Die Schadensersatz-Prozesse in Sachen „Glyphosat“ haben BAYER in eine tiefe Krise gestürzt. Darum wächst der Druck auf das Management, den Konzern zu zerschlagen. Auf der Bilanzpressekonferenz Anfang März lehnte der Vorstand dies aber – vorerst – ab. Er setzt stattdessen auf einen „erheblichen Personalabbau“ und schließt dabei auch betriebsbedingte Kündigungen nicht aus.
Von Jan Pehrke
Auf die neuen Geschäftszahlen von BAYER wartete bei der Bilanzpressekonferenz am 5. März kaum jemand. Der parallel dazu veröffentlichte Nachhaltigkeitsbericht interessierte schon in den Jahren zuvor niemanden groß. Und so standen dann der um 1,2 Prozent auf 47,6 Milliarden Euro gefallene Umsatz und der um 13,4 Prozent auf 11,7 Milliarden Euro gesunkene Gewinn vor Sondereinflüssen ebenso wenig im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die Kohlendioxid-Emissionen von nicht weniger als drei Millionen Tonnen, der kaum zurückgegangene Energie-Bedarf und der nach wie vor hohe Anteil von fossilen Brennstoffen am Strom-Mix. Spannend war für die BeobachterInnen hingegen, wie der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson sich am gleichzeitig anberaumten Kapitalmarkt-Tag zur Forderung vieler Finanzmarkt-AkteurInnen nach Zerschlagung des Konzerns verhalten würde. Vor allem die Trennung von der Sparte mit den nicht verschreibungspflichtigen Arzneien hatten einflussreiche InvestorInnen verlangt, und deren Leiter Heiko Schipper räumte kurz vor der Bilanzpressekonferenz auch schon mal seinen Posten.
Gleichwohl erteilte der BAYER-Chef den mächtigen VermögensverwalterInnen vorerst eine Abfuhr. „Wir sind ein Life-Science-Unternehmen mit hoher Schlagkraft, das von einer großartigen Mission getragen wird, und wir haben drei starke Divisionen“, erklärte er. Dabei ließ sich die Aktien-Gesellschaft jedoch alle Optionen offen: „Die Antwort auf die Frage nach der künftigen Struktur und einer möglichen Aufspaltung des Konzerns laute „nicht jetzt“ – und damit sei nicht „niemals“ gemeint.“
Akuten Handlungsbedarf sah Anderson zunächst jedoch an anderer Stelle. Er machte vier Problemfelder aus: den Mangel an neuen Pharma-Blockbustern, den hohen Schuldenstand, die „hierarchische Bürokratie“ und die Glyphosat-Klagen. Hier anzusetzen und gleichzeitig die Trennung von „Consumer Health“ in die Wege zu leiten, ist ihm zufolge wegen des damit verbundenen Arbeitsaufwandes nicht möglich. Zudem würde ein Verkauf zwar Geld in die Kasse spülen, wäre aber auch „mit erheblichen Kosten und Steuer-Effekten verbunden“.
Also nimmt der Agro-Riese sich erst einmal die vier Baustellen vor und hat sich dafür auch den Segen seiner Groß-InvestorInnen geholt. Die Schuldenlast von aktuell rund 35 Milliarden Euro will er unter anderem mit einer Dividenden-Kürzung auf das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß für die nächsten drei Jahre begrenzen.
Gegen die „hierarchische Bürokratie“ hat der BAYER-Chef dem Unternehmen indes ein neues Organisationsmodell namens „Dynamic Shared Ownership“ verordnet. Hinter so nebulösen Umschreibungen wie „Bürokratie beseitigen“, „Strukturen verschlanken“ und „Entscheidungsprozesse beschleunigen“ verbirgt sich allerdings ein knallhartes Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Den genauen Umfang nennt der Global Player zwar nicht, er spricht aber von einem „erheblichen Personalabbau“ und schließt nicht einmal betriebsbedingte Kündigungen aus.
