Presse Information vom 7. Januar 2008
Coordination gegen BAYER-Gefahren
Akteneinsicht bestätigt:
Umweltbundesamt kritisiert Wiederzulassung bienengefährlicher Pestizide
Über eine Anfrage nach dem Umweltinformationsgesetz erhielt die Coordination gegen BAYER-Gefahren eine interne Stellungnahme des Umweltbundesamtes zur Wiederzulassung bienengefährlicher Pestizide. Das Umweltbundesamt (UBA) kritisiert darin die Entscheidung des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ungewöhnlich deutlich („mit äußerstem Befremden“, „wir widersprechen Ihrer Auffassung nachdrücklich“, „keine belastbaren Daten“). Die von der Firma BAYER vorgelegte Risikoabschätzung bezeichnet das UBA als „unzureichend“.
Im vergangenen Mai war es in Süddeutschland zu einem katastrophalen Bienensterben gekommen. Ursache waren Vergiftungen mit dem von BAYER hergestellten Pestizid Clothianidin. Das Bundesministerium für Landwirtschaft untersagte daraufhin den weiteren Einsatz von Clothianidin und ähnlich wirkender Pestiziden auf Mais und Raps. Im Sommer wurde das Verbot auf Rapskulturen jedoch aufgehoben – hierauf bezieht sich das Schreiben des UBA.
Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Das Umweltbundesamt bestätigt die Ansicht von Imker- und Umweltverbänden, wonach das Bienensterben im Frühjahr keinen „Betriebsunfall“ darstellt. Die Risiken einer Behandlung von Saatgut mit Pestiziden sind seit Jahren bekannt und müssen endlich Ernst genommen werden. Um den Bienenbestand nachhaltig zu schützen, dürfen die betroffenen Agrogifte nicht wieder zugelassen werden.“
Bitte lesen Sie anbei das vollständige Schreiben des Umweltbundesamtes. Ausführliche Informationen finden sich unter http://www.cbgnetwork.de/2556.html
An das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Abt. für Pflanzenschutz
Messeweg 11/12 38104 Braunschweig
Geschäftszeichen IV 1.3 – ZNS 005849-00/00 u.a.
Bewertung des Umweltrisikos infolge der Ausbringung von insektizid-gebeiztem Saatgut
Bezug 1: Pressemitteilung „BVL setzt Zulassungen für Pflanzenschutzmittel zur Behandlung von Rapssaatgut wieder in Kraft“ des BVL vom 25.06.2008
Bezug 2: Unser Schreiben IV 1.3 – ZN1 025495-00/00 vom 25.06.2008
Bezug 3: Unser Schreiben IV 1.3 – ZN1 006301-00/00 vom 10.06.2008
Bezug 4: Unser Schreiben IV 1.3 – ZN1 006377-00/00 vom 10.07.2008
Bezug 5: Pressemitteilung „Analysen des Julius Kühn-Instituts zu Bienenschäden durch Clothianidin“ des Julius Kühn-Instituts vom 10.06.2008
Dessau, 31.07.2008 — Mit äußerstem Befremden mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass Sie die ruhenden Zulassungen für Pflanzenschutzmittel zur Behandlung von Rapssaatgut wieder in Kraft gesetzt haben und dies mit der Begründung, dass die Beizung und das Ausbringen von Mais- und Rapssaatgut in der technischen Handhabung nicht vergleichbar wären und dadurch eine Ausbreitung des Wirkstoffs in die Umgebung verhindert würde (Bezug 1). Dies betrifft die Beizmittel Antarc (4674-00), Chinook (4672-00), Cruiser OSR (4922-00) und Elado (5849-00) mit den darin enthaltenen neonicotinoiden Wirkstoffen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, die dadurch wieder vertrieben und zur Beizung der Rapssaat angewendet werden dürfen.
Wir widersprechen Ihrer Auffassung nachdrücklich, da bisher expositionsseitig keine belastbaren Daten vorliegen, die die Unbedenklichkeit der Ausbringung von mit Insektiziden behandeltem Rapssaatgut belegen. Insbesondere lassen sich bisher weder der Belastungspfad Abdrift infolge von Abrieb während der Saatgutausbringung noch die systemische Verlagerung in Kultur- und Nichtziel-Pflanzen und damit eine mögliche Belastung von Organismen über Pflanzenteile wie Blüten, Pollen oder Nektar in der Umweltrisikobewertung von Saatgutbeizen ausreichend abbilden. Diese Sachverhalte sind zunächst detailliert zu prüfen und zusammen mit möglichen Auswirkungen auf Honig- und Wildbienen, andere Nichtzielarthropoden sowie aquatische Organismen zu bewerten (vgl. Bezugsschreiben 2, 3 und 4).
