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BAYER & Co. machen mobil

Marius Stelzmann

Regierungsentwurf zu Online-Hauptversammlungen

Die Bundesregierung will die Online-Hauptversammlungen auf Dauer stellen und bereitet ein entsprechendes Gesetz vor. BAYER und die anderen DAX-Unternehmen erhalten damit die Gelegenheit, auch weiterhin vor den Konzern-KritikerInnen ins Virtuelle fliehen zu können. Aber den Firmen gehen die Pläne nicht weit genug. Nach ihrem Dafürhalten hat der Regierungsentwurf in Sachen „AktionärInnen-Rechte“ noch viel zu viel Ähnlichkeit mit den realen AktionärInnen-Treffen. Darum setzen sie die Politik massiv unter Druck.

Von Jan Pehrke

Schon lange vor Corona hatten die Konzerne mit Online-Hauptversammlungen geliebäugelt, um sich kritische Aktionär-Innen besser vom Leib halten zu können. Die Pandemie gab ihnen dann die passende Gelegenheit dazu, was BAYER als erstes DAX-Unternehmen nutzte. Im letzten Herbst erteilten CDU und SPD den Multis die Erlaubnis, auch im Jahr 2022 wieder ins Internet flüchten zu dürfen. Und die Ampel-Koalition beabsichtigt nun, ihnen diese Option dauerhaft einzuräumen und bereitet eine entsprechende Überarbeitung des Aktiengesetzes vor. Im Februar 2022 stellte sie den Referent-Innen-Entwurf vor; zwei Monate später folgte der Regierungsentwurf. „In dem nun überarbeiteten Entwurf haben wir die Aktionärsrechte noch einmal deutlich gestärkt“, hob Justizminister Marco Buschmann (FDP) hervor und zeigte sich erfreut, „einen weiteren Schritt zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts beschlossen zu haben“. Demokratie-Defizite sollte die Digitalisierung nicht produzieren, das wäre dem ErfinderInnen-Stolz abträglich. Dementsprechend verschreibt sich das Gesetz dem „Grundsatz, dass sämtliche Rechte, die in der Präsenzversammlung nach § 118 Absatz 1 Satz 1 AktG wahrgenommen werden können, auch jeweils eine äquivalente elektronische Variante besitzen müssen.“

Virtuellreel

An die Konzern-Kritik haben Buschmann & Co. dabei allerdings nicht gedacht. Diese leidet beim Umstieg vom Realen ins Virtuelle nach wie vor immens. Sie ist auf Präsenz angewiesen, auf Proteste vor Ort und darauf, das Management direkt mit ihren Anliegen zu konfrontieren. Es macht eben einen fundamentalen Unterschied, ob etwa eine Medikamenten-Geschädigte vor das Mikrofon tritt, ihre Leidensgeschichte erzählt und am Schluss fragt, wann BAYER die betreffene Arznei endlich vom Markt zu nehmen gedenkt, oder ob der Versammlungsleiter dies – wie 2020 geschehen – auf ein läppisches Informationsbedürfnis herunterbricht und erklärt: „Eine Aktionärin fragte nach dem Produkt DUOGYNON.“ Auch geht die Wirkung auf die AktionärInnen im Saal verloren, die sich in der Vergangenheit immer wieder von den Reden beeindruckt gezeigt und dies nicht zuletzt dadurch dokumentiert hatten, der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) am Ende des Tages ihre Stimmrechte zu übertragen.

Dafür kann es keine äquivalente elektronische Variante geben. Einige Verbesserungen weist der jetzt vorliegende Regierungsentwurf jedoch auf. So bietet er die Möglichkeit, in die Hauptversammlung Live-Reden (inklusive Fragen) zuzuschalten. Überdies lässt das Paragrafen-Werk nicht nur Nachfragen, sondern auch Fragen zu neuen Sachverhalten zu. Sogar „‚Über-Kreuz-Fragen’ zu den Fragen anderer Aktionäre und den dazu gegebenen Antworten“ sieht es vor.

Im Kleingedruckten folgen allerdings viele Einschränkungen. So haben die VersammlungsleiterInnen das Recht, die Anzahl der Fragen oder Nachfragen zu limitieren. BAYERs Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann hat davon in diesem Jahr schon Gebrauch gemacht. Just als es an die Beantwortung der CBG-Fragen ging, schloss er mit Verweis auf die fortgeschrittene Zeit Nachfragen aus. Und bei einem Rahmen von vier bis sechs Stunden, den das Gesetz unter Berufung auf eine Empfehlung des „Corporate Governance Kodex“ für eine Hauptversammlung veranschlagt – die Treffen des Leverkusener Multis zogen sich in der Vergangenheit dank der vielen von der Coordination aufgebotenen RednerInnen stets deutlich länger hin – können Winkeljohann & Co. hier nach Belieben zuschlagen. Auch bei den Fragen, die sich erst im Verlauf der Versammlung ergeben, obliegt ihnen die Entscheidungsgewalt über deren Zulässigkeit. Das Kriterium dafür bleibt reichlich vage. Der Entwurf verlangt lediglich, „einen objektiven Maßstab zugrunde zu legen“.

