Seit dem Jahr 2009 führt die Coordination gegen BAYER-Gefahren zusammen mit geschädigten Frauen eine Kampagne für ein Verbot von Antibaby-Pillen mit erhöhtem Thrombose-Risiko (ausführliche Infos). Wir dokumentieren Auszüge des neues Buchs „Die Pille und ich“, in der das Marketing der Firmen Schering, Jenapharm und BAYER beschrieben wird.
Auszug aus dem Buch: „Die Pille und ich – Vom Symbol der sexuellen Befreiung zur Lifestyle-Droge“
Katrin Wegner, C.H. Beck Verlag, 14,95 Euro
Stand bei der Markteinführung der Pille ihre sichere Verhütung, die viele unangenehme Begleiterscheinungen mit sich brachte, im Zentrum, sind einige ihrer Nebenwirkungen heute erwünscht: 87 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen lassen sich die Pille verschreiben, aber viele in der Altersgruppe denken noch gar nicht an Verhütung, sondern sehen in der Pille ein Wundermittel, das den eigenen Körper zu formen vermag. Sie erhoffen sich mit dem kleinen Dragee einen strahlenden Teint, glänzendes Haar und das Ende pubertärer Stimmungsschwankungen. Mittlerweile gibt es viele Pillensorten, die neben sicherer Verhütung auch schönere Haut und geschmeidigeres Haar versprechen. Pillen mit dem Gestagen Drospirenon sollen sogar gleich zwei Wunder auf einmal bewirken: Die Pfunde purzeln lassen und angeblich auch luststeigernd wirken – nicht ganz ungefährlich: Das Risiko, an einer Thrombose zu erkranken, ist um das Zweifache höher als bei anderen Pillen älterer Generationen. Längst wurden die jugendlichen Mädchen von der Pharmaindustrie als neue Zielgruppe entdeckt und so mancher Konzern bietet die Pille in einem süßen Schmuckkästchen an: Als „Pille mit Herz“ werden die kleinen Dragees mit rosa Schlüsselanhängern und Schminktäschchen überreicht. Das Medikament hinter der schönen Verpackung ist oftmals nur noch schwer zu erkennen.
Die Pille – Vom Verhütungsmittel zur Lifestyle-Droge? Die Marketingabteilungen der Pharmafirmen waren nicht die ersten, die der Öffentlichkeit mitteilten, dass die Pille weit mehr als nur verhüten kann. Bereits 1977 verkündete ein Frauenarzt im Spiegel die positiven Nebenwirkungen für eine strahlende Haut und stellte die Lifestyle-Effekte in den Vordergrund. Zehn Jahre später wurde von dem Pharmakonzern Schering ein neues Konzept zur Einführung neuer Pillensorten eingeläutet, das sich von da an nicht mehr nur auf das Fachpublikum beschränkte. Zwar erlaubt es das Heilmittelwerbegesetz nicht, verschreibungspflichtige Mittel in der Öffentlichkeit zu bewerben – Werbung darf nur gegenüber Ärzten oder Apothekern stattfinden –, doch handelt es sich offiziell nicht um Reklame, wenn der Produktname nicht genannt, sondern lediglich deutlich wird, dass ein Präparat von einem bestimmten Hersteller stammt. Schering brachte 1987 die Pille Femovan auf den Markt und schaltete zum ersten Mal in Frauen- und Mädchenzeitschriften ganzseitige, in den Farben der Pillenpackung gehaltene Anzeigen, die zwar weder den Namen des Präparats verrieten, noch das Produkt direkt bewarben, aber Fragen zur Sexualität und Empfängnisverhütung streiften. Diese Anzeigen wirkten wie redaktionelle Artikel mit Inhalten wie „Stress vorm ersten Mal?“ oder „Darf eigentlich mein Freund mit zum Frauenarzt?“ Außerdem ließ Schering an die niedergelassenen Frauenärzte eine Tonbandkassette mit dem Titel „Falling in love – dem Körper zuliebe“ verteilen, die mit der ersten Femovan – Pillenpackung überreicht werden konnte. Mit diesen Aufklärungskampagnen, die sich direkt an Mädchen und junge Frauen richtete, rollte die Pille wie selbstverständlich ins Leben der jungen Frauen.
