Ohne Rücksicht auf Verluste
Mitte November 2023 setzte sich die EU-Kommission über alle wissenschaftlichen Bedenken hinweg und verlängerte die Glyphosat-Zulassung um zehn Jahre. BAYERs Lobby-Arbeit hatte sich wieder einmal ausgezahlt.
Von Jan Pehrke
2017 kam Glyphosat nur mit freundlicher Unterstützung des damaligen deutschen Landwirtschaftsministers Christian Schmidt zu einer Zulassungsverlängerung um fünf Jahre. Der CSU-Politiker verstieß bei der EU-Abstimmung kurzerhand gegen die Koalitionsabsprache und räumte dem BAYER-Herbizid mit seinem „Ja“ den Weg frei. Solche Manöver schienen eher unwahrscheinlich, als die Frist ablief und Brüssel sich wieder mit dem umstrittenen Mittel befassen musste. Und nicht nur das ließ auf ein Glyphosat-Ende hoffen. Es hatte sich auch weiteres Belastungsmaterial angesammelt – und das nicht zu knapp.
Aber am 16. November 2023 – 165.000 Klagen von Glyphosat-Geschädigten, zahl-reiche neue Krebs-Studien und zwei EU-Wahlgänge ohne eine qualifizierten Mehrheit für das Pestizid später – erteilte die EU-Kommission BAYERs Topseller wiederum die Genehmigung. Bereits unmittelbar nach dem Scheitern des Verlängerungsantrags im Berufungsausschuss stellten von der Leyen & Co. die neue Lizenz aus. „Im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften und in Ermangelung der erforderlichen Mehrheit in einer der beiden Richtungen ist die Kommission nun verpflichtet (…) eine Entscheidung zu treffen“, erklärten sie und gaben den Entschluss bekannt, eine Laufzeit bis 2033 zu gewähren – offensichtlich ein Vorratsbeschluss. Die EU-Kommission hat es noch nicht einmal wie noch 2017 für nötig befunden, auf die Bedenken der Mitgliedsländer einzugehen und die Zulassungsspanne entsprechend zu verkürzen.
Sie untersagte lediglich den Einsatz von Glyphosat als Trocknungsmittel kurz vor der Ernte und kündigte an, die Ausbringungsmengen zu deckeln. Zudem verpflichtete die Kommission die Hersteller, Brüssel in einigen Jahren Material über die Auswirkungen der Substanz auf die biologische Vielfalt vorzulegen. Den Umgang mit den Restrisiken überließ sie den einzelnen EU-Staaten, obwohl die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA da so einiges zu Tage gefördert hatte. Mehr als 20 Daten-Lücken machte sie bei ihrer Bewertung des Gefährdungspotenzials von Glyphosat aus. Eine dieser Fehlstellen betrifft die Entwicklungsneurotoxizität, also die Auswirkungen des Stoffes auf die noch im Wachstum befindlichen Nervensysteme von Embryos, Säuglingen und Kindern. Zu den möglichen Beeinträchtigungen von Zellteilungsprozessen und Schädigungen von Chromosomen durch das Mittel vermochte die Behörde ebenfalls keine Aussagen zu treffen: „data gaps“ sowohl für Glyphosat selbst als auch für das Abbau-Produkt AMPA. Zudem blieb „die Bewertung des ernährungsbedingten Risikos für Verbraucher“ offen, da keine Angaben zu den Glyphosat-Rückständen auf Karotten, Weizen und Salat vorlagen.