Das Einspar-Potenzial beziffert er auf zwei Milliarden Euro pro Jahr ab 2026. Dabei nimmt der Konzern vor allem die Management-Bereiche ins Visier. „Trotz zahlreicher Umstrukturierungen ist die Zahl der leitenden Angestellten gleichgeblieben“, hat Anderson nämlich zu seinem Leidwesen herausgefunden. Als reines Kostensenkungsprogramm möchte er die Maßnahmen jedoch nicht verstanden wissen: „Wir beginnen nicht mit einer Zahl. Wir stellen den Kunden und das Produkt in den Mittelpunkt. Dann schauen wir, welche Ressourcen dafür nötig sind. Alles andere muss weg.“ Und im Handelsblatt findet der Vorstandsvorsitzende drastische Worte für diejenigen, die nicht mitziehen wollen. „Es gibt Leute, bei denen sich alles um ihr Ego dreht oder die keine Lust auf Veränderung haben. Sie können vielleicht in einer traditionellen Arbeitsumgebung effektiv sein, aber nicht in unserer. Wer für diese Veränderung nicht offen ist, wird es bei uns schwer haben.“ In den USA waren das im Pharma-Bereich 40 Prozent der ManagerInnen. Hierzulande reduzierte die Aktiengesellschaft die Leitungsebene in dem Segment von elf auf fünf Stellen. Es gibt jetzt mit Stefan Oelrich noch einen Vorstand, mit Sebastian Guth einen Chief Operating Officer sowie Verantwortliche für Global Commercialization (Christine Roth), Forschung & Entwicklung (Christian Rommel) und Product Supply (Holger Weintritt). Auch von der Innen-Revision bleibt nur noch die Hälfte übrig. Und die konzern-interne Beratungseinheit BAYER BUSINESS CONSULTING wickelte das Unternehmen mitsamt der rund 200 Jobs ganz ab.
Eine „attraktive Abfindung zu marktgerechten Konditionen“ bietet es den Beschäftigten an, um seine Schlankheitskur zu beschleunigen. Auch hier war BAYER schon einmal großzügiger. Frühere Diäten befeuerte der Multi mit Offerten, die deutlich über den markt-üblichen Konditionen lagen. Besonders schnelle Abgänge plant er überdies mit „Sprinter-Prämien“ zu belohnen.
Innerhalb der Belegschaft sorgt all dies für beträchtliche Unruhe. Die IG Bergbau, Chemie, Energie trägt den Kahlschlag trotzdem „schweren Herzens“ mit. Sie erhofft sich so bessere Chancen für den Erhalt des Konzerns in seiner jetzigen Form mit den drei Sparten „Agrar“, „Pharma“ und „Consumer Health“. „Für uns hat oberste Priorität, die Zukunft der Beschäftigten bei BAYER zu sichern. Die größten Möglichkeiten dafür sehen wir in der ONE-BAYER-Struktur. Deshalb haben wir dem jetzt eingeschlagenen Weg zugestimmt und stehen dem neuen Organisationsmodell von BAYER offen gegenüber“, sagt Aufsichtsratsmitglied Francesco Grioli von der IG BCE.
Es gibt also kein gemeinsames Auflehnen gegen die Umstrukturierung. Deshalb kommt es sogar zu Entsolidarisierungstendenzen und Kämpfen um den eigenen Vorteil. „Weil viele Stellen in den nächsten Jahren wegfallen sollen, wollen viele Teams umso mehr glänzen“, berichtet die Rheinische Post. Wie ein reines Lippenbekenntnis wirkt da, was der Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann dem Handelsblatt sagte: „Wir wollen keine Angst-Kultur.“
Der FAZ zufolge hat das, was Anderson bei BAYER vorexerziert, Modell-Charakter. „Sollte er Erfolg haben, dürfte dies Schule machen. Denn die Probleme sind in anderen Branchen ähnlich gelagert. Von MERCEDES etwa sind entsprechende Spekulationen zu vernehmen“. EVONIK kündigte bereits an, 1.500 Arbeitsplätze in der Verwaltung zu vernichten, die angeblich „viel zu kompliziert und komplex“ geworden sei. „Führungskräfte sollen bei uns keine besseren Sachbearbeiter sein, Führungskräfte sollen bei uns entscheiden“, so der Vorstandsvorsitzende Christian Kullmann. Und auch BOSCH dampft die Hierarchie-Ebenen zusammen und streicht Stellen. Dem Handelsblatt zufolge setzen viele der aktuellen Rationalisierungsprogramme nicht im Produktionsbereich an. „Die aktuelle Kündigungswelle, sie trägt nicht immer Blaumann, sondern häufiger als sonst auch Kostüm, Laborkittel oder Hoodie“, resümiert die Zeitung.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisierte die Streich-Orgie in einer Presseerklärung vehement. „Wie immer beim Leverkusener Multi sind es die Beschäftigten, die für Fehler des Vorstands büßen müssen. Sie zahlen jetzt die Zeche für die Unfähigkeit des Managements, mit den Glyphosat-Geschädigten eine gütliche und faire Einigung zu finden“, konstatierte die CBG.
