Die Umweltgeschichte des BAYER-Konzerns
Im August 2020 veröffentlichte die Tageszeitung junge Welt eine Beilage zum Thema „Ökologie“, zu der die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN einen Artikel über BAYER beisteuerte. Das Stichwort BAYER dokumentiert den Text in einer etwas erweiterten Fassung.
Von Jan Pehrke
Als Egon Erwin Kisch im Jahr 1927 für eine Reportage zum Stammsitz des BAYER-Konzerns nach Leverkusen reiste, fielen ihm zuerst die zum Trocknen aufgehängten Hemden auf. Sie hatten ihre weiße Farbe auch nach dem Waschen nicht wiedergewonnen. Vielmehr zeichneten sich auf ihnen an vielen Stellen blaue, grüne oder violette Flecken ab. Ihre Träger arbeiteten nämlich in der Farbstoff-Produktion des damals zum IG-FARBEN-Konglomerat gehörenden Unternehmens, und die Haut gab die dabei aufgesogenen Pigmente wieder an die Kleidung ab. „Aber schlimmer wirken die Dämpfe, die beim Verkochen der Farben in die Lungen dringen, gefährlicher die Blei-Vergiftungen, die oft Geisteskrankheit zur Folge habenden Arsenwasserstoff-Gase“, schrieb Kisch. Und auch sonst zeichnete er in seinem Text, der unter der Überschrift „Das giftige Königreich am Rhein“ in der „Roten Fahne“ erschien, ein deprimierendes Bild von der Situation vor Ort. „Erschütternde Blässe und Abgezehrtheit sind bei den Arbeitern von ‚Jammerkusen’ die Regel“, hielt „der rasende Reporter“ fest.
Klagen über die Umwelt-Belastungen seiner Produktion begleiten den Leverkusener Multi seit seiner Gründung im Jahr 1863, wie der Historiker Stefan Blaschke in seinem Buch „Unternehmen und Gemeinde. Das Bayerwerk im Raum Leverkusen 1891-1914“ schreibt. Bereits ein Jahr nach der Inbetriebnahme der Fertigungsanlagen musste die Firma FRIEDR. BAYER ET COMP. die ersten Entschädigungen zahlen. Immer wieder kam es zu Protesten. Im Juni 1889 etwa unterzeichneten 66 AnwohnerInnen eine Eingabe an die Königliche Regierung.
So missbrauchte BAYER die Flüsse in der Nähe der Werke als „Opferstrecke“. Eine zeitgenössische Schrift bescheinigte dementsprechend der Wupper, „meistens einem Tintenstrom“ zu gleichen. Der damalige Generaldirektor Carl Duisberg hielt eine Abwasser-Reinigung jedoch für eine „Vergeudung von Nationalkapital“. Im Übrigen verwies die Aktien-Gesellschaft, wie sie es auch heute noch gern tut, auf ihre bedeutende Wirtschaftskraft, der keine Fesseln angelegt werden dürften. Artikel in der Arbeiterpresse, die für den Chemie-Riesen die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Gifthütte“ fanden, tat Duisberg als reine Propaganda ab. Der Verweis auf die mit der Herstellung von Farbstoffen und anderen Produkten verbundenen Gefahren sei lediglich das „beste Mittel zur Schürung des Klassenkampfes“, so der damalige Konzern-Chef. Sich selber führte er als Beispiel dafür ins Feld, wie wenig Chemikalien einem Menschen schaden können. „Als Chemiker bin ich schon seit 25 Jahren im Laboratorium und im Betrieb dieser „Giftindustrie“ tätig und daher gezwungen, täglich und stündlich mit solchen Giften umzugehen. Ja noch mehr, (…) ich präsentiere mich hier sogar als ein „vergifteter Giftarbeiter“, denn wer von uns Chemikern hat nicht bereits eine Chlor- oder Brom-Vergiftung, eine Phosphor-Vergiftung oder Gott weiß was für Vergiftungen durchgemacht (…) Kurz, zahlreiche Vergiftungen, wie sie bei einem Chemiker vorkommen können, habe ich durchgemacht und stehe dennoch gesund vor Ihnen“, tönte er.
Bis heute ist BAYER aller Greenwashing-Aktivitäten zum Trotz weit davon entfernt davon, sauber zu sein. Dazu genügt ein Blick in den neuesten Nachhaltigkeitsbericht. Die klima-schädlichen Kohlendioxid-Emissionen erhöhten sich im Vergleich zum Vorjahr um 830.000 Tonnen auf 3,71 Millionen Tonnen. Der Ausstoß von ozon-abbauenden Substanzen schnellte von 9,3 auf 17,8 Tonnen hinauf. Die Stickstoff-Emissionen wuchsen um 1.440 Tonnen auf 4.700 Tonnen und die Schwefeloxid-Emissionen um 1.610 Tonnen auf 2.310 Tonnen. Die Einleitungen in die Gewässer legten ebenfalls zu. Die Phosphor-Werte steigerten sich von 180 auf 510 Tonnen, die Stickstoff-Werte von 390 auf 420 Tonnen, die Schwermetall-Werte von 2,4 auf 2,6 Tonnen, die für organisch gebundenen Kohlenstoff von 600 auf 980 Tonnen und diejenigen für anorganische Salze von 97.000 auf 167.000 Tonnen.
