SWB 02/98

In der Höhle des Löwen

20 Jahre COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN -
20 Jahre Widerstand, Kritik, Gegenwehr.

Vor 20 Jahren entging die Stadt Wuppertal nur knapp einer Katastrophe. Das BAYER-Werk setzte große Mengen von Salzsäure frei. Die Vögel fielen buchstäblich tot vom Himmel, die Bäume warfen ihre Blätter ab, und das Gift drang in die Wohnungen der Menschen ein. Behördlicherseits hieß es, wie zumeist bei solchen "Störfällen": "Gefahr zu keiner Zeit". Während auch seitens der Werksmanager in zynischer Weise abgewiegelt wurde ("Wem es zu sehr stank, der hätte ja gehen können!"), gründete sich vor Ort eine BürgerInneninitiative, die seither (und mittlerweile als international aktives Netzwerk) dem global tätigen ASPIRIN-Hersteller nach Kräften rund um den Globus Kopfschmerzen bereitet. Axel Köhler-Schnura, der dieses in der Geschichte eines Multis einmalige konzernkritische Netzwerk von Anfang mit aufbaute, zieht die Bilanz eines 20jährigen Engagements.

Über den Anfang
Es war wie zumeist in solchen Fällen: Wir sind alle in die Sache reingerutscht! Ich zum Beispiel war Anwohner des BAYER-Werkes in Wuppertal und arbeitete in Düsseldorf. Ich machte mir zuvor keinerlei großartige Gedanken über BAYER. Dann kam es im Mai und im Juni 1978 zu zwei dramatischen Unglücksfällen im Werk mit Auswirkungen für Tausende von AnwohnerInnen. Beim ersten Unfall ging es wie stets: Am nächsten Tag war die Presse voll, am Wochenende noch einmal LeserInnenbriefe satt, und dann war alles vorbei, es gab neue, andere Schlagzeilen. Auch für mich war der Unfall vorbei. Als aber kurz nach dem ersten Unglück das zweite passierte, da wurde Tausenden - und auch mir - bewußt, daß wir am Rande der Katastrophe vorbei gerutscht waren, und es wuchs ein großer Unmut.

In dieser Situation gründeten einige AnwohnerInnen die "Wuppertaler Bürgerinitiative gegen BAYER-Umweltgefährdung". Ich gehörte dazu. Im Schnell-Durchgang lernten wir in der Folge den Konzern kennen: Einerseits erkannten wir, daß es über die Produktionsgefahren hinaus noch viele weitere Probleme gab - Verseuchung der Wupper, Luftverschmutzung, Probleme mit Pestizid- und Pharma-Produkten usw. usf.; andererseits lernten wir den Konzern aber auch von seiner dunklen Seite kennen, wir wurden als Kommunisten diffamiert, der Werkschutz ging gegen uns tätlich vor, Bespitzelung fand statt, Versuche zur Spaltung der Bürgerinitiative waren an der Tagesordnung. Zugleich zeigte der Konzern keinerlei Bereitschaft, auch nur irgend etwas zu verändern, das einzige was zählte, waren die Gewinne. Wir lernten die Propaganda zu durchblicken. Wir lernten aber bereits in dieser frühen Phase, daß die Auseinandersetzung mit BAYER nur langfristig zu führen ist, daß für diese Auseinandersetzung ein langer Atem nötig ist. Und daß es nötig ist, möglichst viele Menschen einzubeziehen, auch die Belegschaften. Damals war es üblich, einen Gegensatz zwischen Umweltschutz und Arbeitsplätzen zu sehen. Interessierte Kreise - ich sehe da in erster Linie die Konzerne - haben alles getan, diese Frage auf ein Entweder-Oder zuzuspitzen. Wir aber sahen die Notwendigkeit des Gegenteils: "Für Umweltschutz und sichere Arbeitsplätze bei BAYER!" hieß unsere Losung. Wir sahen ganz klar, daß einerseits die KollegInnen in den Betrieben den Umweltgefahren am meisten ausgesetzt sind, sie tragen das größte Risiko bei Produktionsunfällen; andererseits war natürlich klar, daß Arbeit die Lebensgrundlage der Menschen bildet. Also müssen gemeinsame Lösungen gefunden werden!

