Drugs & Pills
BAYER-Psychopharmaka beteiligt
Arznei-Tests mit Heimkindern
In den 1950er Jahren begannen MedizinerInnen mit Medikamenten-Versuchen in Kinderheimen und Jugend-Psychiatrien. Dabei testeten sie auch Psychopharmaka von BAYER.
Von Jan Pehrke
Die bundesdeutschen Kinderheime haben eine dunkle Vergangenheit. Die Pharmazeutin Sylvia Wagner fügte dieser Geschichte jetzt ein weiteres skandalträchtiges Kapitel zu. Bei den Recherchen zu ihrer Dissertation fand sie heraus, dass in diesen Einrichtungen von den 1950er bis zu den 1970er Jahren Medikamenten-Versuche stattfanden. Damit nicht genug, testeten die MedizinerInnen auch in Jugendpsychiatrien Pillen.
Die Doktorandin stieß mit ihrer Arbeit sogleich weitere Nachforschungen an. Ein Team des NDR sah sich beispielsweise die Akten des Landeskrankenhauses Schleswig genauer an und fand Belege für Versuchsreihen mit BAYER-Arzneien. So erprobten MedizinerInnen der jugendpsychiatrischen Abteilung zwei Pharmazeutika des Pharma-Riesen. Das Neuroleptikum MEGAPHEN mit dem Wirkstoff Chlorpromazin testeten die ÄrztInnen als Therapeutikum gegen zu „zappelige“ SchülerInnen. 23 „anstaltsgebundenen Sonderschul-Kindern“ verabreichten sie es. Das Neuroleptikum AOLEPT mussten sogar 141 Kinder und Jugendliche schlucken. Dabei zeigten sich gravierende Nebenwirkungen wie etwa „Muskelverkrampfungen an den Augen, des Rückens und der mimischen Muskulatur“.
Die Ergebnisse der Pillen-Prüfungen publizierten die DoktorInnen in der Schriftenreihe des Hospitals, und dabei konnten sie es kaum erwarten, mit der nächsten Runde zu beginnen. „Die Industrie bemüht sich gegenwärtig schon um die Schaffung von Kombinationspräparaten, z. B. wurde uns gerade eine MEGAPHEN-Kombination folgender Zusammensetzung zur Erprobung an die Hand gegeben: Megaphen 25 mg, Atosil 5 mg, Reserpin 0,5 mg“, hieß es in der Veröffentlichung.
Weder die Kinder noch ihre Erziehungsberechtigten haben damals ihre Einwilligung zu den Tests erklärt. Zudem unterzogen die MedizinerInnen oftmals völlig gesunde Heranwachsende der Prozedur. Auch führten die ÄrztInnen in der Regel keine Voruntersuchungen durch. „Das ist ethisch problematische Forschung. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: ‚Das ist ethisch unzulässige Forschung’“, sagt die Kieler Medizin-Ethikerin Alena Buyx deshalb. Selbst damaligen Standards habe das Vorgehen der ÄrztInnen nicht entsprochen, konstatiert die Wissenschaftlerin.
BAYERs Erklärung zu dieser ethisch problematischen Forschung fällt äußerst knapp aus. Dazu gebe es intern keine Unterlagen, verlautet aus der Konzern-Zentrale. Arznei-Tests mit den Schwächsten der Schwachen haben beim Pillen-Riesen allerdings eine unrühmliche Tradition. Das Unternehmen hat während des Dritten Reichs Medikamente gegen Fleckfieber und andere Präparate an KZ-Häftlingen ausprobiert. Und noch heute führt es klinische Erprobungen in armen Ländern wie Indien durch, weil dort unschlagbare Preise, schnellere Verfahren und eine mangelhafte Aufsicht locken.
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) fordert BAYER auf, Konsequenzen aus den Enthüllungen zu ziehen und die Opfer zu entschädigen. Überdies sieht die Coordination den Global Player in der
Pflicht, seinen Teil zur vollständigen Aufklärung des Skandals beizutragen.