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[SWB 01/2022] CURRENTA bereitet einen Neustart vor

CBG Redaktion

Alles auf Anfang?

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Explosion vom 27. Juli im Tanklager des Sondermüll-Entsorgungszentrums mit sieben Toten und 31 Verletzten strebt die CURRENTA eine schnelle Wiederinbetriebnahme dieses Komplexes des Leverkusener Chem„parks“ an.

Von Jan Pehrke

„Winterschlaf“ – diese Statusmeldung gab Chem„park“-Leiter Lars Friedrich im WDR-„Stadtgespräch“ zu dem aktuellen Zustand des Sondermüll-Entsorgungszentrums nach der Explosion vom 27. Juli ab. Er ließ in der Diskussionssendung aber keinen Zweifel daran, dass er auf ein Frühlingserwachen setzt. Benedikt Rees von der Leverkusener Klimaliste reagierte alarmiert auf das Ansinnen, nach einer solchen Katastrophe mit sieben Toten und 31 Verletzten im Tanklager nahe der Verbrennungsöfen einfach wieder zur Tagesordnung übergehen zu wollen. Der Lokalpolitiker forderte stattdessen ein neues Genehmigungsverfahren ein. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zeigte Verständnis dafür. „Das kann ich absolut nachvollziehen“, so die CDU-Politikerin. Ein amtliches „Ja“ zu einem solchen Prozedere war das jedoch nicht, noch nicht einmal ein neuerliches „Business as usual“ schloss sie aus. „Wir müssen uns anschauen, ob Veränderungen nötig sind“, blieb Heinen-Esser vage.

Als Entscheidungsgrundlage dafür möchte die Landesregierung das Sachverständigen-Gutachten zur Ursache der Detonation heranziehen. „Eine Wiederinbetriebnahme bzw. ein Wiederaufbau der Anlage ist erst nach eindeutiger Klärung des Ereignis-Hergangs und vorbehaltlich eventuell erforderlicher organisatorischer und/oder technischer Änderungen möglich“, erklärten CDU und FDP in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Auch „Änderungsbedarfe an dem bestehenden Regelwerk“ schlossen die Parteien nicht aus. Bei einer Anhörung im Leverkusener Stadtrat nannte Dr. Horst Büther von der Bezirksregierung einige konkrete Punkte. Je nach Ergebnis der Expertise könnten beispielsweise bestimmte Abfall-Gruppen aus der Genehmigung genommen sowie die Überwachung verschärft werden, so Büther.

Entsorgungsnotstand
Gleichzeitig drängt die Landesregierung jedoch zur Eile, denn seit der Detonation im Tanklager besteht in Nordrhein-Westfalen ein Entsorgungsnotstand. Einzelne Firmen wie etwa die ehemalige BAYER-Tochter LANXESS waren schon gezwungen, ihre Produktion zu drosseln. „Die aufgrund des Explosions- und Brandereignisses im Chem‚park’ Leverkusen am 22.(sic!)07.2021 beschädigte Rückstands- und Abfallverbrennungsanlage der CURRENTA GmbH & Co. OHL muss zeitnah wieder in Stand gesetzt werden“, erklärt Schwarz-Gelb deshalb. Welche Hürden zur Wiederaufnahme des Betriebs zu nehmen sind, hängt von den Plänen des Unternehmens ab, wie Horst Büther im NRW-Umweltausschuss erläuterte. „Soll dieses Tankfeld wieder genauso aufgebaut werden, wie es war, oder sollen Änderungen vorgenommen werden? Und je nachdem, welche Änderungen vorgenommen werden sollen, muss eine entsprechende Änderungsgenehmigung beantragt werden bei uns, bei der Bezirksregierung. Und im Rahmen dieser Änderungsgenehmigung werden wir gucken: Was müssen wir für Anforderungen stellen an die Wiederinbetriebnahme des Betriebes? Wenn tatsächlich 1:1 aufgebaut werden sollte, wären die Anforderungen gering, andererseits sind sie höher“, so Büther.

