Der Fall „Glyphosat“ kommt nicht vor den Supreme Court
Am 21. Juni 2022 hat es der Oberste Gerichtshof der USA abgelehnt, sich mit der Causa „Glyphosat“ zu befassen. Damit ist auch der BAYERs Plan B gescheitert, die Kosten für Zahlungen an Geschädigte des Herbizids möglichst gering zu halten.
Von Jan Pehrke
„Die Freude der Aktionäre über gute Quartalszahlen sollte nur wenige Stunden anhalten“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 12. Mai 2022. Unmittelbar nach der Veröffentlichung von BAYERs Bilanz für die ersten drei Monate des Jahres gab es nämlich mal wieder schlechte Glyphosat-Nachrichten, die sofort börsen-wirksam wurden. Die US-Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar dämpfte die Hoffnungen des Leverkusener Multis, mit einem Entschädigungsverfahren bis vor den Obersten Gerichtshof des Landes zu kommen und dort ein Grundsatz-Urteil zu Gunsten seiner Tochterfirma MONSANTO zu erwirken. Vom Supreme Court um Amtshilfe gebeten, riet sie davon ab, den Antrag des Leverkusener Multis anzunehmen und sich mit der Causa zu befassen. Und die RichterInnen hielten sich daran. Am 21. Juni erklärten sie, den Fall „Edwin Hardeman v. MONSANTO“ nicht zur Entscheidung annehmen zu wollen.
Plan B scheitert
Der Supreme Court war der Plan B des Unternehmens, nachdem es im Mai 2021 die Vergleichsverhandlungen mit den AnwältInnen der rund 138.000 KlägerInnen gegen seine Tochter-Gesellschaft MONSANTO hatte platzen lassen. Der zuständige Richter Vince Chhabria lehnte damals den Konzern-Vorschlag zur Güte ab – als „eindeutig unangemessen“ bezeichnete er den „settlement plan“. „Leider lässt sein jüngster Beschluss keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird. Diese Änderungen sind nicht im Interesse von BAYER“, befand der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann. Einen neuen Anlauf mochte er deshalb nicht mehr nehmen. Damit endeten die Gespräche nach fast zweijähriger Dauer im Nichts.
Auf das Missfallen des für den nördlichen Distrikt Kaliforniens zuständigen Bundesrichters stießen vor allem die Vorstellungen des Global Players zum Umgang mit den Ansprüchen zukünftiger Glyphosat-Geschädigter, versuchte die Aktien-Gesellschaft sich hier doch an einer Quadratur des Kreises. Sie wollte das von der Krebs-Agentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Mittel unbeschränkt weiter vermarkten, weitere Klagen aber so gut es geht verhindern.
Mit Chhabria war das nicht zu machen, darum setzte der Leverkusener Multi nun auf den Obersten Gerichtshof der USA. Im August 2021 stellte er beim Supreme Court den Antrag, den RichterInnen-Spruch des Ninth Circuit in dem Verfahren „Edwin Hardeman v. MONSANTO“ zu überprüfen und demonstrierte Zuversicht. Der Konzern zeigte sich überzeugt, dass es starke Argumente dafür gebe, den Fall anzunehmen und ein Urteil in seinem Sinne zu fällen, „wodurch die Rechtsstreitigkeiten zu Glyphosat in den USA weitgehend beendet würden“.
BAYERs Meinung nach fällt die Causa in die Zuständigkeit dieses Gerichts, weil es sich bei Pestizid-Fragen um Bundesangelegenheiten handelt, welche die staatliche Umweltbehörde auf der gesetzlichen Basis des „Federal Insecticide, Fungicide and Rodenticide Acts“ (FIFRA) klärt. Und da die „Environment Protection Agency“ (EPA) Glyphosat für unbedenklich hält, hätte der Ninth Circuit ihm nicht vorwerfen dürfen, nicht ausreichend auf die Risiken und Nebenwirkungen des Mittels aufmerksam gemacht zu haben, so der Konzern in seiner Petition an den Obersten Gerichtshof. Dass die RichterInnen dies nicht aus freien Stücken taten, sondern unter Berufung auf ein Gesetz des Staates Kalifornien, das Glyphosat-Hersteller zu Krebs-Warnungen verpflichtet, spielt für den Agro-Riesen dabei keine Rolle, denn Bundesrecht habe Vorrang vor Landesrecht.
Überdies musste Kalifornien die Anordnung nach einer Intervention aus Washington wieder zurückziehen, betonte Leverkusener Multi in der Eingabe und berief sich überdies noch ganz konkret auf die EPA als Entlastungszeugin in der Causa „Hardeman“. Von Trump auf Linie gebracht, hatte die Agency nämlich in Tateinheit mit dem Justizministerium das in den USA bestehende „Amicus Curiae“-Recht genutzt, um in das Berufungsverfahren einzugreifen und auf Freispruch zu plädieren. „Der Kläger ist im Unrecht“, erklärten die staatlichen Stellen ummissverständlich.
