Pressemitteilung vom 7. November 2002
Mitangeklagt im weltgrößten Produkthaftungsprozess:
BAYER muss an Asbest-Opfer zahlen
Mehr als 8.000 Asbest-Geschädigte haben in den USA eine Sammelklage eingereicht und insgesamt drei Milliarden US Dollar erstritten. Der Prozess im Bundesstaat West Virginia gilt als das bisher größte Produkthaftungsverfahren in der Justiz-Geschichte, mit auf der Anklage-Bank saß der Leverkusener BAYER-Konzern.
Im nun beendeten Prozess hatten die Konzernjuristen mit der fadenscheinigen Begründung, die Geschworenen wären dem Mammut-Prozess nicht gewachsen, zunächst eine Verschiebung beantragt. Die Richter ließen sich hierauf jedoch nicht ein und setzten den 23. September als ersten Verhandlungstermin an – einem Prozess mit ungewissem Ausgang zogen die rund 200 beklagten Konzerne nun eine außergerichtliche Einigung vor.
Für BAYER war es nicht die erste juristische Auseinandersetzung in Sachen Asbest. Bereits 1996 saß der Leverkusenser Chemie-Multi auf der Anklagebank. Und es dürfte nicht die letzte gewesen sein. Angesichts von jährlich 2.500 Neu-Erkrankungen sehen Beobachter den Höhepunkt der Rechtsstreitigkeiten erst noch kommen.
Der Großteil der Opfer kam in der Bau-Wirtschaft, bei Reifen-Herstellern oder bei Chemie-Unternehmen mit den gefährlichen Asbest-Partikeln in Berührung. Die Folge waren Asbestose (Staublunge) und Lungenkrebs. Zwischen dem Kontakt mit Asbest und dem Ausbruch von Krankheiten lagen oft Jahrzehnte. In Deutschland beziffert die Berufsgenossenschaft Chemie die Zahl der 2001 gestellten Anträge auf Anerkennung einer asbest-bedingten Krankheit auf 768; 135 Menschen erlagen in dem Berichtszeitraum ihrer Asbest-Erkrankung. Genaue Angaben über die Zahl der geschädigten BAYER-Mitarbeiter hat das Unternehmen nicht veröffentlicht.
Jan Pehrke von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Es ist ein Skandal, dass Asbest-Kranken in der Bundesrepublik nicht die gleichen juristischen Wege offen stehen wie ihren Leidensgenossen in den USA. Das wenigste, was BAYER tun kann, ist, dem Beispiel des Unternehmens RWE zu folgen und ein Nachsorge-Programm einzurichten, das die Betroffenen erfasst und ihnen medizinische Betreuung anbietet.“
Bei der Errichtung von Chemie-Anlagen diente Asbest als Dichtungs-
material. Desweiteren umhüllte die Substanz säure- und laugen-führende Leitungen. Auch Filter, Lacke, Beiz-Wannen, Lager-Behälter und Reaktionsbehältnisse enthielten den Stoff. 1978, in der Hochzeit des „Wunderstoffes“, entfielen von ca. 1,5 Millionen Tonnen asbest-haltiger Produkte rund 311.000 Tonnen auf die Chemie-Industrie. Die „Zentrale Erfassungsstelle asbeststaub-gefährdeter Arbeitnehmer“ (ZAS) stufte noch 1989 von 28.550 bundesdeutschen Chemie-WerkerInnen 6.283 als Risiko-KandidatInnen ein.
Das Risiko war BAYER & Co. lange bekannt. Bereits 1918 weigerten sich Versicherungen in den USA wegen der zahlreichen Fälle von Berufskrankheiten im Zusammenhang mit dem Mineral, Asbest-
Arbeitern Policen zu verkaufen. 1964 räumte dann eine groß angelegte, im Journal of the American Medical Association veröffentliche Untersuchung letzte Zweifel an den krankmachenden Effekten aus. Trotzdem erfolgte das Asbest-Verbot in der Bundesrepublik erst 1989. Durch gekaufte GutachterInnen und WissenschaftlerInnen sowie Zuwendungen an das dem damaligen Bundesgesundheitsamt angegliederte „Institut für Wasser-, Boden- und Luft-Hygiene“ für verharmlosende Expertisen gelang es den interessierten Kreisen 25 Jahre lang, die fälligen gerichtlichen Schritte hinauszuzögern. 25 Jahre, welche die Todes- und Krankheitslisten ein immenses Ausmaß annehmen ließ. Von 1950 bis 1989 starben in der Bundesrepublik offiziell 1.417 Arbeiter durch Asbest-Exposition, 3.557 erkrankten.
Der Diplom-Chemiker Gerd Albracht schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden, den Asbest-induzierte Berufskrankheiten verursachten, auf ca. 3,75 Milliarden Euro. Büßen mussten BAYER & Co. dafür jedoch nur in den USA.
Der Asbest-Hersteller GAF hatte in den USA die politische Landschaft mit Spenden in Höhe von 7,1 Millionen Dollar gepflegt, damit der Kongress das juristische Eigengewächs der Industrie, den „Fairness in Asbestos and Compensation Act“, erblühen ließ. Dieses Gesetz schließt durch eine äußerst strenge Definition von asbest-induzierten Krankheiten sehr viele Anspruchsberechtigte aus und bürdet überdies den Opfern die Beweislast auf. Wie die Betroffenen-Organisation WHITE LUNG ASSOCIATION und andere Verbände kritisieren, sparen die Multis auf diese Weise Milliarden Dollar.