Tod durch Pestizide: Skelette empfangen Aktionäre
DIE ZEIT: Die Macht der Multis provoziert Widerstand. Besuche bei Konzerngegnern
Kritische Aktionäre kündigen Protest an
Totentanz und das große Fressen
Aktionärinnen und Aktionäre gehen über „Leichen“
von Karl Henning
Zwei in Skelettanzügen gekleidete Gestalten torkeln zwischen zehn symbolischen Gräbern. Auf den Grabsteinen vor schwarzen Holzkreuzen steht in roten Lettern: BAYER-Pestizide töten Menschen. Grablichter flackern im Wind. Die beiden Skelette vollführen einen gespenstischen Totentanz, versprühen symbolisch Ackergifte aus einer Spritze. Direkt vor den Toren der Köln- Deutzer Messehallen fallen sie wie tot zu Boden. Verendet im Giftnebel: Was als Auftakt der BAYER-Hauptversammlung am 28.4. von KritikerInnen szenisch umgesetzt wurde, ist in unzähligen Ländern insbesondere der Dritten Welt trauriger Alltag. Nach Schätzungen der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) sterben Jahr für Jahr über zwei Millionen Menschen an Pestiziden. Aktuelles Beispiel ist ein Fall aus den Philippinen. Hier erlagen mindestens 14 Menschen dem BAYER-Gift NEMACUR.
Doch solche Zahlen interessieren viele der in Bussen angekarrten (Belegschafts-) AktionärInnen und BankenvertreterInnen nicht. Nicht einmal die Presse kommt ihrer berufsmäßig verordneten Neugier nach, der Verdacht auf Gleichschaltung drängt sich unweigerlich auf. Beide, Salonschreiber und Couponschneider, sind vielmehr an Bilanzen und Kursen interessiert. Entsprechend zielstrebig eilen sie in den Versammlungsraum, über die symbolischen Leichen hinweg, wo BAYER-Vorstands- chef Manfred Schneider sie mit angenehmeren Daten beglückt: Wir freuen uns, dass wir Ihnen für das Jahr 1999 einen guten Abschluss vorlegen können, trägt er mit gewohnt monotoner Stimme vor. Der BAYER-Konzern habe seinen Gewinn um 24 % auf 2.002 Mio. Euro steigern können. Dies, obwohl oder gerade weil im letzten Geschäftsjahr 25.000 Arbeitsplätze ausgelagert bzw. vernichtet wurden. Trotz guter Geschäfte konnte sich der Chemieriese durch Bilanztricksereien wie Erhöhung der Rückstellungen und verschärfte Abschreibungen erstmalig in seiner Geschichte an der Gewerbesteuer vorbeimogeln, wie die Bundestagsabgeordnete Ulla Lötzer (PDS) später in Ihrer Rede kritisierte. Auf ihre Frage, wann der BAYER-Konzern sich wieder an der Finanzierung kommunaler Aufgaben zu beteiligen gedenke, erhielt sie keine hinreichende Antwort.
So erging es auch den anderen elf RednerInnen für die Coordination gegen BAYER- Gefahren, die nunmehr seit 18 Jahren den geordneten Ablauf der Hauptversammlung mit ihren kritischen Beiträgen stören. Ihre zwei Dutzend Gegen- anträge wiegelte Schneider routiniert als unbegründet ab, ihre Fragen beantwortete er ausweichend bis diffamierend. Die Rede von CBG-Gründungsmitglied Axel Köhler- Schnura etwa quittierte Schneider mit dem Hinweis: Ich will Ihre Ansichten nicht kommentieren, denn sie dienen ja lediglich der Selbstdartstellung. Dabei hatte Köhler-Schnura erneut auf den fortwährenden Skandal nicht entschädigter NS-Zwangs- arbeiterInnen hingewiesen und BAYER-Chef Schneider in einer bewegenden Rede – wie im vergangenen Jahr – erneut aufgefordert, sich im Namen des Konzerns für zugefügtes Leid zu entschuldigen. Vergebens. Als CBG-Geschäftsführer Philipp Mimkes sich wenig später des Themas erneut annahm, stellte Aufsichtsrats- vorsitzender Hermann-Josef Strenger in seiner Funktion als Versammlungsleiter für kurze Zeit sogar das Mikrofon ab. Keine Spur von Chemie im Dialog, wie in großspurigen Anzeigen immer wieder versprochen.
