Gartenkunst am Giftmüll
Am 16. April 2005 öffnete die Leverkusener Landesgartenschau (LAGA) ihre Pforten und lockte die BesucherInnen mit dem Slogan „Neuland entdecken“ auf das Gelände. Für die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und andere Gruppen war das kein Grund zum Feiern, sondern zum Protestieren. Was nach Ansicht von Konzern und Stadt den krönenden Abschluss der Abdichtungsarbeiten an BAYERs Giftmüll-Deponie bildete, erschien den KritikerInnen nämlich als plumper Versuch, Gras über eine nach ökologischen Kriterien unzureichende Bau-Maßnahme wachsen zu lassen.
Ein buntes Völkchen hatte sich am Eröffnungstag der LAGA vor dem Haupteingang versammelt, um auf die unter der Grasnarbe tickende chemische Zeitbombe hinzuweisen: CBGler, Antifas in weißer Schutzkleidung, DKPler mit Gasmaske, die BUND-JUGEND, AnhängerInnen des Leverkusener Wahlbündnisses LAUF, MLPDler und Unabhängige. Der Polizei wurde es schon bald zu bunt. Sie wollte die COORDINATION mit ihrem Transparent „Neuland entdecken – Giftmüll verstecken“ außer Sichtweite der BesucherInnen auf die gegenüberliegende Straßenseite verbannen, wovon die OrdnungshüterInnen erst zähe Verhandlungen abbrachten. Der Theatergruppe der BUND-JUGEND wiesen sie einen Platz zwischen Nebeneingang und Parkplatz zu. Diese Maßnahme hatte allerdings einen unerwünschten Nebeneffekt. Nicht wenige Gartenschaulustige hielten die pantomimische Darbietung über die Stadt, den BAYER-Müll und den Tod nämlich für einen Teil des offiziellen Rahmenprogramms.
Aber da hatten sie BAYER und Leverkusen zuviel Kritikoffenheit zugetraut. Sie verfolgten mit der LAGA ganz andere Pläne. „Die Leute sollen Frieden mit dem Gelände schließen“, diese Intention verfolgt die Schau laut ihrem Geschäftsführer Hans-Max Deutschle. Leverkusens SPD-Oberbürgermeister Ernst Küchler sah in Blumen, Bäumen und Beeten sogar ein Zeichen dafür, dass BAYERs Hometown keine reine Industriestadt mehr sei und beim Strukturwandel auf einem gutem Weg. Der damals noch amtierende NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück stimmte ihm in seiner Eröffnungsrede zu und lobte, mit der LAGA sei „auf einer der größten Altlasten Europas im wahrsten Sinne des Wortes attraktives Neuland‚ entstanden“. Bärbel Höhn machte im Spätherbst ihrer Zeit als Landesumweltministerin sogar ein neues „Naherholungsgebiet“ aus.
Allzu nah durfte mensch ihm jedoch nicht kommen, dann entpuppten sich die Grünflächen nämlich als potemkinische Dörfer. Auf sehr unsicherem Grund entfaltete sich die Blumenpracht. Die LandschaftsgärtnerInnen konnten keine Bäume mit tiefem Wurzelwerk einpflanzen, weil dieses bis in den Giftmüll gereicht hätte. Teilweise mussten sie bis zu acht Meter hohe Erdschichten aufschütten, um den Blumen festen, guten Mutterboden unter ihren Lebensadern zu gewähren – Natur mit beschränkter Haftung. Hochbauten gestattete die LAGA-Direktion ebenfalls nicht, und Außengastronomie nur in Leichtbauweise. Es sollten auf keinen Fall schwere Fundamente auf die Altlast drücken und so eventuell die schlafenden Chemie-Geister wecken oder den unter der Erde verlegten Versorgungsleitungen der BAYER-Anlagen in die Quere kommen.
