Kritische Aktionäre reichen Gegenanträge ein
Presseerklärung: Kritische Aktionäre attackieren Vorstand
Zehn KonzernkritikerInnen setzten BAYER zu
von Jan Pehrke
Einmal mehr konnte Vorstandsvorsitzender Manfred Schneider auf der diesjährigen BAYER-Hauptversammmlung Gewinnzuwächse vermelden. Auf die Nebenwirkungen der Profithatz machten zehn Konzern-KritikerInnen aufmerksam: Arbeitsplatzvernich- tung, rücksichtsloser Vertrieb hochgiftiger Pestizide, die Vermarktung von Arzeimitteln wie ASPIRIN als Lebensmittel und die Verleugnung der blutigen Unternehmens- geschichte.
Auch auf den Plakaten der Coordination gegen BAYER-Gefahren war das BAYER- Hochhaus in Leverkusen als ASPIRIN-Schachtel verpackt – allerdings mit dem Warnhinweis „ASPIRIN tötet Kinder“ versehen. Mit dieser Aktion vor den Kölner Messehallen machte die CBG die AktionärInnen auf die fatalste Nebenwirkung des „Tausendsassas“ aufmerksam. Den verteilten Flugblättern konnten sie weitere „Gegenanzeigen“ entnehmen. So waren die BesucherInnen richtig eingestimmt auf
die Vorhalle, in der es vor ASPIRIN-Devotionalien kein Entrinnen gab.
Drinnen im Saal präsentierte sich der Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Schneider dieses Jahr selbstherrlich als Firmen-Patriarch alter Schule. „Ich schaue immer vom 26. Stockwerk meines Hochhauses …“, setzte er einmal an, korrigierte die Freudsche Fehlleistung aber sofort wieder: „unseres Hochhauses“. Launig erwartete er den Erlös aus dem Börsengang der AGFA „auf der nach oben offenen Schneider-Skala“ in luftigen Höhen. Und die Berufung des BAYER-Steuerexperten Heribert Zitzelsberger zum Staatssekretär im Finanzministerium kommentierte der Konzernchef süffisant „als unseren Beitrag“ zur Steuerpolitik. „Wir haben unseren besten Steuer-Mann nach Bonn abgegeben“, tönte er und: „Ich hoffe, dass er so von BAYER infiltriert worden ist, dass er … die richtigen Wege einleiten wird“, so Schneider wörtlich. Gnädig erklärte der Große Vorsitzende sich auch bereit, Finanzminister Manfred Eichel, „der sehr pragmatisch vorgeht“, eine Chance einzuräumen. Minister von Schneiders Gnaden – so frank und frei gab bisher noch kein Konzern-Chef in der Bundesrepublik Auskunft darüber, wo die eigentliche Macht im Staate sitzt.
Beim Bericht über das zurückliegende Geschäftsjahr hatte es mit Schneiders Offenheit allerdings ein Ende. Da versteckte der BAYER-Boss „Arbeitsplatzvernichtung“ hinter Begriffen wie „Desinvestion“ oder „Restrukturierung“. Sein Wirtschaftsslang machte aus der Schließung mehrerer Pharma-Standorte das „Effizienzprogramm Pharma“. Und Rationalisierungen werden bei BAYER selbstverständlich nur aus „sozialer Verantwortung“ vorgenommen, nach Schneider-Logik kann die Standorte nur soziale Kälte vor einer Arbeitsplatz-Eiszeit bewahren.
Als der Vorstandsvorsitzende auf die zahlreichen Gegenanträge zu sprechen kam, die „die bekannte Gruppierung“ zu Themen wie „gefährliche Pestizide“ oder „Ausgliede- rungen“ einbrachte, bemühte er sich nicht einmal mehr um Sprachkosmetik. Schneider recycelte einfach seine Worthülsen aus vergangenen Hauptversammlungen. „Die Hauptversammlung ist nicht der Ort, um über wissenschaftliche Fachfragen zu debattieren“, war einer dieser altgedienten Textbausteine.Die Gegenanträge nannte er „einseitig“, „unsinnig“ und „rechtlich fragwürdig“ und „ unbegründet“ – die alte BAYER-Leier.