Zudem befördert das Gesetzesvorhaben die sich bereits seit Längerem abzeichnende Tendenz, immer mehr Bestandteile der Hauptversammlung ins Vorfeld zu verlagern. Dies nimmt ihr viel von ihrer Bedeutung und erschwert es der Konzern-Kritik, zu einem konkreten Datum hin Aufmerksamkeit für ihre Inhalte zu generieren. „Die Versammlung ist oft nicht mehr der zentrale Termin, an dem den Aktionären Informationen übermittelt werden. Aktionäre erhalten Informationen auch dann, wenn diese aufgrund des Kapitalmarktrechts erfolgen oder darüber hinaus unabhängig vom Versammlungstermin zur Verfügung gestellt werden. Hier können auch die sogenannten ‚Investorengespräche’ eine Rolle spielen“, heißt es dazu im allgemeinen Teil des Gesetzes. Die Politik denkt hierbei also hauptsächlich an BLACKROCK & Co. und nicht an das Auskunftsrecht von KleinaktionärInnen und Konzern-KritikerInnen. Sie betont zwar immer noch die Funktion der Hauptversammlung als „wichtigstes Beschlussorgan der Gesellschaft“, will jetzt aber sogar die Fragen und Antworten ausgliedern: „Die Gesellschaft hat ordnungsgemäß eingereichte Fragen vor der Versammlung allen AktionärInnen zugänglich zu machen und bis spätestens einen Tag vor der Versammlung zu beantworten.“

Kritik von BAYER & Co.

Dass die Ampel-Koalition die ReferentInnen-Version überarbeitet und die Aktionärsrechte noch einmal deutlich gestärkt“ hat, wie Justizminister Marco Buschmann betonte, passt den Unternehmen gar nicht. So sagte BAYER-Chef Werner Baumann auf der letzten Hauptversammlung auf eine entsprechende Frage hin: „Mit dem Referenten-Entwurf haben wir uns beschäftigt und diesen grundsätzlich positiv gesehen. Der erst vor zwei Tagen beschlossene Regierungsentwurf ändert den Referenten-Entwurf allerdings grundlegend und erfordert eine Neubewertung, die kritisch ausfällt.“

Darum bauen die Konzerne einen massiven politischen Druck auf und verlangen Veränderungen. „Uneingeschränkte Wahrung der Aktionärsrechte in der virtuellen Hauptversammlung (…) darf nicht die unbesehene Übernahme und identische Ausgestaltung der Rechte, sondern muss Gleichwertigkeit (Hervorhebung im Original) der Art und Weise der Ausübung der Aktionsrechte bedeuten“, heißt es etwa in einer gemeinsamen Stellungnahme vom „Bundesverband der deutschen Industrie“ (BDI), dem „Verband der chemischen Industrie“ (VCI), dem Deutschen Aktieninstitut und anderer Verbände. „Wichtige Filter-Funktionen aus dem Referenten-Entwurf zur angemessenen Kanalisierung von Fragen und Wort-Beiträgen“ würden jetzt fehlen, bemängeln die Unternehmen.

Ihrer Meinung nach bedarf es jedoch „klarer gesetzlicher Ermessensspielräume“, um aussieben zu können. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und als Motiv den Bedarf nach einer Handhabe zum Schutz vor peinigenden kritischen Fragen vermutet. Dabei geht es BAYER & Co. nach eigener Auskunft doch nur um die Vermeidung von Anfechtungsklagen, wenn zufällig mal das eine oder andere Auskunftsbegehr unter den Tisch fallen sollte. Und selbstverständlich auch nur aus juristischen Gründen wenden sich die Konzerne dagegen, dass ihre Antworten auf die Fragen der AktionärInnen schwarz auf weiß zu lesen sind. „Das geschriebene Wort ist leichter zitierbar und hat größere Verbindlichkeit, was zu erhöhten Haftungsrisiken führen könnte“, so der BDI.

Wahre Horror-Szenarien malen die Firmen zur Unterstützung ihrer Forderungen aus. „Nach dem Regierungsentwurf konzipierte Hauptversammlungen können via Fragebots, Algorithmen oder Hilfspersonen mit Fragen überflutet werden. Vor allem börsennotierte Unternehmen mit zahlreichen Aktionären stehen damit vor nicht zu bewältigenden technischen und rechtlichen Herausforderungen“, warnen sie. Die nun erlaubten Fragen zu neuen Sachverhalten bereiten ihnen ebenfalls – selbstverständlich nur juristische – Pro-bleme. Den Verbänden zufolge „wird es für den Fragesteller ein Leichtes sein, in der Hauptversammlung oder auch später im Beschlussmängel-Streit beispielsweise zu behaupten, ein entscheidender Zusammenhang oder eine wichtige Information sei erstmals kurz vor der Hauptversammlung in der Presse zu lesen gewesen“. Auch die Möglichkeit, in den Versammlungen selbst noch Anträge zu stellen, weist in ihren Augen „erhebliches Missbrauchspotenzial“ auf. Weil die großen Investmentgesellschaften ihre Stimme zumeist schon vorher abgeben und die StimmrechtsvertreterInnen nur auf Weisung handeln, führt eine solche Regelung laut BAYER & Co. dazu, „dass über unangekündigte Anträge auf Basis von nur wenigen Stimmen entschieden wird und Zufallsmehrheiten entstehen“.

Schon jetzt fände eine echte Debatte sämtlicher AktionärInnen mit der Geschäftsleitung nicht statt, geben sie zu bedenken, da nur ein Bruchteil der -Akti-en-HalterInnen von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch machen würde. „Stattdessen stellten Aktionäre meist mehrere hundert Fragen, welche den Ablauf, die Dauer und den Inhalt der virtuellen Versammlungen maßgeblich prägten. Durch die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Regelung ist künftig mit einer weiteren Zunahme des Frage-Aufkommens zu rechnen“, prognostizieren die Multis.

„An der Praxis vorbei – Überarbeitung dringend erforderlich“ – so das abschließende Urteil der Unternehmen zu dem Gesetzesvorhaben. Und sie tun alles in ihrer Macht Stehende, um die PolitikerInnen nachsitzen zu lassen. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird allerdings versuchen, BAYER & Co. mit Kräften daran zu hindern. ⎜

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