Stattdessen gab es Brot und Spiele – eine Verpflegung, die für lange Schlangen an den Ausgabetheken sorgte und nach dem großen Fressen zu einer erheblichen Abwande- rung von Butterfahrts-AktionärInnen führte sowie dumpfbackige Speichelleckvorträge mit einem gewissen Unterhaltungswert von bestellten RednerInnen. So lobhudelte beispielsweise der Betriebsratsvorsitzende von Wuppertal über die ausgezeichnete Geschäfts- und Standortspolitik von BAYER und wetterte gegen die Reden der Kritischen AktionärInnen in einem Tonfall, den Vorstandschef Schneider sich auf diesem Niveau vermutlich nicht hervorzubringen getraut hätte. Doch auch dieser sparte nicht mit unsachlichen Ausfällen und persönlicher Herabsetzung seiner Gegner. Auf die Rede von CBG-Vorstandsmitglied Hubert Ostendorf, der die tausendfache Hepatitis-C-Infizierung von Blutern durch BAYER-Produkte sowie Bestechung von ÄrztInnen geißelte, entgegnete Schneider aus sicherer Entfernung vom hell erleuchteten Podium: Sie erwecken in Ihrem Vortrag den Eindruck, dass Sie Schwierigkeiten haben, das Thema richtig darzustellen. Ähnlich reagierte er auf den Beitrag der niederländischen Milchbäuerin Aarlte Dijkstra, die den Tod Tausender Kühe durch einen BAYER-Impfstoff beklagte. Die Hauptversammlung sei nicht der Ort, derartige Dinge zu thematisieren. Im übrigen, so Schneider, sei BAYER in den Fällen, in denen ein Zusammenhang zwischen dem Tod der Kühe und dem Impfstoff nachgewiesen worden sei, der Schadensersatzpflicht nachgekommen. Aarltje Dijkstra fühlt sich durch diese Darstellung der Dinge schlichtweg hinters Licht geführt. Nachdem die ersten Kühe gestorben seien, habe BAYER noch unbürokratisch entschädigt. Doch als dann offenbar wurde, dass die ganze Branche von der Katastrophe betroffen sei, habe der Konzern durch Untersuchungen feststellen lasen, dass in den meisten Fällen ein Zusammenhang nicht besteht und die Zahlungen verweigert. Im übrigen, so die rebellische Bäuerin, stimme auch nicht, was Schneider als Kommentar zu ihrem Gegenantrag gesagt hätte. Ihre Aktionskampagne sei keineswegs, wie behauptet, durch ein niederländisches Gericht untersagt worden. Lediglich der Slogan Tot durch BAYER wurde verboten, nicht aber der Hinweis Krank durch BAYER.
Was Schneider selbst nicht schaffte, erledigte zum Teil das Publikum. Zar gab es immer wieder Beifall für die Reden der Kritischen, aber auch gezielte Zwischenrufe vereinzelter aufgebrachter AnteilseignerInnen, die Aufsichtsratschef Strenger unverhohlen unterstützte und ermutigte: Ich habe volles Verständnis für Ihre Zwischenrufe. Unter dem Eindruck dieser Verhöhnung betrat Christiane Niesel das Podium und fragte sichtlich erregt, wie man in Anbetracht unzähliger Toter durch die BAYER-Geschäfte zur Tagesordung übergehen kann. Erneute Buhrufe aus dem Publikum, Zwischenkommentare von Strenger. Christiane Niesel wurde derart irritiert, dass sie frustriert auf die Beendigung ihrer sorgfältig vorbereiteten Ausführungen verzichtete. Henry Mathews vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre dagegen ergriff gleich mehrfach das Wort. Er beschwerte sich über die Diskriminierung seiner KollegInnen und kritisierte den hemmungslosen Antibiotika-Einsatz in der Tiermast. Und: Weil er mit der Antwort von BAYER-Chef Schneider nicht zufrieden war, ging er gleich wieder, und nach einer erneut unzureichenden Antwort zum dritten Mal zum Mikrofon.
Die Hauptversammlung endete formal mit einem Abstimmungserfolg für den Vorstand und den Aufsichtsrat. Lediglich 0,1 % bzw. 285.000 Aktien entfielen auf die Anträge der KritikerInnen, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten und die Dividende für die Wiedegutmachung der durch BAYER angerichteten Schäden zu verwenden – bei einer fast 100%igen Kapitalkonzentration auf Banken und Versicherungen kein Wunder. Wenn wir einen Durchschnittsbesitz von 150 Aktien bei KleinaktionärInnen unterstellen, dann entspricht das einer Unterstützung von fast 2.000 Menschen, rechnet CBG-Sprecher Köhler-Schnura vor. Angesichts von 6.000 TeilnehmerInnen gar kein so schlechter Erfolg, sagt er und schmunzelt.
