AIDS-Skandal: Neue Dokumente
„Das ist doch Mord!“
Im letzten Jahr verklagten asiatische Bluter-Patienten BAYER. Wie bislang unbekannte Firmen-Unterlagen belegen, hat der Leverkusener Chemie-Multi Bluter mit seinem Gerinnungspräparat KOATE bewusst dem „AIDS“-Risiko ausgesetzt. Der im September ausgestrahlte WDR-Film „Tödlicher Ausverkauf – wie ‚AIDS‘ nach Asien kam“ dokumentiert nun detailliert, mit welcher Kaltblütigkeit der Konzern für seinen Profit über Leichen ging.
Von Jan Pehrke
„Warum ich? Was habe ich verbrochen, dass sie mich mit ‚AIDS‘ ansteckten? Ärzte sollen den Menschen helfen, aber die Ärzte in Hongkong hatten keine Chance. Sie mussten die Mittel anwenden, die sie bekamen. Schuld ist allein CUTTER, die Pharma-Firma in San Francisco“, klagt der 25-jährige Bluter Menn die US-amerikanische BAYER-Tochter in Egmont R. Kochs Film an. Sein Gesicht hält er dabei vor der Kamera verborgen. Erst nach langem Zögern hatte er sich zu den Aufnahmen bereit erklärt – in asiatischen Ländern sind „AIDS“-Kranke besonders stark von sozialer Ausgrenzung bedroht. Aber Menn stellte sich den Fragen des Filmemachers, weil er zu den Blutern gehört, die einen Prozess gegen BAYER führen. „Die Pharma-Firma muss vor Gericht gestellt werden! Sie hat das Medikament verkauft, obwohl sie wusste, dass es mit ‚AIDS‘ verseucht ist. Nur wegen des Profits! Das ist doch Mord!“, so der Hongkonger.
Die BAYER-Gesellschaft CUTTER hatte in den achtziger Jahren nicht hitze-behandelte und daher mit einem hohen „AIDS“-Risiko behaftete Margen des Blutplasma-Produkts KOATE nach Asien geliefert. In den USA hatte CUTTER das Mittel da schon längst durch das sichere KOATE HT ersetzt; den Verkauf des alten Präparats verbot die Gesundheitsbehörde. Auch die Hongkonger Vertriebsfirma des Unternehmens verlangte nach dem KOATE HT, erhielt jedoch eine abschlägige Antwort aus den USA. „Wir müssen die Lager-Bestände aufbrauchen“ lautete die in den Akten-Vermerken niedergelegte Verkaufsstrategie. Einfach entsorgen wollte BAYER das Hochrisiko-Produkt auf keinen Fall, der Konzern hatte sich in langfristigen Verträgen mit den Behörden zu einem bestimmten Festpreis verpflichtet und dachte nicht daran, das in der Herstellung teurere KOATE HT zu diesen Konditionen abzugeben. Nicht einmal als das Hongkonger Gesundheitsministerium den Vertriebschef zum Rapport einbestellte, der Druck von Patienten-Seite immer mehr zunahm, und JournalistInnen das Thema zu einem Skandal zu machen drohten, änderten die CUTTER-ManagerInnen ihre Haltung. Die einzige Reaktion aus San Francisco: „Wir haben den Universitätsärzten …350 Flaschen des neuen, hitze-behandelten KOATES besorgt … für jene Patienten, die am lautesten jammern.“ In Japan verfiel das Pharma-Unternehmen sogar darauf, die Zulassung von KOATE HT hinauszuzögern, um noch möglich viel von der „heißen Ware“ absetzen zu können.
Nur zwei Manager erklärten sich bereit, Koch Rede und Antwort zu stehen. Anfangs noch um Ausflüchte und Rechtfertigungen bemüht, kapitulierten sie schließlich vor der erdrückenden Macht der Fakten. Am Schluss des Interviews bekannte John H. Hink: „Ich denke, ich habe Fehler gemacht. Ich denke, ich hätte Dinge besser machen können. Und ich denke, unter diesen Umständen, wenn man die Folgen sieht, bin ich froh, jetzt darüber reden zu können“.
Diese Redebereitschaft zeigten die bundesdeutschen BAYER-Manager nicht. Sie lehnten es ab, vor laufender Kamera Stellung zu nehmen. Per Fax bekundete der Chemie-Multi „größtes Mitgefühl“ mit den Opfern, schloss aber „jegliches Fehlverhalten bei der Herstellung und Vermarktung dieser Produkte“ kategorisch aus.
Dabei laufen für den Opfer-Anwalt Charles A. Kozak alle Fäden des „AIDS“-Skandals in der Leverkusener Konzern-Zentrale zusammen. „Wir haben in den Dokumenten sehen können, dass BAYER gleich zu Anfang der ‚AIDS‘-Katastrophe jemanden herüberschickte, um die Strategie festzulegen. Und die entschieden dann, dass, obwohl wahrscheinlich innerhalb von ein, zwei Jahren 5.000 Bluter an “AIDS„ erkranken würden, CUTTER die Produkte weiter vermarkten solle“, führt Kozak aus.
Auf der Haben-Seite dieser brutalen Geschäftspraxis verbuchte der Multi vier Millionen Dollar KOATE-Verkaufserlöse in Asien.