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BAYER in der Kritik

Marius Stelzmann

Die OECD-Beschwerde

Die BAYER AG, weltweit führend auf dem Markt für Pestizide und Saatgut, steht seit Jahren in der Kritik von UmweltschützerInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen. Nun gerät das Unternehmen wegen seines Agrarmodells in Südamerika erneut ins Visier, diesmal jedoch mit vereinten Kräften. Erstmals hat sich ein Bündnis aus sechs zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Argentinien, Brasilien, Paraguay, Bolivien und Deutschland zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Praktiken des Konzerns in Südamerika vorzugehen. Das Agrarmodell von BAYER ist mit schwerwiegenden Umweltauswirkungen und Menschenrechtsverletzungen für die lokale Bevölkerung, insbesondere für indigene und ländliche Gemeinschaften, verbunden: Wälder werden abgeholzt, die Gesundheit wird gefährdet, die Nahrungsversorgung bedroht, das Trinkwasser verschmutzt und Landkonflikte verschärft.

Von Martha Bracklo (ECCHR)1

Am 25. April dieses Jahres reichte das Bündnis in Deutschland auf Grundlage umfangreicher Recherchen und Interviews mit Betroffenen eine Beschwerde gegen BAYER bei der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD) ein. Darin wird dem Konzern vorgeworfen, seine Sorgfaltspflichten beim Vertrieb von Soja-Saatgut und giftigen Pestiziden zu verletzen und damit gegen die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verstoßen. Über zwei Jahre haben die Organisationen an der Einreichung gearbeitet, um auf die Missstände aufmerksam zu machen und BAYER in die Verantwortung zu nehmen, seine Unternehmenspraktiken im südamerikanischen Markt an die Sorgfaltspflichten für den Schutz von Mensch und Umwelt anzupassen.

BAYERs Marktpräsenz

Seit den 1990er Jahren nimmt die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für den Sojaanbau in Südamerika kontinuierlich zu, angetrieben durch die Einführung von glyphosat-resistentem gentechnisch verändertem (GV) Sojasaatgut. In Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien beansprucht der großflächige Anbau von GV-Sojabohnen inzwischen durchschnittlich mehr als 50 % der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Brasilien und Argentinien gehören zu den drei größten Sojaproduzenten der Welt, Paraguay und Bolivien zu den sechst- bzw. zehntgrößten. Die Wichtigkeit der Region für die globale Sojaproduktion und damit auch für die führenden Agrochemieunternehmen ist unverkennbar. 

Soja-Multi BAYER

Die globale Soja-Agrarindustrie wird von einigen wenigen multinationalen Unternehmen dominiert, die einen beträchtlichen Marktanteil an der Produktion und dem Vertrieb von GV-Sojasaatgut und glyphosat-basierten Pestiziden halten. Zu diesen Konzernen gehören unter anderem BASF, Syngenta, Corteva und auch die BAYER AG. Insbesondere in Südamerika hat sich die BAYER AG nach der Fusion mit Monsanto im Jahr 2018 mit dem Geschäftsbereich „Crop Science” zu einem der führenden Agrochemieunternehmen in der Region entwickelt und vertreibt seine Produkte über mehrere Tochtergesellschaften und Produktionsstätten. BAYER ist in der gesamten Wertschöpfungskette von Saatgut und Pestiziden stark vertreten. Dies umfasst nicht nur die Produktion, sondern zugleich die nachgelagerte Wertschöpfungskette einschließlich Vertrieb und Vermarktung, auch als Downstream bezeichnet. In Brasilien betreibt das Unternehmen selbst Saatgut-Zuchtbetriebe (wie Monsoy) und zwei Produktionsanlagen für das glyphosat-basierte Herbizid Roundup, die für den Inlandsmarkt bestimmt sind. In Argentinien produziert BAYER Herbizide auf Glyphosat-Basis in den Monsanto-Werken in Zárate und Rojas. Von dort werden die Produkte nach Uruguay, Bolivien und Paraguay geliefert. Zudem ermöglicht BAYER auch Drittunternehmen durch kommerzielle Lizenzvereinbarungen den Zugang zu seiner Biotechnologie für die Sojaproduktion.

