24. April 2015
BAYER-Hauptversammlung am 27. Mai 2015
Gegenantrag zu TOP 3: Der Aufsichtsrat wird nicht entlastet
Das MS-Präparat BETAFERON gehört mit einem Umsatz von knapp einer Milliarde Euro zu den profitabelsten Medikamenten der Firma BAYER. Unabhängige Studien bescheinigen dem Präparat jedoch wenig Nutzen. BAYER weigert sich, alle Zuwendungen an Ärzte, Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen offen zu legen. Der Aufsichtsrat soll daher nicht entlastet werden.
Die Gabe von Interferonen ist häufig mit schweren Nebenwirkungen verbunden, darunter Nierenleiden (bis hin zu Todesfällen), Fieber, Muskelschmerzen und Depressionen. Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) können Nierenschädigungen noch Jahre nach den Injektionen auftreten. Dennoch wird die Mehrzahl der MS-Betroffenen zu einer Therapie mit BETAFERON oder anderen Interferonen gedrängt.
Dabei zeigen unabhängige Untersuchungen, dass die Behandlung nur einen geringen Nutzen hat. So wertete die Cochrane Collaboration, ein unabhängiges Netzwerk von Ärzten, Wissenschaftlern und Patientenvertretern, 44 Studien aus und folgerte, dass „das Kosten/Nutzen-Verhältnis ungünstig sein könnte“.
Interferone können bei lediglich 16 Prozent der frisch Erkrankten einen zweiten Schub verhindern. Bei fünf von sechs Patienten zeigen sie keinerlei Wirkung. Im Fall einer chronifizierten, schubförmig verlaufenden MS helfen die Präparate bloß in vier-zehn Prozent der Fälle. Die Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf kommt daher zu dem Ergebnis, dass „die Vorstellungen zur Wirkung von Interferonen auf Vermutungen basieren“. Bei einer von Beginn an manifesten Multiplen Sklerose ohne Schübe hätten die Mittel, so die Hamburger Ärzte, keinerlei Nutzen.
Viele Betroffene kommen zu einem ähnlichen Resultat. Binnen vier Jahren brechen 46 Prozent die Behandlung mit BETAFERON oder anderen Interferonen ab. BAYER versucht daher, die Patienten mit dem BETAPLUS-Programm bei der Stange zu halten.
Auch in der Fachzeitschrift Lancet erschien eine Untersuchung zur Wirksamkeit von Interferonen. Hierfür wurden alle randomisierten, plazebokontrollierten Studien zur schubförmigen MS einer genauen Auswertung unterzogen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass durch die große Anzahl von Studienabbrechern, die in den Auswertungen der Interferon-Studien nicht berücksichtigt wurden, das Ergebnis geschönt wurde. Eine breite Anwendung der Interferone sei daher nicht zu rechtfertigen. Die Meta-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es „eine verheerende Entwick-lung ist, wenn die beteiligten Pharmaunternehmen Einfluss auf die Auswertung neh-men oder die Veröffentlichung unbequemer Ergebnisse verhindern können.“
Wegen der langen Behandlungsdauer ist das Segment besonders lukrativ. Die jährlichen Behandlungskosten pro Patient liegen bei 15 – 20.000 Euro. Den Kassen ent-stehen dadurch enorme Kosten: laut dem jüngsten Arzneimittelreport der Barmer GEK sind MS-Präparate einer der großen Kostenfaktoren im Arzneimittelbereich. Die Fertigung von Interferonpräparaten war ursprünglich kostenintensiv, was zu hohen Medikamentenpreisen führte. Dieses Preisniveau blieb für alle folgenden MS-Präparate der Maßstab, obwohl die Herstellungskosten inzwischen deutlich sanken. BAYER produziert das Präparat nicht mal mehr selbst: 2011 legte der Konzern eine Anlage im US-amerikanischen Emeryville still, vernichtete 540 Arbeitsplätze und schloss mit BOEHRINGER einen Zuliefer-Vertrag ab.
Zugleich hat BAYER beste Beziehungen zu Ärzten und medizinischen Fachgesell-schaften aufgebaut. So fanden sich 21 der 24 Ärzte, welche die Behandlungsleitlinie für MS erstellt haben, bereits auf der Lohnliste der Industrie. Zuwendungen flossen für Forschungsvorhaben sowie für Vorträge, Berater- oder Gutachter-Tätigkeiten.
Auch MS-Selbsthilfegruppen bindet BAYER durch Spenden an sich. Und mit der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft (DMSG) besteht dank umfangreicher In-vestitionen ebenfalls bestes Einvernehmen. So ließ BAYER der DMSG im Jahr 2013 über 55.000 Euro zukommen. Insbesondere auf den Vorsitzenden des Ärztlichen Beirates, Prof. Reinhard Hohlfeld, kann sich BAYER verlassen: Hohlfeld diente BAYER schon als wissenschaftlicher Berater und erhielt wiederholt Forschungsgelder. Prof. Hohlfeld wirkte an den Leitlinien mit und fungiert als Mitherausgeber meh-rerer MS-Fachzeitschriften. Seine DMSG-Vorstandskollegen Ralf Gold, Peter Rieckmann und Heinz Wiendl sind gleichfalls ziemlich beste BAYER-Freunde und Leitlinien-Autoren. Da wundert es nicht, dass der Verband nur leitlinientreue MS-Zentren zertifiziert und den Interferonen weiterhin die Treue hält.
Der Arzt Dr. Wolfgang Weihe rügte schon 2006 im Deutschen Ärzteblatt die enge Bande der DMSG und der Leitlinien-Autoren zur Industrie und meldete Zweifel an der Uneigennützigkeit ihrer Interferon-Vorliebe an. Das Imperium schlug sofort zu-rück: die DMSG reichte eine Unterlassungsklage ein. Mit solchen Mitteln gelingt es der Phalanx aus Industrie, Fachgesellschaften und willigen Medizinern, Einvernehmen herzustellen. Darum wagt es auch kaum jemand aus der Zunft, eine konträre Meinung zu äußern.