„Ich halte die Entscheidung der EU-Kommission für falsch, Glyphosat bis 2033 zu genehmigen und sehe sie auch nicht vom Votum der EU-Staaten gedeckt“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach dem schwarzen Donnerstag. Im Votum Deutschlands fand diese Einschätzung jedoch keinen Ausdruck. „Leider ließ sich hierzu innerhalb der Bundesregierung keine Einigung herstellen. Mir blieb in Brüssel deshalb gemäß unserer gemeinsamen Geschäftsordnung nur die Enthaltung“, bedauerte er. Dabei hätte Özdemir die FDP nur auf den Koalitionsvertrag verpflichten müssen, in dem es unmissverständlich heißt: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“
Das ist jetzt Schnee von gestern. Am 15. Dezember gab das Landwirtschaftsministerium eine Eilverordnung heraus, die das 2021 neu im Pflanzenschutz-Gesetz festgelegte Anwendungsverbot für Glyphosat ab dem 1. Januar 2024 aufhob und die nationale Zulassung erst einmal bis zum 30. Juni 2024 verlängerte. In der Zwischenzeit will der Minister nach Wegen suchen, die Anwendungen des Pestizids „wirksam einzuschränken“, um „unserer Koalitionsvereinbarung zu Glyphosat trotz EU-Genehmigung so weit wie möglich nachzukommen“. „Ich setze dabei auf die Unterstützung aller Ampelpartner!“, betont er, wobei das Ausrufezeichen nicht gerade Zuversicht ausdrückt.
Die Landwirtschaft braucht sich vor den Reduktionsplänen jedoch nicht zu fürchten. Özdemir hat eher „die Anwendung durch nicht professionelle Nutzer in Klein- und Hausgärten“ sowie die „flächige Anwendung auf Dauergrünland“ im Blick. Dabei fällt der Privatgebrauch von Glyphosat kaum ins Gewicht, der Hauptteil landet auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Nach Angaben des Bundesumweltamtes findet es sich auf 40 Prozent der bundesdeutschen Äcker.
Überdies hatte bereits die „Glyphosat-Minderungsstrategie“ von Cem Özdemirs Amtsvorgängerin Julia Klöckner die Verwendung von Glyphosat im Haus- und Gartenbereich ab dem September 2021 bis auf wenige Ausnahmen untersagt und noch weitere Restriktionen vorgenommen. Auswirkungen hatte das alles aber bisher kaum: 2022 sanken die Verkaufsmengen im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 182 Tonnen auf 3.915 Tonnen.
Ein Komplett-Verbot kommt für Cem Özdemir nicht in Betracht. Hier drohte der BAYER-Konzern vorsorglich schon einmal eine Klage an. Gegen Luxemburg, das die Substanz im Januar 2021 aus dem Verkehr gezogen hatte, prozessierte er bereits erfolgreich. Das will aber nichts heißen. So hat der Bann, den Frankreich 2019 mit dem Verweis auf mögliche genotoxische Effekte gegen 36 Glyphosat-Produkte aussprach, nach wie vor Bestand. Schließlich liefern interne Dokumente der BAYER-Tochter MONSANTO selbst Belege für diese Nebenwirkung. Und das fest im EU-Reglement verankerte Vorsorge-Prinzip bietet noch weitere Ansatzpunkte, Genehmigungen anzufechten. In Sachen „Langzeit-Toxizität“ und „Toxizität der Glyphosat-Zusatzstoffe“ konnten die Hersteller nämlich bisher keine Entlastungsstudien vorlegen, und neue wissenschaftliche Evidenz für die Gefährlichkeit des Produkts liegt mit der Leukämie-Untersuchung des Ramazzine-Instituts auch vor.
So müssen sich die RichterInnen dann auch erst einmal mit Klagen gegen die bestehenden und neuen Glyphosat-Zulassungen beschäftigen. Das pestizid-kritische Netzwerk PAN Europe hat unmittelbar nach der Brüsseler Entscheidung „The Great Glyphosate Court Case“ auf den Weg gebracht, und die DEUTSCHE UMWELTHILFE leitete bereits vor einiger Zeit juristische Schritte gegen das Total-Herbizid ein. Zudem tut sich in den USA ebenfalls etwas. Dort zogen das CENTER FOR FOOD SAFETY, die FARMWORKER ASSOCIATION OF FLORIDA und andere Organisationen gegen Glyphosat vor Gericht. Ruhiger wird es also vorerst um das Pestizid nicht werden. ⎜