Oberirdisch setzt das nur wenig einladende Panorama aus Überlandleitungen und Produktionsstätten des Konzerns dem „Naherholungsgebiet“ enge Grenzen. Auf dem Areal selber stören seltsame Apparaturen, nur unzureichend mit „Kunst“ verkleidet, den Gartenkunst-Genuss. Sechs Brunnen haben auf der LAGA die Aufgabe, den Pegelstand des Wassers zu kontrollieren, bei Erreichen einer bestimmten Marke könnte der Rhein sonst die Produktionsabfälle unterspülen und die Gifte ausschwemmen. Große Messstationen ermitteln überdies permanent, ob sich die Belastung des Grundwassers noch in den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen hält.
Eine Jahrhundert-Aufgabe: „Wie sich das Gelände innerhalb der nächsten 100 Jahre verhalten werde, sei allerdings nicht gänzlich vorherzusehen“, räumt der LAGA-Landschaftsarchitekt Rüdiger Brosk denn auch ein. Die Waz eröffnet ebenfalls wenig schöne Aussichten: „Setzungspegel und Grundwasserkontrollen wird es hier auf ewig geben“. Zwischen Chrom, Chlor & Co. stimmt die Chemie nämlich immer noch – sie reagiert munter miteinander drauflos. Darüber hinaus bilden sich durch Abbauprozesse neue giftige Gase. Dementsprechend sieht das Sickerwasser der Altlast aus. 750 Kubikmeter muss BAYER stündlich abpumpen und im Klärwerk reinigen.
Um ein „Work in Progress“ handelt es sich bei der Dhünnaue also, weil Konzern und Stadt das Areal nicht sanierten, sich stattdessen für eine bloße Absicherung der Altlast entschieden. Den Unterschied erläuterte Klaus Stief vom Umweltbundesamt 1988 auf einem Umweltschutz-Forum in Köln. „Unter Sanierungsmaßnahmen versteht man Maßnahmen, die zu einer Beseitigung des Gefährdungspotenzials der Altlast führen. Unter Sicherungsmaßnahmen werden Maßnahmen verstanden, welche die Gefährdung der Umwelt vermindern oder auch zeitlich befristet unterbinden, die allerdings das Gefährdungspotenzial nicht beseitigen. Man erreicht einen Zeitgewinn. Irgendwann, in der Regel innerhalb von Jahrzehnten, werden die Sicherungsmaßnahmen unwirksam werden. Man wird sie wiederholen müssen“, führte er in seinem Vortrag aus. Aber das verdrängen die Verantwortlichen laut Stief nur allzu gern. „Obwohl durch die Wahl des Wortes Sicherungsmaßnahmen‘ im Gegensatz zu dem Wort Sanierungsmaßnahmen‚ jedermann die zeitlich befristete Wirksamkeit und die ständige Unterhaltungs- und Reparaturbedürftigkeit der Maßnahmen klar werden soll, neigt man in der Praxis wohl immer dazu zu hoffen, dass man das Altlastenproblem vom Halse‘ hat, wenn sie gesichert ist. Das wird sich in der Regel irgendwann einmal als verhängnisvoller Irrtum herausstellen“, stellt der Diplom-Ingenieur fest.
Da hat der Experte die LAGA-Lage richtig erfasst. Im Katalog zur Ausstellung, die sich auf der Gartenschau der Geschichte der Dhünnaue und ihrer Abdichtung widmet, heißt es lapidar: „Aufwändige Technik löst das Altlast-Problem“. Eine Sanierung war nach BAYERs Ansicht nicht möglich. „Aufgrund der früher üblichen ungeordneten Ablagerung der überwiegend festen und im geringen Maße auch pastösen und flüssigen Abfälle sind die Belastungen sehr ungleichmäßig verteilt. Eine gezielte Sanierung einzelner Teilbereiche kommt deshalb nicht in Frage“, schreiben die AusstellungsmacherInnen. Eine glatte Lüge, wie ein Blick auf die Schweizer Deponie Kölligen beweist. 350.000 Tonnen Gefahrgut lagerten dort ein – und Giftmüll-Trennung betrieben die „Entsorger“ ebenso wenig wie in Leverkusen. Trotzdem entschieden sich die Verantwortlichen für eine Komplett-Sanierung mit Auskofferung des verseuchten Areals – und mussten es auch. Die Gesetze des Landes untersagen nämlich Baumaßnahmen, die den Giftaustritt nicht stoppen und als „Langzeit-Provisorien“ eine jahrhundertelange Überwachung erfordern. So kann sich die Schweiz freuen, schon im Jahr 2025 keine gefährlichen Zeitbomben mehr im Boden ticken zu haben.