Die Geburtsstunde der multifunktionalen Pille, die mehr kann als nur zu verhüten, aber wurde bereits 1978 eingeläutet, als die Diane auf dem westdeutschen Markt erschien: Sie wurde als Kontrazeptiva und speziell gegen Vermännlichungserscheinungen und Akne eingesetzt. In ärztlichen Fachzeitschriften zunächst noch neutral beworben und für Frauen mit klinischen Formen der Hautkrankheit Akne empfohlen, änderte sich die Werbung 1994 schlagartig: Plötzlich hieß es, dass die Diane noch mehr könne, als nur eine Therapie gegen Akne zu sein, denn ihre zusätzliche Wirkung bestehe darin, das Selbstbewusstsein der Konsumentinnen zu steigern. Die Werbung richtete sich nun an alle Frauen mit Hautproblemen – egal ob es sich um Akne handelte oder lediglich um Mitesser und normale Pubertätspickel. Mit Hilfe des speziellen Pillenpräparates durfte sich ab jetzt jede Frau in ihrer Haut schön fühlen. Damit brach auch das Zeitalter an, in dem immer mehr Pillensorten auf den Markt kamen, die sich an bestimmte Frauentypen in ihren jeweiligen Lebenslagen richteten und ihnen noch mehr Lebensqualität versprachen. Die für die Pillenwerbungen verwendeten Fotos in Fachzeitschriften zeigten die verschiedensten Frauen: Die schlanke, modische Frau, den sportlichen Typ, die konsumorientierte Frau, umringt von Einkaufstüten, Mädchen beim Tennisspielen, Jugendliche auf einer Cocktail-Party, erotisch anmutende Pärchen oder Frauen, die sich lasziv rekeln. Die Pille stand für ihr individuelles Lebensglück und beschränkte sich damit nicht mehr allein auf ihre verhütende Wirkung, sondern suggerierte, auch die psychischen und sozialen Befindlichkeiten der Frau beeinflussen zu können.
Viele Ärzte entnehmen die Informationen, die sie an ihre Patientinnen weiterreichen, Medizin-Journalen. Denn sobald eine neue Pille auf dem Markt erscheint, werden die Produktangaben des Konzerns in diversen Fachzeitschriften abgedruckt. Am 15. November 2000 hieß es zum Beispiel in den Produktinformationen der von Jenapharm und Schering neu auf den Markt gekommenen Pillen mit Drospirenon, sie beinhalteten „sogar die Möglichkeit zur Gewichtsabnahme.“ Im Speculum – Zeitschrift für Gynäkologie und Geburtshilfe stand: „Das klinische Profil des Präparates zeichnet sich aus durch eine, vor allem am Beginn der Einnahme bemerkenswerte Reduktion des Körpergewichts.“ Entsprechend verschrieben einige Frauenärzte das kleine Dragee nun mit dem Hinweis auf diesen Effekt. Auch Tageszeitungen verbreiteten die attraktivitätssteigernde Wirkung der Pille wie ein Lauffeuer: So berichtete die B.Z.: „Neue Antibabypille macht sogar schlank.“ Und die taz meldete einen Tag später unter der Überschrift: „Anti-Baby-Pille goes Lifestyle“, dass sie „schlanker und fitter machen soll“.
Auch in Internetforen unterhalten sich Mädchen und Frauen über Lifestyle und Verhütung und preisen bestimmte Pillensorten an. Auf der Internetplattform Planet-Liebe zum Beispiel schwärmen junge Frauen von den neuesten Sorten: „Seit noch nicht ganz einem Monat nehme ich die Y. Und jetzt geht das wie von allein. Von gestern auf heut hab ich 600 Gramm abgenommen.“ (Userin auf Forum Planet-Liebe, 5.7.2006) Eine andere Diskussionsteilnehmerin schwört auf eine andere Pillensorte und ihre sagenhaften Fähigkeiten, dem Traum der schlanken Linie näher zu kommen: „Als ich mit der M. angefangen habe, habe ich innerhalb von knapp 3 Monaten 10 kg abgenommen, ohne irgendwas dafür zu tun.“ (Userin auf Forum Planet-Liebe, 5.7.2006) Auch in den Interviews berichteten viele der Mädchen, dass ihre Informationen aus dem Internet stammten.
