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BAYER-Hauptversammlung ’24

Marius Stelzmann

Konzern-Kritik auf allen Kanälen

Auch 2024 flüchtete BAYER vor der zu erwartenden Konzern-Kritik wieder ins Internet. Aber die Coordination gegen BAYER-Gefahren stellte den Agrar-Riesen auch dort und ließ es sich darüber hinaus nicht nehmen, Protest in Präsenz zu zeigen und vor dem Stammsitz in Leverkusen eine Kundgebung abzuhalten.

Von Marius Stelzmann

Viele großen deutschen Konzerne halten ihre Hauptversammlungen mittlerweile wieder in Präsenz ab. BAYER tut das skandalöserweise nicht und bleibt beim Online-Format – ein ganz klarer Versuch, es dem Protest gegen den Kurs des Vorstandes schwerer zu machen.

Hiervon hat die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) sich aber nicht entmutigen lassen. Ihr ist es gelungen, kritische SprecherInnen aus Ländern wie Bolivien, Brasilien, Paraguay, Argentinien, Frankreich und natürlich aus Deutschland zu gewinnen. Die internationale Zusammensetzung der mobilisierten SprecherInnen zeigt, dass BAYER-Produkte weltweit Schäden an menschlicher Gesundheit und Umwelt anrichten. Bereits bevor die Vorbereitungen für die diesjährige HV begonnen hatten, war der CBG jedoch klar, welchen Schwerpunkt sie dieses Jahr setzen würde: Die angekündigte Arbeitsplatzvernichtung. Wieder einmal sind es nämlich die Belegschaften, die für Fehler des Vorstandes büßen müssen. Sie zahlen jetzt die Zeche dafür, dass es das Management nicht geschafft hat, mit den Glyphosat-Geschädigten eine gütliche und faire Einigung zu finden und stattdessen in Treue fest zu dem Herbizid hält. Und sie zahlen dafür jetzt schon zum zweiten Mal die Zeche. Bereits ab Ende 2018 war es wg. Glyphosat zur Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen gekommen.

Deshalb brachte die Coordination im Rahmen der HV ganz klar zum Ausdruck: Für die verbrecherische Konzernpolitik, Glyphosat mit allen Mitteln auf dem Markt zu halten, muss der Vorstand geradestehen, nicht die Beschäftigten! Statt verzweifelt zu versuchen, aus dem Produkt noch den letzten Tropfen Gewinn auszupressen, fordert die CBG: Glyphosat-Stopp statt Arbeitsplatzvernichtung – Für Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze! Mit dieser Forderung hat sie einem Kernmotto von ihr neues Leben eingehaucht, es für einen neuen Kampf aktualisiert. Und unter diesem Vorzeichen ist die CBG dann auch in die Vorbereitungen gezogen.

Natürlich hat sie sich auch dieses Jahr nicht nur auf Glyphosat und dessen katastrophalen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt fokussiert. Die CBG bringt stets ein breites Spektrum von BAYERs Kapitalverbrechen auf die Tagesordnung der Hauptversammlung und bemüht sich, Vorstand und AktionärInnen möglichst alle Risiken und Nebenwirkungen der Geschäftspolitik aufzuzeigen. Am besten repräsentiert durch RednerInnen, die von dieser selbst betroffen sind und anhand ihrer eigenen Geschichte minutiös belegen können, wie der Vorstand dem Profit den Vorrang vor Gesundheit und Umweltschutz gibt. Dieses Jahr setzte die Coordination neben Glyphosat folgende Themenschwerpunkte: Arbeitsplatzvernichtung, Agent Orange, Pestizide, Online-Hauptversammlungen, PCB, Duogynon, Gentechnik und Klimawandel. Zu vielen dieser Themen hat die CBG auch Gegenanträge auf der HV gestellt.

