EU fördert Bio-Ökonomie
BAYER macht Forschungspolitik
Gentech-Industrie und Wissenschaft läuten eine neue Ära für die Pflanzen-Biotechnologie ein. Kosten soll sie 45 Milliarden Euro. EU-Forschungskommissar Busquin ist begeistert. Die möglichen Folgen: SteuerzahlerInnen blechen, Stellensuchende gehen leer aus, LandwirtInnen werden abhängig und NaturschützerInnen verlieren stillgelegte Flächen. Die Gentech-kritischen Organisationen? Sie bleiben außen vor.
Von Benno Vogel (Biologe und Autor)
Europa müsse in den nächsten zehn Jahren mehr als 45 Milliarden Euro in die Pflanzen-Genomforschung und die Pflanzen-Biotechnologie investieren. So lautet die Forderung der Industrie-Lobbyorganisation von BAYER, BASF & Co., EuropaBio, und der „Europäischen Organisation für Pflanzenwissenschaften“ (EPSO) (siehe Kasten). Die beiden Organisationen lancierten Anfang Juni gemeinsam die Technologie-Plattform „Pflanzen für die Zukunft“, mit der sie ein langfristiges Forschungsprogramm entwickeln und implementieren wollen. Die Kosten für das Programm wollen sie nicht allein der Industrie überlassen, auch die EU-Kommission soll sich daran beteiligen. Die Forderung trifft auf Zustimmung. Der bis zum November amtierende EU-Forschungskommissar Philipp Busquin sagte bei der Lancierung: „Ich wünsche der Technologieplattform viel Erfolg. Europa braucht ihn“.
Vision für 2020
Weshalb die Investitionen notwendig sind? „Wir brauchen einen konzentrierten Zusammenschluss und einen strategischen Plan für diesen Sektor, sonst verlieren wir Stück für Stück unsere ökonomische Wettbewerbsfähigkeit – nicht nur gegenüber den USA und Japan, sondern auch gegenüber den aufkommenden Pflanzengenetik-Riesen wie China und Indien“, sagt Chris Lamb, Direktor des „John Innes Centers“ in England. Lamb ist einer der Begründer der Technologieplattform und Mitautor der Broschüre „2025 – eine europäische Vision für die Pflanzengenomforschung und Pflanzenbiotechnologie“, zu deren UnterzeichnerInnen auch der Ex-BAYER CROPSCIENCE-Chef Joachim Wulff gehört. Neu an der „Vision“ ist, dass EuropaBio und EPSO die einzelnen Intentionen unter ein gemeinsames strategisches Ziel stellen: Die europäische Wirtschaft soll mit Hilfe von Pflanzen-Genomforschung und Gentechnologie schrittweise auf eine „Bioökonomie“ umgestellt werden, in der die industrielle Produktion von Waren und Dienstleistungen nicht mehr auf fossilen sondern auf biologischen Rohstoffen beruht.
Bio-Ökonomie für das 21. Jahrhundert
„Wir stellen uns einer herausfordernden Aufgabe. Das Handeln nach einer gemeinsamen Vision könnte sich enorm auszahlen: eine wettbewerbsfähige, unabhängige und nachhaltige Bio-Ökonomie für Europa, welche auf die spezifischen Bedürfnisse der europäischen Konsumenten ausgerichtet ist – und dies nicht allein im Hinblick auf Landwirtschaft und Lebensmittel, sondern auch durch vielfältige Anwendungen in anderen Gebieten, wie etwa durch aus Pflanzen gewonnenen Medikamenten, Chemikalien und Energien“, schreiben die AutorInnen von EuropaBio und EPSO in ihrer „Vision“ für 2025. Sie knüpfen damit an die schöne neue Welt an, die sich ihre nordamerikanischen KollegInnen Ende der 1990er-Jahre ausdachten. „Im 21. Jahrhundert wird die neue Bio-Ökonomie eine erhöhte Sicherheit in den Bereichen Energie, Materialien, Umwelt und Gesundheit bringen. Die Agrarforschung und -entwicklung wird die treibende Kraft für die neue Bio-Ökonomie sein“, schreibt der „Nationale Rat für Agrarbiotechnologie“ (NABC) 1998 in einem Bericht. Im selben Jahr veröffentlichen VertreterInnen aus Industrie und Wissenschaft zusammen mit den beiden US-Ministerien für Energie und Landwirtschaft einen technologischen Fahrplan für die Bio-Ökonomie im Jahr 2020. Das darin formulierte Ziel: Die Sicherheit der US-amerikanischen Wirtschaft erhöhen. Der Nationale Forschungsrat (NRC) definiert im Jahr 2000 schließlich die ersten Forschungsprioritäten für die Bio-Ökonomie.
