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[BAYERs Dauerkrise] Mehr Klagen und Skandale, weniger Jobs

CBG Redaktion

BAYERs Dauerkrise

BAYER kommt einfach nicht aus dem Krisen-Modus heraus. Die Anzahl der Glyphosat-Klagen steigt weiter von Quartal zu Quartal – umgekehrt proportional zu derjenigen der Arbeitsplätze. Und wie viele PR-Anstrengungen der Konzern auch unternimmt: Immer wieder verhagelt ihm ein neuer MONSANTO-Skandal das „Reputationsmanagement“.

Von Jan Pehrke

„BAYER blickt auf ein erfolgreiches drittes Quartal zurück“, vermeldete der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann am 30. Oktober 2019 mit Verweis auf die Umsatz-Zahlen. Und damit nicht genug, auch die „strategische Entwicklung macht große Fortschritte“. „Schlanker, agiler und fokussierter“ geht es Baumann zufolge jetzt beim Leverkusener Multi zu, nicht nur dank der Veräußerung der CURRENTA-Anteile, dem Verkauf von „Animal Health“ und der Trennung von anderen Geschäftsteilen. Auch diverse „Effizienz- und Strukturmaßnahmen“ sowie die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen (O-Ton BAYER: „sozialverträgliche Stellen-Anpassungen“) ha–ben ihm zufolge dazu beigetragen.

Die Rest-Belegschaft gedenkt der Konzern-Lenker derweil mit der „Vereinbarung zur Zukunftssicherung 2025“ versöhnlich zu stimmen, die für die Beschäftigten an den deutschen Standorten betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2025 ausschließt. Alle kommen jedoch nicht in den Genuss dieser mit dem Gesamtbetriebsrat getroffenen Übereinkunft, sondern bloß rund 20.000 der 32.000 hierzulande tätigen BAYER-WerkerInnen. Vornehmlich die KollegInnen der kleineren, zumeist als GmbHs operierenden Dependancen müssen in die Röhre schauen.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat diese Ungleichbehandlung schon mehrfach kritisiert und im Jahr 2016 sogar auf die Tagesordnung der Hauptversammlung des Konzerns gesetzt. „Praktische Gründe“ führte das Unternehmen damals als Entschuldigung für die doppelten Standards an: Einige Niederlassungen hätten schlicht nicht die kritische Größe, um genug Alternativen jenseits von Entlassungen bieten zu können, wenn das Unternehmen sich mal wieder zu Rationalisierungsprogrammen veranlasst sehe.

Auf die Causa „Glyphosat“ kam Baumann erst gegen Ende der Quartalspressekonferenz zu sprechen. Er musste nämlich eine traurige Mitteilung machen und einen erneuten Anstieg der Klagen von Geschädigten verkünden. 42.700 liegen den Gerichten mittlerweile vor. „Die Zahl der Klagen sagt allerdings nichts über deren Begründetheit aus“, versuchte der Ober-BAYER abzuwiegeln. Dabei ließ der Vorstandschef keinen Zweifel daran, dass er die Schadensersatz-Forderungen allesamt für unbegründet hält: „In Übereinstimmung mit allen führenden Regulierungsbehörden weltweit sind wir nach wie vor von der Sicherheit glyphosat-basierter Produkte überzeugt.“

Zu dem Mediationsverfahren unter Vorsitz des Richters Kenneth Feinberg äußerte Werner Baumann sich nur vage. Der Konzern beteilige sich konstruktiv und lösungsorientiert an den Gesprächen, werde den Vorschlägen des Juristen aber nur zustimmen, wenn diese finanziell tragbar wären und das Ganze wirklich zu einem Abschluss brächten, führte er aus. Um die Verhandlungen nicht zu stören, haben die Gerichte im Herbst 2019 extra zwei ursprünglich für den Januar angesetzte Prozess-Termine verschoben. Ein Ergebnis ist jedoch noch nicht in Sicht. „Die Mediation geht langsam, aber stetig weiter“, erklärte Feinberg Mitte November 2019 zum Stand der Dinge, während die Finanz-AnalystInnen weiter wild über die Kosten eines Vergleichs spekulieren und Zahlen von 2,5 bis 20 Milliarden Dollar in den Raum werfen.

