BigBrotherAward für die Bayer AG auf der Aktionärshauptversammlung
Pinkelprobe für Auszubildende bringt Datenschutz-Negativpreis
Im Oktober 2002 wurde der Bayer AG der deutsche BigBrotherAward der Kategorie „Arbeitswelt“ zuerkannt für die demütigende Praxis, Auszubildende vor der Einstellung einem sogenannten „Drogenscreening“ zu unterziehen. Diese Urintests sind nicht nur fehleranfällig und unzweckmäßig, sondern auch entwürdigend und ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Mit den BigBrotherAwards werden jedes Jahr die Firmen, Organisationen und Personen „ausgezeichnet“, die in besonderer Weise die Privatsphäre von Menschen verletzen. BigBrotherAwards gibt es bereits in 14 Ländern; sie wurden ins Leben gerufen, um die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz zu fördern.
Die Bayer AG hat es – anders als andere BigBrotherAward-Kandidaten -nicht für nötig gehalten, zur Preisverleihung zu erscheinen und sich der Diskussion zu stellen. Auf Einladung der Kritischen Aktionäre wird der Geschäftsleitung von Bayer der BigBrotherAward nun am Freitag, 25.4.2003 auf der diesjährigen Aktionärsversammlung in Köln überreicht.
Begründung der Jury:
Die Bayer AG zwingt Bewerberinnen und Bewerber, die im Unternehmen eine Ausbildung machen wollen, zu einem Drogentest. Dafür müssen die Betroffenen eine Urin-Probe abgeben. Formal haben sie die Wahl und könnten den Drogentest auch ablehnen – faktisch kann hier von „freiwilliger Zustimmung“ keine Rede sein. Denn allen Beteiligten ist klar: wer den Drogentest verweigert, hat schlechte Karten bei der Vergabe der Ausbildungsplätze.
Die Schweigepflicht der – wohlgemerkt – „Werks- oder Betriebsärzte“ ist zwar offiziell gewährleistet, denn die Details der Test-Ergebnisse dürfen der Firmenleitung nicht mitgeteilt werden. Stattdessen gibt es den Vermerk „Bewerber/in geeignet“ oder „nicht geeignet“. Ein Etikett mit weitreichenden Folgen auf wackeliger Grundlage.
Als Begründung für die Drogentests wird die Arbeits-Sicherheit angeführt – auch wenn es bislang noch keine Studien über die Folgen von illegalem Drogenkonsum am Arbeitsplatz gibt. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V. geht jeder dritte bis vierte Arbeitsunfall auf die legale Droge „Alkohol“ zurück – Alkohol wird aber bei diesen Tests gar nicht geprüft.
Fest steht: Die Urintests dienen der Selektion der Auszubildenden im Vorfeld. Damit zeugen die Tests von einem grundsätzlichen Mißtrauen einer Unternehmensleitung gegenüber den potentiellen Mitarbeitern. Generalverdacht für alle, statt Unschuldsvermutung, wie sie in unserem Rechtsstaat eigentlich üblich ist. Und: Kontrolle statt Beratung.
Urintests sind entwürdigend. In Gegenwart eines möglichen zukünftigen Kollegen eine Pinkelprobe abgeben zu müssen, ist eine Demütigung. Mit einem solchen Drogentest muß man auch sein Privatleben und seine Freizeitgewohnheiten dem Konzern gegenüber offenlegen – und das im immer häufiger schon im Vorfeld, noch bevor man bei einem Unternehmen in Lohn und Brot steht.
