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Allianz

CBG Redaktion

Heute gründet sich ein Bündnis zum Thema Gemeinnützigkeit. Anlass ist der Entzug der Gemeinnützigkeit von attac im Vorjahr. Auch die Coordination gegen BAYER-Gefahren beteiligt sich an dem Bündnis. Der CBG wird die Gemeinnützigkeit bereits seit 30 Jahren verweigert.

Allgemeine Information

http://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de

Hunderttausende Menschen, die die Welt besser machen wollen, engagieren sich bei gemeinnützigen Vereinen. Sie tun das nicht im Eigeninteresse, sondern für das Allgemeinwohl. Doch immer mehr Finanzämter meinen, dass dieses Engagement nicht gemeinnützig sei. Sie bemängeln politisches Engagement. Sie fordern, Zwecke wie „Schutz der Menschenrechte“ aus der Satzung zu nehmen. Sie drohen mit einer hohen Nachversteuerung, wenn eine Umwelt-Organisation Demonstrationen organisiert.

Zivilgesellschaft ist gemeinnützig – doch Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich regelmäßig politisch äußern, sind ständig der Gefahr ausgesetzt, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren. Um das zu ändern, haben sich mehr als 40 Organisationen in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ zusammen getan, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu ändern. Das Bündnis ist für weitere Organisationen offen, die tatsächlich oder potentiell von solchen Auseinandersetzungen um ihre Gemeinnützigkeit bedroht sind.

Der gesellschaftliche und politische Konsens, was gemeinnützig ist, weicht von den im Gesetz definierten Kriterien ab. Die Allianz fordert daher, dass die Politik die allgemein geteilte Definition von Gemeinnützigkeit klar und deutlich ins Gesetz schreibt, so dass für gemeinnützige Organisationen und auch Behörden Klarheit und Rechtssicherheit besteht. Das Ermessen der Finanzämter in der Beurteilung wird damit beschränkt, unnötige Auseinandersetzungen und Belastungen werden vermieden.

Das langfristige Ziel der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung” ist ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht. Kurzfristig will sie eine Änderung der Abgabenordnung erreichen, um einerseits klarzustellen, dass gemeinnützige Organisationen zur Erreichung ihrer Zwecke selbstverständlich Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen dürfen; und um andererseits zusätzliche Zwecke aufzunehmen, da die bisherigen Zwecke das Spektrum zivilgesellschaftlicher Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit nicht abdecken.

Im Gesetz fehlen wichtige und allgemein anerkannte gemeinnützige Zwecke. Zum Beispiel das Engagement zum Schutz von Menschenrechten, für soziale Gerechtigkeit oder zur Gleichstellung aller sexuellen Identitäten fördert natürlich die Allgemeinheit stehen nicht als Zwecke in der Abgabenordnung.

Heute haben Finanzämter einen großen Interpretationsspielraum, da die Rechtslage mehrdeutig ist. Was das eine Finanzamt als gemeinnützig anerkennt, wird an einem anderen Ort in Frage gestellt. Was eine Sachbearbeiterin heute anerkennt, kann ihr Nachfolger in einigen Jahren bemängeln. Für die Organisationen ist nicht vorhersehbar, ob und wann ihre politischen Aktivitäten ihren Status der Gemeinnützigkeit gefährden.

Wird die Gemeinnützigkeit dann in Frage gestellt, ist das ein Schaden für das Image der Organisation und ein Schaden für engagierte Spenderinnen und Spender, die ihre Zuwendungen nicht mehr steuerlich geltend machen können. Vom Status der Gemeinnützigkeit hängen zudem die meisten öffentlichen und privaten Fördermittel ab. Noch schlimmer jedoch ist, dass die tatsächlichen Vereinsaktivitäten immer wieder neu rückwirkend beurteilt werden. Gemeinnützigen Vereinen und ihren Vorständen drohen dadurch Nachforderungen in Höhe von 30 Prozent der Spendeneinnahmen für die vergangenen zehn Jahre – das ist existenzbedrohend. Dieses Risiko kann Vereine davon abhalten, ihre Grundrechte auf Meinungsäußerungsfreiheit und Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. Der Gesellschaft entgehen damit wichtige Impulse.

Zur politischen Willensbildung tragen die Parteien bei, steht in Artikel 21 des Grundgesetzes. Das bedeutet, dass sie nicht die einzigen sind, die dazu beitragen. Und klar ist, dass weitere Beitragende nicht nur Lobby-Verbände im ausschließlichen Interesse ihrer Mitglieder sein dürfen. Bürgerinnen und Bürger schließen sich in Organisationen der Zivilgesellschaft zusammen, um an der politischen Willensbildung im Interesse der Allgemeinheit beizutragen. Das gehört zur modernen Gesellschaft, das will die Politik – jetzt muss das auch ins Gemeinnützigkeitsrecht geschrieben werden.

