftswunder ohne verurteilte Kriegsverbrecher längst nicht so wunderbar ausgefallen wäre. Die Vergangenheit war doch vergangen, und deshalb rührte man besser nicht daran.
Weit weg von Deutschland, im amerikanischen Exil, formulierte 1939 der Philosoph Max Horkheimer einen Satz, der heute so märchenfern klingt, dass er schon gar nicht mehr zitiert werden darf: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ Oder davon: Die deutsche Industrie hatte 1932 den Reichspräsidenten Hindenburg gedrängt, den NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Die nämliche deutsche Industrie profitierte von den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die das neue Regime zu verschaffen verstand, vor allem von den konkurrenzlos niedrigen Löhnen.
Wenn nicht ein Prozessbeobachter in Frankfurt gepetzt hätte, wenn nicht die DDR die Sache an die große Glocke gehängt hätte, wäre der Ingenieur aus Essen unbehelligt geblieben. Der Skandal war groß genug, dass das Bundespräsidialamt etwas bis dahin Unerhörtes tat und seinen Verdienstorden zurückforderte. Sechzehn Tage nach der Verleihung gab Bütefisch das Große Bundesverdienstkreuz wieder her. „Rechtlich wird dieser Vorgang als ein mit Zustimmung des Betroffenen erfolgter Widerruf des begünstigenden Hoheitsakts der Ordensverleihung anzusehen sein“, verkündete der Chef des Bundespräsidialamtes. Die Verdienste des Wirtschaftsführers Heinrich Bütefisch um die deutsche Industrie bleiben davon unberührt.
(Der Artikel ist zuerst in der Süddeutschen Zeitung erschienen. Wir danken für die Nachdruckgenehmigung)