Störfall im Baytowner BAYER-Werk
Der große Knall
Wieder hat es bei BAYER in Baytown einen Störfall gegeben: Ende September explodierte in dem texanischen Werk eine Produktionsanlage für hochgiftiges Toluylendiisocyanat (TDI). Neben krebserregenden Chemikalien traten mehrere Tonnen Ammoniak aus. Die Anlage steht seither still. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) fordert seit Jahren eine Umstellung der TDI-Produktion auf weniger gefährliche Verfahren, was der BAYER-Konzern beharrlich ablehnt.
Von Philipp Mimkes
Baytown gehört nach Aussage der US-Umweltbehörde EPA zu den „Ten Most Polluted U.S. Cities“, also den schmutzigsten Städten der Vereinigten Staaten. BAYER betreibt dort zwei der weltweit größten TDI-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 200.000 Tonnen pro Jahr. Immer wieder kommt es auf dem BAYER-Gelände zu Zwischenfällen. So explodierte im Februar 2004 eine Produktionsanlage für Toluylendiamin (TDA), einem Vorprodukt für Schaumstoffe. Die austretenden Stoffe explodierten, die Druckwelle war kilometerweit zu spüren. Im vergangenen Jahr starb ein Monteur, nachdem er von austretenden Chemikalien verätzt worden war. Die US-Arbeitsschutzbehörde OSHA strengte eine Untersuchung an und stellte „ernsthafte Verstöße“ gegen Sicherheitsbestimmungen fest, aufgrund derer eine „hohe Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Unfalls oder ernsthafter körperlicher Schäden“ bestand. Die Werksleitung „kannte die Risiken oder hätte diese kennen müssen“, weswegen die Behörde eine Geldstrafe gegen BAYER verhängte.
Der jüngste Zwischenfall ereignete sich am 26. September. Wieder gab es einen heftigen Knall. Ein mit TDI und Orthodichlorbenzol befüllter Reaktor platzte, eine Chemikalien-Wolke stieg in den Himmel. Andrea Murrow von der „Texas Commission on Environmental Quality“ bezeichnete die ausgetretenen Gase als „extrem reizend für Bindehaut und Schleimhäute“. Die Druckwelle der Detonation zerstörte mehrere Leitungen eines benachbarten Kessels, in dem sich rund 15 Tonnen Ammoniak befanden. Mehrere Tonnen des giftigen Gases traten aus. Mehr als zwanzig Arbeiter mussten mit Sauerstoff versorgt und im Krankenhaus behandelt werden, ein Mitarbeiter erlitt Verbrennungen.
OSHA-Beamte starteten unmittelbar eine Untersuchung der Unfall-Ursachen. Auch BAYER flog ExpertInnen aus Deutschland zur Analyse des Schadens ein. Prof. Dr. Jürgen Rochlitz, Mitglied der „Kommission für Anlagensicherheit“ beim Bundesumweltministerium, kritisiert die Häufung von Störfällen bei BAYER: „Es wird Zeit, dass BAYER vor allem im Ausland das Sicherheitsmanagement einer eingehenden Prüfung unterzieht, damit endlich ein spürbarer Rückgang von Schadens- und Umweltereignissen eintritt. Dies gilt vor allem für die besonders kritischen Produktionsbetriebe wie die von TDI“.
Klage eingereicht
Die Anlage in Baytown muss für rund vier Monate geschlossen werden. Die Weltmarkt-Preise für TDI zogen nach der Explosion wegen befürchteter Lieferengpässe an. Die taiwanesische Firma NAN YA PLASTICS CORPORATION gab bekannt, kurzfristig die Kapazitäten zu erhöhen. BASF und DOW CHEMICAL kündigten eine Machbarkeitsstudie für eine neue TDI-Fabrik an, die mit einer Jahreskapazität von 300.000 Tonnen die größte der Welt wäre.
19 Arbeiter des Werks Baytown reichten wenige Tage nach dem Störfall eine Schadensersatzklage ein, 13 weitere Arbeiter folgten eine Woche später. Byron Buchanan, Anwalt der Geschädigten, wirft dem Unternehmen grobe Fahrlässigkeit vor: „Wenn BAYER angemessene Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet hätte, wäre diese Explosion niemals geschehen“. Nach Aussage des Anwalts gab es bereits im Vorfeld Probleme mit der Anlage, ohne dass diese abgeschaltet worden wäre. Buchanan beantragte einen gerichtlichen Beschluss, laut dem der Konzern die zerstörten Anlagenteile vorerst nicht abräumen durfte. Hierdurch sollten GutachterInnen der Kläger die Gelegenheit bekommen, den Ort des Geschehens zu untersuchen.
