BAYER muss zwei Milliarden Dollar Schmerzensgeld zahlen
Auch der dritte Schadensersatz-Prozess in Sachen „Glyphosat“ endete für BAYER in erster Instanz mit einer Verurteilung zu einer hohen Straf-Zahlung. Entwickelt sich die Übernahme von MONSANTO für den Leverkusener Multi also immer mehr zu einem Desaster-Deal oder könnte die Profit-Rechnung am Ende doch noch aufgehen?
Von Jan Pehrke
Nach der Verurteilung der BAYER-Tochter MONSANTO zur Zahlung von mehr als zwei Milliarden Dollar Schadensersatz an die beiden Glyphosat-Geschädigten Alberta und Alva Pilliod war einer der Anwält*innen des Leverkusener Multis mit seinem Latein am Ende. Er ging auf die Geschworenen zu und fragte geradeheraus, womit er sie denn von der Ungefährlichkeit des Herbizids hätte überzeugen können. „Ich hätte gewollt, dass Sie aufstehen und es trinken“, bekam der Jurist zur Antwort. Und der Laien-Richter Doug Olsen erläuterte ihm den Schuld-Spruch: „Wir wollten MONSANTO klar sagen: ‚Hört auf damit!, macht es besser!’, und wir wollten genug Aufmerksamkeit dafür.“ Diesem und keinem anderen Ziel diente dem Schöffen zufolge die empfindliche Strafe. Sie sollte wie ein „Schlag in die Magengrube“ wirken, eine geringere Summe hätte diesen Effekt nicht erzielt, so Olson.
Diese erzieherische Maßnahme war nach Ansicht der Juror*innen nicht bloß deshalb dringend nötig, weil sie von der Gefährlichkeit des unter dem Namen ROUND-UP verkauften Mittels überzeugt waren. Erschwerend kam hinzu, dass der jetzt zu BAYER gehörende Konzern mit allen möglichen Tricks und Finten versucht hat, die Öffentlichkeit über die Risiken und Nebenwirkungen des Pestizids zu täuschen, wie aus den dem Gericht vorliegenden Dokumenten eindeutig hervorging. Und einer Richtschnur folgte die Jury bei der Festsetzung des Strafmaßes durchaus. Sie orientierte sich an dem Gewinn, den MONSANTO im Jahr 2017 machte und gelangte so zu dem Betrag von 2,055 Milliarden Dollar – mehr Schadensersatz verlangte die US-Justiz in Produkthaftungsverfahren bisher nur von sieben Unternehmen.
Der Leverkusener Multi reagierte den Umständen entsprechend. „BAYER ist von der Entscheidung enttäuscht und wird Rechtsmittel dagegen einlegen“, verlautete aus der Konzern-Zentrale. Mitte Juni 2019 folgten diesen Worten Taten. Der Global Player legte Einspruch ein. Er warf dem Verfahren vor, nur eine „abstrakte Verunglimpfung von MONSANTO“ im Sinn gehabt zu haben und forderte den Richter Winifred Smith auf, das Urteil aufzuheben. Es gehe auf „aufwieglerische, erfundene und irrelevante Beweise“ zurück, befand die Aktien-Gesellschaft. Die Presse konnte BAYER mit diesem Schritt nicht beruhigen. „MONSANTO entpuppt sich als teure Fehlkalkulation“, konstatierte etwa die Faz nach der nunmehr dritten juristischen Niederlage in Sachen „Glyphosat“.
Die ökonomische Logik
Rein ökonomisch betrachtet trifft diese Wertung nicht zu, denn die Zahlen stimmen. „Das Wertschöpfungspotenzial aus der Kombination der beiden Geschäfte ist unverändert sehr, sehr positiv“, hielt der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann im Frühjahr 2019 fest. Und tatsächlich erhöhte sich der Umsatz der Agro-Sparte im Jahr 2018 um 49 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro, wobei 47,2 Prozent auf das Konto von MONSANTO gingen. Dabei wirkte sich auch ein wohlkalkulierter Nebeneffekt der Konzentrationswelle im Landwirtschaftsbereich positiv aus, die außer BAYER und MONSANTO noch DOW und DUPONT sowie CHEMCHINA und SYNGENTA zusammenbrachte: Da sich nun weniger Top-Unternehmen Konkurrenz machen, kann der Rest mehr Geld für seine Produkte nehmen. So heißt es im Geschäftsbericht des Leverkusener Multis lapidar: „Der Anstieg im Bereich Herbizide ist im Wesentlichen bedingt durch höhere Preise und Mengen-Ausweitungen von ROUNDUP in Lateinamerika.“
Auch Liam Condon, der Chef von BAYER CROPSCIENCE, äußert sich positiv über die Akquisition. „Im Landwirtschaftsbereich sind wir mit weitem Abstand der Marktführer, die Nr. 1 bei jeder großen Nutz-Pflanze, bei Frucht und Gemüse, und wir haben die führende digitale Plattform. Wir haben mehr Zugang zu den Farmern als jeder andere da draußen, und wir haben eine besser gefüllte Pipeline als jeder andere da draußen.“ Und Peter Müller, für das Deutschland-Geschäft des Agrar-Segments zuständig, teilt diese Meinung: „Die bereits veröffentlichten Zahlen spiegeln den wirtschaftlichen Erfolg und die Sinnhaftigkeit der Akquisition wider.“
Nur spiegelt der Aktien-Kurs all das zum großen Bedauern der Manager nicht wider. „Die Kapitalmarkt-Reaktion hat zumindest meines Erachtens momentan wenig mit dem inneren Wert des Unternehmens zu tun“, klagt Werner Baumann. Die Unkalkulierbarkeit der an Glyphosat hängenden Prozess-Risiken und der schlechte Ruf des Neueinkaufs zählen für die Börsianer*innen nämlich mehr als innere Werte. „Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße“, sagt etwa Janne Werning vom Vermögensverwalter UNION INVESTMENT. Das Manager Magazin kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: „Betriebswirtschaftliche Optimierung findet heute unter den komplexen Nebenbedingungen einer polarisierten Öffentlichkeit statt.“ Und nach Ansicht von Ingo Speich, der bei DEKA INVESTMENTS den Bereich „Nachhaltigkeit und Corporate Governance“ leitet, haben Baumann & Co. für diese Entwicklung kein Auge gehabt: „BAYER hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen. Der Markt für nachhaltige Anlagen wächst dreimal so stark wie der Gesamtmarkt.“ Und Nachfrage nach Aktien des Leverkusener Multis besteht da eher nicht. „BAYER nahm und nimmt in Kauf, dass viele Anleger aufgrund des MONSANTO-Geschäfts nicht mehr investiert sein wollen. Mit der Akquisition hat man auch viele zukünftige Investoren ausgeschlossen“, befindet Speich.