Die Vorbereitung

Im mittlerweile fünften Jahr der virtuellen Hauptversammlungen bei BAYER stellen sich der Coordination zahlreiche Herausforderungen, die zu bewältigen sind. Die virtuelle Hauptversammlung sperrt die Masse der AktionärInnen aus. Niemand reist mehr an, um den Vorstand direkt zu konfrontieren. Die Konzern-KritikerInnen konnten früher direkt mit den AktionärInnen, die auf Einlass warteten, kommunizieren. Sie hatten die Möglichkeit, Flugblätter zu verteilen und mit den BesucherInnen zu diskutieren. Ergo reisten AktivistInnen oftmals von weither an, um diese Chance zu nutzen. Riesige Installationen aus großen Heuballen, mehreren Traktoren mit Anhängern und anderem waren keine Seltenheit. ImkerInnen brachten ihre komplette Ausrüstung mit und verstreuten in eindringlichen Aktionen verendete Bienen, um gegen die tödlichen Pestizide des Unternehmens zu protestieren. Mit der virtuellen Hauptversammlung entfällt das alles. Die Mobilisierung wird daher herausfordernder.

BAYERs Flucht ins Internet hat allerdings auch schädliche Effekte für den Konzern selbst. Durch den Rückzug von AktionärInnen aus der HV erhalten die kritischen Stimmen, die die CBG standhaft weiter organisiert, noch mehr Gewicht und dominieren das Programm im Verhältnis noch stärker. Der gleiche Effekt zeigt sich bei der Presseberichterstattung: Die HV selbst generiert quasi kein Bildmaterial, das PressevertreterInnen benutzen können, da es neben den von der Aktiengesellschaft selbst angebotenen Hochglanz-Fotos aus dem Studio BAYER nur öde, immergleiche Screenshots vom Computerbildschirm gibt. Deshalb nutzen PressevertreterInnen als Illustration für ihre Berichte lieber die CBG-Aktionen vor der Konzernzentrale als Bildquelle. BAYER kann das kaum recht sein.

In den vergangenen Jahren hatte die CBG stets Aktionsideen mit großer Bildkraft an den Start gebracht. 2022 inszenierten die KunstperformerInnen der „Red Rebels“ von Extinction Rebellion vor den Türen des Leverkusener Multis eine Prozession als stumme Anklage der Zerstörung der natürlichen Lebensräume durch BAYER. 2023 fand vor der BAYER-Konzernzentrale die feierliche Übergabe des „goldenen Glyphosatkanisters“ statt, um den BAYER-Vorstand für seine Verbrechen gegen Mensch und Umwelt gebührend zu würdigen. Auch diesmal wollte die CBG ihre Forderungen an den BAYER-Konzern wieder plastisch machen. Sie entschied sich daher, vor der Konzernzentrale ein riesiges Transparent zu entrollen und dieses mit einer Drohne aus der Luft zu fotografieren – ein deutliches, übergroßes Zeichen an Vorstand und Öffentlichkeit dafür, dass der Global Player mit seiner Konzernpolitik in eine Katastrophe steuert. Als Motiv wählte die Coordination die oben bereits erwähnte Losung „Glyphosat-Stopp statt Arbeitsplatzvernichtung – Für Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze!“

Eine weitere Schwierigkeit, die sich BAYER mit dem Online-Format einhandelte, war die nun faktisch gegebene Erreichbarkeit der virtuellen Hauptversammlung für alle Welt. Zwar hatte die CBG stets internationale AktivistInnen zur HV mobilisiert, für diese mussten jedoch stets Anreise, Unterbringung und die Sicherheit, rechtzeitig am Ort der HV einzutreffen, gewährleistet sein. Während der Agro-Riese mit der virtuellen HV eine Zugangsschranke für tausende KleinaktionärInnen aus Deutschland einrichtete, war die Teilnahme für internationale AktivistInnen leichter geworden. Lediglich eine Hürde hatte BAYER noch lange aufrechterhalten, die internationale Gäste nachhaltig ausschloss: Die Sprachbarriere. Nach Forderung des Konzerns mussten alle SprecherInnen ihre Reden auf Deutsch halten – ein offensichtlicher und effektiver Ausschluss-Mechanismus. Die CBG kritisiert dieses offensichtliche Sprechverbot bereits seit Langem und forderte immer wieder dessen Abschaffung. In diesem Jahr hatte sie damit endlich Erfolg. Bereits 2023 hatte die Sprachbarriere zu bröckeln begonnen – eine Sprecherin durfte ihre Rede auf Englisch halten. Im Vorfeld hatte der Konzern dies allerdings abgestritten und den möglichen SprecherInnen der CBG so den Zugang verwehrt. Nach dem Präzedenzfall und zudem einem US-amerikanischen Vorstandsvorsitzenden, der 2024 seine erste Hauptversammlung in dieser Funktion bestreiten und das in englischer Sprache tun würde, hatte BAYER endgültig keine Argumente mehr, sich den Zeichen der Zeit zu widersetzen. Der Konzern erlaubte daher AktivistInnen, Englisch zu sprechen und sorgte für eine Simultan-Übersetzung. Die Coordination konnte daher ihren BündnispartnerInnen, die auf diese Gelegenheit schon lange gewartet hatten, endlich grünes Licht geben. Dementsprechend stark war das SprecherInnen-Feld dieses Mal international geprägt. Fast die Hälfte der Mobilisierten stammte nicht aus dem deutschen Sprachraum. Die CBG ist sehr froh über diesen Erfolg, da sie kontinuierlich an der Verbreiterung ihrer Reichweite arbeitet, und höchst motiviert, in den nächsten Jahren noch mehr AktivistInnen aus allen Teilen der Welt hinter sich zu versammeln, um den BAYER-Vorstand mit seinen Verbrechen zu konfrontieren.