In der Bundesrepublik sträubten sich BAYER & Co. stets aus Kostengründen gegen eine solche ökologisch sinnvolle Lösung. Einer genaueren Überprüfung halten ihre Argumente indes nicht stand. Sicherungsmaßnahmen erfordern zwar am Anfang keinen so hohen finanziellen Aufwand wie Sanierungsmaßnahmen, rechnet man aber die bei „Langzeit-Provisorien“ anfallenden Betriebs- und Reparaturkosten hinzu, so halten sich die Ausgaben in einem vergleichbaren Rahmen. Allein für die Reinigung des Sickerwassers muss BAYER jährlich einen Millionen-Betrag aufbringen. Was bei der Dhünnaue noch so alles an Ausgaben anfallen könnte, weiß niemand genau, denn Langzeituntersuchungen über die Beständigkeit des verbauten Materials existieren nicht, und viele Entwicklungen sind nicht vorhersehbar. So musste die Stadt Hamburg 1994 unvermittelt bei der bloß gesicherten Altlast auf dem Gelände der ehemaligen Waffenfabrik STOLZENBURG „nachbessern“, weil das nahe gelegene Wasserwerk die Trinkwasser-Gewinnung drosselte und der Grundwasser-Spiegel sich in der Folge gefährlich nah an die giftigen Produktionsrückstände heranschob.
Über diese ganze Problematik findet sich im Katalog zu der LAGA-Ausstellung „Die Dhünnaue gestern und heute“, die „eine offene Chronik über Fortschritt und Verantwortung“ sein will, nichts. Es fängt schon schlecht an. Der Konzern hat angeblich nicht nur nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ sorglos seine Abfälle am Rhein entsorgt, er wollte der Stadt damit auch einen wirksamen Hochwasserschutz bieten. Dass die „gute Tat“ vielleicht doch nicht so gut für Leverkusen war, stellte sich laut Text erst Ende der achtziger Jahre heraus. „Ende 1987 steht fest: Eine Gefährdung der Bewohner in der Wiesdorfer Dhünnaue kann nicht ausgeschlossen werden“. Aber selbst dann ist alles nur halb so schlimm, denn die Wissenschaft hat festgestellt: „Insgesamt kann eine akute Gefährdung der Bevölkerung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden“. Der Herr Professor Einbrodt von der Universität Aachen war so nett. Vorher hat es nach Aussage von BAYER nur einige Klagen wegen Geruchsbelästigung gegeben und „unerwartete Schwierigkeiten“ im Zuge der geplanten Wohnbebauung über der Deponie. Eine Baugrund-Untersuchung meldete nämlich Zweifel daran an, ob der Beton dem chemischen Untergrund standhalten würde und sagte zudem eine Absenkung der Häuser voraus. Sie sollte Recht behalten. Später ergaben Messungen eine hohe Chrom-Belastung von Kellern. Die Stadt Leverkusen quartierte die Mietparteien um und schloss eine Schule. Nach Darstellung der AusstellungsmacherInnen geschah das alles nur „vorsorglich“. Die ungewöhnlich hohe Krebsrate im Umfeld der Schule – laut SPIEGEL fünf Tote, 15 Erkrankungen – verschwiegen sie.
Nicht nur diese Fälle hätten genug Grund für Entschädigungsklage geboten. Die Erleichterung darüber, dass „die Stadt Leverkusen und die BAYER AG juristischen Streit vermieden haben und sich in allen Fragen auf partnerschaftliche Lösungen verständigten“, ist den Konzern-AutorInnen deshalb deutlich anzumerken. Sie vermelden in Sachen Dhünnaue „Mission erfüllt“ und meinen so „eine Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung der Stadt“ geschaffen zu haben. Das Einzige, was sich auf dem Areal jedoch nachhaltig entwickelt, ist die Last der Altlast für die nachfolgenden Generationen.