10 x Konzernkritik
Zehn BAYER-KritikerInnen sprachen auf der Hauptversammlung und dominierten damit eindeutig die RednerInnen-Liste. Als erste trat Christiane Niesel von der Kölner Gruppe ANTIGEN vor das Mikrofon. Sie griff die Große Koalition zur Durchsetzung der Gentechnologie, bestehend aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, an und nannte die Gründung des Rechtsrheinischen Technologie-Zentrums in Köln-Kalk sowie des Interessenverbandes BIOGENTECH NRW als Beispiele. Eine direkte Frage richtete Niesel an Ernst-Ludwig Winnacker: „Warum kann eigentlich ein Aufsichtsratsmitglied von BAYER auch in der Funktion als Leiter des Institutes für Genetik in München und als Präsident der DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT auftreten?“
Im Mittelpunkt von Uwe Friedrichs (CBG) Rede stand die Gefährlichkeit von BAYER- Pestiziden. Er forderte BAYER auf, der Öffentlichkeit die Sicherheitsunterlagen der Produkte zugänglich zu machen und dafür Sorge zu tragen, dass endlich auch in den Ländern der sog. Dritten Welt eine sachgemäße AnwenderInnen-Information gewährleistet ist. Dann erinnerte Friedrich den Vorstand an ein Versprechen aus der vorletzten Hauptversammlung: Die Zusage, den Vertrieb von Pestiziden der Toxizitätsklasse 2 einzustellen. Darauf ging Manfred Schneider in seiner „Antwort“ mit keinem Wort ein. Den langjährigen Misständen stellte er lediglich die langjährigen Ausflüchte entgegen: „Wir haben unseren Ansichten nichts hinzuzufügen.“
Auf früheren Hauptversammlungen hatte Manfred Schneider in der Auseinandersetzung um Entschädigungen für die Opfer von HIV-kontaminierten BAYER-Blutpräparaten immer wieder entlastende Urteile aus den USA. „Wer die Härte und Strenge amerikanischer Gerichte und der dortigen Gerichtsverfahren kennt, meine Damen und Herren, wird mir zustimmen: Wenn es überhaupt eine unabhängige Instanz gibt, die sich objektiv ein Urteil bilden kann, dann sind es amerikanische Gerichte“, lauteten seine Worte. Jetzt konfrontierte ihn Axel Köhler-Schnura (CBG) mit einem neuen „unabhängigen und objektiven“ Richter-Spruch in Sachen Bluter-Präparate aus New Orleans, der den Konzern des Betrugs und der groben Fahrlässigkeit schuldig befand und ihn zu einer Entschädigungszahlung von 35,3 Millionen Dollar verurteilte. Dem sichtlich perplexen Schneider, der sich vorbehielt, nur „auf einige extreme Punkte“ von Köhler-Schnurras Rede einzugehen, blieb nichts anderes übrig, als das Urteil wider besseren Wissens zu dementieren.
Die Ärztin Christiane Fischer von der BUKO-PHARMA-KAMPAGNE nahm eine Imageverschmutzung am „Tausendsassa“ ASPIRIN vor. Sie warf BAYER vor, das Mittel als Lebensmittel und nicht als Medikament zu vermarkten, was besonders beim Indikationsgebiet „Erkältungskrankheiten“ medizinisch unlauter sei, da die Wunderpille gegen Viren gar nichts ausrichten könne. Sie präsentierte der Konzernspitze einen ganzen Katalog unerwünschter ASPIRIN-Wirkungen: Magenschmerzen, Magenbluten, das Auslösen von Anfällen bei AsthmatikerInnen und beim in den Ländern der „Dritten Welt“ vertriebenen KINDER-ASPIRIN das lebensbedrohliche Reye-Syndrom. Versammlungsleiter Strenger wollte sich die Mängelliste aber nicht bis zum Ende anhören. Er unterbrach die Rednerin mit der Bemerkung, das Vorgetragene sei auf einer AktionärInnen-Veranstaltung fehl am Platz. „Wenn Sie die ASPIRIN-Reklamen im Eingangsbereich der Messehalle sehen, ist klar, was das mit der Hauptversammlung zu tun hat“, versetzte Fischer schlagfertig.