Darüber hinaus hat der Ninth Circuit nach Ansicht der Aktien-Gesellschaft ExpertInnen zugelassen, die dieses Etikett nicht verdienen, was „zu unfundierten Aussagen geführt hat“.
„Die Fehler des Ninth Circuit bedeuten, dass ein Unternehmen für die Vermarktung eines Produkts ohne Krebs-Warnung hart bestraft werden kann, obwohl es nahezu universellen wissenschaftlichen und regulatorischen Konsens darüber gibt, dass das Produkt nicht krebserregend ist und die verantwortliche Bundesbehörde eine solche Warnung sogar verboten hat“, so das Resümee des Leverkusener Multis.
Die Abfuhr
Der Supreme Court wollte über das BAYER-Begehr nicht allein entscheiden und bat die US-Regierung im Dezember 2021 um Amtshilfe. Diese erfolgte dann im Mai 2022 durch die Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar und sorgte beim Global Player für Ernüchterung. Nach Ansicht des „Solicitor Generals“ erlaubt das Pestizid-Recht den einzelnen Bundesstaaten, spezielle Vorschriften zu erlassen, wenn diese dem FIFRA nicht explizit widersprechen. Kalifornien hat das mit Verweis auf die WHO getan und sich dabei auf ein Landesgesetz von 1986 berufen, das zu Warnungen verpflichtet, wenn eine öffentliche Körperschaft eine Substanz als krebserregend einstuft. Prelogar beurteilte dieses Vorgehen als korrekt, eine absolute Kongruenz verlange der Gesetzgeber nicht, daher dürften die Bundesstaaten auch dann Warnhinweise anordnen, wenn die EPA solche nicht für nötig halte. „Die Genehmigung der EPA für eine Kennzeichnung, die nicht vor bestimmten chronischen Risiken warnt, bedeutet nicht, dass eine amtliche Anordnung, die solche Warnungen vorsieht, außer Kraft gesetzt wird“, hielt die Juristin fest. Sie verwies zudem auf von der EPA positiv beschiedene Anträge von Glyphosat-Herstellern, die beabsichtigten, von sich aus vor Krebs zu warnen, um Haftungsansprüchen zu entgehen. Und damit nicht genug, distanzierte sie sich von den Positionen des „Amicus Curiae“-Schreibens. „Im Angesicht der Entscheidung des Berufungsgerichts und des Regierungswechsels haben die Vereinigten Staaten ihre dort dargelegten Argumente überprüft“, erklärte Prelogar.
Tatsächlich hat die Biden-Administration sogar die ganze EPA-Politik der Ära Trump auf den Prüfstand gestellt und Besserung gelobt. Anweisungen an die WissenschaftlerInnen, sich bei ihren Pestizid-Analysen ausschließlich auf Daten der Hersteller zu stützen, und Korrekturen ihrer Expertisen durch die AbteilungsleiterInnen sollten der Vergangenheit angehören. „Heute unterschreibe ich ein präsidiales Memorandum, das klarstellt, dass wir unsere Weltklasse-Wissenschaftler vor politischer Einmischung schützen und sicherstellen werden, dass sie frei denken, forschen und sprechen können“, sagte er Ende Januar 2021.
Inzwischen sind diese Verfehlungen auch amtlich. Am 17. Juni erklärte ein US-Gericht die verläufige Glyphosat-Zulassung der „Environment Protection Agency“ (EPA) aus dem Jahr 2020 teilweise für ungültig. „Die Fehler der EPA bei der Bewertung des Risikos für die menschliche Gesundheit sind schwerwiegend“, heißt es in dem Urteil des „9th U.S. Circuit Court of Appeals“. Den RichterInnen zufolge hatte die Behörde bei dem Genehmigungsverfahren gegen ihre eigenen Richtlinien zum Umgang mit Studien und zur Einschätzung von Krebsgefahren verstoßen und sich zudem über Bedenken des eigenen wissenschaftlichen Beirats hinweggesetzt.
Zum zweiten Verfahrensfehler, den die Aktien-Gesellschaft dem Ninth Circuit anlastete, hatte Elizabeth Prelogar ebenfalls eine klare Meinung. Ihrer Auffassung nach stellte die Auswahl der Sachverständigen keine Pflichtverletzung dar. Sie stehe „nicht im Widerspruch zu den Standards, die von anderen Gerichten bei der Prüfung der Zulässigkeit von ExpertInnen-Aussagen angewandt werden“, so Prelogar.
Die Reaktionen
Die Anwältin Erwin Hardemans freute sich über die Stellungnahme des Solicitor Generals. „Es ist ein sehr guter Tag für Krebsopfer, die versuchen, Täter wie MONSANTO zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte sie. Der Leverkusener Multi hingegen ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken. „Wir sind weiterhin überzeugt, dass es gute rechtliche Argument für den Supreme Court gibt, den Fall Hardeman zu überprüfen und das Urteil zu korrigieren. Die Umweltschutzbehörde EPA hat mehrfach festgestellt, dass glyphosat-basierte Pestizide sicher genutzt werden können und nicht krebserregend sind“, erklärte der Konzern.