Der Tatort-Reiniger
Hier sinnt das Unternehmen mittlerweile auf Abhilfe. Es hat den ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger verpflichtet, um sich einen grünen Anstrich zu verleihen. Allerdings ist Berninger nicht mehr so ganz farbecht, weil er schon beim Schokoriegel-Fabrikanten MARS in Greenwashing-Diensten stand. Bei BAYER leitet er nun den Bereich „Public Affairs und Nachhaltigkeit“, den der Agro-Riese neu geschaffen hat, um ein besseres Reputationsmanagement zu betreiben bzw. verstärkt den „gesellschaftlichen Austausch“ zu suchen, wie der Global Player es ausdrückt. Ohne einen solchen sei unternehmerischer Erfolg heutzutage nicht mehr möglich, erklärte Peter Müller gegenüber Proplanta, einem Informationsportal für die Landwirtschaft. Und der ehemalige Staatssekretär im Verbraucher*innenschutz-Ministerium setzte gleich ganz groß an und bastelte in den USA an einer Nachhaltigkeitsstrategie für den Konzern. Dabei kam er allerdings nicht weit. Der Skandal um die von der BAYER-Tochter MONSANTO geführten Kritiker*innen-Listen bedeutete nämlich einen ersten Rückschlag bei dem Werkeln an der Wirtschaftsgröße „Reputation“, und Berninger musste der Arbeitsplatz-Beschreibung gerecht werden, welche die Wirtschaftswoche schon im Vorfeld für ihn gefunden hatte: „Tatort-Reiniger“.
Nach diesem Intermezzo kümmerte er sich weiter um die „Public Affairs“ und entwickelte eine PR-Kampagne. Sie startete Mitte Juni 2019 mit ganzseitigen Tageszeitungsannoncen und versuchte, den Blick der Investor*innen durch vage Nachhaltigkeitsankündigungen wieder auf die inneren Werte BAYERs zu lenken. Dabei steht denen jedoch noch ein anderes Hindernis im Weg: die mit den „Glyphosat-Klagen“ einhergehenden finanziellen Unwägbarkeiten. Und dieses will der Konzern vorerst nicht beiseiteschaffen. Vergleichsverhandlungen mit den Geschädigten, die am Ende für Klarheit über die Gesamt-Lasten sorgen und den Anleger*innen eine Kalkulationsgrundlage liefern könnten, lehnt der Leverkusener Multi zum jetzigen Zeitpunkt noch ab. Auch von dem erfahrenen Juristen Kenneth Feinberg, den der Richter Vince Chhabria zum Schlichter der Rechtsstreitigkeiten um das Pestizid ernannt hat, erwartet das Unternehmen nicht viel. Es setzt vielmehr darauf, in den Berufungsverhandlungen mehr Gnade für Glyphosat finden. Dort sitzen nämlich Jurist*innen auf der Richter*innen-Bank und keine Geschworenen, die in den Augen des Managements stets allzu leicht für das tragische Schicksal der krebskranken Kläger*innen einzunehmen sind. Erst wenn es hier zu keinen merklichen Reduzierungen der Strafen kommt, dürfte der Global Player den Geschädigten Vergleiche anbieten und damit anzeigen, welchen Preis er bereit ist, für das Glyphosat-Desaster zu zahlen. Damit hätte der Gentech-Riese das Ganze dann schlussendlich berechenbar gemacht und in die ökonomische Sphäre zurückgeholt.
Bis es so weit ist, stellt die Finanz-Branche selber Zahlen-Spiele an. „Kommt BAYER mit Zahlungen von fünf Milliarden Dollar davon, hat der BAYER-Vorstand alles richtig gemeint“, meint etwa Markus Manns von UNION INVESTMENT: „Muss BAYER am Ende mehr als zehn Milliarden Dollar zahlen, hat der Vorstand die Risiken von MONSANTO klar unterschätzt.“ An zehn Milliarden Dollar hängt es ihm zufolge also, ob die ökonomische Logik am Ende ihren Geltungsanspruch zu behaupten vermag. Aber wie die Sache auch immer ausgeht, die Verlierer*innen stehen jetzt schon fest: Es sind die 12.000 BAYER-Beschäftigten, die im Zuge des Monopoly-Spiels auf dem Agro-Markt ihren Job verloren haben.