Schwebende Verfahren und andere Ausflüchte
Mit seinen Bemerkungen zur Berufung des BAYER-Steuerfachmannes Zitzelsberger ins Finanzministerium hätte Manfred Schneider Hubert Ostendorf (CBG) kein besseres Stichwort liefern können. In seiner Rede über BAYERs Extrem-Lobbyismus griff er die Worte des Vorstandsvorsitzenden sogleich als ein weiteres, besonders eindrucksvolles Beispiel auf. Ostendorf führte aus, wie es dem Leverkusener Chemie-Multi im Verbund mit anderen Unternehmen gelang, beim Schulministerium gentech- und chemiefreund- liche Lehrpläne durchzusetzen. Als flankierende Maßnahme zu dieser autoritären Akzeptanz-Erziehung sponserte BAYER gemeinsam mit dem Bundesforschungs- ministerium und dem Land Nordrhein-Westfalen das sog. BioTechMobil, das die Schulen, Marktplätze und Industriestandorte des Landes abklappert. Und es gelang sogar, Schulministerin Behler und Wirtschaftsminister Steinbrück vor den Karren dieses mit kompletten Labors ausgestatteten Propaganda-Gefährts zu spannen.
Die Pharmakologin Dr. Sigrid Müller hatte schon auf der letzten Hauptversammlung zu den Risiken von BAYERs Alzheimer-Präparat METRIFONAT gesprochen und von Zwischenfällen bei der Erprobung berichtet. Durch einen neuerlichen Test-GAU in den USA – 20 ProbandInnen erlitten eine plötzliche Muskelschwäche – fühlte sie sich in ihrem Urteil bestätigt. „Warum haben Sie nicht auf uns gehört“, fragte sie BAYER-Chef Schneider eindringlich. Ein weiteres Mal schilderte sie die Gefahren des METRIFONAT-Wirkstoffes, eines Pestizids, und griff die Praxis des Konzerns an, Menschenversuche auch bei der Erprobung von Agrochemikalien durchzuführen. Als besonders skandalös hob Müller dabei hervor, daß den Testpersonen vorgegaukelt werde, es handle sich um die Erprobung eines Medikamentes. Für Manfred Schneider waren dies alles „Detailfragen“, auf die er nicht antworten könne. Zu den Menschen- versuchen erklärte er kurz und schmerzlos: „Wir müssen auch die Auswirkung von Stoffen auf Menschen überprüfen.“
André Schösser ist im letzten Jahr mehrere Monate lang in Brasilien gewesen und schilderte aus eigener Anschauung, welche verheerenden Auswirkungen das im Kaffeeanbau eingesetzte BAYER-Pestizid BAYSISTON auf die Gesundheit der LandarbeiterInnen hat. Obwohl nach internationalen Bestimmungen in der sog. Dritten Welt keine Agrochemikalien vertrieben werden dürfen, für deren Ausbringung aufwendige Schutzkleidung nötig ist, kann man BAYSISTON dort an jeder Straßenecke kaufen. Ungenügend über die Gefahren des Ackergifts informiert, streuen es die LandarbeiterInnen ungeschützt mit einem einfachen Kaffeelöffel auf den Plantagen aus und benutzen es sogar als Düngemittel für Mais- und Bohnenpflanzen. In Minas Gerais, dem Dorf, das Schösser besuchte, leiden folglich viele Menschen an Vergiftungs- symptomen, Lähmungserscheinungen und Atemwegserkrankungen – vereinzelt ist es sogar schon zu Todesfällen gekommen. Manfred Schneider ließ dieser eindrucksvolle Augenzeugenbericht völlig kalt: „Für den Rückzug des Produkts sehen wir keinen Grund.“
Wer geglaubt hatte, dass wenigstens das dunkle Kapitel IG FARBEN den Konzern- herrn zu verbindlicheren Tönen veranlassen könnte, sah sich bald getäuscht. Er fertigte David Rosenberg, Amerikaner jüdischer Abstammung, der extra aus Pittsburgh angereist war, um die BAYER-Spitze in leiser, eindringlicher Form zu einem angemessenen Umgang mit der Vergangenheit aufzufordern, genauso barsch ab wie die VorrednerInnen. BAYER sei 1951 neu gegründet worden, auch wenn es schwer falle, diese Tatsache zu akzeptieren, mit diesen Worten gliederte der Manager die Geschichte der IG FARBEN aus der des BAYER-Konzerns aus.
