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Agrogifte

CBG Redaktion

ORF (Radio Ö1), 1. August 2006

Syngenta, Bayer, BASF: Die Pestizid-Zeitbombe

Eine Bestandsaufnahme über Chemikaliensicherheit

Die Chemie zählt zu den wichtigsten Motoren der industriellen Entwicklung. Ohne Chemie gäbe es keine Düngemittel, die die Ernährung von bald sieben Milliarden Menschen sichern. Es gäbe kaum wirksame Arzneimittel, und Energie sowie andere Ressourcen würden noch schneller verbraucht als ohnehin.

Das Problem dabei: Unter den gut 100.000 Chemieprodukten dieser Welt befinden sich rund 8.000, die giftig sind – Chemikalien, die Böden, Gewässer und Ozonschicht belasten, die Pflanzen, Tiere und Menschen krank machen und letztlich töten.

340.000 Tote pro Jahr
Nach einer Statistik der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, sterben jährlich allein 340.000 Menschen infolge des Umgangs mit toxischen Substanzen am Arbeitsplatz. Besonders gefährlich: Chemikalien, die explizit zum Töten hergestellt werden, so genannte Pestizide – Giftcocktails, die Würmer, Mäuse und Insekten, Pflanzen und Pilze deshalb vernichten sollen, weil sie die Produktion von Nahrungsmitteln behindern oder Krankheiten wie Malaria verbreiten.

Während die Industrieländer bereits seit den 1970er Jahren diesbezüglich immer aufwändigere Schutzmaßnahmen ergriffen haben, geschieht in Afrika, Asien und Lateinamerika kaum etwas. Im Gegenteil! Dort boomt der Pestizidmarkt. Erschwerend kommt dabei noch hinzu, dass eben dort, wo das Wissen über die Gefahren der Chemie kaum existiert, ein geradezu verantwortungsloser Pestizidterror betrieben wird. Gerade in die Entwicklungsländer würden – so Michael Dreyer, der Leiter des weltweit operierenden Projekts „Chemikaliensicherheit“ der GTZ, der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit – noch immer Gifte exportiert, die in Europa längst verboten seien oder nur unter großen Sicherheitsvorkehrungen eingesetzt würden.

Beispiele des Pestizidterrors
Der Schweizer Konzern Syngenta als größter Produzent sowie die deutschen Firmen Bayer und BASF kontrollieren gemeinsam die Hälfte des Weltmarktes. Das von Syngenta vertriebene Herbizid Paraquat, das wie Cola aussieht, wird etwa von Bauernkindern in Afrika und Asien immer wieder versehentlich getrunken, mit der Folge, dass das Gift Magen, Lunge und Speiseröhre irreversibel zersetzt.

Ein weiteres Beispiel ist das u. a. von Bayer produzierte und exportierte Insektizid Endosulfan: 30 Baumwollarbeiter sind dadurch vor einigen Jahren in Benin innerhalb von wenigen Tagen umgekommen, als sie das Mittel gegen Baumwollschädlinge einsetzten: “Die Vergiftungsfälle häufen sich vor allem in Afrika, weil dort Anwender und landwirtschaftliche Berater beim Umgang mit brisanten Pestiziden trotz grellfarbiger Warnhinweise auf den Behältern völlig überfordert, da leseunkundig sind“, sagt GTZ-Mann Dreyer.

Vergiftete Orangen
Auch im Norden Thailands außerhalb des kleinen Dorfs Sonsai Klongnai sieht man Männer und Frauen aus blauen Schläuchen hunderttausende Orangenbäumchen besprühen – viele ohne Schutzbekleidung und mit Taschentüchern vor dem Gesicht. In ihrem Dorf selbst pflanzen die knapp tausend Einwohner außer Reis zumeist Erdnüsse, Zwiebeln und Knoblauch an:

„Seit die Firma Tanathorn fast alles Flusswasser für ihre Orangenbäume verbraucht, leiden wir Jahr für Jahr an Wassermangel. Fast noch schlimmer jedoch ist, dass die Arbeiter der Firma tagtäglich giftige Pestizide versprühen. Wir können kaum noch atmen“, beklagt der Wassermeister dieses Dorfes. Von der Regierung Thailands ermutigt, besitzt inzwischen jene Firma im Bezirk Fang und in zwei Nachbarbezirken insgesamt bereits 15.000 Hektar Orangenplantagen. Orangenbäume benötigen allerdings weit mehr Pestizide als zum Beispiel Reis. Die Gifte wie z. B. Parathion werden aus China importiert und lösen laut WHO Leukämie, Lungenkrebs, Erbgutmutationen und in der Folge Missgeburten aus.