Als es 1979 in Dormagen zu einer Beinahe-Katastrophe im dortigen BAYER-Werk kam, knüpften wir Kontakte zur dortigen Bevölkerung. Wir mußten erleben, daß BAYER dort die Menschen mit den gleichen Beschwichtigungsformeln abspeiste wie in Wuppertal. Da war es ungeheuer hilfreich, als BAYER-geschädigte WuppertalerInnen den Dormagener BürgerInnen zur Hilfe zu kommen. Aufgrund unserer Erfahrungen und Argumente sank die BAYER-Propaganda in sich zusammen, es gelang dem Konzern nicht, den Unglücksfall aus den Schlagzeilen zu drängen. Im Rahmen einer Fernsehdiskussion erlitt BAYER eine landesweit ausgestahlte Blamage erster Klasse. Auf diese Weise wurde der Grundstein zu einem BAYER-kritischen Selbsthilfe- Netzwerk gelegt. Und BAYER dämmerte langsam, daß dem Konzern ein bis dahin noch nicht gekannter Widerstand erwuchs, der sich nicht so einfach wie bislang handhaben ließ.

Eine weitere Entwicklung erfuhr unser Netzwerk, als sich 1980 GREENPEACE an uns wandte, um gemeinsam das Abkippen von Giftabfällen aus der Leverkusener Produktion in die Nordsee zu stoppen. Wir empfahlen eine gemeinsam abgestimmte Aktion, die erstmals die wesentlichen Elemente unserer Netzwerk-Strategie enthielt: Direkte am Problem orientierte Aktion, Verallgemeinerung des Problems auf die prinzipiell zugrunde liegende Firmenpolitik, Ausrichtung der Aktionen auf die Verantwortlichkeiten im Konzernvorstand. Und so kam es zu den ersten international abgestimmten Aktionen, der internationalen Dünnsäure-Blockade. Unser Netzwerk entwickelte sich zu einem internationalen Netzwerk. Formal wurde dieser Schritt allerdings erst im Jahr 1983 vollzogen, als sich die "Internationale Koordinationsstelle gegen BAYER-Umweltgefahren" aus der Wuppertaler Bürgerinitiative heraus gründete. Im Laufe der Zeit veränderte sich der Namen des Netzwerkes mehrmals, bis er dann ab ca. 1987 endgültig bei "COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN", abgekürzt CBG, blieb. Dem multinationalen BAYER-Konzern war das international organisierte Netzwerk der CBG erwachsen.

Über Kritik auf Hauptversammlungen
Nun, weil der Konzern sich jeder öffentlichen Diskussion von Problemen verweigerte, dachten wir uns, dann stellen wir ihn in einer Situation, in der er nicht ausweichen kann. Das war die aktienrechtlich vorgeschrie-
bene Hauptversammlung. Wir erinnerten uns an Aktionen bei SIEMENS und anderen Firmen, die es immer wieder vereinzelt seit Anbeginn in der Geschichte der Aktiengesellschaften anläßlich der Hauptversammlungen gegeben hat und sehen uns durchaus auch in dieser Tradition. Wir kauften jeweils eine Aktie - denn klar war, wir wollten keine Finanzierung der BAYER-Geschäfte betreiben - und gingen 1983/84 erstmals auf die BAYER-Hauptversammlung nach Köln. Statt einiger dicker, zigarrenbe-
wehrter Kapitalisten strömten ca. 1.200 KleinaktionärInnen in die Messehalle. Darunter sicherlich eine ganze Reihe, denen es deutlich besser und sehr viel besser ging als unsereins, aber die meisten doch Menschen mit den gleichen Nöten und Sorgen um's tägliche Brot wie wir selbst: ArbeiterInnen, Angestellte - darunter sehr viele BAYER- Beschäftigte. Der Nennwert der Aktien, die der durchschnittliche Kleinaktionär in seinem Depot hat, hat sich bis heute kaum geändert: Gerade mal ein bis zwei Tausend Mark.

Diese Erfahrung gab unserem Vorhaben eine zweite Motivation: Wir würden nicht nur die verantwortlichen Manager und Großaktionäre (ausschließlich Männer) zur Rede stellen, sondern darüber hinaus auch den KleinaktionärInnen, darunter viele BAYER-Beschäftigte oder ehemalige BAYER-Beschäftigte, auch den Charakter ihres Aktien-Engagements deutlich machen.