Die CBG in Brüssel

Ein besonders spannender Höhepunkt bei der diesjährigen Mobilisierung und Bündnisarbeit erwuchs ebenfalls aus dem internationalen Charakter. Die Chance, noch mehr ausländische Kontakte zu gewinnen und ihre Anliegen bekannter zu machen, erhielt die CBG von der Kampagne Secrets toxiques. Sie lud die Coordination kurz vor der BAYER-Hauptversammlung nach Brüssel ins Europa-Parlament ein. Eine Gelegenheit, die sich für die CBG bis dahin noch nicht geboten hatte. Der Anlass: Im Europa-Parlament fand ein Symposium und eine Anhörung mit Abgeordneten unterschiedlicher Parteien, Gewerkschaften, LandwirtInnen, NGOs und AktivistInnen statt. Das Thema war eines, das die Coordination bereits seit Langem umtreibt: Die Zukunft der europäischen Landwirtschaft ohne Glyphosat und andere schädliche Pestizide. Umso wichtiger, auch andere Engagierte aus diesem Bereich kennenzulernen. CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann fuhr daher nach Brüssel, um das Europa-Parlament zu besuchen. Durch den Einsatz von solidarischen Abgeordneten konnten die AktivistInnen das Parlamentsgebäude betreten und an dem Symposium teilnehmen.

Interessant waren vor allem die internationalen Gewerkschaftsperspektiven, die klar zeigten, dass die Umweltbewegung eines begriffen hat: Ohne eine breite Vernetzung mit den ArbeiterInnen kann keine Bewegung dauerhaft stark, präsent und erfolgreich sein. Vor Ort gelang es der CBG, sowohl Kontakt mit kritischen GewerkschafterInnen aus Frankreich aufzunehmen als auch mit dem französischen Wissenschaftler Gilles-Éric Séralini. Der Biologe der Universität Caen ist weltbekannt für seinen beharrlichen Kampf gegen BAYER/MONSANTO, in dessen Verlauf der Agro-Riese immer wieder versuchte, die Reputation Séralinis zu zerstören, hatte dieser doch Beweise für die Giftigkeit von Glyphosat veröffentlicht. Die Zeit war ein bisschen zu knapp dafür, all die Brüsseler AktivistInnen zur Teilnahme an der diesjährigen Hauptversammlung zu bewegen, aber zum Abschluss des Tages wurden Strategien diskutiert, um für 2025 eine veritable „Internationale“ der BAYER-KritikerInnen zu organisieren.