Christian Schliemann-Radbruch, Co-Leiter des Programmbereichs „Wirtschaft und Menschenrechte“ des ECCHR, hebt die Wichtigkeit der Sorgfaltsprüfung in der gesamten Wertschöpfungskette hervor: „Firmen wie BAYER oder BASF, die sehr viel chemischen Input für die industrielle Landwirtschaft produzieren und damit Menschen Gefahren aussetzen, sind nicht von deutschen Regelungen wie dem Lieferkettengesetz (LkSG) erfasst. Zu den Gefahren zählen das Versprühen von Pestiziden ohne Schutzkleidung, Pestizid-Rückstände in Böden oder Flüssen und schwere Gesundheitsschäden. Sie verkaufen ihre Produkte, tragen aber keine menschenrechtliche Verantwortung für vorhersehbare Schäden bei der Nutzung ihrer Produkte. Werden jedoch die OECD-Leitsätze für eine nachgelagerte Sorgfaltsprüfung herangezogen, ergibt sich ein ganz anderes Bild.”

Klar ist, dass BAYER, ebenso wie zuvor Monsanto, aus dem südamerikanischen Markt für GV-Soja und Pestizide nicht mehr wegzudenken ist. Der Konzern fördert in Südamerika ein Agrarmodell, welches aus einem Bündel von giftigen Pestiziden auf Glyphosat-Basis (wie Roundup) und dagegen resistentem GV-Sojasaatgut besteht. Dieses sogenannte „Technologiepaket” wird von der Agrarindustrie als besonders „effizienzsteigernd” für den Sojaanbau angepriesen. Doch die verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt werden in diese Effizienz-Diagnose nicht miteinbezogen.

Mensch und Umwelt leiden

Insbesondere indigene und bäuerliche Gemeinschaften in den Soja-Anbaugebieten in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Bolivien leiden unter schwerwiegenden Folgen aufgrund der hohen Landkonzentration für den GV-Sojaanbau und des intensiven Einsatzes von giftigen Pestiziden. Diese Praktiken verletzen zunehmend ihre Rechte auf Land, Nahrung, Gesundheit und eine gesunde Umwelt.

Da der intensive Sojaanbau große Landflächen beansprucht, dehnt sich die Produktion zunehmend in rechtmäßig indigenen und ländlichen Gemeinschaften zustehende Gebiete aus. Damit einher gehen zahlreiche sozio-territoriale Konflikte um Landrechte, wodurch lokale Gemeinschaften daran gehindert werden, in Sicherheit, Frieden und im Einklang mit ihren Traditionen zu leben. Diejenigen AnwohnerInnen des Gebietes, die sich der Expansion der industriellen Landwirtschaft widersetzen, werden oftmals gewaltsam vertrieben oder kriminalisiert. Mit dem Ziel, Land für die Ausweitung von Sojaplantagen zu gewinnen, kommt es in den betroffenen Regionen häufig zu illegalen Vertreibungen, Landenteignungen, bewaffneten Angriffen oder Einschüchterungsversuchen gegenüber indigenen Gemeinschaften. In Paraguay zum Beispiel werden Mitglieder der bäuerlichen Gemeinschaft in der „Colonia Yvypé“ von den Sojaproduzenten zu Unrecht der Landnahme beschuldigt und wegen Verteidigung ihres rechtmäßigen Landbesitzes strafrechtlich verfolgt und inhaftiert. Außerdem versuchen große Getreidehersteller, die indigene Bevölkerung einzuschüchtern und zu schädigen, indem sie absichtlich Pestizide auf indigenes Land sprühen. Dabei ist das Sprühen von Pestiziden auf indigene Territorien illegal und stellt einen direkten Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung dar. Das angespannte Verhältnis zwischen Sojaproduzenten und indigenen Gemeinschaften zeigt sich auch am Kampf der indigenen Dörfer der Avá-Guaraní in Paraná/Brasilien, welche auf ein immer kleiner werdendes Stück ihres traditionellen Landes zurückgedrängt werden und von der Kontamination ihrer Wasser- und Nahrungsquellen betroffen sind. 