Der Geschäftsbericht beziffert die Zahl der noch anhängigen Glyphosat-Klagen auf 54.000. Seit dem ersten Prozess sind bereits mehr als fünf Jahre vergangen, und eine Lösung für den Umgang mit den Betroffenen ist immer noch nicht in Sicht. Nach den ersten RichterInnen-Sprüchen mit millionen-schweren Strafen ließ der Konzern sich auf ein Mediationsverfahren ein, aus dem er allerdings wieder ausstieg. Anschließend versuchte er vergeblich, ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zu seinen Gunsten zu erwirken. Dann verstieg die Aktien-Gesellschaft sich auf Abschreckungspolitik. Sie brachte besonders erfolgsversprechende Verfahren vor Gericht und hoffte darauf, die alten KlägerInnen mit leichten Siegen zu kostengünstigen Vergleichen bewegen und potenziell neue von einer juristischen Auseinandersetzung abhalten zu können, was allerdings scheiterte.
Deshalb steht wiederum eine Veränderung an. Der Global Player annoncierte am 5. März „neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle“. Zu diesem Zweck berief er die Juristin Lori Schechter in den Aufsichtsrat, die in seinen Augen bereits für andere Branchen-Größen erfolgreich Schadensbegrenzung betrieben hat. Zudem übernahm Thomas Laubert den Posten des Leiters der Rechtsabteilung, der in einer seiner ersten Amtshandlungen andere Kanzleien für die Glyphosat-Prozesse verpflichtete.
„Aber es ist klar, dass eine Verteidigungsstrategie allein nicht ausreicht“, konstatierte Bill Anderson auf dem Kapitalmarkt-Tag. Darum kündigte er verstärkte Lobby-Anstrengungen an, bzw. „eine intensivere Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Bereich der Politik“. Konkret bemühen sich die LobbyistInnen im Moment darum, ein neues Gesetz zu lancieren. Weil viele Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten den Agro-Riesen mit dem Argument zu Entschädigungszahlungen verurteilten, er habe auf den Glyphosat-Packungen unzureichend vor den Gefahren gewarnt und damit gegen die Landesgesetze verstoßen, will der Konzern die Wirkmächtigkeit dieser Bestimmungen aushebeln. In dem von seinen JuristInnen formulierten „Agricultural Labeling Uniformity Act“ gilt vielmehr der Primat der Bundesgesetze und damit der staatlichen Umweltagentur EPA. Diese hält das Herbizid nämlich nicht für krebserregend und hat das Anbringen entsprechender Warnhinweise sogar verboten. Aber um die Akzeptanz des Vorstoßes ist es nicht zum Besten gestellt. „Viele Demokraten, darunter einflussreiche Senatoren, laufen (…) Sturm dagegen, was das Schicksal dieser Klausel ungewiss macht“, vermeldet die FAZ. Und laut Financial Times fremdeln nicht wenige RepublikanerInnen ebenfalls damit.
Darüber hinaus entschied sich der Leverkusener Multi noch, Druck aus dem InvestorInnen-Kessel zu nehmen, indem er aktivistische AktionärInnen einbindet. So berief BAYER Jeffrey W. Ubben von der Investment-Gesellschaft „Inclusive Capital Partners“ in den Aufsichtsrat und verstärkte damit die US-Präsenz in dem Gremium weiter. Ubben hatte mit für das vorzeitige Ende von Anderson-Vorgänger Werner Baumann gesorgt und bereits im letzten Jahr Anspruch auf einen Sitz erhoben.
Den Finanzmärkten reichte all dies indes nicht. Der Kurs der BAYER-Aktie sank nach der Bilanzpressekonferenz. „Das ist noch nicht der große Wurf“, bekundete das Portal sharedeals.de. Und auch das Manager Magazin zeigte sich unzufrieden mit Bill Anderson: „Er versuchte einen Befreiungsschlag und trat einen Kursrutsch los. Für eine Wende an den Kapitalmärken sind die Ziele viel zu vage formuliert.“ Die Rating-Agenturen zeigten sich ebenfalls unzufrieden. So stufte FITCH die Kreditwürdigkeit BAYERs herab. Es ist also noch mit so einigem zu rechnen. ⎜