In der am 23. Mai veröffentlichten Stellungnahme zu der Entscheidung wiederholte er diese Argumente, packte aber noch etwas drauf. Das Unternehmen versuchte sich als Krisen-Profiteur und nutzte die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die globale Lebensmittel-Versorgung, um Glyphosat angesichts der neuen Herausforderungen für die „Ernährungssicherheit“ als systemrelevant auszugeben und den Supreme Court moralischem Druck auszusetzen.
Damit nicht genug, brachte der Global Player die Agro-Branche dazu, sich für ihn zu verwenden und in der Sache einen Brief an US-Präsident Joe Biden aufzusetzen. Unter anderem gewann er zahlreiche FarmerInnen-Organisationen der Bundesstaaten, ZüchterInnen-Vereinigungen und die Lobby-Einrichtung „CropLife America“ für sein Ansinnen. „Wir schreiben, um unsere große Besorgnis über eine kürzlich erfolgte Änderung der langjährigen Politik in Bezug auf die Regulierung und Kennzeichnung von Pestizid-Produkten auszudrücken, auf die sich Landwirte und andere Benutzer verlassen“, mit diesen Worten leiteten die insgesamt 54 Verbände ihren Appell ein. Vehement kritisieren die Unterzeichner die Rechtsposition, die Kalifornien und anderen Bundesstaaten Pestizid-Kennzeichnungen nach Landesrecht erlaubt. Und auch sie verweisen auf die aktuelle Weltlage, um die Dringlichkeit ihres Anliegens zu unterstreichen, Glyphosat zu amnestieren. „In einer entscheidenen Zeit, in der amerikanische Landwirte bestrebt sind, eine Welt zu ernähren, die von Nahrungsmittelknappheit und -unsicherheit bedroht ist, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben, birgt diese Kehrtwende in der Politik die große Gefahr, dass die Fähigkeit der amerikanischen Agrar-Produzenten, zur Deckung der weltweiten Nahrungsmittel-Bedarfs beizutragen, untergraben wird“, führen „CropLife Amerika“ & Co. aus. Mit der Aufforderung an die Biden-Administration, den Schriftsatz der Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar zurückzuziehen, endet ihre Suada. Aber es nützte alles nichts. Der Supreme Court schloss sich zum Leidwesen BAYERs der Argumentation Prelogars an. „Die Entscheidung untergräbt die Verlässlichkeit von Regulierungsentscheidungen für Unternehmen, weil sie zulässt, dass jeder einzelne Bundesstaat der USA unterschiedliche Gebrauchsanweisungen verlangen kann. Das widerspricht klar dem Anspruch an Einheitlichkeit, den der US-Kongress in Gesetzes-Grundlagen formuliert (…) hat“, klagt der Leverkusener Multi.
Jetzt greift für ihn der Plan C. Er hatte nämlich schon Vorsorge für den Fall getroffen, dass Glyphosat der Weg zum Obersten Gerichtshof verschlossen bleibt. Der Konzern stellt ein „professionell aufgesetztes Programm zum Umgang mit künftigen Ansprüchen“ in Aussicht, das „vordefinierte Kompensationen“ enthält und sich dabei an den schon geschlossenen Vergleichen als Richtwert orientiert. Rücklagen von 4,5 Milliarden Dollar hat er dafür gebildet.
Zu den weiteren Schritten, „um die Rechtsstreitigkeiten zu beenden und sicherzustellen, dass es künftig nur noch wenige Glyphosat-Klagen gibt, die zudem geringe Erfolgsaussichten haben“ zählt der Verkaufsstopp des Herbizids für Privatkunden ab 2023. Dieser Gruppe entstammten nämlich die meisten Geschädigten, die gegen BAYER vor Gericht zogen. Darüber hinaus will das Unternehmen von sich aus das Thema „Kennzeichnung“ angehen und mit der EPA diskutieren, wie es auf den Glyphosat-Etiketten zu „einer noch besseren Information über den Stand der Wissenschaft“ kommen kann.
Diese Maßnahmen scheinen jedoch allesamt nicht dafür geeignet zu sein, die Akte Glyphosat endlich zu schließen. Sechs Jahre nach der ersten Klage und vier Jahre nach dem ersten Urteil, das dann schon BAYER als Rechtsnachfolger MONSANTOs traf, ist sie immer noch sperrangelweit offen. Darum forderte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ein schnelles Handeln ein. „Jetzt muss BAYER endlich die mehr als 30.000 Glyphosat-Betroffenen angemessen entschädigen, die bislang kein Geld vom Konzern erhalten haben, bevor noch mehr von ihnen sterben. Und das Unternehmen darf nicht länger darauf spekulieren, sich durch irgendwelche juristischen Winkelzüge anders vor zukünftigen Klagen wappnen zu können als durch einen Verkaufsstopp von Glyphosat“, hieß es in der Presseerklärung der Coordination. ⎜