Die BUKO Pharma-Kampagne aus Bielefeld spürt seit Jahren versteckte Werbung auf: Suchte man 2007 im Internet nach Informationen zur Verhütung und gab das Stichwort „Pille“ bei Google ein, so erschien unter anderem ein Link zu dem Internetauftritt der Firma Grünenthal. Auf der verlinkten Seite wurde ein Präparat vorgestellt, das gerade junge Mädchen, die noch kein Verhütungsmittel benötigen, dazu animieren sollte, das Produkt trotzdem – wegen seiner positive Wirkung auf Haut und Haare – anzuwenden. So hieß es gleich auf der Startseite: „Wusstest du, dass es Mikropillen mit Beauty-Faktor für die Haut gibt?“ Des Weiteren wurde eine günstige Wirkung auf fettige Haare und Schuppen versprochen: „Wer das Problem von innen angehen will, findet auch hier Hilfe bei bestimmten Pillen. Diese speziell designten Mikropillen machen nicht nur den Teint rosig, denn die überhöhte Talgproduktion wird natürlich auch auf der Kopfhaut reduziert. Das Ergebnis: fülliges, glänzendes Haar, das nicht mehr so leicht nachfettet!“ Mit dem Argument, dass diese Informationen einer Verabreichung des Medikaments eindeutig Vorschub leisteten, Schönheit zudem keine zugelassene Indikation für Empfängnisverhütung sei, meldeten Mitarbeiterinnen der BUKO Pharma-Kampagne den Fall bei der Aufsichtsbehörde. Diese aber wollte zunächst keine Ordnungswidrigkeit feststellen und begründete es mit Konkurrenzprodukten anderer Firmen, die im Internet ähnlich aufgebaut seien. Zwar existiert die Seite mittlerweile nicht mehr, doch ist es schwierig, einmal verbreitete Informationen wieder aus dem Gedächtnis zu löschen.
Manche Frauen leiden kurz vor ihrer Regelblutung unter Reizbarkeit, Müdigkeit, Bauchschmerzen und Stimmungsschwankungen. In seltenen Fällen werden diese Beschwerden so stark, dass der Tagesablauf beeinträchtigt ist (Prämenstruellen Syndrom / PMS). Die Firma Jenapharm warb im Internet mit einem ganz besonderen Service: Frauen konnte sich täglich ihr persönliches „PMS-Risiko“ ausrechnen lassen. Das Ergebnis war mit dem Hinweis versehen, die Pille könnte die Beschwerden „beseitigen oder zumindest vermindern“. Nach Auswertung des Tests erschienen zum Beispiel Texte wie: „(…) Bei Frauen, die mit einer Pille verhüten, bleibt die Leistungsfähigkeit den ganzen Zyklus über erhalten. Dafür sorgt der durch die Pillen-Einnahme konstante Östrogenspiegel.“ Es gibt also für alles eine medikamentöse Lösung und das Ideal, stets leistungsfähig zu sein, scheint dank der Pille möglich. Keine Frau muss auch nur einen einzigen schlechten Tag ertragen – mit der geeigneten Pille wird jeder Tag perfekt.
Als 2009 die Antibabypille Qlaira von Bayer auf den Markt kam, wurde sie von der Presse gefeiert und bejubelt: „Erste Antibabypille mit natürlichen Hormonen“ oder die erste „Pille komplett ohne Chemie“ als „Alternative zur hormonellen Verhütung“ füllten die Schlagzeilen. Tatsächlich war Qlaira die erste Antibabypille, die nicht mehr das vorher übliche künstliche Östrogen Ethinylestradiol enthält, stattdessen aber Estradiolvalerat, ein Östrogen, welches in das bei der Frau natürlich vorkommende Estradiol umgewandelt wird. Trotzdem enthält diese Pille auch weiterhin ein künstliches Hormon, nämlich das künstliche Gestagen Dienogest, ist also nach wie vor chemisch und alles andere als natürlich. Auf der Internetseite dieser Pillensorte konnte man einen Persönlichkeitstest durchführen, um zu erfahren, welcher Lebenstyp man ist, um dann die am besten geeignete Pille einzunehmen.
