BAYER-HV: Konzern-KritikerInnen belasten Vorstand
Dr. Schneiders gesammeltes Schweigen
Von Udo Hörster
Ein unerwartetes Bild bot sich den AktionärInnen, die am 27. April zur BAYER-Hauptversammlung in die Kölner Messehallen strömten: Zehn „Gen-LaborantInnen“ in steril-weißer Einheitskluft trugen Bauchläden vor sich her und offerierten darin „frisch geklonte“ Organe; eine US-ameri-
kanische Umweltgruppe machte mit einer riesigen Medikamenten- Flasche aus Plastik auf die Gefahren von Antibiotika-Gaben in den Tier-Fabriken aufmerksam; eine bolivianische Aktivistin prangerte auf einem Transparent die Menschen, Tiere und Umwelt belastenden BAYER-Pestizide an und eine Tierversuchsgegnerin sowie Mitglieder der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) verteilten Flugblätter. Ein Hauch von Seattle lag so in der Luft und wehte auch in den Hauptversammlungssaal hinein.
Diesen frischen Wind hätte der BAYER-Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Schneider am liebsten außen vor gehalten. Nur zu gerne hätte er ausschließlich über den von rund 27 Mrd. Euro auf rund 31 Mrd. Euro gestiegenen Umsatz gesprochen sowie über alles, was sich sonst noch mittels Zahlen-Kolonnen, Tabellen und Torten-Grafiken darstellen läßt. Aber das wussten die 12 Konzern-KritikerInnen mit ihren Reden zu verhindern. So erfuhren die AktionärInnen nicht nur etwas über die von Manfred Schneider in seiner Eröffnungsrede verkündete „herausragende Performance von H. C. STARCK im Tantalpulver-Geschäft“, sondern vom Pater Gregor Böckermann (AFRIKA-MISSIONÄRE – WEIßE VÄTER) auch etwas über das Blut, das an diesem so einträglichen Handel der BAYER-Tochter klebt. H. C. STARCK bezieht dieses Sondermetall nämlich unter anderem von den Kommandanten der Bürgerkriegsarmeen im Kongo, die mit den Erlösen aus dem Verkauf von Bodenschätzen den Unterhalt ihrer Truppen bestreiten. Böckermann zitierte aus einem gerade erschienenen UN-Bericht. Dieser bezeichnet Firmen wie H. C. STARCK wegen ihrer Geschäftspraktiken als „Motoren des Konfliktes“, der bislang 2,5 Mio. Todesopfer gefordert hat und ca. eine Million Menschen zu Flüchtlingen machte. Die BAYER-Tochter versucht die Vorwürfe zu dementieren, aber in einem entsprechenden Antwortschreiben an die Initiative RETTET DEN REGENWALD unterlief ihr dabei ein Lapsus. „H.C. STARCK bezieht seine Rohstoffe u.a. von etablierten Händlern“, hieß es darin, was laut Böckermann nur einen Schluss zulässt: also auch von nicht etablierten, zweifelhaften.
Wer vor solchem Kriegsgewinnlertum nicht zurückschreckt, der nimmt mit einer Klage wg. angeblicher Patentschutz-Verletzungen, die in Südafrika jahrelang die Versorgung von AIDS-PatientInnen mit erschwinglichen Kopien von patent-geschützten Medikamenten verhinderte, auch den Tod hunderttausender Menschen in Kauf. Natürlich interessierte Schneider der Ausgang der Auseinandersetzungen nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht. „Das Risiko für die Margen nimmt zu“, so sein knappes Resümee. Über den in den Verhandlungen erreichten Bestandschutz für die Patent-Regelungen zeigte sich der BAYER-Chef erfreut. So können BAYER & Co. erstmal weiterhin Wucherpreise für Medikamente nehmen. Und wer diese nicht zu zahlen vermag, für den bleiben milde Gaben: Wie Schneider stolz verkündete, hat BAYER der Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich Medikamente gegen die Schlafkrankheit gespendet. Darüber hinaus besaß er sogar noch die Unverfrorenheit, die afrikanischen PolitikerInnen zu ermahnen, sie sollten einmal „ihre Prioritäten überdenken“.
Kein Wunder also, dass dann auch die Opfer-Gruppe aus der blutigen Vergangenheit des Konzerns, die ZwangsarbeiterInnen, nicht mit Schneiders Anteilnahme rechnen konnten. Nicht einmal das Wort „Entschädigung“ nahm der Vorstandsvorsitzende in den Mund; er sprach stattdessen von „Ausgleich“. Und vergeblich appellierte Lothar Evers vom BUNDESVERBAND INFORMATION FÜR NS-VERFOLGTE an ihn, doch endlich die Auszahlung der ersten Entschädigungstranchen zu veranlassen, da täglich 500 ehemalige SklavenarbeiterInnen sterben, während die Fonds-Beiträge hohe Zinsen abwerfen. Als eine makabre Umkehrung der Rollen von Opfer und Täter bezeichnete es Evers, die Überlebenden und ihre Klagen als Rechtsunsicherheitsfaktoren hinzustellen und ihnen überdies abzuverlangen, in ermüdenden bürokratischen Prozeduren die Berechtigtheit ihrer Ansprüche nachzuweisen.
Die nicht auf Einladung der CBG sprechenden RednerInnen übten sich derweil in dem aussichtlosen Unterfangen, den BAYER-Vorsitzenden an Profit-Profitum noch zu übertreffen. Einer dieser Beflissenen sah beispielsweise durch den im Standortsicherungsvertrag zugestandenen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen den Shareholder Value in Gefahr. So herausgefordert, ließ der Große Vorsitzende sich nicht lumpen. Von 63.000 auf 40.000 habe man bei der BAYER AG die Belegschaft reduziert, noch dazu „ohne Komplikationen in der Öffent-
lichkeit“, brüstete er sich. Welche „Komplikationen“ dies innerbetrieblich nach sich zog, davon berichtete der Vertrauensmann eines BAYER- Werks, einer der wenigen nicht von der CBG gestellten kritischen Redner. Plastisch schilderte er die durch immer größere Hetze, den Wegfall von Pausen und die zu leistenden Überstunden sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, die zudem das Risiko von Unfällen erhöhen. Wo das Geld hinfließe, das unten, in den Produktionsstätten, nicht ankomme, fragte er Schneider. Der fand die Frage deplatziert.
Mit noch größerer Ignoranz als in den vergangenen Jahren ging der BAYER-Chef über alle kritische Einwände zum Geschäftsgebaren des Multis hinweg. Durch die Einbrüche am neuen Markt und die kleinlauter werdenden Stimmen von InvestmentbankerInnen, die in der Vergangen-
heit immer wieder eine „Modernisierung“ des Konzerns gefordert hatten, vor Selbstbewusstsein fast platzend, tönte er feist: „Ich sehe Konserva-
tismus heute als Prädikat an“.
Es war an Axel Köhler-Schnura von der CBG, diese demonstrative Betriebsblindheit in ihre Schranken zu verweisen und Schneiders Rechenschieber-Horizont zu erweitern: „Wirtschaft und die Folgen gehören zusammen. Wer die Folgen nicht tragen will, der entzieht sich der Verantwortung“.