Bis zum 10. Dezember lag der Bezirksregierung Köln aus Leverkusen diesbezüglich noch nichts vor. Ihrer Einschätzung nach beabsichtigt der Chem„park“-Betreiber jedoch, wieder aufs Ganze zu gehen. „Aufgrund der hohen Bedeutung der SMVA (Sondermüll-Verbrennungsanlage, Anm. SWB) für die Entsorgungssicherheit des gesamten Standortes ist davon auszugehen, dass die Fa. CURRENTA die Betriebsgenehmigungen für die derzeit stillstehenden vier Verbrennungslinien künftig weiter in Anspruch nehmen wird“, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Regionalrat des Regierungsbezirks Köln.

Eine neue Genehmigung braucht das Unternehmen der Bezirksregierung zufolge dafür nicht. Es hat nur etwaige Verbesserungsvorschläge der GutachterInnen umzusetzen. Aber diese leisten der Behörde zufolge auch schon Hilfestellung für einen Neustart: „Bestandteil der sicherheitstechnischen Prüfung durch die Sachverständigen ist auch die Möglichkeit der kurzfristigen Wiederinbetriebnahme von Anlagen-Teilen.“

Das reicht der CURRENTA aber offensichtlich nicht. Daher hat sie noch weitere ExpertInnen engagiert. „Die Unterstützung durch Professor Jochum und sein Team ist wichtig, um sicherzustellen, dass aus der Aufarbeitung des Ereignisses die richtigen Schlüsse gezogen werden und Eingang in die Prozesse und Abläufe der CURRENTA finden. Überprüft werden daher auch die Maßnahmen zur Wiederinbetriebnahme der Anlage“, erklärte Geschäftsführer Hans Gennen. Aber auch „Fragen und Sorgen der Öffentlichkeit“ fänden Berücksichtigung, beschwichtigt der Manager. Der Herr Professor wiederum zeigte sich überzeugt, „dass wir die Aufarbeitung des Ereignisses und den Weg zur Wiederinbetriebnahme erfolgreich mitgestalten können.“

Dabei stellen die knappen Abstände des Entsorgungszentrums zu Wohnsiedlungen nach Ansicht der Bezirksregierung keinen Hinderungsgrund dar. „Viele Standorte der chemischen Industrie sind zu Zeiten entstanden, in denen es keine störfallrechtlichen Abstandsregelungen gab. In diesen Fällen genießen Anlagen und Schutzobjekte Bestandsschutz“, konstatiert sie. Die derzeitige Chem„park“-Regelung entspricht ihr zufolge dem Leitfaden der „Kommission für Anlagensicherheit“ (KAS): „Demnach sind die Abstände der SMVA zur benchbarten Wohnbebauung ausreichend.“ Sogar die Hochspannungsleitung, die quer über das ganze Areal verläuft und am Tag der Explosion erst umständlich vom Netz genommen werden musste, ehe die Feuerwehr mit vollem Einsatz löschen konnte, darf bleiben. Lediglich ein „schnelleres Freischalten“ muss die CURRENTA künftig garantieren.

Das Geschäftsmodell, aus der Entsorgung Kapital zu schlagen und dafür Müll aus aller Herren Länder zu akquirieren, sieht die Bezirksregierung Köln ebenfalls nicht gefährdet. Dabei ist dieses mit für das Unglück in Haftung zu nehmen, nicht nur weil die Substanz, die den Tank zum Platzen brachte, von weit her stammte. Ohne den grenzüberschreitenden Müll-Tourismus hätte es solch großer Tanklager als Zwischenlager-Stätten für die giftigen Produktionsreste gar nicht nicht bedurft. Aber die Bezirksregierung beantwortete die Frage abschlägig, ob es behördlicherseits möglich wäre, der CURRENTA eine Auflage zu erteilen, nur noch solche Stoffe zu verbrennen, die vor Ort anfallen. „Die Anlage besitzt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Verbrennung von 264.000 Tonnen/a und ist aufgrund ihrer Kapazität dafür ausgelegt, Abfälle aus Deutschland und anderen EU- bzw. EFTA-Staaten zu verbrennen. Einschränkungen zum Entstehungsort der Abfälle sind rechtlich nicht begründbar und könnten allenfalls als freiwillige Selbstbeschränkung der Betreiberin umgesetzt werden“, so die Behörde. Noch nicht einmal bei den Kontrollen will sie Defizite einräumen. Sie hält das Prozedere bestehend aus Eigenüberwachung im Zusammenspiel mit Prüfstellen wie dem TÜV und gelegentlichen Inspektionen ihrerseits für nicht reformbedürftig: „Aus Sicht der Bezirksregierung ist dieses Überwachungssystem ausreichend.“ Und beim Thema „Arbeitsschutz“ mag sie offenbar auch keinen Handlungsbedarf erkennen.