Auch in Mädchenzeitschriften finden sich Informationen über die Wirkung der Pille, insbesondere ihre verschönernden Effekte. Sie stammen nicht aus der Feder der Pharmaindustrie, sondern von Redakteuren und Leserinnen. In der Jolie hieß es über eine bestimmte Pillensorte: „Wie so oft hilft auch die C. bei Hautproblemen. Manche Verwenderinnen berichten davon, dass ihr Busen gewachsen sei.“ In Bravo Girl fragt ein 16-jähriges Mädchen die Psychologin der Rubrik „Body & Soul“, ob sie eine Einwilligungserklärung ihrer Eltern bräuchte, um sich die Pille verschreiben zu lassen. Die Redakteurin beantwortet die Frage und fügt unaufgefordert hinzu: „Der Arzt wird dich auch beraten, welche Pille für dich die richtige ist – frag ihn doch nach den neuen Präparaten, die gut für die Haut sind und nicht dick machen.“ In der Zeitschrift Mädchen veranstaltete eine Pillenmarke ein Preisausschreiben, bei der es Bettwäsche mit Rosenmotiven zu gewinnen gab. Rosen sind zugleich das Markenzeichen dieser Pillensorte und die erste Pillenpackung kann vom Arzt mit einem Rosendöschen überreicht werden. Anscheinend sollen sich Mädchen, die diese Pille nehmen, wie auf Rosen gebettet fühlen, aber auch die Siegerinnen des Preisausschreibens dürfen dieses Gefühl in ihrer gewonnenen Rosen-Bettwäsche erleben. Gleichzeitig wurde den Mitwirkenden nahegelegt, auf die angegebenen Internetseiten zu klicken, um an Informationen zum Thema Verhütung zu gelangen. Bei der Website handelte es sich um den Internetauftritt des Pharmakonzerns, der die Pillensorte anbot. Dieselbe Pillenmarke veranstaltete in der Mädchen-Zeitschrift Sugar eine Verhütungsumfrage und veröffentlichte die Ergebnisse ebenfalls mit dem Hinweis, sich bei Bedarf für mehr Informationen über Sexualität und Verhütung auf ihrer Seite zu erkundigen.
Neuerdings hat sich ein ganz neues Feld aufgetan, das nur schwer zu kontrollieren ist: Gibt man bei YouTube den Suchbegriff „Pille“ ein, erscheinen private Werbefilme zur Antibabypille, zum Beispiel zum Produkt Jubrele. Das Video wurde im Dezember 2013 veröffentlicht und bis Juni 2015 fast 14000 Mal angeklickt. Darin erzählt eine Frau mittleren Alters über ihre Erfahrung mit der Pille: „Ich nehme sie jetzt schon drei Monate und kann sie nur empfehlen. Nebenwirkungen habe ich nur im positiven Sinne bemerkt, die Haare wachsen total schnell.“ Unter ihrem Video finden sich Links zum Internetauftritt von Jubrele und zur Webseite von Diagnostika.
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert schoss die Werbung der Konzerne oft weit über ihr Ziel hinaus. Viele Internetseiten der Pharmafirmen waren bis 2012 zielgruppenorientiert aufgebaut. Sie richteten sich mit ihrer poppigen Aufmachung an Jugendliche und verwendeten ihre Sprache. Dabei stellten sie aber weniger die Informationen in den Vordergrund, welchen Nutzen das Medikament erfüllte und welche negativen Nebenwirkungen es auslösen könnte, sondern eher die Vermittlung eines Lebensgefühls: Versprechungen wie „schöne Haut“ oder „schönes Haar“ versteckten sich geschickt hinter Schminktipps oder Informationen über die Liebe: „Welche Pille verhütet ganz sanft, ist leicht und macht dabei schön? Die neue Pille mit Herz“, „sanfte, sichere Pille für junge Mädchen und Frauen“ mit „positiven Auswirkungen auf Haut, Haare und Figur“, „Beauty-Effekt“, „Feel-good-Faktor“, „Figur-Bonus“ oder „Die Pille, mit der man sich sehen lassen kann“, „Pille für die Schönheit … Schönes, volles Haar sind Ausdruck von Attraktivität und Weiblichkeit. Und frau fühlt sich wohl in ihrer Haut, kann selbstbewusst und mit sich zufrieden sein. (…) Zusatzeigenschaften, die Frauen strahlen lassen“. Das alles sind Verheißungen, die im Netz von Pharmakonzernen nicht mehr zu finden sind, sich aber bis heute als Zauberformeln in den Köpfen halten.
Katrin Wegner sprach mit über 250 Frauen aus drei Generationen über die Bedeutung der Pille in ihrem Leben. Gerade bei den 13- bis 17-Jährigen diente sie in erster Linie dazu, ihr Aussehen zu verbessern und somit die Lebensqualität zu steigern. Einem Mädchen war sogar nicht klar, dass die Pille auch verhüten kann. Einst half die Pille den Frauen, sich sexuell zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, doch heute ist zu beobachten, dass die Pille auch dazu beiträgt, Frauen und vor allem junge Mädchen noch stärker in gängige Klischees zu pressen.