Im Folgenden gehen wir daher insbesondere auf diejenigen Daten ein, die für eine abschließende Risikobewertung insektizider Beizen erforderlich sind und ohne deren Vorlage und Prüfung eine Anwendung der betreffenden Rapssaatgutbehandlungsmittel sich verbietet.
1. Abdrift von Stäuben
Als Verursacher des aktuellen, massiven Bienensterbens wurden die Abriebstäube von insektizid-gebeiztem Saatgut und deren Abdrift festgestellt (Bezug 5). Der Expositionspfad via Abrieb in pneumatischen Saatgutmaschinen ist somit bei der Prüfung von insektiziden Beizen im Zulassungsverfahren als relevant zu berücksichtigen. Insofern ist es nach den pflanzenschutzrechtlichen Vorgaben für Beizmittel mit insektiziden Wirkstoffen vor ihrer Anwendung zwingend erforderlich, dass der Antragsteller/Zulassungsinhaber die Unbedenklichkeit des betreffenden Mittels i. S. d. gesetzlichen Vorschriften als Folge dieses Eintragsweges in die Umwelt nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Technik feststellt. Der Umwelteintrag der jeweiligen Wirkstoffe über Abrieb bei der Aussaat und der Verteilung in Form von Staubdrift ist mithin zu quantifizieren.
Die vorliegende Untersuchung („Deposition of Clothianidin, Emitted During Sowing of Dressed Maize Seeds with Pneumatic Sowing Machines Nummer“, Neumann & Schoening; 2005 NEC/FS001, vorgelegt zur ZA 5272, Anwendung im Mais) ist zur Beantwortung dieser Fragen nicht geeignet. Mit der gewählten Versuchsanordnung konnte der Expositionspfad Verteilung von Stäuben aus der PSM-Anwendung nicht hinreichend quantifiziert werden. Die an Saumstrukturen (Bäume, Sträucher) abgelagerte Wirkstoffmenge (u.a. Schwebeteilchen) ist in Abhängigkeit des Luftstroms an den Strukturen zu ermitteln. Eine ausführliche Begründung liegt Ihnen mit den entsprechenden Schreiben (Bezugsschreiben 2, 3 und 4) vor.
Folgende Punkte müssen hierbei berücksichtigt werden:
· Menge des Abriebs unter Labor- und Praxisbedingungen (inkl. der Verwendung von Saatgutchargen aus dem Handel, Berücksichtigung von Anfangsstaubwolken beim Starten der Maschine und der Verwendung von Staubkollektoren anstelle einfacher Filter, die auch gleich eine Fraktionierung der Stäube erlauben)
· Angaben zu Partikelgrößenklassen, die den Wirkstoff enthalten
· Einsatz mit und ohne Klebemittel (Reduktion des Abriebs)
· Berücksichtigung verschiedener Maschinentypen und Ausbringungstechniken
· Verteilung auf den Nichtzielbereich unter Praxisbedingungen (Abstände ab 1m, Aggregation von Wirkstoffen in verschiedenen Höhen und Entfernungen bzw. an unterschiedlichen Landschaftsformen)
· additive (ggf. synergistische) Wirkung von Wirkstoffen bei Kombinationspräparaten sowie bei zeitgleicher oder zeitnaher Ausbringungen verschiedener insektizider Wirkstoffe
· Unterschiede in der Qualität der im Handel erhältlichen gebeizten Saatgutchargen
Diese Anforderungen werden für alle insektiziden Beizen als erforderlich erachtet und zukünftig Bestandteil unserer Forderungen sein.
In Bezug auf gebeiztes Rapssaatgut liegt eine Risikoabschätzung der Firma Bayer CropScience AG (Dokument M-302137-01-1 vom 05.06.2008) vor, die sich im Wesentlichen auf die Studie von Neumann & Schoening (2005) zur Anwendung im Mais bezieht und anhand von vergleichenden Laboruntersuchungen zum Abrieb von Mais- und Rapssaatgut lediglich eine relative Abschätzung der Umweltexposition durch ausgebrachtes gebeiztes Rapssaatgut vornimmt. Da die o.g. Studie zur Anwendung im Mais als nicht ausreichend zu beurteilen ist und keine quantitativ tragfähige Abschätzung der Umweltexposition erlaubt, ist die vorgelegte Ableitung einer Expositionsabschätzung für gebeiztes Rapssaatgut und die darauf basierende Risikoabschätzung der Firma Bayer CropScience AG gleichermaßen unzureichend. Das Risiko schädlicher Auswirkungen auf den Naturhaushalt – insbesondere auf Bienen, Nichtzielarthropoden und aquatischen Lebensgemeinschaften- konnte somit bisher nicht entkräftet werden.
