Kehrtwende im Fall „DUOGYNON“
England: Kommission fordert BAYER zu Zahlungen an Arznei-Geschädigte auf
Ein hormoneller Schwangerschaftstest der heute zu BAYER gehörenden Firma SCHERING hat ab den 1950er Jahren zu tausenden Totgeburten geführt. Darüber hinaus kamen durch das unter den Namen DUOGYNON und PRIMODOS vertriebene Medizin-Produkt bis zum Vermarktungsstopp Anfang der 1980er Jahre unzählige Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt. Geschädigte oder deren Eltern fordern den Leverkusener Multi seit Jahren dazu auf, die Verantwortung dafür zu übernehmen, bislang allerdings vergeblich. Die Bundesregierungen jedweder Couleur reagierten nicht auf die Appelle.
In England hatten die Betroffenen mehr Erfolg. Der Gesundheitsausschuss des Unterhauses nahm sich des Themas an und ließ ein wissenschaftliches Gutachten anfertigen. Weil dieses Mängel aufwies, gab die damalige Premierministerin Theresa May 2018 zusätzlich noch einen Untersuchungsbericht in Auftrag.
Am gestrigen Dienstag legte die von der Baroness Julia Cumberlege geleitete Kommission den Report vor. Das 277 Seiten umfassende Schriftstück, das sich neben PRIMODOS auch noch einem Scheiden-Implantat und einem Epilepsie-Mittel widmete, weist den Herstellern und den Aufsichtsbehörden unzählige Verfehlungen nach. So hatte der SCHERING-Konzern dem Bulletin zufolge schon frühzeitig Kenntnis von den fatalen Nebenwirkungen seines Produkts. Die britische Niederlassung schickte deshalb bereits 1969 Brandbriefe an die Zentrale in Berlin, um einen Stopp der Vermarktung von PRIMODOS als Schwangerschaftstest zu erreichen. Es geschah jedoch nichts.
Die VerfasserInnen hätten den Abgeordneten gerne noch detailliertere Auszüge aus firmen-internen SCHERING-Unterlagen präsentiert. Dies war allerdings „aus rechtlichen Gründen, die von BAYER geltend gemacht werden, nicht möglich“, wie es in dem Rapport heißt.
„Ich habe im Laufe der Jahre viele Überprüfungen und Untersuchungen durchgeführt, aber so etwas ist mir noch nie begegnet; die Intensität des Leidens, das so viele Familien erfahren haben, und die Tatsache, dass sie es jahrelang ertragen mussten. Viel von diesem Leid wäre vermeidbar gewesen“, sagte Cumberlege bei der Vorstellung des Berichts. Darum richtete sie eine unmissverständliche Forderung an BAYER und die anderen beiden Unternehmen: „Sie sollten sich nicht nur entschuldigen; sie sollten anerkennen, was geschehen ist, und freiwillige Entschädigungszahlen an die Menschen leisten, die so gelitten haben.“
Andre Sommer vom NETZWERK DUOGYNON pflichtet dem bei. „Die Kommission schlägt vor, dass BAYER Entschädigungen an die Betroffenen auszahlt. Ich gehe davon aus, dass das nun auch schnell Konsequenzen in Deutschland nach sich zieht. Die Betroffenen warten seit mehr als 40 Jahren auf eine Entschuldigung und eine finanzielle Versorgung. Die Verantwortlichen bei BAYER und in der Politik müssen dies nun zeitnah klären. Das sind sie den Menschen schuldig“, so Sommer.
Der Lehrer hatte sein Anliegen immer wieder auf den Hauptversammlungen des Agro-Riesen vorgetragen. Auch britische Geschädigte hielten mehrfach Reden auf den AktionärInnen-Treffen und beschworen den Vorstand, den DUOGYNON-Skandal aufzuarbeiten. Aber die ManagerInnen zeigten sich dazu nicht bereit. Auch der Cumberlege-Report bewegt die Chef-Etage zu einem Einlenken. Der Global Player bestreitet trotz erdrückender Beweise weiterhin „die Existenz eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Einnahme von PRIMODOS und nachteiligen Folgen in der Schwangerschaft“ und lehnt aus diesem Grund Entschädigungen ab.
„Abermals zeigt BAYER Geschädigten die kalte Schulter, offenbar bedarf es immer der Justiz, um den Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen“, kommentiert CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann abschließend.
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