BAYER sahnt ab
29.000 Mal teurer als Gold
Der Wirkstoff Alemtuzumab wechselt den Abnehmer. Er steht nicht mehr wie bisher Leukämie-Kranken zur Verfügung, sondern nur noch „Multiple Sklerose“-PatientInnen. Auf diese Weise können GENZYME und der an den Umsätzen beteiligte BAYER-Konzern nämlich 40-mal so viel Profit einstreichen.
Von Philipp Mimkes
Einen langen Weg hat der Wirkstoff Alemtuzumab bereits hinter sich, und doch betritt er immer wieder Neuland. Vor 34 Jahren entwickelten WissenschaftlerInnen der „University of Cambridge“ diesen ersten monoklonalen Antikörper der Medizin-Geschichte. Sie verwendeten dazu einen Antikörper von Ratten, reinigten das Protein von Fremdeiweiß-Anteilen und führten erste medizinische Tests durch. Die Forschungen erregten das Interesse der Pharma-Industrie, das jedoch nie sehr lange anhielt. Von BURROUGHS WELLCOME wanderten die Rechte 1997 zu MILLENNIUM und über ILEX ONCOLOGY und GENZYME gelangten sie schließlich 1999 zum SCHERING-Konzern.
Dem seit 2006 zu BAYER gehörenden Berliner Unternehmen gelingt es schlussendlich sogar, Alemzutumab zu einer Arznei weiterzuentwickeln. Allerdings erhält die Substanz 2001 bloß die Zulassung für das Untergebiet einer Krankheit – und das auch nur unter Vorbehalt. Die Behörden genehmigten den Stoff zur Behandlung der Blutkrebs-Art „chronisch-lymphatische Leukämie“ (CLL), unter der Voraussetzung, dass die PatientInnen bereits eine Chemotherapie absolviert und nicht auf das Medikament Fludarabin angesprochen hatten.
Später erhielt das unter den Namen CAMPATH und MABCAMPATH vermarktete Präparat zwar eine erweiterte Zulassung, aber für eine erweiterte Zielgruppe sorgte das nicht. Die derzeit gültigen ärztlichen Leitlinien führen Alemzutumab nur im Zusammenhang mit solchen CLL-PatientInnen auf, die keine anderen Krankheiten und einen speziellen Gen-Defekt haben oder auf die Standard-Medikation nicht ansprechen. Zudem weisen sie auf Vorsichtsmaßnahmen hin, die es bei einer Gabe zu beachten gilt: „Beim Einsatz von Alemtuzumab sind eine erweiterte antiinfektive Prophylaxe und ein engmaschiges infektiologisches Monitoring erforderlich.“
Als besonders geniales Gen-Medikament erwies sich CAMPATH somit nicht. Darum gab der Leverkusener Multi 2009 die Rechte an GENZYME zurück und handelte dafür im Gegenzug Lizenz-Zahlungen aus. Auch forscht er weiterhin mit an dem Pharmazeutikum. Im Geschäftsbericht heißt es dazu: „BAYER beteiligt sich weiterhin an der gemeinsamen Entwicklung und hat bei erfolgreichem Abschluss die Möglichkeit einer weltweiten Co-Promotion sowie Anspruch auf Lizenz-Gebühren und umsatz-abhängige Meilenstein-Zahlungen.“
Neue Indikation
Im September gab es so einen erfolgreichen Abschluss. Der inzwischen zu SANOFI gehörende GENZYME-Konzern erhielt für Alemtuzumab nach Tests, die BAYER mitfinanziert hat, in Europa eine Zulassung zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS), einer Indikation, an der schon die Cambridger WissenschaftlerInnen geforscht hatten. Allerdings war dieser Abschluss mit einem anderen verbunden: Das Medikament wurde für sein ursprüngliches Anwendungsgebiet, die chronisch-lymphatische Leukämie, vom Markt genommen. Hintergrund des zunächst unverständlich wirkenden Schachzugs: Nur wenige hundert PatientInnen in Deutschland benötigen das Leukämie-Präparat. Trotz des hohen Preises – 1.897 Euro für 90 mg Infusionskonzentrat – waren die Einnahmen dadurch limitiert. Der Markt für MS-Medikamente hingegen ist weitaus interessanter: Allein in Deutschland gibt es rund 130.000 Betroffene, weltweit sind es 2,5 Millionen.
Zudem leben MS-PatientInnen länger als Krebskranke und müssen daher auch länger behandelt werden. Darüber hinaus konnten die Hersteller von MS-Präparaten extrem hohe Preise durchdrücken. Der einzige Haken: Zum Einsatz bei MS benötigen die MedizinerInnen eine viel geringere Dosis als zum Einsatz bei Krebs, jährlich nur 30 bis 60 mg. Zur Behandlung von Leukämie verabreichten die ÄrztInnen hingegen in einem Therapie-Zyklus 1.100 mg. Da jedoch ein Wirkstoff für unterschiedliche Anwendungen nicht unterschiedliche Preise haben darf, standen die Konzerne vor einem Problem, denn zu den früheren Konditionen versprach die MS-Therapie mit Alemtuzumab keine großen Umsätze. Orientierte sich der Preis aber an den üblichen Behandlungskosten von MS, würde er sich für Leukämie-PatientInnen extrem erhöhen, was zwangsläufig KritikerInnen auf den Plan riefe. Um dem Dilemma zu entgehen, gaben SANOFI und BAYER die wenig lukrative Indikation „Leukämie“ lieber ganz auf. Das Schicksal der auf das Präparat eingestellten CLL-PatientInnen interessierte die beiden Pharma-Riesen dabei nicht weiter.