Die CBG bemüht sich immer, ein möglichst breites Bündnis von AktivistInnen zusammenzubekommen. Und das schaffte sie auch dieses Jahr. Dabei kommt der Coordination zugute, dass sie in viele Netzwerke eingebunden ist. So gehört sie dem europaweiten NGO-Bündnis Stop Glyphosate-Coalition an. Aus dessen Reihen konnte sie einige MitstreiterInnen gewinnen, die entweder auf der HV oder auf unserer Kundgebung vor Ort in Erscheinung traten. Sie stießen zu den alten Fahrensmännern und -frauen der Coordination und stärkten so die Konzern-Kritik noch einmal. Insgesamt gelang es, zum 26. April folgende Gruppen zu mobilisieren: Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Kampagne Secrets Toxiques, Parents For Future Leverkusen, Die LINKE Leverkusen, DIE PARTEI Leverkusen, ECCHR, Misereor, Testbiotech, Verein der ehemaligen Heimkinder in Schleswig-Holstein e. V., den Bund der Duogynongeschädigten e. V., CELS, Terra de Direitos, Fundación Tierra, Base Investigaciones Sociales, Collectif Vietnam Dioxine, Comité Ecologique Ariégeois, Informationsbüro Peru, Equidaid, Terre d’abeilles, sowie zahlreiche Einzelpersonen. Ein besonderer Dank geht an Andy Battentier von Secrets Toxiques und an Silvia Rojas-Castro vom ECCHR, die beide viele der internationalen Gruppen an die CBG vermittelt und es so ermöglicht haben, deren AktivistInnen für Reden auf der HV zu gewinnen.

Die HV

Am Tag der Hauptversammlung selbst konnte die Coordination gegen BAYER-Gefahren ihren Anspruch, eine kraftvolle Protestpräsenz sowohl in der virtuellen Welt als auch in der realen zu errichten, abermals umsetzen. Vor der BAYER-Zentrale in Leverkusen war auch neben der Präsentation des Riesentransparents der Coordination so einiges los. Ein besonderer Dank geht hier an unsere BündnispartnerInnen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die zur Kundgebung mit zwei Traktoren mitsamt Anhängern vorfuhr, um ihre Kritik an dem von BAYER verkörperten agro-industriellen Modell in der Höhle des Löwen vorzubringen. Für musikalische Zwischenspiele sorgten die Arians-Schwestern, und die Leviten lasen dem Konzern gleich fünf RednerInnen. Neben Brigitte Hincha-Weisel vom CBG-Vorstand ergriffen an dem Morgen noch die CBG-Mitglieder Lars-Ulla Krajewski und Rolf Brombach sowie Annemarie Volling von der AbL und Andy Battentier von Secrets toxiques das Wort. Sie setzten unter anderem Themen wie „Glyphosat“, die „Neuen Gentechniken“, „Arbeitsplatzvernichtung“ und „PCB“ auf die Agenda.

Der Leverkusener Multi versuchte indes, die zivilgesellschaftliche Meinungsäußerung vor der Konzernzentrale zu unterbinden. Die Drohne, die notwendig war, um die Luftaufnahmen von dem Riesentransparent zu machen, durfte vor seiner Haustür nicht starten. Unter 100 Metern Entfernung vom Stammsitz ging nichts: Für die Fotos aus der Luft musste die CBG daher Abstand halten. Ein klarer Angriff auf das Recht, eine Versammlung durchzuführen und auch zu dokumentieren. Die AktivistInnen ließen sich allerdings nicht entmutigen, die Kundgebung an sich fand wie immer direkt vor der Zentrale statt.

Aus der virtuellen Hauptversammlung bekam BAYER die CBG ebenfalls nicht heraus. Mit 18 von insgesamt 30 Redebeiträgen bestimmte sie eindeutig den Programmablauf. Ganze Blöcke waren nur mit kritischen Stimmen zur Konzernpolitik gefüllt. Doch damit nicht genug: Darüber hinaus ergriffen noch weitere nicht von der CBG mobilisierte KritikerInnen das Wort. Der Vorstand behalf sich, wie in diesem Rahmen üblich, bei der Beantwortung der vielen Fragen mit abgelesenen Phrasen sowie seit Jahren gebrauchten Textbausteinen und verwies überdies zum Teil einfach auf Antworten, die er vorher in anderen Kontexten gegeben hatte.

Auch bei den Gegenanträgen zur Hauptversammlung war die Coordination gut vertreten. Neun an der Zahl reichte sie insgesamt ein – und dominierte damit das Feld. Da ihr diese Erfolge auf der Hauptversammlung trotz erheblichen Widerstands von Seiten BAYERs auch 2024 wieder gelungen sind und sie in Brüssel neue Weggefährten gefunden hat, sieht die Coordination optimistisch in die nächste HV-Zukunft. ⎜

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