Eine der US-Schwerpunkte ist die Förderung der Pflanzengenomforschung. Sie soll die Wissensbasis liefern, anhand derer Kultur-Pflanzen an die Bedürfnisse der Bio-Ökonomie angepasst werden können. Das Projekt dazu heißt „Nationale Pflanzen-Genominitiative“ und wird von der US-Regierung finanziert – bis 2008 jährlich mit rund 180 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt soviel, wie die EU für Pflanzen-Genomforschung ausgibt. EuropaBio und EPSO sehen deshalb die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft und Lebensmittel-Industrie in Gefahr. Sie fordern eine privat-öffentliche Co-Finanzierung für ihr geplantes, 45 Milliarden Euro teures Forschungsprogramm.
Busquin ist begeistert
Noch fließen jährlich rund 80 Millionen aus der EU-Kasse in die Pflanzen-Genomforschung. Ginge es nach den Wünschen von EPSO und EuropaBio, werden es bald sehr viel mehr sein. Die Chancen stehen gut. Anfang des Jahres gab der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi bekannt, dass die EU-Forschungsmittel verdoppelt werden sollen, um das in der Lissabon-Strategie formulierte Ziel, die EU zur weltweit dynamischsten und wettbewerbsfähigsten wissensgestützten Wirtschaft zu entwickeln, zu erreichen. Als Herzstück dieser Wirtschaft gelten wissenschaftliche Forschung und technologische Entwicklung. Biowissenschaften und Biotechnologie zählen die PolitikerInnen zu den Schlüssel-Feldern, die das Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung sichern sollen. Die Bio-Ökonomie? Aus Sicht des ehemaligen Forschungskommissars Busquin ist die Umstellung der europäischen Wirtschaft auf die Bio-Ökonomie „ebenso unabwendbar wie wünschbar“. Busquin ist begeistert von der Technologie-Plattform „Pflanzen für die Zukunft“ und spendet EuropaBio und EPSO 555.000 Euro, damit sie einen Aktionsplan ausarbeiten und der EU-Kommission Empfehlungen für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm geben können.
Industrie macht EU-Forschungspolitik
Nächstes Jahr entscheidet die EU-Kommission über die Prioritäten für das 7. Forschungsrahmenprogramm, das voraussichtlich von 2006 bis 2010 gelten wird. Kommt dabei die privat-öffentliche Zusammenarbeit für die Technologie-Plattform „Pflanzen für die Zukunft“ zustande, dürften dies die BAYER & Co. als Erfolg verbuchen. Eine Industrie-Branche, die sich selber in ihrer strategischen Ausrichtung und Produkt-Entwicklung kaum von der öffentlichen Politik beeinflussen lässt, hätte die öffentliche Forschungspolitik einmal mehr auf die industrielle Strategie ausgerichtet. Sie könnte dann die 63 Prozent ihrer Gentech-Projekte in Europa wieder aufnehmen, die sie in den letzten Jahren wegen der hohen Entwicklungskosten stoppte. Denn mit der so genannten private-public partnership werden die Kosten nun niedriger, kommt doch die öffentliche Finanzierung der Forschung in diesem Bereich meist einer de facto Unterstützung der Entwicklungskosten der multinationalen Konzerne gleich. Freuen werden sich auch die Genom-ForscherInnen der öffentlichen Institute. Sie brachen in den letzten Jahren vor allem wegen der begrenzten finanziellen Unterstützung 27 Prozent ihrer Gentech-Projekte ab. Durch die „private-public parternship“ werden ihnen wieder mehr Gelder zur Verfügung stehen.