2. Prüfung der Abbaudaten zum Wirkstoff Clotianidin
Die Abdrift der Stäube kann zu einer zusätzlichen Anreicherunge persistenter, insektizider Wirkstoffe z.B. in Böden führen, so dass Folgekulturen aber auch der terrestrische Nichtziel-Bereich betroffen sein können.
Für die Bewertung des Verhaltens von Clothianidin in Böden wird derzeit eine DT50 von 155,3 d (median) herangezogen, die anhand der Ergebnisse von Studien mit acht Böden aus vier europäischen Ländern abgeleitet wurde. Das Umweltbundesamt hat Kenntnis von Studien, die im Ergebnis eine deutlich höhere Halbwertszeit von Clothianidin zeigen. So verweist der Deutsche Berufs- und Erwerbsimker-Bund e.V. in seiner Erklärung vom 30. Juni 2008 auf Studien der Firma Bayer CropScience, nach denen in Böden in den USA und in Kanada nach 982 Tagen noch 71,6 % bzw. nach 775 Tagen noch 80 % des Wirkstoffs Clothianidin nachgewiesen werden konnten.
Diese Studien liegen dem Umweltbundesamt bisher nicht vor. Zur Prüfung der für die Risikobewertung verwendeten Abbauraten sind die genannten Studien seitens Firma Bayer CropScience vorzulegen einschließlich einer Bewertung zur Verwendbarkeit und Belastbarkeit der Ergebnisse.
3. Systemische Aufnahme insektizider Wirkstoffe über das Saatgut und Verlagerung in Pflanzenteile – insbesondere in Blüten, Pollen und Nektar
Systemisch wirksame Insektizide werden von den Pflanzen aufgenommen und können sich in Blüten, Pollen und Nektar anreichern und dadurch Honig- und Wildbienen, aber auch andere Nichtzielarthropoden gefährden.
In Ihrer Pressemitteilung vom 25.06.2008 (Bezug 1) erklären Sie, dass eine erneute Prüfung zur Aufnahme von Clothianidin in Rapspflanzen bestätigt, dass eine Belastung von Bienen über den Pfad Pflanze nicht möglich sei. Bisher liegen uns jedoch nur die mit den Zulassungsanträgen eingereichten Untersuchungen vor, die an Mais, Sonnenblumen und Sommerraps durchgeführt wurden. Diese sind aufgrund der Sommerblüte und der verwendeten Prüfparameter nicht repräsentativ, um Rückschlüsse auf die Verträglichkeit von Clothianidin beim Einsatz im Winterraps abzuleiten. Um das Risiko gegenüber Nichtziel-Arthropoden zu bewerten, bitten wir Sie daher uns mitzuteilen, welche Datengrundlage Sie für Ihre Prüfung der Rapssaatgutmittel zugrunde gelegt haben und welche Prüfergebnisse sich daraus ableiten ließen.
Ihre Betrachtung, die sich auf den Wirkstoff Clothianidin und dessen Auswirkungen auf die Honigbiene beschränkt, wird jedoch der Problematik einer systemischen Verlagerung und der damit möglichen Gefährdung von Nichtziel-Arthropoden nicht in vollem Umfang gerecht:
Die Bewertung einer systemischen Verlagerung als Expositionspfad darf sich nicht nur auf den Wirkstoff Clothianidin beschränken, da die genannten Rapssaatgutbehandlungsmittel auch andere Wirkstoffe wie z.B. Imidacloprid enthalten. Für diesen Wirkstoff liegt im Rahmen der EU-Wirkstoffprüfung eine Reihe von Untersuchungen vor, die zeigen, dass eine Verlagerung in Pollen oder Nektar nicht auszuschließen ist.
Die Antragsteller/Zulassungsinhaber sind gehalten, neben Honigbienen auch für Wildbienen und andere Arthropoden sowohl eine Expositionsabschätzung über den Pfad der systemischen Verlagerung als auch eine Bewertung der möglichen ökotoxikologischen Wirkungen vorzunehmen. Dabei verweisen wir insbesondere auf die Prüfung reproduktionsschädlicher Effekte und das häufig sehr enge Zeitfenster der Reproduktionsphasen von Arthropoden.
Diese Prüfungen sind nach unserem Kenntnisstand für die o.g. Rapssaatgutbehandlungsmittel nicht erfolgt. Sie werden jedoch für alle Insektiziden Beizen als erforderlich erachtet und zukünftig Bestandteil unserer Forderungen sein.
Im Auftrag
(Dr. A.-W. Klein)
C. Koch
Tel. +49-(0)340 / 21 03 – 31 44
Fax +49-(0)340 / 21 04 – 31 38
einvernehmensstelle.pflschg@uba.de