Bayer-Aktionäre vermißten die gewohnten Geschenke
Gentechnik und Faschismus waren keine Themen für Vorstandschef Schneider
Nur noch etwa 8.000 Aktionärinnen und Aktionäre besuchten die Hauptversammlung der Bayer AG Ende April in Köln. Nach dem Besucherrekord von 26.000 Menschen 1993 und Zahlen um 20.000 in den Jahren zuvor ist das ein drastischer Einbruch. Als Grund werten Beobachter, daß Bayer in diesem Jahr erstmals keine Präsente an die Besucher verteilte.
In den Vorjahren konnte jeder Aktionär des Leverkusener Chemie-
konzerns als „Naturaldividende“ ein Geschenktäschchen mit Bayer- Kosmetik und Filmen der Konzerntochter AGFA von der Versammlung mit nach Hause tragen. Aufsichtsratschef Hermann Josef Strenger erklärte zur Begründung des diesjährigen Verzichts, daß die „Spar- und Konsolidierungs-Maßnahmen im Konzern auch die Hauptversammlung einschließen sollten.“
Trotz aller Einsparungen sank der Nachsteuergewinn des Unternehmens aber um gut 12 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,37 Milliarden Mark. An seine Aktionäre schüttet Bayer dennoch unveränderte elf Mark Dividende pro 50-Mark-Aktie aus. Der Konzernumsatz lag mit 41 Milliarden nur unwesentlich unter dem Vorjahreswert.
Härter als die Aktionäre trafen die Sparmaßnahmen die Belegschaft. Die Konzernleitung reduzierte die Zahl der Beschäftigten im Geschäfts-
jahr 1993 weltweit um 4.500 und senkte den Personalaufwand damit um fast ein Prozent. Für das laufende Jahr kündigte Vorstandsvorsitzender Manfred Schneider den Abbau weiterer 2.000 Stellen an, obwohl der Konzern bereits wieder mit „steigenden Gewinnen“ arbeite.
Kritische Aktionäre warnen vor Gentechnik
Die Aussprache in der Hauptversammlung dominierten erneut die kritischen Aktionärinnen und Aktionäre von der Düsseldorfer ,Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) und anderen Umweltschutz- und Menschenrechtsverbänden. Schwerpunkt ihrer Kritik an der Konzernleitung waren diesmal die Risiken, die Bayer mit der Nutzung der Bio- und Gentechnologie eingehe.
Manuela Jäger vom Ökoinstitut Freiburg warnte vor möglichen Gesund-
heitsgefahren durch Nahrungspflanzen, deren Erbgut gentechnisch verändert wurde. Die Industrie könne nicht „im Vorfeld überprüfen, welche Auswirkungen der Verzehr von genmanipuliertem Obst und Gemüse langfristig nach sich ziehen wird.“ Jäger befürchtet eine Häufung allergischer Erkrankungen, denn „empfindliche Personen können nicht erkennen, wenn zum Beispiel Gene aus Erdnüssen, auf die
sie allergisch reagieren, auf Tomaten übertragen werden, die sie vorher problemlos essen konnten.“
„Wir haben nie von einer risikofreien Technologie gesprochen“, entgegnete ihr Vorstandschef Schneider, ohne inhaltlich auf mögliche Gefahren einzugehen. „Es wird uns nicht gelingen, sie zu überzeugen,“ sagte er an alle Kritiker der Gentechnologie bei Bayer gerichtet, „aber seien sie versichert, sie werden auch uns nicht überzeugen.“
CBG-Sprecher Axel Köhler-Schnura nannte diesen Umgang mit Kritik „unwürdig“ und prophezeihte Schneider „und allen seinen Nachfolgern“, daß sie sich „noch Jahrzehnte mit Kritik an den Folgen der Gentechno-
logie befassen müssen.“
Bayer in Tradition der IG Farben
An die Verantwortung der Bayer AG als ehemaligem Teil des deutschen
Chemie-Kartells IG Farben erinnerte Peter Gingold, Vertreter des Auschwitz Komitees und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). 10.000 Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz hätten der IG Farben „täglich als Arbeitssklaven zur Verfügung stehen“ müssen.
Von Bayer verlangte Gingold deshalb Entschädigungen für die überlebenden Zwangsarbeiter und eine finanzielle Beteiligung an der Erhaltung der Gedenkstätten. Der heutige Bayer-Vorstand müsse „angesichts tausender Ermordeter ein Zeichen setzten, daß unter das Unternehmen IG Farben niemals ein Schlußstrich gezogen werden kann.“
Der Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider konstatierte daraufhin „Einigkeit in der Verurteilung der Verbrechen des Nazi-Regimes“.
Alle weiteren Anliegen von Peter Gingold seien jedoch „nicht Gegen-
stand der Tagesordnung.“
Martin Wiebek