Und so kam es zur ersten "Aktion mit Aktien": Wir traten in der Höhle des Löwen, in der bis dahin ausschließlich über Profite, Profite und nochmals Profite gesprochen wurde, ans Mikrofon und sprachen über Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Umweltverseuchung, Arbeitsplatzver-
nichtung, Machtmißbrauch. Dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Grünewald klappte buchstäblich die Kinnladen runter, und er stotterte minutenlang unverständliche Sätze. Es dauerte geschlagene drei Redebeiträge, bis er sich soweit gefaßt hatte, daß er wieder einen zusammenhängenden Satz über die Lippen bekam. Der Saal reagierte mit spontanem Applaus, und ein entsetzter Aktionärsvertreter der traditionellen Art stürzte ans Mikrofon, um sein verwirrtes Hirn zu offenbaren: "Wenn das alles stimmt, was hier vorgetragen wurde, dann sitzen da oben ja lauter Verbrecher!" rief er mit ausgestrecktem Finger auf die Riege des Managements. Die heiligen Hallen des Kapitals wurden durch Kapitalismuskritik säkularisiert.

Und was dann in den folgenden Jahren kam, übertraf unsere kühnsten Erwartungen: Jahr für Jahr strömten Tausende von KleinaktionärInnen mehr nach Köln bis dann schließlich mit 24.000 TeilnehmerInnen der Höhepunkt erreicht war. Der BAYER-Konzern mußte alle Register ziehen, um diesen Zustrom einzudämmen. Tortzdem ist die BAYER-HV aufgrund unserer spektakulären alljährlichen Aktionen auch heute noch mit ca. 6.000 bis 7.000 TeilnehmerInnen eine der größten Hauptver-
sammlungen der Welt. Und: Wir bekommen zunehmend Unterstützung traditioneller AktionärInnen, die uns ihre Aktien-Stimmrechte übertragen. Dabei war aber doch stets klar, daß es ausschließlich um die Auseinandersetzung mit dem Management, mit den Konzernstrukturen ging. Abstimmungserfolge verbaten sich von Anfang an. Das Kapital hatte stets die nahezu 100%-igen Mehrheiten sicher in Händen. Einige wenige Banken und Versicherungen besitzen oder vertreten auf jeder Hauptversammlung 99,5% aller anwesenden Aktien, die vielen Tausend übrigen AktionärInnen lediglich das restliche halbe Prozent.

1986 gründeten wir den "Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre", damit andere Gruppen aus unseren Erfahrungen lernen konnten. In der Folge kam diese Aktion bei immer mehr Konzernen und Banken zur Anwendung, heute vertritt der Dachverband bereits mehr als eine Million Aktien bei rund 100 Gesellschaften.

Über internationale Solidarität
Einem multinationalen Konzern kann am wirksamsten multinational entgegen getreten werden. Dies ist ebenso wichtig, wie die Tatsache, daß gemeinsam wirksamer gekämpft werden kann als vereinzelt. Also müssen sowohl breite als auch internationale Bündnisse aller Betroffenen geschaffen werden. Wo immer Menschen auf dieser Erde Probleme mit BAYER bekommen oder haben, stellen wir uns solidarisch an ihre Seite und versuchen darüber hinaus, weitere Solidarität zu organisieren. Das war so, als ein australisches Dorf gegen die Ansiedlung eines neuen BAYER-Werkes inmitten eines Naturschutz-
gebietes kämpfte; als Menschen in Irland, Schottland, Kanada, USA und vielen anderen Ländern zu Opfern verschiedener BAYER-Produkte wurden; als in den Niederlanden sich breite Bündnisse gegen die Verschmutzung des Rheins durch BAYER zur Wehr setzten usw..

Die Menschen in den Ländern der sogenannten Dritten Welt werden von den Konzernen und natürlich auch von BAYER besonders grausam ausgebeutet. Also gilt es in diesen Fällen besondere Solidarität zu leisten. Oftmals liegt die Entlohnung der BAYER-Angestellten in Ländern der sog. Dritten Welt weit unterhalb der Existenzminimums. Unser Netzwerk hat dies von Anfang an berücksichtigt. Es kommt nicht von ungefähr, daß wir den Kampf streikender peruanischer BAYER- ArbeiterInnen mit ca. 12 Tausend Mark mühsam zusammengetragener Spendengelder unterstützten, daß die Lebens- und Produktionsbe-
dingungen türkischer, spanischer, lateinamerikanischer, afrikanischer, asiatischer BAYER-KollegInnen in unseren Aktionen stets im Vorder-
grund standen. Wir haben KollegInnen aus vielen BAYER-Werken aus aller Welt auf unsere Kosten nach Deutschland geholt, damit sie hier persönlich ihre Probleme dem Konzern und der Öffentlichkeit vortragen können. Ebenso haben wir uns stets besonders für die Menschen in diesen Ländern eingesetzt, die ganz besonders unter rücksichtsloser Vermarktung gefährlicher Pestizide, Pharmazeutika und anderer Produkte zu leiden haben.