Zeitbombe Phosgen
Hierzulande wird TDI, ein Vorprodukt zur Herstellung von Polyurethan-Schaumstoffen, in Dormagen und Brunsbüttel von BAYER sowie in Schwarzheide von der BASF gefertigt. Die höchste Kapazität hat die Anlage in Dormagen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN machte am Tag nach der Explosion darauf aufmerksam, dass sich die TDI-Produktion in Dormagen unter freiem Himmel befindet und nur wenige hundert Meter von der Wohnbevölkerung entfernt liegt. Ein Unfall wie in Baytown könne daher schwerwiegende Folgen für die Anwohner haben, vor allem auch, weil in den TDI-Produktionsanlagen das Lungengift Phosgen zum Einsatz kommt, das Militärs im 1. Weltkrieg als Giftgas einsetzten – als „Grünkreuz“ erlangte es traurige Berühmtheit.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) fordert seit Jahren ein generelles Ende der Phosgen-Chemie. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung um den Giftstoff, als BAYER Ende der 90er Jahre eine TDI-Fabrik in Taiwan plante. Die taiwanesische Regierung wollte das Projekt ohne lästige Sicherheits-Prüfungen durchwinken und gewährte großzügige Subventionen. Der Fall wurde jedoch zum Politikum, als örtliche Bürgerinitiativen mit Unterstützung der CBG auf die Risiken von TDI und Phosgen hinwiesen und ein reguläres Genehmigungsverfahren forderten. Als sich die zuständige Regional-Regierung der Forderung anschloss und in Bürgerversammlungen eine phosgenfreie Produktion angemahnt wurde, cancelte BAYER das Milliarden-Projekt. Mittlerweile baut der Konzern die Anlage im chinesischen Shanghai, wo keine lästigen Bürgerproteste drohen, um seine Position als Weltmarktführer zu halten.
In der Bundesrepublik kam der „Bund/Länderausschuss Chemikaliensicherheit (BLAC) schon vor sechs Jahren unter Leitung des hessischen Umweltministeriums zu dem Ergebnis, dass eine großtechnische Herstellung von TDI ohne Phosgen möglich sei. Der von dem BLAC vorgelegte Bericht „Bewertung von wesentlichen Anwendungsgebieten der Chlorchemie“ fordert, dass für Neuanlagen phosgenfreie Verfahren zur großtechnischen Anwendung weiter entwickelt werden sollten. Trotzdem setzt BAYER weiter auf die Phosgen-Chemie. In den letzten Jahren baute der Konzern mehrere Anlagen, in denen Phosgen als Vorprodukt eingesetzt wird. Bei einer Lebensdauer der Anlagen von 25 – 35 Jahren wird das Sicherheitsrisiko daher noch Jahrzehnte bestehen bleiben.
BAYER macht weiter
Die CBG machte die Öffentlichkeit in einer Presseerklärung zum Baytowner Störfall erneut auf die tickende Zeitbombe aufmerksam. Eine internationale Presse-Agentur griff diese Stellungnahme auf, woraufhin Medien in Europa und den USA – darunter das Wirtschaftsmagazin Forbes – über die Problematik berichteten. Den anschließenden Fragen der Presse nach Phosgen wich der Konzern jedoch aus: BAYER wolle an dem bestehenden Produktionsprozess festhalten, so ein Sprecher des Unternehmens. Die Risiken seien beherrschbar, da „Phosgen bei der Produktion von TDI eingesetzt wird, aber in sehr kleinen Mengen“.
Fragt sich nur, was genau „sehr kleine Mengen“ sind. Den exakten Umfang der Phosgenproduktion gibt BAYER zwar auch auf mehrmalige Nachfrage hin nicht bekannt. In jedem Fall sind es aber sowohl in Baytown wie auch in Dormagen und Uerdingen mehrere zehntausend Tonnen pro Jahr. In Anbetracht dessen, dass Phosgen schon im Gramm-Bereich tödlich wirken kann, beruhigt die Aussage, dass der Gefahrstoff „just in time“ bereit gehalten wird – also nur in den gerade benötigten Mengen – nicht. Bei einer Anfrage zur Phosgen-Produktion im BAYER-Werk Uerdingen bekannte der Konzern nämlich vor einigen Jahren, dass sich auch bei einer „just in time“-Produktion rund 34 Tonnen des Giftgases in den Leitungen befinden. Im worst case, einem Bruch phosgengefüllter Leitungen oder einem Flugzeugabsturz, ist auch dies eine tödliche Bedrohung.