Der Leverkusener Multi erklärt die miese Umweltbilanz hauptsächlich mit der Übernahme des MONSANTO-Konzerns. Und tatsächlich haben es Produkte wie Glyphosat in sich. Neben allem anderen ist das Total-Herbizid beispielsweise auch ein Klima-Killer. „Mit dem akquirierten Agrargeschäft haben wir neben Standorten für die Saatgutproduktion u. a. auch eine Rohstoffgewinnung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten übernommen, mit der energie-intensive Auf- und Weiterverarbeitungen verbunden sind“, heißt es verklausuliert im Geschäftsbericht zur Erklärung. Konkret handelt es sich dabei um eine Anlage im US-amerikanischen Soda Springs zur Gewinnung des Glyphosat-Vorprodukts Phosphor. Um es aus dem Sediment-Gestein Phosphorit zu lösen, muss ein spezieller Schmelz-Reduktionsofen nämlich erst auf eine Betriebstemperatur von 1500° kommen. Und dazu braucht er jede Menge Kohle.
Das Öko-Desaster beginnt jedoch schon vorher. Es nimmt mit dem Phosphorit-Tagebau in der Umgebung von Soda Springs seinen Anfang, der eine massive Luft- und Wasserschmutzung zur Folge hat und endet mit der Ausbringung des Total-Herbizids auf den Feldern noch lange nicht. Von den Äckern gelangt das Mittel in die Flüsse, wo es das biologische Gleichgewicht gehörig durcheinanderwirbelt, ist Phosphor doch ein Nährstoff, den vor allem Algen dankbar aufnehmen. Diese decken dann die Oberflächen der Gewässer ab und lassen kaum noch Licht durch. Deshalb können die tiefer gelegenen Pflanzen keine Foto-Synthese mehr vollziehen. Sie sterben ab und verbrauchen bei ihrer Zersetzung große Mengen Sauerstoff, der dann wiederum den Fischen und anderen aquatischen Lebewesen fehlt. 151.000 Tonnen Phosphor setzt das Ultra-Gift nach einer Studie der kanadischen McGill University jährlich frei. „Von der Wiege bis zur Bahre ist Glyphosat ein hoch problematischer Stoff“, resümiert Hannah Connor vom „Center for Biological Diversity“.
All diese Risiken und Nebenwirkungen der BAYER-Produktion befeuern den Klassenkampf entgegen Duisbergs Befürchtungen jedoch nur wenig bis kaum. Die IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE) stritt nie für eine sauberere Chemie, sondern versuchte diese in Tateinheit mit den Vorstandsetagen aus Angst vor Arbeitsplatz-Vernichtungen stets so schmutzig wie möglich zu halten. Aber es gab und gibt immer auch Gegenbewegungen. Die Betriebsrätin Marianne Hürten bespielsweise engagierte sich als Grüne in den 1980er Jahren stark für den Umweltschutz. Als sie 1985 ein Landtagsmandat anstrebte, ließ der Konzern ihren Wahlkampf durch den Werksschutz beobachten. „Sie hat von Dioxin und Cadmium bei der BAYER-Produktion gesprochen, BAYER der Profitgier bezichtigt und behauptet, dass die Vergiftungen in Spanien auf das BAYER-Produkt NEMACUR zurückzuführen seien“, meldete dieser. Das hatte den Rausschmiss zur Folge. Hürten ließ sich aber nicht einschüchtern, zog vors Arbeitsgericht und erreichte ihre Weiterbeschäftigung. Allerdings nur so lange, bis ihre Zeit als gewählte Betriebsrätin ablief. Dann musste sie gehen bzw. räumte freiwillig das Feld.
Marianne Hürten hat jedoch Nachfolger gefunden, beispielsweise in der Initiative „Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler für den Klimaschutz“, die den Schulterschluss mit Öko-AktivistInnen sucht. Zuletzt geschah das im Januar des Jahres auf der Konferenz „Vom Klimawandel zum Gesellschaftswandel“, an der neben Mitgliedern von DGB, ver.di und IG BCE auch Vertreter von ATTAC und Bürgerinitiativen aus der Braunkohle-Region wie „Alle Dörfer bleiben“ teilnahmen. Trotz dieser Lichtblicke trifft jedoch die Diagnose des Historikers Arne Andersen aus dem Jahr 1989 nach wie vor zu, „dass bis heute die Arbeiterbewegung sich schwer tut, für industriell bedingte Umweltprobleme Lösungen zu entwickeln“.