Über die Zuspitzung der Aktionen auf BAYER
Wir beschränken uns nicht auf BAYER, sondern sehen BAYER stellvertretend für die Chemische Industrie Deutschlands. Dies ist aufgrund der unglaublichen Gechichte dieses Industriezweigs legitim. Denn es war tatsächlich so, daß in der nunmehr ca. 130-jährigen Geschichte die deutsche Chemische Industrie 40 Jahre lang unverhohlen einheitlich agierte, zwanzig Jahre lang sogar zusammengefaßt war im einheitlichen Super-Konzern der IG FARBEN. 1948 wurde dieser Trust zwar per Urteil des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses aufgelöst in seine Bestandteile BAYER, HOECHST, BASF, SCHERING und wie sie alle heißen, doch die harmonische, einvernehmliche Zusammenarbeit besteht weiter. Nicht mehr formal im IG FARBEN-Konzern, auch nicht mehr unverhohlen wie in den Zusammenschlüssen ab 1906 - das wäre nach den Erfahrungen der Geschichte für die Industrie zu riskant; die Konzerne agieren informell. BAYER spielt dabei - wie auch zuvor ab 1906 - eine sicherlich führende Rolle. Insofern widmen wir uns schon längst auch den alten IG FARBEN-Schwestern.

Darüber hinaus ist unsere Arbeit jedoch auch von ganz allgemeiner Bedeutung. Alles was an Erfahrung, Analyse und Bewertung multi-
nationaler Konzerne geleistet wird, machen wir konkret. BAYER ist das konkrete Beispiel eines Multis - die Erfahrungen, die aus der Ausein-
andersetzung mit BAYER resultieren, sind wichtig für jede Auseinander-
setzung mit Konzernen überhaupt. Insofern ist die Konzentration auf BAYER keine Beschränkung, sondern eine Bereicherung des politischen Kampfes gegen multinationale Konzerne. Dies wird auch deutlich, wenn wir immer wieder die Erfahrung machen, daß auf Kongressen wie der Rio-Gegen-Konferenz und dem IWF- Tribunal unsere Erfahrungen wertvolle Inputs für politische Resolutionen leisten. Nur durch unsere Diskussionsbeiträge wurden z. B. politische Forderungen im Hinblick auf multinationale Konzerne in die Abschluß-
erklärungen der Rio-Gegen-Konferenz oder auch des "Konziliaren Prozesses für den Erhalt der Schöpfung und die Bewahrung des Frieden" aufgenommen.

Über die Entwicklung vom Multi zum Globi
Da wir außerordentlich nah am Konzern dran sind, entdeckten wir bereits Mitte der 80er Jahre die Ambitionen bei BAYER, sich zu einem Global Player zu entwickeln. Wir durchblickten die Strategien und Absichten des Managements, sich international führend zu positionieren, die eigene Machtsphäre auszuweiten und die internationale Konkurrenz in die Schranken zu weisen. Die ganze heute offenkundige Aggressivität war uns deutlich früher sichtbar als der allgemeinen Öffentlichkeit. Entsprechend entwickelten wir die Formel "Vom Multi zum Globi" und dehnten unsere Aktivitäten auf neue Politikfelder aus. Wir beteiligten uns an den Aktionen gegen das "Europa der Konzerne", gegen Weltbank und all die anderen internationalen Durchsetzungsgremien konzern-
orientierter Profitstrategien. Das aktuellste Beispiel ist unser Engage-
ment gegen den Gipfel der Konzernoffensive, das Multilateral Agreement on Investment, kurz MAI.