Philipp Mimkes, der Geschäftsführer der CBG, widmete sich einigen besonders skandalträchtigen Vorkommnissen des Geschäftsjahres 1998. Er berichtete von den Protesten aufgebrachter französischer ImkerInnen gegen das BAYER-Pestizid GAUCHO, das ganze Bienenstämme verenden ließ und deshalb vom Landwirt- schaftsminister Jean Galvani verboten wurde. Sodann präsentierte Mimkes Vorstand und AktionärInnen ein Werbeblatt für das Holz„schutz“mittel XYLADECOR, wie es auf einer Agrarmesse in Kolumbien auslag. Offiziell hat BAYER sich seit dem Skandal um die massiven Gesundheitsschädigungen durch Holzgifte schon lange aus diesem Geschäftsfeld zurückgezogen. Das Prospekt zeigt nun aber, so Philipp Mimkes, dass der Konzern in weit von Europa entfernten Regionen noch auf die Ahnungslosigkeit der Kundschaft spekuliert und skrupellos weiter Profite auf Kosten der menschlichen Gesundheit macht. Der CBG-Geschäftsführer verlangte von der Vorstandsetage schließlich Auskunft darüber, warum das Unternehmen sich so beharrlich gegen die Schadstoff-Kontrolle durch die Emissionsfernüberwachung sträubt, wo es sich doch sonst so umweltbewusst gibt. Ein ganz besonders beschämendes Kapitel in der BAYER-Geschichte, das erst jetzt bekannt geworden ist, stellte für Mimkes ein „Arisierungsgeschäft“ des damals zur IG FARBEN gehörenden Krefelder Werkes dar. Es erwarb für eine lächerliche Summe den jüdischen Friedhof der Stadt, um das Gelände für eine Erweiterung der Produktionsstätten zu nutzen. Auf diese – fortdauernde – Grabschändung ging Manfred Schneider in seiner Antwort mit keiner Silbe ein. Zum Thema „GAUCHO“ gab er scheinheilig zu Protokoll: „An einer Klärung sind wir selbst dringend interessiert.“ Desweiteren sah er keine „Veranlassung, XYLADECOR in ein schlechtes Licht zu setzen“ und enthielt sich mit dem Hinweis auf ein schwebendes Verfahren Bemerkungen zur Emissionsfernüberwachung. In aller Ausführlichkeit wendete er sich dann wieder den Fragen „seiner“ AktionärInnen zu,
die etwa umtrieb, ob BAYER durch den Kosovo-Krieg Umsatzeinbußen erleide.
Eine Sorge, die Schneider zerstreuen konnte.
Profitsplitter
Für das Jahr 1998 wurde ein Gewinn vor Steuern in Höhe von 5,1 Milliarden Mark ausgewiesen. Jede/r weiß, dass ein solchermaßen deklarierter Gewinn nur einen
Bruchteil des tatsächlichen Gewinns darstellt, denn auch BAYER wird alles tun, um die Steuern zu minimieren und sich entsprechend schlechtzurechnen.
Bei einem ausgewiesenen Eigenkapital in Höhe von 23,9 Milliarden Mark entspricht der erzielte Gewinn einer Rendite von 21,3 %. An die AktionärInnen wurde eine Dividende von 2,00 Mark ausgeschüttet. Der achtköpfige Vorstand kassierte allein an ausgewiesenen Gehältern 15,2 Millionen Mark – im Durchschnitt also pro Kopf 1,9 Millionen Mark jährlich bzw. 161.500 Mark monatlich.
Erbringen müssen diese Profite heute 145.100 MitarbeiterInnen, die im Durchschnitt jährlich 110.764 Mark verdienen. Dabei wurden von 1989 bis 1998 25.100 Arbeits- plätze vernichtet. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum von 43,3 Millarden Mark auf 54,9 Milliarden Mark, der ausgewiesene Gewinn von 4,1 Milliarden Mark auf 5,1 Milliarden Mark.