Neuer Preis
Und im Oktober schließlich ließen GENZYME und BAYER die Katze aus dem Sack: Der Preis für das nun unter dem Namen LEMTRADA firmierende Alemtuzumab soll um den Faktor 40 steigen. Für eine Injektionsflasche mit 12 mg verlangen die beiden Unternehmen 10.653,50 Euro (888 Euro pro mg), dies entspricht etwa dem 29.000-fachen des Gold-Preises. Eine 4-wöchige MS-Behandlung mit Alemtuzumab kostet rund 3.300 Euro, etwa 40 Prozent mehr als die bisherigen, ohnehin teuren MS-Präparate auf dem Markt.
Torsten Hoppe-Tichy, Präsident des „Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker“ kritisiert dann auch: „Der Stakeholder-Value wird hier in bisher nicht dagewesener Weise vor das Patienten-Wohl gesetzt.“ Bereits im vergangenen Jahr hatte die „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ (AkdÄ) den Schritt der Firmen verurteilt: „Aus Sicht der AkdÄ übernimmt ein pharmazeutischer Unternehmer mit der Zulassung eines Arzneimittels auch die Verantwortung für eine dauerhaft sichere und unkomplizierte Versorgung der betroffenen Patienten. Mit der freiwilligen Marktrücknahme und dem geplanten ‚Indikations-Hopping’ entzieht sich der pharmazeutische Unternehmer seiner Verantwortung auf inakzeptable Weise. Um ein solches Vorgehen zukünftig zu verhindern, müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden.“
Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN griff diese Geschäftspolitik ebenfalls scharf an. „Wieder einmal wird deutlich, dass für BAYER, SANOFI & Co. allein der Profit zählt. Das PatientInnen-Wohl ist dabei nachrangig. Nebenbei zeigt sich, dass die Preisbildung von Medikamenten nichts mit den Entwicklungskosten zu tun hat: Ein und dasselbe Medikament kann vollkommen unterschiedliche Preise haben, je nachdem, was sich am Markt durchsetzen lässt“, hieß es in der CBG-Presseerklärung. Und zu allem Übel profitieren die Konzerne schlussendlich doch noch von der Alemtuzumab-Vergangenheit: Da es sich bei der Substanz um keinen neuen Stoff handelt, muss sich das Pharmazeutikum auch keiner Kosten/Nutzen-Bewertung stellen.
Neue Risiken
Dabei entspricht LEMTRADA nicht gerade dem Gold-Standard der „Multiple Sklerose“-Therapie. Schon bei der Erprobung kam es zu ernsthaften Zwischenfällen. So brach 2005 bei drei ProbandInnen die Autoimmun-Krankheit „Idiopathische thrombozytopenische Purpura“ (ITP) aus und nahm bei einem Test-Teilnehmer sogar einen tödlichen Verlauf. Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA unterbrach daraufhin die von SANOFI gemeinsam mit BAYER unternommenen Versuche und zwang den Leverkusener Multi, auf den CAMPATH-Packungen zur Leukämie-Behandlung einen entsprechenden Warnhinweis anzubringen.
Zudem erreichte das Mittel bei den Erprobungen immer nur das eine von zwei Klassenzielen. LEMTRADA schaffte es zwar, die MS-Schübe stärker als Interferon zu verringern, es gelang dem Mittel jedoch nicht, die Multiple Sklerose zu lindern. Darum formulierten die Pharma-Firmen den zweiten Studien-Endpunkt später kurzerhand um und testeten nur noch, ob der Antikörper das Fortschreiten der Krankheit aufhalten kann.
Darüber hinaus steht die Aussagekraft der Untersuchungen zur Langzeit-Wirkung in Frage, denn zwischen den einzelnen Beobachtungsphasen schieden 134 der 220 Alemtuzumab- und 42 der 110 Interferon-ProbandInnen aus. „Wenn sich der Gesundheitszustand von Patienten in den ersten beiden Jahren verschlechterte, wurden sie aus der Studie entfernt“, erklärt der Mediziner Alasdair Coles von der immer noch stark in die Alemtuzumab-Forschung involvierten „University of Cambridge“ das Vorgehen.
Die europäische Arzneimittel-Agentur EMA hatte trotzdem keine Bedenken, das Präparat zu genehmigen. Ihr US-amerikanisches Pendant tut sich da bedeutend schwerer. Die „Food and Drug Administration“ (FDA) wies den Zulassungsantrag im September 2012 zurück. Sie stieg durch das präsentierte Zahlenmaterial nicht durch und forderte SANOFI und BAYER deshalb auf, die Daten verständlicher aufzubereiten. Und im November 2013 meldete ein BeraterInnen-Gremium der Einrichtung ernsthafte Bedenken an. „Die Gabe von Alemtuzumab ist mit ernsthaften Risiken verbunden, welche den Nutzen übersteigen könnten“, hielt es fest. Unter anderem warnten die Wissenschaftlerinnen vor Autoimmun-Krankheiten wie ITP, Nierenschäden, Krebs, Infektionen, Schilddrüsen-Beschwerden und Infusionsnebenwirkungen wie Bluthochdruck, Kopf- oder Brustschmerzen. Sie rieten der FDA aus diesem Grund, die MedizinerInnen zu weit engmaschigeren Kontroll-Untersuchungen anzuhalten, als von BAYER und SANOFI für nötig befunden, sollte sie sich für eine Zulassung entscheiden.
Das industrie-unabhängige Fachmagazin arznei-telegramm zeigt sich ebenfalls nicht von dem Medikament überzeugt. Nicht nur die vielen unerwünschten Arznei-Effekte, sondern auch die fehlenden Studien zu den Langzeitwirkungen und -nebenwirkungen machen die Publikation skeptisch. „Wir sehen eine Indikation für das extrem teure Alemtuzumab derzeit nur im Einzelfall als letzte Reserve“, lautet ihr Resümee.