Die Bekanntgabe der nunmehr 42.700 Klagen am 30. Oktober ließ die BAYER-Aktie wieder empfindlich fallen. Aber es kam noch dicker. Mexiko verbot die Einfuhr von Glyphosat-Grundstoffen, während Thailand und Vietnam den Gebrauch des umstrittenen Pestizids gleich ganz untersagten. In Frankreich verkündete derweil der Bürgermeister der Gemeinde Langouët, Daniel Cueff, einen Bann, der juristisch allerdings keinen Bestand hatte. Nach dem Urteil jedoch solidarisierten sich rund 40 KollegInnen mit Cueff und erklärten ihrerseits das Aus für das Herbizid. Und im Dezember 2019 reagierte dann Paris und untersagte ab 2021 den Gebrauch von bis zu 40 glyphosat-haltigen Produkten.

Aber BAYER hatte auch HelferInnen in der Not. So intervenierte die US-Administration bei der thailändischen Regierung und zwang das Land, in Sachen „Glyphosat“ zurückzurudern. Hierzulande blieb es bisher bei verbaler Unterstützung. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet leistete dem Multi Beistand. Dass über das Schicksal eines NRW-Konzerns in US-Gerichtssälen mitentschieden würde, erfülle ihn mit Sorge, sagte der CDUler laut Rheinischer Post.

Der Direktor der „Europäischen Agentur für Lebensmittel-Sicherheit“ (EFSA), Bernhard Url, sendete derweil positive Signale zu Glyphosat. Er bezeichnete die Debatte um das Produkt als emotional aufgeladen und machte für die Nebenwirkungen nur die unsachgemäße Nutzung, nicht aber die Chemikalie selbst verantwortlich.

Seine Einlassungen zu der von BAYER & Co. just beantragten Zulassungsverlängerung über das Jahr 2023 hinaus stimmen ebenfalls bedenklich. So plädierte Url dafür, im Rahmen des Verfahrens auch die möglichen Folgen eines Glyphosat-Stopps für das Einkommen der LandwirtInnen, die Lebensmittel-Preise und die Nahrungsmittel-Sicherheit mit zu berücksichtigen.

Das „Bundesamt für Verbraucherschutz“ (BVL) meinte es ebenfalls gut mit dem Konzern. Das BVL schaffte es ist, den wieder fällig gewordenen Glyphosat-Zulassungsantrag fristgerecht zu prüfen. Deshalb trat eine automatische Verlängerung von zwölf Monaten in Kraft, welche die im September 2019 von der Bundesregierung ab dem Jahr 2020 beschlossenen Anwendungsbeschränkungen aushebelte.

Und länger dürfte es auch noch mit einem Glyphosat-Ersatz dauern. Der Leverkusener Multi hatte angekündigt, verstärkt nach Alternativen zu dem Mittel Ausschau zu halten, das die Faz als „BAYERs Diesel“ bezeichnete. Der Forschungschef von BAYER CROPSCIENCE, Bob Reiter, machte da jedoch nur wenig Hoffnung. „Wir und unsere Konkurrenten haben seit den 1970er Jahren, als Glyphosat eingeführt wurde, investiert. Aber wir sind immer noch nicht auf ein Molekül gestoßen, das die gleichen Fähigkeiten hat wie Glyphosat.“ Zwölf bis fünfzehn Jahre dauere es, ein solches bis zur Marktreife zu bringen, vertröstete Reiter: „Es ist eine sehr lange Zeit.“

PR-Maßnahmen

Angesichts der vielen Prozesse und des dahindümpelnden Aktien-Kurses war Reputationsmanagement gefragt. Nachdem der Leverkusener Multi mit dem ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger einen Greenwashing-Beauftragten installiert hatte, gesellte sich ihm Anfang Oktober 2019 mit Ertharin Cousin eine Bluewashing-Beauftragte (Bluewashing = Image-Pflege mit Hilfe der Vereinten Nationen, Anm. SWB) hinzu. Offiziell übernahm die ehemalige Direktorin des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen im Aufsichtsrat allerdings die Funktion der Agrar-Expertin. In Folge des MONSANTO-Debakels hatten diverse Investment-Gesellschaften dem Gremium nämlich mangelnde Fachkenntnis auf dem Gebiet „Landwirtschaft“ vorgeworfen. „Mit ihrer außergewöhnlichen Erfahrung im Ernährungsbereich sowie in der US-Regierung und bei den Vereinten Nationen rundet sie das Kompetenz-Profil des Aufsichtsrats in idealer Weise ab“, ließ sich der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning deshalb zu der Personalie „Ertharin Cousin“ vernehmen.