„Du wirst keine Geheimnisse vor uns haben“
So haben Urintests vor allem den Effekt, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuschüchtern und ihnen die Macht des Unternehmens zu demonstrieren, indem sie sprichwörtlich am eigenen Leibe erfahren, dass Menschenwürde und Privatsphäre hinter den Fabriktüren nur noch eingeschränkt Gültigkeit haben. Barbara Ehrenreich schreibt in ihrem Buch „Arbeit poor“, für das sie im Selbstversuch Erfahrungen mit Einstellungstests bei us-amerikanischen Billig-Jobs gesammelt hat: „Ich bin mir sicher, dass der eigentliche Sinn dieser Tests darin besteht, nicht etwa dem Arbeitgeber, sondern dem potentiellen Angestellten bestimmte Informationen zu übermitteln. Und die wichtigste Information lautet stets: Du wirst keine Geheimnisse vor uns haben.“
Bei all diesen „Nebenwirkungen“ sind die Urintests zudem fachlich auch noch ausgesprochen unzuverlässig. Die Fehlerquellen sind vielfältig: Genuß von Mohnkuchen z.B. kann tatsächlich zu einem positivem Opiatergebnis führen. Passivraucher oder Müsli-Esser können sich plötzlich und unerwartet mit einem positiven Cannabis-Wert konfrontiert sehen. Grenzwerte, wieviel einer Substanz im Urin gefunden werden darf, sind unklar.
Und die Nachweiszeiten der verschiedenen Substanzen sind äußerst unterschiedlich: Gefährliche Drogen wie Kokain, Extasy, Alkohol und Amphetamin sind nur 1 bis 4 Tage nachweisbar, während Marihuana, das vergleichsweise harmlos und mittlerweile gesellschaftlich weithin akzeptiert ist, mehrere Wochen lang im Urin zu finden ist. Das bedeutet: Im Urin sind die Stoffe auch dann noch nachweisbar, wenn der Rausch längst verflogen und die betreffende Person voll arbeitsfähig ist.
Die Bayer AG ist exemplarisch nominiert – Drogentests werden in den letzten Jahren bei immer mehr Unternehmen in Deutschland zur gängigen Praxis bei der Bewerberauswahl, insbesondere bei der chemischen Industrie. In den USA führen inzwischen über 80 % der umsatzstärksten Unternehmen „drogenscreenings“ durch. Entsprechend blüht in den USA der Markt mit Medikamenten zum Ausschwemmen der nachweisbaren Substanzen. Sogar Proben von garantiert drogenfreiem Fremd?Urin
(à 69 Dollar) kann man dort erwerben. Die Arbeitsicherheit ist durch diese Tests übrigens nicht nachweisbar verbessert worden. Sie dienen vielmehr der Gängelung der Arbeitnehmerinnen. Bezeichnenderweise werden Drogenscreenings vor allem bei den unteren Lohnklassen durchgeführt – Ingenieuren, Programmiererinnen und Managern wird diese Prozedur nicht zugemutet.
Bürgerrechte werden nicht beim Pförtner abgeben
Ganz nebenbei sind dem Mißbrauch der Tests im Unternehmen Tür und Tor geöffnet: Nicht zuletzt kann der für einen Drogentest abgegebene Urin
einer Bewerberin auch auf eine etwa bestehende Schwangerschaft geprüft werden. Das ist illegal. Aber wer überprüft, ob das Verbot auch eingehalten wird? Und wer weiß, wie lange das Verbot noch gilt? Es steht zu befürchten, dass auch genetische Tests für Bewerber bald hoffähig werden, wenn Urintests stillschweigend akzeptiert werden.
Weder ein Mehrheitsbeschluß des Betriebsrates noch die erzwungene Zustimmung der Betroffenen können dieses Vorgehen der Bayer AG rechtfertigen, wo Arbeitnehmer/innen Menschenwürde und Bürgerrechte an der Pförtnerloge abgeben müssen, wenn sie die Firma betreten.
| Wir fordern, dass die Bayer AG die Drogenscreenings für
| Auszubildende wieder abschafft.
Oder wir fragen ersatzweise, wann ein Test auf Alkohol und andere Drogen vor allen wichtigen Entscheidungen auch für die Geschäftsleitung der Bayer AG eingeführt wird 😉