Rede von Lars Neumeister (Pestizid Aktions-Netzwerk) auf der BAYER Aktionärsversammlung am 28. April 2000
Sehr geehrte Damen und Herren,
am Anfang meiner Rede möchte ich aus dem Geschäftsbericht der BAYER AG aus dem Jahre 1995 zitieren. Im Abschnitt Arbeitsgebiet Landwirtschaft heißt es dort unter anderem:
„Mit einem „Drei Punkte Programm“ haben wir uns hinsichtlich Forschung, Entwicklung und Vertrieb der Pflanzenschutz-Produkte klare Ziele für die kommenden fünf Jahre gesetzt, um wichtige Aspekte wie Umweltschutz und Produktsicherheit noch weiter voranzubringen. So werden wir die eingesetzte Produktmenge je Anwendung noch weiter reduzieren und Produkte der WHO-Toxizitätsklasse 1 schrittweise durch Präparate mit geringerer Giftigkeit ersetzen.“
An dieser Stelle möchte ich den Vorstand fragen, wie weit die Ziele des 3 Punkte Programms im Jahr 1999 umgesetzt wurden. Denn 5 Jahre später sind diese Wirkstoffe immer noch auf dem Markt und tragen zur Vergiftung von Mensch und Umwelt bei. Ein besonders schockierendes Beispiel wurde uns durch das Pestizid Aktions-Netzwerk in den Philippinen bekannt. Menschen und die Umwelt wurden dort durch Pestizide vergiftet.
Unter anderem wurden dort die BAYER Wirkstoffe Fenamiphos und Carbofuran ausgebracht. Beide Wirkstoffe gehören zur höchsten Giftigkeitsklasse der Weltgesundheitsorganisation. Im Dorf Kamukhaan, das seit 19 Jahren von Bananen-Plantagen umgeben ist, klagen die BewohnerInnen über akute Vergiftungserscheinungen sowie chro-nische Krankheiten wie Krebs, Asthma und Anämie. Pestizide werden dort nach der Ausbringung oft direkt durch die Luft ins Dorf eingetragen. Die Flüsse und das Grundwasser sind verschmutzt und die wenigen verbliebenen Fische kontaminiert. Allein im Juli 1999 starben neun Menschen an den Folgen von Pestizidvergiftungen. Im Dorf geborene Kinder kommen häufig mit körperlichen Missbildungen und geistigen Behinderungen auf die Welt. Viele sterben während oder kurz nach der Geburt. Nicht nur die direkten Einwirkungen durch Pestizide schädigen die Bewohner des Dorfes. Alle wirtschaftlichen Grundlagen des Dorfes sind durch den Chemikalieneinsatz auf den Plantagen beeinträchtigt. Die Kokospalmen trugen keine Früchte mehr und mussten gefällt werden. In den Flüssen befinden sich kaum noch Fische. Auf den durch Agrochemikalien unfruchtbar gewordenen Böden ist es sehr schwierig geworden, Marktfrüchte anzubauen oder die Selbstversorgung zu sichern. Vieh und Geflügel zu erzeugen, ist fast unmöglich, weil die Tiere immer wieder durch die Pestizideinwirkung getötet werden. Durch die Vermarktung von Pestiziden der Giftigkeitsklassen „extrem gefährlich“ und „hoch gefährlich“ der Weltgesundheitsorganisation sind Produzenten wie die BAYER AG mit verantwortlich für die Gesundheits- und Umweltschäden in den Philippinen. Die Vorkommnisse in den Philippinen widersprechen den klaren Zielsetzungen BAYERs und ich frage Sie, ob Sie dazu Stellung nehmen können?
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich aus dem Geschäftsbericht der BAYER AG aus dem Jahr 1999 zitieren. In der Einleitung heißt es: „Die technische und wirtschaftliche Kompetenz des Unternehmens ist für uns mit der Verantwortung verbunden, zum Nutzen der Menschen zu arbeiten und unseren Beitrag für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung zu leisten.“ Wir stellen nun die Frage an den Vorstand: Wird BAYER dieser Verantwortung gerecht und das Ziel aus dem Jahr 1995, die „…Produkte der WHO- Toxizitätsklasse 1 schrittweise durch Präparate mit geringerer Giftigkeit ersetzen“ im Jahr 2000 erreichen?
– Vielen Dank.
Auf die Rede von Lars Neumeister (PAN Germany) äußerte der BAYER-Vorstand, das „Drei Punkte Programm“ verlaufe planmäßig, über die Vorkommnisse in den Philippinen sei ihnen nichts bekannt, man werde sich darüber aber informieren.