An Heidemarie Wieczorek-Zeul
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Friedrich Ebert Allee 40
53113 Bonn
3. September 2003
Kinderarbeit im indischen Baumwoll-Anbau / Verantwortung multinationaler Saatgut-Hersteller
Sehr geehrte Frau Wieczorek-Zeul,
gemeinsam mit dem Global March Against Child Labour haben wir Anfang August die deutschsprachige Übersetzung der Studie CHILD LABOUR AND TRANS-NATIONAL SEED COMPANIES IN HYBRID COTTONSEED PRODUCTION des indischen Arbeitswissenschaftlers Dr. Davuluri Venkateswarlu veröffentlicht (s. Anlage). Darin werden die Produktionsbedingungen im indischen Baumwollanbau, der Rückgriff auf Kinderarbeit sowie die Verbindungen zwischen transnationalen Saatgut- Konzernen und lokalen Produzenten untersucht.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Zehntausende Kinder – überwiegend Mädchen zwischen 6 und 14 Jahren – in kleinen Zuliefer-
betrieben beschäftigt sind, die für multinationale Unternehmen Baumwoll- Saatgut produzieren. Viele Kinder befinden sich in Schuldknechtschaft und arbeiten über Jahre hinweg auf den selben Feldern, um Darlehen und Zinszahlungen abzuarbeiten. Vom Schulbesuch sind sie ausgeschlossen – damit haben sie keine Chance, jemals aus dem Armutskreislauf ausbrechen zu können. Insgesamt sind nach den Berechnungen von Dr. Venkateswarlu bis zu 450.000 Kinder in der indischen Baumwollsaat- Herstellung beschäftigt. Diese Zahlen übertreffen alle anderen Bereiche der indischen Wirtschaft, in denen Kinderarbeit auftritt (Teppich-
herstellung, Diamanten schleifen, Verarbeitung von Kalkstein, etc).
Rund ein Viertel des mit Hilfe von Kinderarbeit produzierten Saatguts wird von Tochterfirmen sechs multinationaler Unternehmen aufgekauft. Hierzu gehört neben dem US-amerikanischen Konzern Monsanto, der Schweizer Syngenta AG und dem holländischen Unternehmen Unilever auch der deutsche Bayer-Konzern.
Die lokalen Farm-Betriebe arbeiten zwar nominell unabhängig, sind jedoch durch Qualitäts- und Preisvorgaben sowie durch langfristige Lieferverträge vollständig an die Abnehmer gebunden. Vertreter der Konzerne geben die Dauer der Pflanzperiode, den Einsatz von Pestiziden, die Häufigkeit von Bewässerung und die Qualität der Ernte detailliert vor und nehmen auf den Farmen regelmäßige Kontrollen vor. Mit dem massenhaften Einsatz von Kindern sind die Multis daher gut vertraut. Auf Anfrage räumen die Unternehmen denn auch „Probleme mit Kinderarbeit“ ein, schieben jedoch die Verantwortung auf die Zulieferer. Die Farm-Betreiber hingegen verweisen auf die niedrigen Abnahme-
preise für das Saatgut, die eine rentable Produktion nur mit Hilfe von Kinderarbeit ermöglichen.
Gemeinsam mit dem Global March Against Child Labour und anderen NGOs haben wir die verantwortlichen Unternehmen aufgefordert, keine Produkte aus Kinderarbeit zu vertreiben, angemessene Abnahmepreise für Saatgut zu zahlen, die eine Produktion mit Hilfe erwachsener Arbeitskräfte ermöglichen würde, strikte Kontrollen bei allen Zulieferern durchzuführen und allen Kindern, die in den vergangenen Jahren für ihre Zulieferer gearbeitet haben, eine Schulausbildung zu finanzieren. Zwar gab es vor Ort erste Gespräche (u.a. mit den indischen Kinderarbeits- Aktivisten der M.V. Foundation), substantielle Schritte sind bislang jedoch ausgeblieben (gerade auch beim Bayer-Konzern).
In diesem Zusammenhang haben wir die folgenden Fragen an Sie:
Ist dem BMZ die Problematik bewusst?
Unterstützt das BMZ unsere Forderungen an die genannten Unternehmen?
Steht das BMZ mit den beteiligten Unternehmen (inbesondere der deutschen Firma Bayer) diesbezüglich im Gespräch?
Vier der sechs internationalen Unternehmen, die für die Situation verantwortlich sind, stammen aus Europa (Syngenta, Bayer, Advanta, Unilever). Gibt es auf europäischer Ebene Ansatzpunkte, Druck auf die Firmen auszuüben?
Die beigelegte Studie ist aus Geldmangel bislang nur an ausgewählte Pressekontakte versandt worden. Kann das BMZ bei der weiteren Streuung der Studie finanziell behilflich sein?
Für Rückfragen stehen wir natürlich gerne zu Verfügung. In der Anlage erhalten Sie zudem Artikel der tageszeitung sowie der Schweizer Zeitung Blick, in denen über die Veröffentlichung der Studie berichtet wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Philipp Mimkes
Geschäftsführer CBG
Axel Köhler-Schnura
Vorstandsmitglied CBG