Die Ausweitung des Sojaanbaus, der exzessive Einsatz von giftigen Pestiziden, oft wenige Meter von den Häusern der lokalen Gemeinschaften entfernt, und die Missachtung von Pufferzonen gefährden zudem das Recht auf Gesundheit und Nahrung. Subsistenzkulturen und Ernährungssysteme werden durch den Pestizid-Einsatz zerstört, was zu einem drastischen Rückgang der Qualität und Quantität der Nahrungsmittel führt. Neben der Gefährdung der Ernährungssouveränität berichten AnwohnerInnen von schwerwiegenden chronischen Krankheiten und Vergiftungen wie Krebs, Schlaganfällen, Zysten, Atemwegs- und Knochenerkrankungen bis hin zu tödlichen Folgen. Auch in städtischen Randgebieten, wie im Fall von Pergamino in Argentinien, wo Sojaplantagen zunehmend die Stadt umgeben, entstehen durch die Ausweitung des Anbaus ähnliche Probleme wie für indigene und bäuerliche Gemeinschaften. Sabrina, eine Frau und Mutter aus Pergamino, litt unter schwerwiegenden Gesundheitsproblemen wie Fehlgeburten, Schlaganfällen, Knochenzysten und Atemwegsbeschwerden, die direkt mit dem Pestizidsprühen in der Nähe ihres Dorfes in Verbindung gebracht werden konnten. Medizinische Untersuchungen ergaben hohe Konzentrationen von Glyphosat und seinem Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure (AMPA) im Urin von Sabrina und ihren Kindern. Ermittlungen auf den betroffenen Feldern ergaben Beweise für die Verwendung von Glyphosat, das unter der Handelsmarke Monsanto S. A., jetzt BAYER, vertrieben wurde.

Eine weitere Folge des Soja-Agrarmodells sind verheerende Umweltschäden in der Region. Sojaanbau ist derzeit die zweitgrößte Ursache für die Abholzung der tropischen Wälder weltweit. Besonders gravierend ist das Problem in Südamerika, wo Schätzungen zufolge zwischen den frühen 1990er Jahren und 2017 jedes Jahr mehr als zwei Millionen Hektar Wald gerodet wurden, um Platz für den GV-Sojaanbau zu schaffen. In Brasilien und Bolivien beispielsweise ist der Verlust an Primärwäldern weltweit mit am höchsten. Die Abholzung für großflächige Sojaplantagen bedroht einige der weltweit wichtigsten Ökosysteme in Südamerika, wie den Amazonas, den Atlantischen Regenwald, Cerrado, Gran Chaco und die Chiquitania. In der Region Santa Cruz de la Sierra in Bolivien lässt sich die großflächige Abholzung von Wald zwischen 2011 und 2022 (insgesamt 436.000 Hektar) in direkten Zusammenhang mit dem Sojaanbau setzen. Diese Auswirkungen gefährden nicht nur die Anpassungsfähigkeit der natürlichen Ökosysteme an den Klimawandel, sondern auch das Recht der lokalen Gemeinschaften auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Denn durch den Glyphosateinsatz werden Wasserquellen verschmutzt, Subsistenzkulturen zerstört sowie die lokale Tierwelt und Artenvielfalt bedroht. 

Die Beschwerde im Detail

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen verpflichten Unternehmen aus den 51 Unterzeichnerstaaten, bei ihren Auslandsgeschäften internationale Menschenrechtsstandards zu wahren und mögliche negative Auswirkungen in Verbindung mit ihrer Geschäftstätigkeit zu minimieren. Eine Beschwerde kann bei der Nationalen Kontaktstelle (NKS) des Landes eingereicht werden, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat oder tätig ist. Da die BAYER AG in Leverkusen ansässig ist, wurde die Beschwerde bei der deutschen NKS eingereicht. Bei den Beschwerdeführenden handelt es sich um eine Koalition von Menschenrechts- und Umweltorganisationen aus fünf Ländern, CELS aus Argentinien, Terra de Direitos aus Brasilien, BASE-IS aus Paraguay, Fundación TIERRA aus Bolivien, sowie Misereor und das ECCHR aus Deutschland. In der Beschwerde wird argumentiert, dass BAYER seine menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflichten in der nachgelagerten Wertschöpfungskette in Südamerika nur unzureichend umsetzt und somit gegen die OECD-Leitsätze verstößt. Obwohl BAYER maßgeblich von dem Agrargeschäft in Südamerika profitiert, hat das Unternehmen keine angemessene Menschenrechts- und Umweltpolitik, die die vorhersehbaren Auswirkungen und Risiken für Mensch und Umwelt in den vier betroffenen Ländern berücksichtigt. Vielmehr fördert BAYER durch das Geschäft mit GV-Sojasaatgut und Pestiziden auf Glyphosat-Basis die Entwicklung des verheerenden Agrarmodells und trägt zur Verletzung der Rechte auf eine gesunde Umwelt, Gesundheit, Nahrung und Land bei. BAYER muss sein Geschäftsmodell in Südamerika anpassen und die Sorgfaltspflichten entsprechend erhöhen.