Außerdem brachte der Konzern die Kampagne „

  • voranbringen“ an den Start. Sie nimmt BAYER-Beschäftigte „als authentische Botschafter für die Dachmarke BAYER“ in die Pflicht und schiebt ihnen Äußerungen wie „Meine Arbeit für BAYER hat mir viel Kritik eingebracht. Aber noch mehr Leben gerettet“ in den Mund. Sogar als Klima-Kümmerer inszeniert sich der Leverkusener Multi auf den Annoncen. „Meine Nichte und ich engagieren uns beide für den Klimaschutz. Sie geht demonstrieren und ich zu BAYER“, verkündet eine Bärbel von den Werbe-Plakaten. „Nach dem Empfinden vieler unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt die Vielfalt und Faszination von BAYER in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland derzeit kaum zur Geltung. Das wollen wir ändern“, sagte Öffentlichkeitsarbeiter Michael Preuss zum Sinn und Zweck der Übung.

Die CBG sah die Beschäftigten hingegen in Geiselhaft genommen. „Dabei sind sie, die Angehörigen der Belegschaft, diejenigen, die den Preis für die MONSANTO-Übernahme zahlen müssen. Sie müssen zahlen mit der Vernichtung Tausender Arbeitsplätze und mit zunehmender Verdichtung und Hetze in der Produktion“, hielt die Coordination fest. Auch andere durchschauten das Manöver rasch. „So viel Zynismus muss man sich auch erst mal zutrauen“ und „Schämt ihr euch den gar nicht?“ lauteten die Kommentare in den sozialen Medien.

Und bereits einige wenige Wochen nach dem Beginn der „

  • voranbringen“-Kampagne musste das Unternehmen wieder zurück in den MONSANTO-Sumpf blicken. Die Initiative LOBBYCONTROL hatte aufgedeckt, dass die nunmehrige BAYER-Tochter verdeckt Glyphosat-Entlastungsstudien des Gießener „Instituts für Agri-Business“ finanzierte (siehe SWB-Dossier). „BAYER verspricht ständig Transparenz im Fall „Glyphosat“, aber verfolgt die Sünden der MONSANTO-Vergangenheit nicht mit eigenen Mitteln nach, sondern gibt immer nun das zu, was sich auf keinen Fall mehr leugnen lässt. Deshalb versinkt der Konzern immer wieder im MONSANTO-Sumpf, wenn es gerade so aussieht, als ginge es nun endlich wieder bergauf“, kommentierte die Zeitschrift Capital.

Der Agro-Riese ließ jedoch nicht locker und betrieb unverdrossen weiter „Reputationsmanagement“. Am 10. Dezember legte Matthias Berninger mit der „Nachhaltigkeitsstrategie“ sein GesellInnen-Stück vor. Aber der „Tatort-Reiniger“ (Wirt-schafts-woche) präsentierte nur einen Flickenteppich aus vagen Ankündigungen, als Entwicklungshilfe getarnten Absatz-Strategien, Business as usual und teilweise hochproblematischen Elementen. Das Klima-Paket besteht aus vollmundigen Versprechungen, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Die Kleinbauern und -bäuerinnen, die das Unternehmen nachhaltig beglücken will, erweisen sich indes als ziemlich groß gewachsen. Sie haben Ackerflächen von bis zu zehn Hektar. Die wirklich armen Subsistenz-Landwirte erfasst das Programm indes nicht. Und Menschen in „unterversorgten Regionen“ mit ASPIRIN, IBEROGAST und anderen nicht rezeptpflichtigen Arzneien zu fluten, wie der Konzern es vorhat, folgt nur dem Business-Plan, sich „low-income markets“ zu erschließen. Gleiches gilt für die überdies alles andere als neue Praxis von BAYER, mit freundlicher Unterstützung der „Bill & Melinda Gates Foundation“ und anderen Institutionen Bevölkerungspolitik in den Ländern des Südens zu betreiben und dort – in den Industrie-Staaten zuweilen gar nicht angebotene und alles andere als ungefährliche – Kontrazeptiva unter die Frauen zu bringen.

Dementsprechend mau fiel die Reaktion der Öffentlichkeit aus. Wieder gelang der Befreiungsschlag nicht. MONSANTO im Allgemeinen und Glyphosat im Besonderen lasten nach wie vor schwer auf dem Konzern. Und das dürfte auch im Jahr 2020 so bleiben.