Die Ermittlungen
Die Kölner Staatsanwaltschaft, die gleich am Tag nach dem Ereignis Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und auf fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoff-Explosion eingeleitet hatte, bietet ebenfalls kaum Anlass zur Hoffnung, denn die bürgerliche Justiz muss Schuld individualisieren. Und so präsentierte die Anklage-Behörde dann im Oktober 2021 drei Beschäftigte als Tatverdächtige. Verletzung der Sorgfaltspflichten legt sie ihnen zur Last. Konkret lautet der Vorwurf, die Männer hätten eine Chemikalie über der zulässigen Temperatur gelagert, was zu einem Druckanstieg und schließlich zur Explosion führte. Zur Beweissicherung nahmen die Beamt-Innen bei den Beschuldigten sowie bei der CURRENTA Hausdurchsuchungen vor und stellten Datenträger, Handys und Dokumente sicher.

Mit diesem Vorgehen bricht die Staatsanwaltschaft Organisationsversagen auf menschliches Fehlverhalten herunter. Es war aber eine komplexe Gemengelage, die den großen Knall mit einem solchen Ausmaß an Folgen überhaupt erst möglich gemacht hat. Und ihre Geschichte reicht weit zurück. Deshalb trägt auch der BAYER-Konzern Mitverantwortung, obwohl er seine CURRENTA-Anteile im Jahr 2019 verkauft hat. Der Leverkusener Multi war es nämlich, der einst das Entsorgungszentrum errichtete mitsamt der Tanks, die so dicht nebeneinander standen, dass am 27. Juli ein Domino-Effekt eintrat. Auch trieb er seine ehemalige Service-Gesellschaft dazu, Profit aus der Entsorgung zu schlagen und nutzte all seinen politischen Einfluss, um strengere Sicherheitsauflagen zu verhindern.

Die Betriebsabläufe
Aber noch aus einem anderem Grund schlägt die Arbeit der Kölner Staatsanwaltschaft die falsche Richtung ein. In jedem Industrie-Komplex, welcher der Störfall-Ordnung unterliegt, sollten die Betriebsabläufe eigentlich so durchformalisiert sein, dass individuelle Versehen ohne gravierende Auswirkungen bleiben. Zu diesen Anforderungen zählen unter anderem verbindliche Verantwortlichkeiten für Kontrollen und eine systematische Risiko- und Gefahrenanalyse. Auch eine ständige Qualifizierung des Personals sowie eine detaillierte Unterweisung von Leih- und FremdarbeiterInnen, die nur zeitweise auf dem Gelände tätig sind, gehört zu dem Katalog. Über diesen ganzen Komplex müsste eigentlich zu Gericht gesessen werden, dafür aber fehlen die Instrumente. Darum tritt die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bereits seit Jahren für Einführung eines Unternehmensstrafrechts ein. Zudem fordert die Coordination eine grundlegende bauliche, organisatorische und sicherheitstechnische Veränderung des Entsorgungszentrums und dementsprechend ein neues Genehmigungsverfahren mit Bürgerbeteiligung. Grünes Licht für ein einfaches „Weiter so“ auf dem kleinen Dienstweg mit lediglich ein paar kosmetischen Eingriffen darf es nach der verheerenden Explosion vom 27. Juli nicht geben.