Die deutschen Regelungen, insbesondere das Lieferkettengesetz (LkSG), berücksichtigen Unternehmensaktivitäten in der nachgelagerten Wertschöpfungskette bisher nicht ausreichend, weshalb auch die Vorwürfe dieser Beschwerde nicht unter den Anwendungsbereich des deutschen LkSG fallen. Dennoch argumentiert das Bündnis, dass sich deutsche Unternehmen an die OECD-Leitsätze und die UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte halten sollten, die beide eine nachgelagerte Sorgfaltsprüfung in der Lieferkette vorsehen.

Ausblick

Nach der Einreichung hat die deutsche NKS drei Monate Zeit (also bis Ende Juli), um über die Zulässigkeit der Beschwerde zu entscheiden. Auch wenn die NKS keine Sanktionen verhängen kann, hofft das Bündnis auf eine Mediation durch die OECD zwischen den BeschwerdeführerInnen bzw. Betroffenen und dem Unternehmen. Die Beschwerde wurde im Vorfeld der jährlichen Aktionärsversammlung von BAYER eingereicht. Bei der virtuellen Hauptversammlung am 26. April 2024 kamen auch die Beschwerdeführenden dieses Bündnisses mit Redebeiträgen zu Wort. Die Organisationen erwarten von BAYER, dass das Unternehmen aktiv auf die Beschwerde reagiert und zur Lösung der Probleme beiträgt.

Am Tag der Beschwerde-Einreichung versammelte sich die Gruppe von MenschenrechtsverteidigerInnen, die aus den vier beschwerdeführenden Ländern angereist waren, vor dem „Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz“ zur symbolischen Einreichung ihrer Beschwerde bei der deutschen Nationalen Kontaktstelle. Daisy Ribeiro von der brasilianischen Organisation Terra de direitos beschreibt vor Ort ihr Gefühl am Tag der Beschwerdeeinreichung: „Wir haben viele Jahre an diesem Fall gearbeitet und haben große Erwartungen. Wir erwarten nicht nur, dass sich das Unternehmen mit uns zusammensetzt und darüber spricht, wie es seine Praktiken verbessern kann, sondern auch, dass wir diesem Fall und den Menschenrechtsverletzungen, die in allen Ländern Südamerikas vorkommen, Sichtbarkeit verschaffen, insbesondere in den Ländern, die Beispiele für diesen Fall liefern.“ Im Hintergrund rief die Gruppe von MenschenrechtsverteidigerInnen: „¡Alerta, alerta, alerta que camina, la lucha campesina por América Latina!”, was übersetzt bedeutet: „Achtung, der Kampf der LandarbeiterInnen für Lateinamerika ist in vollem Gange!” ⎜

Mehr Informationen zu dem Fall sind abrufbar unter: https://www.ecchr.eu/fall/BAYERs-agrarmodell-in-suedamerika-verstoesst-gegen-oecd-leitsaetze/!

1Martha Bracklo arbeitet in der Stabstelle Medien und Kommunikation beim ECCHR

Mit dieser Beschwerde unterstützt das ECCHR die südamerikanischen Organisationen in ihrem Kampf für die Menschenrechte und den Schutz der Umwelt im Agrarsektor und setzt sich dafür ein, dass deutsche Unternehmen wie die BAYER AG für ihr Handeln und die daraus resultierenden negativen Auswirkungen zur Verantwortung gezogen werden.

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