Die gefährlichen POPs
Als besonders gefährlich unter den Pestiziden gelten allerdings jene Mittel, die Vergiftete nicht unmittelbar töten – Substanzen, die sich über lange Zeit in der Umwelt erhalten, die höchst resistent gegen den Abbau sind und sich in bestimmten Zonen der Erde anreichern.

Diese giftigen und langlebigen Schadstoffe, kurz POPs – persistent organic pollutants – genannt, findet man in hohen Konzentrationen in der Antarktis oder im Hochgebirge. Zu den POPs zählen vor allem Pestizide, aber auch Industriechemikalien wie das in Transformatoren als Kühlmittel eingesetzte PCB und bei Verbrennungsprozessen entstehende Produkte wie Dioxine und Furane, die etwa in Krematorien oder Verbrennungsanlagen für Krankenhausmüll entstehen. Sie verdunsten vielfach in warmen Regionen, kondensieren aber in kalten und reichern sich dort im Fettgewebe von Mensch und Tier an.

Die Stockholmer Konvention
Engagierte Bürgerinitiativen wie das PAN – das Pesticide Action Network – oder Greenpeace warnen seit jeher vor diesen vagabundierenden Giften. Seit 2004 gilt die von inzwischen 90 Staaten ratifizierte Stockholmer Konvention, die zwölf besonders gefährliche POPs wie etwa Dieldrin, Chlordan und Mirex auf den Index gesetzt und verboten hat. Auch das Kühlmittel PCB soll im Laufe der nächsten 20 Jahre aus Trafos und Kondensatoren verschwinden; ebenso sollen reiche Länder den armen finanziell und technologisch helfen, Dioxine und Furane in den Griff zu bekommen – ein Vorhaben, dem auch eine neue EU-Richtlinie zur Chemikaliensicherheit mit dem Namen REACH dienen soll.

Die große Frage dabei lautet aber: Wie lange wird in Entwicklungsländern die praktische Umsetzung dieser Konvention dauern? – Eine Umsetzung, die viel Geld kostet und wirtschaftliche wie gesundheitspolitische Interessen tangiert. Dass dies ein schweres Unterfangen sein wird, sieht man etwa am Beispiel DDT. In unseren Breiten verboten, darf dieses Gift hingegen weiterhin laut Stockholmer Konvention und auch WHO für die Länder des Südens angesichts der jährlich drei Millionen Malaria-Toten eingesetzt werden, weil es besonders langlebig, giftig und billig ist.

Wer entsorgt die Altlasten?
Ein weiteres Problem verkörpern die gewaltigen Altlasten an Pestiziden. Rund 500.000 Tonnen Pestizidmüll haben sich in den letzten 40 Jahren auf dem Globus angesammelt: eine Zeitbombe, die die ganze Welt bedroht. Seit 20 Jahren wird hier bereits über die Frage der Milliarden teuren Entsorgung gestritten. Werden die Hersteller zur Kasse gebeten, die das Gift einst verkauft haben? Oder Entwicklungshilfe-Geber, die es wohlmeinend verschenkt haben oder aber lokale Regierungen, die fahrlässig mit den Pestiziden umgegangen sind?

Nur wenige Akteure engagieren sich für die Entsorgung, darunter die Welternährungsorganisation FAO, die Firma Shell, die sich um Altlasten ihres Prouktes Dieldrin kümmert, oder die GTZ, die bereits seit Anfang der 1990er Jahre ungefähr 4.000 Tonnen Pestizide aus den verschiedensten Ländern in Afrika und Asien nach Europa rückgeführt und in Sondermüll-Verbrennungsanlagen entsorgt hat. Schließlich haben auch Weltbank und FAO mit mehreren Partnern ein „African Stockpiles Program“ aufgelegt, das über zwei Jahrzehnte Afrika von Altpestiziden säubern soll.

Wichtiger als die Entsorgung der Altlasten sei jedoch der sachgerechte Umgang mit Pestizidlagern, so GTZ-Mann Dreyer. Auch der Bau von Krematorien oder Müllverbrennungsanlagen vorort sollte mehr vorangetrieben werden, ebenso der Einsatz biologischen Pflanzenschutzes oder die Exportverbote einiger international geächteter Pestizide, die leider nach wie vor en masse von vielen Firmen in die Entwicklungsländer geliefert würden.

Gestaltung: Thomas Kruchem
http://oe1.orf.at/highlights/62635.html