Ohne kritische Organisationen
Ob sich auch die europäische Bevölkerung freuen wird, wenn ihre Steuergelder verstärkt in die Pflanzen-Genomforschung und -Gentechnik fließen? Gefragt hat sie keiner. EPSO und EuropaBio lassen bisher allein die Europäische Verbraucherorganisation BEUC sowie den Ausschuss der berufständischen landwirtschaftlichen Organisationen (COPA) an der Technologie-Plattform und der Ausarbeitung der „Visionen“ teilnehmen. Damit ist nur ein kleiner Teil der Zivilgesellschaft am Prozess beteiligt. Außen vor bleiben nicht nur die BürgerInnen, sondern auch die Organisationen, die sich seit Jahren kritisch mit der Pflanzen-Gentechnik auseinandersetzen. Wird die EU-Kommission nach Zuteilung des ersten Geldes die Teilnahme an der Technologie-Plattform erweitern?
Verlierer des Wettbewerbs
„Die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Agrar- und Lebensmittelverarbeitungsindustrie wird von der Pflanzen-Genomforschung, der Biotechnologie und deren smarten Anwendungen abhängen“, schreiben die AutorInnen von EPSO und EuropaBio. Sie lassen dabei offen, wer die Gewinner und wer die Verlierer der Wettbewerbsfähigkeit sein werden. Zur Gruppe der letzteren dürften Landwirte, Stellensuchende und der Naturschutz gehören.
Laut der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft gibt die Rolle der LandwirtInnen im sich schnell ändernden Agrar- und Lebensmittelsektor Anlass zur Sorge. Da die Biotechnologie den Konzentrationsprozess in der Agrar- und Lebensmittelverarbeitungsindustrie erhöht, steigt die Abhängigkeit der LandwirtInnen. Sie drohen zwischen den beiden mehr oder weniger monopolistischen Industrien zerdrückt zu werden. Sie werden mehr und mehr zu VertragsanbauerInnen, welche die Arbeit verrichten, dabei aber weder die hergestellten Produkte besitzen noch wichtige Betriebsentscheidungen selbständig treffen. Deprimierend sind auch die Aussichten für den Arbeitsmarkt. Die Pflanzen-Biotechnologie dürfte kaum zu neuen Stellen führen. „Die meisten Innovationen der Agrar-Biotechnologie werden die Beschäftigung verringern. Dies wird zwar ökonomische Vorteile haben, indem die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit steigen, aber eine Erhöhung der Arbeitsplätze wird keiner der Vorteile sein“, schreibt Anthony Arundel vom „Maastricht Economic Research Institute“, der im Auftrag der EU-Kommission das Beschäftigungspotential der Agrar-Biotechnologie untersucht hat. Schlecht sieht es auch für den Naturschutz aus. Das unkritische Vorantreiben der Bio-Ökonomie dürfte nicht nur die landwirtschaftliche Praxis intensivieren, sie dürfte auch zu einem enormen Landbedarf und damit zur „Wiederinbetriebnahme“ der stillgelegten Flächen führen.
Zur Gruppe der Gewinner werden BAYER & Co. gehören. Sie werden maßgeblich mitbestimmen, wie sicher die Lebensmittel bleiben, wie ökologisch die Landwirtschaft wird und wie das Nebeneinander der verschiedenen Anbau-Methoden gestaltet wird. Und sie werden entscheiden, wie viele Gentech-Produkte in den Regalen landen, indem sie festlegen, welche Resultate der Pflanzen-Genomforschung für die gentechnische und welche für die konventionelle Züchtung verwendet werden. In der Technologie-Plattform „Pflanzen für die Zukunft“ fällen sie diese Entscheide ohne demokratische Kontrolle.
EuropaBio: „The European Association for Bioindustries“ mit Sitz in Brüssel ist die Lobby-Organisation der Firmen, die in Europa Bio- und Gentechnologie anwenden. Sie vertritt die Interessen von rund 1.200 kleinen und mittleren Betrieben sowie von 40 großen Konzernen – darunter diejenigen von SYNGENTA, BAYER CROP SCIENCE, BASF, DOW CHEMICAL und DUPONT.
EPSO: die „European Plant Science Organisation“ existiert seit dem Jahr 2000. Sie repräsentiert 54 Forschungsinstitute aus 23 europäischen Ländern. Nach eigenen Angaben ist ihr Ziel, die Bedeutung der Pflanzenwissenschaften in Europa zu verbessern. Syngenta, BAYER, BASF, Biogemma und KWS sind Beobachter der Organisation und können sich damit unter anderem an der Ausarbeitung von Statements und Empfehlungen von EPSO beteiligen.
(gekürzter Abdruck mit freundlicher Genehmigung vom GID)