Über Gegenwehr, Werkschutz und Diffamierung
BAYER hat eine ganze Reihe von Strategien und Taktiken entwickelt, uns in unserer Arbeit zu behindern und in unserer Wirksamkeit zu beschränken. Eine der Säulen ist die Diffamierung. BAYER diffamiert ohne jede Differenzierung die CBG und auch jeden, der mitarbeitet, als kommunistisch. National und auch international. Dabei baut der Konzern auf die tief verwurzelten und über viele Jahrzehnte hinweg aufgebauten antikommunistischen Ressentiments. Das ging soweit, daß BAYER eines schönen Tages bei einer Aktion von uns den Werkschutz Fahnen der Deutschen Kommunistischen Partei schwenken ließ, nur damit die Medienbilder eine kommunistisch dominierte Aktion suggerierten, oder daß der Konzern Schaubilder an die Presse gab, in der in einem Diagramm dargestellt wurde, wie ich persönlich vom ZK der KPdSU über das ZK der SED angeleitet, die "Zerstörung" des BAYER-Konzerns betreibe..

Eine weitere Methode ist es, den AktivistInnen der CBG jedwede Qualifikation und Berechtigung abzusprechen. Egal mit wieviel Doktor- oder Professorentiteln der Kritiker ausgestattet ist, seine Kritik ist, bleibt und wird nach BAYER-Auffassung immer "unqualifiziert, unwissenschaft-
lich und unhaltbar" bleiben. Darüber hinaus wird der Ruf der KritikerInnen nach Kräften geschädigt. Sie werden in den wissenschaftlichen Gremien isoliert und diffamiert. Niemals in offener Debatte, stets hinter den Kulissen und mit vorgeschobenen Strohmännern. Das geht bis zu Stellvertreter-Prozessen von Berufsgenossenschaften o. ä., die die KritikerInnen zermürben sollen.

Gleichzeitig spaltet der Konzern, wo er kann. Er dividiert in gute KritikerInnen, sprich solche, die sich beeinflußen lassen, die auf den roten BAYER-Teppich hereinfallen - und böse KritikerInnen, also jene, die unbeirrbar bei ihrer Meinung bleiben und ihre Forderungen aufrecht erhalten. Mit entsprechenden Sondierungsaufträgen machen sich Werkschützer während Aktionen und bei anderen Gelegenheiten an die TeilnehmerInnen heran, machen Angebote etc. Auf diese Weise gelang es BAYER etwa, einen Kampfstoff-Kritiker der Vereinigung "Wissen-
schaftler für den Frieden" als Chef-Genetiker einzukaufen. Wir gehen davon aus, daß der BAYER-Werkschutz für jeden einzelnen der KritikerInnen Psychogramme erarbeitet, um genau solche Strategien abzuschätzen und auszufeilen. Das geht durchaus soweit, daß einerseits auch Gelder und andere Zuwendungen fließen; andererseits gedroht und unter Druck gesetzt wird. Nach unserer Auffassung gibt es schwarze Listen mit den Namen der KritikerInnen, die aller Wahrscheinlichkeit nach sogar an den Verfassungsschutz weiter gereicht werden. Der Einfluß des Konzerns geht soweit, daß einer Pastorin der Evangelischen Kirche der Pastoren-Titel aberkannt wurde, daß Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren oder versetzt werden usw.

Und schließlich sind da die Medien. BAYER treibt einen gigantischen Aufwand, die Medien soweit unter Druck zu setzen, mit dem Ziel, daß nicht nur keine Kritik erscheint, sondern darüber hinaus positiv berichtet wird. Der Konzern überwacht in eigenen Zentren die Fernseh- und Radiostationen in aller Welt. Wir waren im RTL-Frühstücksfernsehen in aller Herrgottsfrühe gerade einmal ein paar Minuten auf Sendung, da rief bereits die BAYER-Medienabteilung an und forderte kategorisch nichts weniger als den Abbruch der Sendung. Und mensch soll nicht meinen, das hätte keine Wirkung. Die Leute von BAYER wissen, welche Macht sie haben. Sie bestimmen über genau die Milliarden, mit denen Kirch und Bertelsmann ihre Profite ziehen. Die Werbeetats in gigantischer Höhe sorgen nicht selten für eine beschämende Hofberichterstattung mit einer verinnerlichter Zensur.