7. Juli 2015, Neues Deutschland

Zivilgesellschaft will Sicherheit

Mehr als 40 Organisationen fordern Änderungen der Regeln für Gemeinnützigkeit

Das Atomforum oder parteinahe Stiftungen sind als gemeinnützig anerkannt, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen machen die Finanzämter dagegen häufig Ärger. Eine neue Allianz will das ändern. Von Ines Wallrodt

Attac hat die Sache ins Rollen gebracht, eine Selbsthilfegruppe ist der Kreis jedoch nicht: Mehr als 40 Organisationen haben sich in der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammen getan, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu ändern – darunter politische Schwergewichte wie Amnesty International, Brot für die Welt und Terre des hommes. Denn bislang sind gemeinnützige Organisationen der Zivilgesellschaft, die demonstrieren, plakatieren oder Unterschriften sammeln – sich also politisch äußern – ständig in Gefahr, ihren Status zu verlieren.
Gemeinnützig ist laut Gesetz ein Verein, der die Allgemeinheit selbstlos fördert. Nur ausnahmsweise dürften solche Organisationen politisch aktiv sein, kritisierte Jörg Rohwedder, der die Allianz koordiniert, am Montag in Berlin. Die Rechtslage sei nicht mehr zeitgemäß. Die Organisationen erkennen darin die alte Vorstellung, dass nur Parteien für die politische Willensbildung verantwortlich sind. »Dabei gehört die organisierte Zivilgesellschaft global zu den Hauptakteuren«, betonte Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.
Für Vereine ist die Gemeinnützigkeit eine wichtige Existenzgrundlage: Spender können ihre Zuwendungen nur dann von der Steuer absetzen, die Initiativen erhalten zudem oft nur Fördergelder, wenn sie als gemeinnützig anerkannt sind. Wann eine Organisation »zu politisch« ist, das entscheiden die Ämter. »Das bisherige Gesetz gibt den Finanzämtern zu großen Ermessensspielraum«, moniert Rohwedder. Oft ziehen sich Auseinandersetzungen über mehrere Jahre, regelmäßig landen Streitfälle vor Gericht. Das bindet Ressourcen, schlimmstenfalls droht die pauschale Nachversteuerung. Die geforderte Steuerreform soll für die Zivilgesellschaft, aber auch die Beamten Sicherheit und Klarheit bringen.
Auslöser für die Kampagne ist der umstrittene Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac im Frühjahr 2014. Zur Begründung führte das Finanzamt Frankfurt am Main an, dass eine strengere Finanzmarktregulierung oder auch die Einführung einer Vermögensabgabe keine gemeinnützigen Ziele seien. Das Netzwerk hat Widerspruch eingelegt und wartet seit einem Jahr auf eine Entscheidung.
Die Allianz will Attac den Rücken stärken, es geht aber um mehr als diesen einen Konflikt. Man will die Empörung nutzen, die der Fall ausgelöst hat, um zivilgesellschaftliche Organisationen insgesamt zu stärken. »Attac ist bestes Beispiel, dass etwas nicht stimmt«, betont die Amnesty-Chefin Çalışkan. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist voller Ungereimtheiten. Die Abgabenordnung listet auf, welche Zwecke gemeinnützig sind. Die Gleichstellung von Mann und Frau gehört dazu, nicht aber die Beseitigung von Diskriminierung von Homosexuellen. Umweltschutz ist ein gemeinnütziges Ziel, die Förderung der Menschenrechte hingegen nicht. Kommunalpolitische Ziele sind verboten, wer sich an Bürgerbegehren beteiligt, muss mit unerfreulicher Post der Behörden rechnen. So manche Organisation behilft sich mit Ersatzformulierungen – zum Teil sogar auf Anraten ihres Finanzbeamten. Da steht dann etwa als Vereinszweck »Völkerverständigung« in der Satzung. Auf der sicheren Seite ist man damit nicht. Es hängt immer vom lokalen Finanzamt ab, ob es Engagement für Frieden darunter fassen will oder nicht.
Aus Sicht der Allianz würde bereits ein einzelner Satz die Lage verbessern: So sollte gemeinnützigen Organisationen die politische Betätigung erlaubt sein, wenn sie »selbstlos der Allgemeinheit« dient. Dies könne der Finanzminister mit »einem Federstrich« selbst erledigen, indem er den Anwendungserlass in diesem Sinne ändert. Zudem fordern die Organisationen, weitere Zwecke in das Gesetz aufzunehmen: »Der Einsatz für Menschenrechte muss als gemeinnützig anerkannt werden«, fordert Amnesty-Generalsekretärin Çalışkan. Genauso wie Geschlechtergerechtigkeit, Frieden und soziale Gerechtigkeit.
Auch andere Organisationen stecken wie Attac in Schwierigkeiten, wollen sich im Bündnis aber nicht exponieren, um Abwehrreaktionen in ihrem Fall zu vermeiden. Die Allianz weiß von mindestens acht weiteren aktuellen Auseinandersetzungen: Mal geht es um ein Volksbegehren für den Rückkauf der Stromnetze, mal um Demonstrationen gegen Atomkraft. Auch etablierte Organisationen wie Greenpeace und der BUND Hamburg mussten bereits um ihre Gemeinnützigkeit bangen, sind aber bislang nicht Teil des Bündnisses.
Viele vermuten politische Gründe hinter dem plötzlichen Angriff auf Attac. Die neuen Bündnispartner wollen darüber nicht spekulieren. Sie beobachten jedoch einen Trend, dass Finanzämter immer strenger prüfen. »Der Blick auf zivilgesellschaftliche Organisationen hat sich verändert«, glaubt Julia Duchrow, Referatsleiterin bei Brot für die Welt. Sie würden inzwischen eher als störend empfunden. Das evangelische Hilfswerk arbeitet mit Organisationen im In- und Ausland zusammen, die zunehmend von Restriktionen betroffen seien.
Attac hat nicht nur aus der Bevölkerung, sondern auch aus fast allen Parteien Solidaritätsbekundungen erhalten. Die Allianz vermutet denn auch die größten Widerstände gegen ihr Anliegen gar nicht auf der Ebene der Politik, sondern bei der Verwaltung, die das Fass nicht aufmachen will. »Nun müssen sie Farbe bekennen«, betont Selim Çalışkan von Amnesty.