Natürlich führt der Konzern auch mit aller Härte seine riesige Rechtsabteilung gegen KritikerInnen ins Feld. Ganze Heerscharen von JuristInnen existieren ausschließlich aufgrund der zahllosen Prozesse, die der Konzern in aller Welt gegen KritikerInnen vom Zaun bricht. Auch dabei kommt es oft zu Stellvertreterprozessen, in denen andere im Interesse des Konzerns den Prozeß führen. In solchen Fällen ist von vornherein verloren, wer solche Prozesse ausschließlich juristisch führt. Es gilt einfach die Erfahrung von Jahrhunderten, die Justiz ist stets Klassenjustiz. Und BAYER gehört nun mal zur herrschenden Klasse. Wir haben in einer endlosen Zahl von Fällen miterleben müssen, wie Menschen, Organisationen und selbst Regierungen - z. B. die belgische - vor BAYER in die Knie gegangen sind, obwohl sie nach allen Regeln des gesunden Menschenverstands und auch nach dem Verständnis angesehener JuristInnen alle Rechte der Welt auf ihrer Seite hatten. Auch wir wurden neun lange Jahre lang von BAYER mit Prozessen wegen Verleumdung u. ä. überzogen. 150.000 Mark kostete uns diese Auseinandersetzung. Allerdings gewannen wir in einem Schlüsselver-
fahren letztinstanzlich vor dem Bundesverfassungsgericht, BAYER wurde - offensichtlich aufgrund größerer Interessenzusammenhänge - in die Schranken gewiesen. Wir konnten einen Sieg für die gesamte demokratische Bewegung unseres Landes erringen.

Über die nächsten 20 Jahre
Mit der COORDINATION wurde eine einzigartige Organisation geschaffen. Es hat noch niemals in der Geschichte multinationaler Konzerne, egal wo auf dieser Welt, ein solches Netzwerk wie die CBG gegeben. Dies ist ein großartiger Erfolg. Er zeigt: Gegen all die Machenschaften multinationaler Konzerne hilft nur das breite politische Bündnis aller Betroffenen. Nur so gelingt es, einen Konzern wie BAYER in die Schranken zu weisen. Die COORDINATION lebt. Sie lebt nicht nur, sie wächst und gedeiht. Das zeigt, daß solch ein Bündnis funktioniert. Es ist nicht einfach, die politische Front gegen einen Konzern wie BAYER zu schmieden, aber es ist möglich. Das vielleicht wichtigste Ergebnis unserer Arbeit ist, daß wir zeigen, daß es möglich ist, gegen einen Konzern wie BAYER erfolgreich aufzustehen. Das macht Mut, das ist ein Sargnagel nicht nur am Sarg des Multis BAYER, sondern an den Särgen aller Konzerne und Banken. Denn eines ist klar: Uns geht es nicht nur um weniger giftige Pestizide, sicherere Arbeitsplätze, weniger gefährliche Pharmazeutika etc. Was wir wollen, das ist eine Zukunft für uns, für unsere Kinder, für den Planeten, die nicht mehr von Konzernen wie BAYER tagaus tagein bedroht wird. Wir wollen eine menschen- und umweltgerechte Produktion bei BAYER. Und das wird nur mit einem Betrieb gehen, der nicht mehr den Charakter eines kapitalistisch organisierten Multis hat. Insofern bin ich sicher, daß unser Beispiel früher oder später Schule machen wird, daß auch bei anderen Multis solche Bündnisse und Netzwerke ähnlich unserem entstehen werden. Auch bin ich sicher, daß unser Netzwerk stärker werden wird; daß das Bündnis an Breite und Stärke gewinnen wird. Wir werden BAYER auch über die Jahrtausendwende hinweg begleiten. Ich habe bereits drei Vorstandsvorsitzende bei BAYER erlebt. Nicht einer von ihnen hätte sich träumen lassen, daß die COORDINATION seine Amtsperiode überdauert. Die Vorsitzenden kommen und gehen, die CBG aber wird bestehen (in Abwandlung einer Aussage des BAYER-Vorstandsvor-
sitzenden Dr. Manfred Schneider: "Regierungen kommen und gehen, BAYER bleibt.")!

Erfolge sind möglich
Ausgewählte Beispiele aus 20 Jahren Arbeit der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN. Es wurden zudem eine endlose Zahl von Verbesserungen im Umweltschutz, im Sozialbereich und in der Arbeitssicherheit erreicht.

1978: Gründung der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN
           und Aufbau des Netzwerkes.
1979: Erzwingung einer breiten öffentlichen Debatte über Produktions-
           sicherheit, bei der BAYER in einer Fernseh-Diskussion eine
           empfindliche Schlappe erleidet.
1980: Erfolgreiche Blockade der Gift-Pipeline in Leverkusen
           (Dünnsäure-Blockade).
1981: Enthüllung, daß der Experte der Bundesregierung bei der
           Abrüstungskonferenz für chemische Waffen, Prof. Hoffmann,
           von BAYER ist.
1982: Spektakuläre Enthüllungen über die Verwicklung von BAYER in
           Entwicklung und Produktion des chemischen Kampfstoffes VX
           der US-Armee.
1983: Beteiligung an der Organisation des Internationalen Wasser-
           tribunals (IWT) in Rotterdam und Ausarbeitung der Klage gegen
           BAYER. Im Ergebnis wird der BAYER-Konzern von einer
           prominenten Jury internationaler Fachleute schuldig gesprochen.
1984: Erstmals Reden kritischer AktionärInnen auf der BAYER-
           Hauptversammlung. Diese Aktion war Vorbild für zahlreiche
           ähnliche Aktionen auch bei anderen Konzernen und Großbanken.
           1986 wirkten wir bei der Gründung des "Dachverbandes der
           kritischen Aktionärinnen und Aktionäre" mit.
1985: Umfangreiche Enthüllungen über die Verantwortung des
           BAYER-Konzerns für den "Speiseöl-Skandal" in Spanien, der
           Tausenden das Leben bzw. die Gesundheit kostete.
1986: Beteiligung an der "Dünnsäure-Blockade" bei BAYER/
           Antwerpen. Im Ergebnis wurde die Gesetzgebung geändert, und
           BAYER stellt 1990 das Abkippen hochgiftiger Dünnsäure in die
           Nordsee "freiwillig" ein.
1987: Aufgrund massiver Proteste konnte der Bau eines BAYER-
           Werkes im australischen Wattenmeer verhindert werden.
1988: Aufgrund einer Solidaritätskampagne mußte BAYER entlassene
           brasilianische GewerkschafterInnen wieder einstellen.
1990: Kampf gegen das BAYER-Pestizid LEBAYCID in Griechenland.
           Der Bürgermeister der Insel Paxos bedankt sich bei der CBG für
           die Unterstützung in der Auseinandersetzung mit BAYER. Die       
           CBG ist Gründungsmitglied des Pestizid-Aktionsnetzwerkes/PAN.
1991: Nachdem die CBG von BAYER verklagt worden war, errang sie
           letztinstanzlich vor dem BVG einen weit über den Konflikt
           BAYER/CBG hinausreichenden Sieg für Meinungsfreiheit und
           Demokratie. BAYER scheiterte mit dem Versuch, demokratische
           Rechte abzubauen.
1992: Enthüllungen über todbringende Arbeitsbedingungen bei der
           BAYER-Tochter CHROME CHEMICALS in Südafrika.
1993: Auftritt kolumbianischer BlumenpflückerInnen auf der
           BAYER-Hauptversammlung gegen BAYER-Pestizide.
1994: Aktionen gegen die wissentliche und tödliche Infizierung von vielen
           tausend Blutern in aller Welt mit AIDS durch verseuchte BAYER-
           Medikamente.
1995: Initiierung der Kampagne "Nie wieder!" zur Entschädigung der IG
           FARBEN-ZwangsarbeiterInnen durch BAYER und andere
           Konzerne.
1996: Erstmals in der Geschichte von Aktiengesellschaften erzwang die
           CBG ökologisch-orientierte Tagesordnungspunkte auf einer
           Aktionärsversammlung. Da eine große Zahl der anwesenden
           AktionärInnen mit der CBG stimmte, mußte BAYER eine bittere
           Niederlage hinnehmen.
1997: Der Bau einer 2,3 Milliarden teueren Chemie-Anlage in Taiwan
           kann wegen ihrer Gefährlichkeit gestoppt werden.
1998, 1999, 2000 ...: Weitere Aktionen und Erfolge hängen von der
           Unterstützung unserer Förderer ab. Bitte helfen Sie mit.


Diese Liste ist unvollständig und enthält nur einige wesentliche Beispiele unserer Arbeit.